Nachna

Nachna
Nachna (Madhya Pradesh) − Der sogenannte Parvati-Tempel aus der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts erhebt sich auf einer ca. 2 Meter hohen Plattform, die mit ihrer eigenwilligen Steinbearbeitung an den Berg Kailash erinnern soll. Oberhalb der Cella (garbagriha = 'Mutterschoß-Kammer') befand sich ein weiterer Raum, der einstmals vielleicht den Tempelschatz barg.

Nachna ist ein kleiner, nur aus wenigen einfachen Häusern und einigen Steintempeln − darunter zwei bedeutenden − bestehender Ort im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Die Pilgerstätte wird manchmal auch nach ihrem heutzutage wichtigsten Heiligtum "Chaumukhnath" genannt.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Der Ort liegt etwa 25 km südöstlich der Kleinstadt Nagod und etwa 100 km von Khajuraho entfernt. Der nächstgelegene Bahnhof befindet sich in der ca. 50 km entfernten Stadt Satna.

Geschichte

Die frühe Geschichte des Ortes ist nicht bekannt, da Urkunden oder Bauinschriften fehlen; sie lässt sich nur aus den beiden noch existierenden alten Tempelbauten sowie aus aus weiteren Funden erschließen: Diese legen nahe, dass Nachna einst eine nicht unbedeutende Wallfahrts- bzw. Pilgerstätte war, die über Jahrhunderte und letztlich bis in die heutige Zeit Gläubige anzog. Der sogenannte Parvati-Tempel stammt noch aus der Gupta-Zeit (2. Hälfte des 5. Jahrhunderts); der in der Region viel bekanntere und hochverehrte Chaumukhnath-Tempel könnte ebenfalls in dieser Zeit gebaut worden sein, ist jedoch in den nachfolgenden Jahrhunderten mehrfach verändert und restauriert worden, so dass eine klare und einheitliche Datierung nicht mehr möglich ist. Von anderen gupta-zeitlichen Tempeln wurden Fundamentreste und Dekorteile gefunden.

Tempel

Die beiden wichtigsten Tempel von Nachna liegen nahe beieinander. Da es sich beim Chaumukhnath-Tempel eindeutig um ein dem Gott Shiva gewidmetes Heiligtum handelt, kam es beim versetzt gegenüber liegenden Tempelbau zu der volkstümlichen Bezeichnung 'Parvati-Tempel', die jedoch mit der ursprünglichen Weihe des Baus sicherlich nichts zu tun hat, denn Parvati selbst erfährt in ganz Indien keine eigene Verehrung, sondern nur in den Formen von Kali, Durga, Chamunda, Annapurna u. a. Ein Kultbild im Innern ist nicht erhalten, doch legt die eindeutig shivaitische Ikonographie (Kailash, Ganas, Shiva-Pratiharas) nahe, dass es sich beim Parvati-Tempel ebenfalls um ein dem Gott Shiva geweihtes Heiligtum gehandelt haben könnte.

Die Seitengewände des Türportals am Parvati-Tempel zeigen die Flussgöttinnen Ganga (unten links) und Yamuna (unten rechts); über ihnen befinden sich himmlische Liebespaare (mithunas). Die größeren Figuren am inneren Portalgewände sind Türwächter (pratiharas) mit Attributen Shivas - darunter dem Dreizack (trisula).

Parvati-Tempel

Architektur

Der sogenannte Parvati-Tempel mit seinen über einen Meter dicken Wänden ist nach Westen − d. h. in Richtung der untergehenden Sonne − orientiert und erhebt sich auf einer etwa zwei Meter hohen Plattform, die in ganz Indien einzigartig ist: Die nach außen sichtbaren Steine sind zwar glatt behauen, die Ecken und Seitenkanten vieler Steine sind jedoch bewusst abgeschlagen worden und zwar so, dass der Eindruck entsteht, es handele sich bei der Plattform um eine Felslandschaft, die natürlich Assoziationen zum heiligen Berg Kailash, dem Wohnsitz Shivas und seiner Gemahlin Parvati im Himalaya wachruft.

Wie bei allen frühen Gupta-Tempeln sind die Innen- und Außenwände der Cella (garbagriha) − mit Ausnahme der beiden Jali-Fenster − weder gegliedert noch in anderer Weise geschmückt. Oberhalb der Cella hatte der Tempel ursprünglich einen kammerartigen Aufbau, der manchmal als Vorform eines Shikhara-Turms, manchmal aber auch als Raum zur Aufbewahrung und zum Schutz des Tempelschatzes angesehen wird. Wie auf einem alten Foto noch zu sehen ist, war das Dach des Aufbaus ehemals mit großen Steinplatten flachgedeckt. Derartige zweigeschossige Konstruktionen haben sich nur in wenigen frühen Tempeln erhalten (vgl. Sanchi, Tempel Nr. 45; Deogarh, Kuraiya-Bir-Tempel). Da eine offene Säulenvorhalle (mandapa) fehlt, ist es durchaus möglich, dass die Cella zur Zeit ihrer Erbauung von einem überdachten und längst zerstörten hölzernen Umgang umgeben war.

Nachna - Parvati-Tempel (5. Jh.). Zwei der ältesten erhaltenen Jali-Fenster Indiens sind in die Außenwände der Cella eingefügt. Der untere Bereich zeigt musizierende und tanzende Ganas.

Türportal

Das Eingangsportal zum Sanktum des Tempels mit seinen mehrfach in die Tiefe gestaffelten Säulen und Reliefpfosten ist das besterhaltene aus der Gupta-Zeit; es ist überreich mit beinahe freiplastischen Figuren im unteren Teil (Ganga und Yamuna, Shiva-Pratiharas), Figurenreliefs (Mithunas etc.) sowie vegetabilischen Ornamenten geschmückt. Von anderen gupta-zeitlichen Türportalen unterscheidet es sich durch das Fehlen eines deutlich über die seitlichen Türpfosten hinausragenden Sturzbalkens (Lintel).

Jali-Fenster

Auch die frühen steinernen Jali-Fenster, die wie Holzfenster in die Außenwände der Cella eingepasst sind, sind mit musizierenden bzw. tanzenden Ganas und vegetabilischem Dekor versehen. In die 'Felslandschaft' der Plattformwände waren mehrere kleine Tierreliefs (ruhende Gazellen etc.) eingelassen, von denen sich jedoch nur wenige erhalten haben.

Chaumukhnath-Tempel

Architektur

Im Grundriss sowie in den Ausmaßen der Plattform und der Cella ist der nach Osten, d. h. in Richtung der aufgehenden Sonne ausgerichtete Chaumukhnath-Tempel (auch Chaturmukha-Mahadeva-Tempel genannt) in etwa dem Parvati-Tempel vergleichbar; er steht diesem versetzt gegenüber. Die Baugeschichte des Tempels ist ungewöhnlich und komplex: Auf einer vielleicht noch aus dem 5. Jahrhundert stammenden Plattform wurde im ausgehenden 9. Jahrhundert, d. h. in der Pratihara-Zeit, ein neuer Tempel errichtet, dem allerdings Fenster aus einem alten − wahrscheinlich dem ursprünglichen − Tempel des späten 5. Jahrhunderts eingesetzt wurden. Die Außenwand des Tempels ist mehrfach gegliedert; das reiche Baudekor bestehend aus Jali-Fenstern, Figuren (mithunas), Nischen und Dekorpaneeelen (udgamas) verweist auf den Pratihara-Stil, ist jedoch auf unterschiedlichen Ebenen angebracht, was dem Tempel ein ungewöhnliches, aber interessantes Aussehen verleiht. Ein durch ein umlaufendes Gesims optisch und architektonisch von der Außenwandarchitektur des Sanktums getrennter Shikhara-Turm wurde kurze Zeit später aufgesetzt.

Nachna - Chaumukhnath-Lingam (7. Jh.)

Lingam

Das Innere des kleinen Sanktums (garbagriha) birgt einen etwa einen Meter hohen Shiva-Lingam mit vier Gesichtern (char = vier / mukha = Antlitz, Gesicht / nath = Herr), von denen drei weitgehend gleich gestaltet sind und Ruhe ausstrahlen. Das vierte Gesicht Shivas mit weitaufgerissenem Mund, hochgezogenen Nasenflügeln und leicht hervorquellenden Augen zeigt den schrecklichen Aspekt des Gottes in seiner Form als Bhairava. Alle vier Gesichter zusammen verdeutlichen den universalen Aspekt bzw. die universale Bedeutung Shivas. Derartige ikonische Lingams sind in Indien eher selten und meist mit nur einem Gesicht versehen (z. B. Bhumara; Eklingji); wahrscheinlich sind sie auf den Wunsch einiger Shiva-Anhänger oder Shiva-Sekten zurückzuführen, ihren Gott auch bildhaft verehren zu können, wie es bei den anderen indischen Göttern schon längere Zeit üblich war. Der heutige Lingam entstammt wahrscheinlich dem 7. Jahrhundert; ein anderer − möglicherweise der ursprüngliche Chaumukhnath-Lingam aus dem 5. Jahrhundert − ist jedoch ebenfalls erhalten und in der Nähe aufgestellt. Beide Lingams präsentieren sich – trotz oder gerade wegen der beständigen Pflege und Verehrung durch die Brahmanen – in hervorragendem Zustand.

Auch das weibliche Gegenstück zum Lingam, die Yoni, ist erhalten; durch sie werden die Opfergaben der Pilger (Ghee-Butter, Reiskörner, (Kokos-)Milch, Wasser etc.), mit denen der Lingam von den Brahmanen beklebt bzw. übergossen wird, nach außen abgeleitet.

Nachna - Jali-Fenster (5. Jh.) am Chaumukhnath-Tempel mit tanzenden und musizierenden Ganas sowie den Flussgöttinnen Ganga und Yamuna.

Jali-Fenster

Drei − jeweils aus nur einem Stein herausgearbeiteten − Jali-Fenster, die dem dunklen Sanktum nur wenig Licht spenden, gehören ebenfalls zu den Sehenswürdigkeiten des Tempels. In ihrem mehrschichtigen Aufbau sowie in ihrem Figurenschmuck sind sie deutlich entwickelter als die Jalis am Parvati-Tempel und eher dem dortigen Portalschmuck vergleichbar. Die eigentliche Fensterfüllung ist zweischalig mit reich profilierten − an hölzerne Vorbilder erinnernden − Gittern im Innern und drei kleinen Arkaden im Äußeren, deren Bögen als Hufeisenbögen ausgebildet sind. Die polygonal gebrochenen Säulchen stehen auf einer kubischen Basis, haben ein kürbisförmiges Kapitell (amalaka) und enden in einem blockhaften Aufsatz mit Abakus-Platte.

Alle drei Fenster zeigen musizierende und tanzende Ganas im unteren Bereich; bei einem erscheinen zusätzlich die spiegelbildlich angeordneten Flussgöttinnen Ganga und Yamuna auf ihren vahanas, in diesem Fall jeweils einem Flussungeheuer (makara). Die zurückgestuften Rahmeneinfassungen (shakhas) sind reich dekoriert.

Nachna - Pfeilerstumpf mit vier − beinahe vollplastischen − Avatar-Darstellungen Vishnus (hier Narasimha und Varaha).

Andere Tempel

Etwa 400 Meter südlich der archäologischen Stätte von Nachna stehen weitere, relativ neue Tempel (Teliya Madh-Tempel, Rupani-Tempel), in die jedoch bei ihrer Errichtung gegen Ende des 19. Jahrhunderts Figuren und Reliefteile von zerstörten Gupta-Tempeln eingepasst wurden, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass in Nachna ehemals mehrere gupta-zeitliche Tempel standen.

Ein altes Steinfenster aus dem 5. Jahrhundert mit hufeisenförmigen Schlüssellochöffnungen sowie mehrere Skulpturenfunde wurden in unmittelbarer Nähe der Hauptzone aufgestellt.

Umgebung

Im Umkreis (ca. 15 km) von Nachna existieren noch mehrere kleinere archäologische Stätten (Pipariya, Khoh, Bhumara u. a.), die auch der Gupta-Zeit zugerechnet werden, jedoch allesamt nur wenig bekannt und erforscht sind; der im Jahre 1979 restaurierte Shiva-Tempel von Bhumara mit einem eindrucksvollen, eingesichtigen Lingam ist davon der noch am besten erhaltene.

Bedeutung

Heute wie wohl auch in früheren Zeiten hat die Tempelstätte von Nachna bei der Bevölkerung nur eine regionale Bedeutung. Obwohl sie zu den schönsten und in archäologischer Hinsicht interessantesten Stätten in ganz Nordindien gehört, finden nur selten Touristen den Weg hierher.

Siehe auch

Literatur

  • Michael W. Meister u. a. (Hrsg.): Encyclopaedia of Indian Temple Architecture. North India – Foundations of North Indian Style. Princeton University Press, Princeton 1988, ISBN 0-691-04053-2, S. 39f.
  • Michael W. Meister, M. A. Dhaky (Hrsg.): Encyclopaedia of Indian Temple Architecture. North India – Period of early Maturity. Princeton University Press, Princeton 1991, ISBN 0-691-04053-2, S. 69ff.
  • Joanna Gottfried Williams: The Art of Gupta India. Empire and Province. Princeton University Press, Princeton 1982, ISBN 0-691-03988-7, S. 105–114.
  • R. D. Trivedi: Temples of the Pratihara Period in Central India. Archaeological Survey of India, New Delhi 1990, S. 125ff.
  • George Michell: Der Hindu-Tempel. Baukunst einer Weltreligion. DuMont, Köln 1991, ISBN 3-7701-2770-6, S. 122f.
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