Radio Sutch

Radio Sutch
Sendeprogramm, Juni 1964, mit Genehmigung von Colin Dale

Radio Sutch war ein Piratensender, der 1964 von dem britischen Rockmusiker und Politiker Screaming Lord Sutch zusammen mit seinem Manager Reg Calvert gegründet und betrieben wurde. Er war der dritte Piratensender Großbritanniens, neben bekannteren wie Radio Caroline. Der Sender existierte unter dem Namen Radio Sutch nur wenige Monate.

Radio Sutch sendete regelmäßig zweimal täglich jeweils mehrere Stunden. Ausfälle, bedingt durch die primitive technische Ausstattung, waren jedoch nicht selten. Das Programm bestand aus Rockmusik von Bands, die von Reg Calvert betreut wurden, wobei Sutchs eigene Werke einen großen Teil einnahmen. Ferner las Mandy Rice-Davies, deren Beteiligung an einer Sexaffäre 1963 zum Rücktritt eines britischen Ministers geführt hatte, aus dem damals als pornografisch angesehenen Roman Lady Chatterley.

Radio Sutch wird von dem früheren DJ Colin Dale als Internetradio weiterbetrieben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

In den 1960er-Jahren waren viele junge Briten mit dem Monopolprogramm der BBC unzufrieden, da diese fast keine Rockmusik ausstrahlte. Diese Lücke füllten lediglich der amerikanische Armeerundfunk AFN und einige halb- oder illegal betriebene Radiosender, die sich unter Jugendlichen großer Beliebtheit erfreuten. Da die Sender ohne Lizenz und folglich illegal betrieben wurden, mussten sie vor behördlichem Zugriff geschützt werden. Die günstigste Lösung war, sie außerhalb britischen Territoriums, zum Beispiel in internationalen Gewässern, zu betreiben. 1964 hatte Radio Caroline unter großem Aufsehen seinen Sendebetrieb von Bord eines Schiffs außerhalb der britischen Drei-Meilen-Zone aus aufgenommen. Für Sutch war es naheliegend, seine Popularität durch den Betrieb eines eigenen Senders zu erhöhen, zumal viele seiner Platten von der BBC boykottiert wurden.

Sutch stellte seinen Sender, dem er später den Beinamen „Britanniens erster Teenage-Radiosender“ verlieh, auf einer Pressekonferenz vor. Als er das Radio einschaltete, waren die Anwesenden von der starken Sendeleistung der neuen Radiostation begeistert. Reg Calvert soll jedoch heimlich von einem nahegelegenen Hügel aus, unter einem Baum versteckt, gesendet haben, um eine viel höhere Sendeleistung vorzutäuschen, als in Wirklichkeit zur Verfügung stand.[1]

Postanschrift des Senders war das Büro der Künstleragentur „King's Agency“, 7 Denmark Street, London WC2. Es handelte sich dabei um die Agentur Calverts und seines Geschäftspartners Terry King,[2] die bereits namhafte Gruppen wie The Fortunes betreute.

Bereits im September 1964 verlor Sutch das Interesse an dem Sender und verkaufte seinen Anteil für ₤5000 an Calvert, der ihn erheblich ausbaute und unter dem Namen Radio City weiterbetrieb.[3]

Fischkutter Cornucopia und Harvesters

Sutch auf der Themse, 1964, mit Genehmigung von Colin Dale

Frühe Sendungen wurden angeblich von dem 20-Meter-Trawler „Cornucopia“ ausgestrahlt. Sutch mietete den Trawler stundenweise an, nachdem dieser seine Fangzüge beendet hatte. Die Bedingungen an Bord eines Fischkutters waren jedoch denkbar ungünstig.

„Er war mit Fischschuppen bedeckt und stank zum Himmel, und all die Reporter und Presseleute rutschten darauf herum und stürzten fast zu Tode.[4]

Screaming Lord Sutch in einem Interview

Der Sendebetrieb von Bord der Cornucopia wurde unter großem Medieninteresse am 25. Mai 1964 aufgenommen. Der Trawler fuhr bis mittags auf Fischfang, danach diente er als Sendeplattform, jedoch nur für etwa zwei Wochen. Dann drängte der Eigner auf Auszug, denn seine Versicherung drohte, ihm den Vertrag zu entziehen, weil er das Schiff nicht bestimmungsgemäß nutze.[4]

Nach den Erinnerungen von Colin Dale war jedoch die „Cornucopia“-Ära lediglich ein Werbemanöver; der Trawler sei einige Male angemietet worden, um ihn werbewirksam, mit Bannern dekoriert, die Themse auf und ab fahren zu lassen. Auch die Sendungen von dem Fischerboot „Harvesters“[5] sollen erfunden sein. In Wahrheit soll Radio Sutch ausschließlich von dem aufgegebenen Militärstützpunkt Shivering Sands aus gesendet haben.[6][7]

Armeestützpunkt Shivering Sands

Ein Army Fort, Maunsell Sea Fort
Der besetzte Geschützturm auf Shivering Sands

Als Sendeplattform diente Shivering Sands, eines der Maunsell Forts in der Themsemündung, aufgegebene Armeestützpunkte aus dem Zweiten Weltkrieg mit unklarem Rechtsstatus. Im Mai 1964 ließ sich Radio Sutch auf Shivering Sands (51° 29′ 57″ N, 1° 4′ 29″ O51.4991666666671.0747222222222) nieder und setzte von dort aus auf Mittelwelle 1542 kHz den Sendebetrieb unter primitiven Bedingungen fort. Die Stromversorgung des aus einem Bomber Typ Handley Page Halifax stammenden Senders erfolgte durch zusammengeschaltete Autobatterien, später durch vom Festland herangebrachte Dieselgeneratoren. Durch eine Schiffkollision war ein Geschützturm zerstört und die Anlage damit von ihrem eigenen Generator abgeschnitten worden. Die Antenne war aus einer Gerüststange improvisiert.[8] Halbherzige Versuche der britischen Marine, die Betreiber des Senders zur Räumung der Anlage zu veranlassen, wurden ignoriert, ein ernsthafter Räumungsversuch wurde nicht unternommen.[1] Ein Freund Sutchs belieferte mit seinen Fischkuttern „Harvesters“[5] I und II die Station mit Versorgungsgütern. Während des Betriebs kam es zu mehreren Zwischenfällen, so geriet die improvisierte Elektroinstallation in Brand, und DJ Colin Dale musste wegen einer akuten Lebensmittelvergiftung von einem Militärhubschrauber ausgeflogen werden, nachdem er über den Sender zur Programmzeit um Hilfe gerufen hatte. Ein wichtiger Besucher aus der Londoner Musikbranche fiel beim Versuch, von einem Boot aus die Leiter zum Fort zu erklettern, ins Meer und wäre von dem Boot fast an einem der Pfeiler der Anlage zerquetscht worden. Er fuhr durchnässt und verärgert zurück, ohne das Fort betreten zu haben.[6]

Internetradio

Ende 2009 nahm DJ Colin Dale den Betrieb von Radio Sutch als Internetradio wieder auf. Das Programm besteht aus Rock 'n' Roll und Popmusik der 1950er und 1960er Jahre sowie aktueller Rockmusik.

Sonstiges

  • Radio Sutch war der erste Sender, der sich auf einem aufgegebenen Militärstützpunkt vor der britischen Ostküste niederliess. In der Folge wurden noch mehrere andere Stützpunkte von Piratensendern besetzt. Wegen der Nutzung der Forts als Sendeplattformen kam es teilweise zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.
  • Sutchs Manager und Partner Reg Calvert wurde 1966 bei den Auseinandersetzungen um eine solche Offshore-Radiostation erschossen.
  • Das selbsternannte Fürstentum Sealand, lediglich aus einem Maunsell-Fort und wenigen Personen bestehend, ging aus der damaligen Offshore-Radioszene hervor.
  • DJ Colin Dale trat bei den Unterhauswahlen 2010 als Kandidat für die von Sutch gegründete Partei „Official Monster Raving Loony Party“ an.[9]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Radio Sutch auf offshorechos.com, abgerufen am 23. Januar 2011
  2. Bob Le-Roi: Call Up The Groups. private Webseite, abgerufen am 22. Februar 2011.
  3. Shivering Sands Fort auf offshoreradio.de, abgerufen am 23. Januar 2011
  4. a b Cornucopia auf offshoreradio.de, abgerufen am 23. Januar 2011
  5. a b meist als The Harvester bezeichnet, Fotos zeigen jedoch ein Boot mit dem Namen Harvesters II
  6. a b Autobiografie von Colin Dale
  7. The Book of Bands, private Webseite, unter Berufung auf Dorothy Calvert; abgerufen am 26. Januar 2011
  8. Bob Le-Roi: Radio Sutch & City in Pictures & Audio Part 1. 31. März 2010, abgerufen am 27. Februar 2011.
  9. Andy Sennitt: Former Radio Sutch DJ to stand in UK election. Radio Netherlands Worldwide, 19. April 2010, abgerufen am 24. Januar 2011.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Radio City — (auch Radio City 299 genannt) war ein von Reg Calvert 1964 gegründeter britischer Piratensender, der sich auf dem aufgegebenen Militärstützpunkt Shivering Sands in der Themsemündung befand. Er ging unmittelbar aus dem Piratensender Radio Sutch… …   Deutsch Wikipedia

  • Radio City (pirate radio station) — Radio City was a British pirate radio station that broadcast from Shivering Sands Army Fort, one of the abandoned World War II Maunsell Sea Forts in the Thames Estuary. Origins In 1964, following the launch of Radio Caroline, Screaming Lord Sutch …   Wikipedia

  • Radio Nordsee — Piratensender sind Rundfunk , in der Regel Hörfunksender, die ohne Lizenz ihr Programm ausstrahlen. Der Begriff bezeichnet private Sender, die von innerhalb, aber auch häufig von außerhalb eines Staatsgebietes aus ohne Genehmigung der zuständigen …   Deutsch Wikipedia

  • Radio pirate — Pour les articles homonymes, voir RadioPirate et Pirate. Une radio pirate est une station émettant sans autorisation. Sommaire 1 Historique 2 Chronologie[3] …   Wikipédia en Français

  • Pirate radio in Europe — Radio portal An introduction to the subject of pirate radio can be found under that heading. Contents 1 Belgium (from international waters) …   Wikipedia

  • Sutch, Screaming Lord — ▪ 2000 (David Edward Sutch),        British rock and roll musician and maverick political party leader who influenced a generation of shock rock musicians and enlivened British politics for more than 35 years as the eccentric and colourful leader …   Universalium

  • Screaming Lord Sutch — David Edward Sutch Born 10 November 1940 (1940 11 10) Hampstead, London, England Died …   Wikipedia

  • Screaming Lord Sutch — Blason de Screaming Lord Sutch Screaming Lord Sutch, troisième comte d Harrow de son vrai nom David Edward Sutc …   Wikipédia en Français

  • Screaming Lord Sutch — (dahinter Colin Dale, rechts Tony Dangerfield); mit Genehmigung von Colin Dale David Edward Sutch (* 10. November 1940 in Hampstead, Middlesex, England; † 16. Juni 1999 in Harrow, London) war ein britischer Sänger und Politiker. Sutch war niemals …   Deutsch Wikipedia

  • Offshore radio — is radio broadcasting from ships or fixed maritime structures, usually in international waters. The claimed first wireless broadcast of music and speech for the purpose of entertainment was transmitted from a Royal Naval craft, the HMS Andromeda …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”