Charismatische Erneuerung

Charismatische Erneuerung

Die charismatische Bewegung oder charismatische Erneuerung ist eine christliche, konfessionsübergreifende geistige Strömung, eine geistige Bewegung, welche die besonderen Begabungen hervorhebt, die Gott einem Menschen verleiht: Diese Fähigkeiten sind die so genannten Gnadengaben, oder Geistesgaben (von griech. charis = Gnade). Für die christliche Lehre (Theologie), für die persönliche Lebensführung, für die Führung der Gemeinde und Praxis ist das Wissen um solche charismatischen Begabungen grundlegend. Vermutlich hat eine solche Strömung im Verlauf der Geschichte von Kirche und Theologie von jeher existiert. Die Charismatische Bewegung selbst kam erst in den 1960er Jahren auf als eine innerkirchliche Bewegung innerhalb der Christenheit, insbesondere in vielen Freikirchen und auch in anglikanischen, evangelisch-lutherischen sowie der römisch-katholischen Kirche.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Außerhalb der Großkirchen gibt es in Deutschland vermutlich über 1.000 freie Gemeinden die in Netzwerken oder zum Teil im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden organisiert sind. In der Schweiz ist die charismatische Bewegung sogar noch stärker.

Man schätzt, dass sich weltweit ca. 600 Millionen Menschen (Stand 2005) dem pfingstlich/charismatischen Aufbrüchen zurechnen. Es ist die am stärksten wachsende christliche Bewegung in der Welt. Die Wachstumskerne der Bewegung sind Afrika, Lateinamerika und China (Stand 2006).

In einer Umfrage von 2007 in den Vereinigten Staaten bezeichneten sich 36 % aller Befragten als Charismatiker (in einer gleichen Umfrage 1997 waren es noch 30 %). Unter den Evangelikalen sehen sich 49 % als Charismatiker, unter den Katholiken 36 %. Unter den unabhängigen Gemeinden sind etwa 40% charismatisch, aber auch 7% der Gemeinden der Southern Baptist Convention und 6 % der Gemeinden in den Mainline Churches.[1]

Wesenszüge

James I. Packer sieht die folgenden Punkte als spezifisch für die Glaubensüberzeugungen der charismatische Bewegung:[2]

  • Das Erlebnis einer wesentlichen Bereicherung des christlichen Lebens, die weder mit der evangelikalen Bekehrung noch mit der sakramentalen Eingliederung in den Leib Christi identisch ist. Dabei empfindet der Einzelne oft in vorher nicht gekanntem Ausmaß die Liebe Gottes, die Nähe Jesu Christi, die Kraft des Heiligen Geists aber auch die Existenz des Dämonischen.
  • Die Gaben des Heiligen Geistes
  • Im Gottesdienst oder in der Gruppe das Erlebnis der Einheit mit Vater und Sohn durch den Heiligen Geist und das Erlebnis der geistlichen Gemeinschaft mit andern Christen.
  • Die Überzeugung, dass die charismatische Bewegung Teil einer göttlichen Strategie der Erneuerung der Kirche bzw. des Christentums ist.

Gebet und Gottesdienst

Die charismatische Erneuerung zeichnet sich besonders aus durch eine ausgeprägte Hinwendung zum "Gebet", wobei neben dem traditionellen Gebet auch besondere Formen wie lautes "freies" Beten, Handauflegen und Segnen durch Mitbetende oder Beten mit erhobenen Händen gepflegt werden. Oft wird spontanes Gebet mit Singen von Lobliedern kombiniert (Lobpreis und Anbetung).

Die Gottesdienste charismatischer Gruppen und Gemeinden sind oft modern gestaltet und sprechen auch junge Leute an. Im Interesse einer verbesserten kulturellen Adaption wird meistens auf traditionelle liturgische Elemente verzichtet. Die musikalische Anbetung im Gottesdienst wird oft von Bands im Pop-, Gospel- oder Folk-Stil geleitet. Die Predigten sind in der Regel weniger theologisch als alltagsbezogen. Entgegen der traditionellen Praxis in den großen Kirchen, die Predigten nach einer so genannten Leseordnung oder Perikope auszurichten, entstehen Predigten häufig aus einem gegebenen Thema, welches durch Bibeltexte erläutert wird.

Die charismatische Bewegung ist ebenso wie die Pfingstbewegung missionarisch orientiert, insbesondere Freundschaftsevangelisation und Glaubenskurse wie der Alpha-Kurs spielen eine Rolle.

Theologie und Ethik

Anhänger der charismatischen Bewegung bleiben gewöhnlich theologisch auf dem Boden ihrer angestammten Konfession und erklären charismatische Erfahrungen innerhalb von deren Theologie. So sprechen Katholiken von einer Freisetzung des bei der Taufe und Firmung empfangenen Heiligen Geistes, Protestanten deuten es als geistliche Wiedergeburt aufgrund einer neuen Bekehrung, und aus der Pfingstbewegung stammende Gruppierungen von einer Geistestaufe.[2]

Die charismatische Bewegung sieht sich in der evangelikal-charismatischen Tradition. Wie andere Evangelikale betrachten sie die Bibel als Wort Gottes und verbindlichen Maßstab des Glaubens und der Lebensführung, an dem sich alles andere messen muss. Von daher ist sie tendenziell wertekonservativ, insbesondere gesellschaftspolitisch. Sex außerhalb der Ehe, Selbstbefriedigung, Abtreibung oder praktizierte Homosexualität werden als unbiblisch und damit "sündig" verurteilt. Nach den Angaben der Autoren William MacDonald und Dean Sherman ist der Übergang zum christlichen Fundamentalismus, je nach Hintergrund der Gruppe oder Gemeinde fließend.[3] [4].

Struktur und Organisation

Die charismatische Erneuerungsbewegung hat durch die Überkonfessionalität keine einheitliche Struktur. Es gibt bis auf das Vorhandensein von gelegentlichen Wortführern und Werken, deren Arbeit sich herumspricht, keine Führung, keine Instanz, die für die gesamte charismatische Bewegung spricht. Eine große Gruppierung innerhalb der Charismatischen Bewegung stellen die Pfingstkirchen dar. Sie sind in Deutschland organisiert unter dem Dach des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden. Innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland ist die charismatische Bewegung vor allem in der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung organisiert. Die Charismatische Erneuerung innerhalb der Katholischen Kirche ist über die ICCRS (International Catholic Charismatic Renewal Services) strukturiert, eine Organisation, welche die Verbindung zwischen der Katholischen Charismatischen Erneuerung und dem Heiligen Stuhl hält und für diesen offizieller Ansprechpartner ist.[5]

Sofern charismatische Gruppen in den bestehenden Kirchen und Gemeinden entstehen, wird die dort vorhandene Grundstruktur meist übernommen. Die Grundstruktur betrifft die Rechtsform (z.B. KdöR, e.V.), die Art und Weise der Finanzierung der gemeindlichen Arbeit, die Ausbildung der Prediger, die Bestimmung von Führungskräften, usw. In diesen Fällen werden allenfalls Elemente wie die Gottesdienstordnung oder die Art und Weise der Anwerbung von Mitgliedern modifiziert oder das "charismatische" Leben spielt sich in privater Umgebung ab.

Außerhalb von traditionellen Kirchen und Gemeinden gibt es die unterschiedlichsten Ausprägungen. Zur Struktur einer freien charismatischen Gemeinschaft kann man feststellen, dass der Status des Leiters einer Gruppierung oder Gemeindeleiters und der Ältesten (Presbyter) besonders herausgestellt wird und eine strikte Hierarchie gilt. Gehorsam gegenüber Führungskräften wird eingefordert, wobei im Gegenzug eine Führungskraft sich durch das Ergebnis ("Früchte") seiner Arbeit messen, sowie sich durch Glaubwürdigkeit, "Bibelfestigkeit", Strenge und Milde stets legitimieren muss, um den Status aufrechtzuerhalten.

Der Aufbau von charismatischen Gruppen und Gemeinden orientiert sich an der Theologie göttlicher Berufung, wobei diese Mitgliedern der Gemeinde durch den Heiligen Geist inspirativ mitgeteilt und von diesen an die Gemeinde weitergegeben wird, wo diese Mitteilungen von der Leiterschaft geprüft werden. Ein Grundgedanke basiert auf dem vom Apostel Paulus geprägten Bild der Kirche Christi als "Leib" mit Christus als "Kopf" (1. Kor. 12), wo jedes Körperteil ein Christ darstellt und in aller Unterschiedlichkeit zu einem anderen Körperteil jeder Christ im Rahmen seiner Möglichkeiten, d.h. Fähigkeiten, Begabungen für bestimmte Aufgaben gemäß seiner Begabung in der Kirche zuständig sei.

Die Umsetzung dieser Lehre über die Kirchenstruktur erfolgt in der charismatischen Bewegung mehr oder weniger konsequent dadurch, dass z.B. Führungskräfte in der Regel nicht gewählt werden, sondern anhand ihrer zugedachten - und in der Regel auch natürlichen - Begabung diese Aufgabe übernehmen. Das gleiche gilt beispielsweise für Mitarbeiter im Gottesdienst, die - je nach ihrer Begabung dazu - sich in Teams wiederfinden und als "Lobpreis-Team", "Begrüßungsteam", "Infrastruktur-Team", "Seelsorge-Team", "Heilungsteam", etc. in Erscheinung treten. Diese "Gaben"-gemäße Verteilung der Aufgaben wird auch außerhalb der charismatischen Bewegung als Element "erwecklicher" Kirchenpraxis praktiziert.

Es gibt Gebetsgruppen, lockere und verbindliche Hauskreise, Glaubenskurse, Tagungen und Freizeiten, und klosterähnliche Wohngemeinschaften. Soweit es sich um die innerkirchliche Bewegung handelt, ist es schwierig, Zahlen anzugeben.

Die meisten Mitglieder der innerkirchlichen charismatischen Bewegung bleiben ihrer Kirche treu. Interesse an Ökumene beschränkt sich auf Gleichgesinnte in anderen Gemeinden.

Jedoch entstehen auch viele neue Gründungsprojekte freier charismatischer Gemeinden außerhalb der großen Konfessionen überall auf der Welt.

Der einflussreichste Theologe der Charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche war Prof. Heribert Mühlen, Paderborn.

Auflistung einiger Vertreter der charismatischen Bewegung

Name Nationalität Stichwort
John Wimber USA Vineyard Christian Fellowship
Loren Cunningham USA Youth With A Mission (Jugend mit einer Mission)
C. P. Wagner USA Geistliche Kampfführung, Dritte Welle
Walter Heidenreich D Freie Christliche Jugendgemeinschaft Lüdenscheid
Reinhard Bonnke D Christus für alle Nationen
Keith Warrington UK Regents Theological College
Peter Wenz D Biblische Glaubens-Gemeinde
Benny Hinn USA World Outreach Center
Paul Yonggi Cho Korea Impulse aus der größten Gemeinde der Welt
Marcelo Rossi BR Katholische Charismatische Erneuerung

Weblinks

Informationen und Organisationen der Charismatischen Bewegung

Unabhängige Beurteilung

Kritische bzw. warnende Stellungnahmen

Literatur

  • James I. Packer: Auf den Spuren des Heiligen Geists, Brunnen Verlag, Gießen 1989, ISBN 3-7655-2413-1
  • Christoph Raedel (Hg.): Methodismus und charismatische Bewegung. Historische, theologische und hymnologische Beiträge. Reutlinger Theologische Studien Band 2. Edition Ruprecht, Göttingen 2007. ISBN 978-3-7675-7090-0
  • Peter Zimmerling: Die charismatischen Bewegungen. Theologie, Spiritualität, Anstöße zum Gespräch. Kirche, Konfession, Religion Band 42. Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2001, 2. Auflage 2002. ISBN 3-525-56546-1
  • Aktuelle Literatur zur charismatischen Bewegung

Forschung

Quellen

  1. Barna Update: Is American Christianity Turning Charismatic?
  2. a b James I. Packer: Auf den Spuren des Heiligen Geistes, 1984
  3. Dean Sherman: Geistliche Kampfführung - Wie Christen siegreich leben, Wuppertal 1991
  4. William MacDonald: Achte auf den Unterschied, Dillenburg 1975, S. 54 ff.
  5. ICCRS: http://www.iccrs.org/about_iccrs/what_is_iccrs/what.htm Stand: 16. Juli 2008

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