- Londoner Abwassersystem
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Das Londoner Abwassersystem war eines der größten und wichtigsten städtebaulichen Projekte Europas im 19. Jahrhundert.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Seit den 1840er Jahren traten in London wiederholt große Cholera-Epidemien auf, die viele Opfer forderten. Zu dieser Zeit erkannte man nicht, dass die Cholera durch verseuchtes Grundwasser im Stadtgebiet verursacht wurde, das aufgrund zahlreicher Sickergruben verunreinigt wurde. Stattdessen machten die meisten Experten das sogenannte Miasma dafür verantwortlich. Einer der wenigen Kritiker war der englische Arzt John Snow. Er fand 1854 durch akribische Beobachtung und Aufzeichnung der Krankheitsfälle heraus, wie und wodurch die Cholera verbreitet wurde, doch fand er bei den Verantwortlichen kein Gehör. Zu dieser Zeit war Joseph Bazalgette bereits Mitglied der Städtischen Abwasserkommission Metropolitan Sewer Commission (siehe Metropolitan Board of Works) und plante ein neues Kanalnetz. Es sollte die Themse, in die ein Großteil der Abwässer floss, entlasten und damit die „schlechten Gerüche“ als vermeintlichen Verursacher der Epidemien aus der Stadt tilgen.
Bau
Nachdem durch mehrere Cholera-Epidemien über 30.000 Einwohner gestorben waren, wurde Joseph Bazalgette 1856 zum Chefingenieur des Metropolitan Board of Works berufen, unterstützt durch seinen Kollegen Isambard Kingdom Brunel. Sein Plan war, ein über 100 km langes Kanalnetz zu bauen, um die jährlich mehr als 140 Milliarden Liter Abwasser östlich von London abzuleiten. Dafür entwickelte er das noch heute verwendete, bewährte Eiprofil.
Der Baubeginn wurde immer wieder wegen finanzieller Bedenken verzögert. Erst als im Jahre 1858 der Große Gestank die Stadt heimsuchte und die Parlamentsmitglieder die Flucht ergriffen, um sich nicht, wie man damals glaubte, durch Miasmen anzustecken, wurde der Bau einer Kanalisation beschlossen und 3 Millionen Pfund dafür bereitgestellt.
Der Bau gestaltete sich schwierig. Immer wieder wurden Schächte der damals schon bestehenden Londoner U-Bahn tangiert und führten zu Einsturz oder Wassereinbruch. Der Großteil der Kanäle wurde nicht durch unterirdischen Vortrieb gebaut, sondern es wurde zuerst ein Graben ausgehoben, in welchen dann das Mauerwerk gesetzt wurde. Danach wurde der fertige Kanal wieder mit Erde bedeckt. Während der Bauzeit gab es immer wieder Streiks, die das Budget stark belasteten. Zudem führte ein Teil der Trasse an einem Truppenübungsplatz der königlichen Artilleristen vorbei, wobei es immer wieder zu Beschuss kam.
Heutige Situation
Nach wie vor sind die Bauten Bazalgettes der wichtigste Bestandteil des Londoner Kanalnetzes. Der solide Bau und die fortschrittliche Konstruktion gewährleisten seit 150 Jahren das Funktionieren. Vor allem im 20. Jahrhundert wurden durch den U-Bahn-Bau immer wieder Kanäle verlegt und erneuert. Zudem wurde die Einleitung der Abwässer in die Themse in Ostlondon eingestellt und stattdessen Kläranlagen zu beiden Seiten des Flusses errichtet.
Literatur
- David S. Barnes: The Great Stink of Paris and the Nineteenth-Century Struggle Against Filth and Germs. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2006, ISBN 978-0-8018-8349-1.
- Edwin Chadwick: Report on the Sanitary Condition of the Labouring Population of Great Britain. Originally published by «Poor Law Commission», London 1842. Edinburgh University Press, Edinburgh 1965, BiblioBazaar 2009, ISBN 978-1-115-39479-6.
- Stephen Halliday: Great Stink of London: Sir Joseph Bazalgette and the Cleansing of the Victorian Metropolis, Sutton Publishing, Thrupp, Stroud, Gloucestershire 1999. ISBN 0-75091-975-2. Neuauflage: The History Press, Stroud 2008. ISBN 978-0-75092-580-8
- Richard Trench, Ellis Hillman: London Under London: A Subterranean Guide. John Murray, London 1989. ISBN 0-7195-4080-1.
Film
- Gregory Evants: Weltwunder der Technik - Die Unterwelt von London. Dokumentation. UK, 44 Min.
Weblinks
- Sendungsinformation auf 3sat
- Bilder und Geschichten (englisch)
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