Sarg-Kunst in Ghana

Sarg-Kunst in Ghana

Die Sarg-Kunst in Ghana stellt seit sechzig Jahren eine regionale Besonderheit der Sarggestaltung dar. Es werden figürliche Särge in Form von Früchten, Tieren oder Statussymbolen hergestellt, nach dem Wunsch der Verstorbenen selbst oder ihrer Hinterbliebenen. Die im Süden und der Region Greater Accra lebenden Ga verwenden diese figürlichen Särge für ihre Beerdigungsrituale. Sie werden außerhalb der Region auch „fantasy coffins“, „design coffins“ oder „fantastische Särge“ genannt, auch die einheimischen Bezeichnungen "abebuu adekai" oder „okadi adekai“ sind über die Region hinaus gebräuchlich.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Das Verwenden solcher Särge hängt eng mit der Religion und den Jenseitsvorstellungen der Ga zusammen. Der Tod bedeutet für sie kein definitives Ende, sondern das Leben geht nach ihrer Vorstellung im Jenseits ähnlich weiter wie auf Erden. Die Verstorbenen sind als Ahnen einflussreicher als die lebenden Menschen und steuern die Geschicke ihrer noch lebenden Verwandtschaft. Die Familien versuchen mit den aufwändigen figürlichen Särgen den Geist des Toten wohlwollend zu stimmen. Der gesellschaftliche Status im Jenseits hängt neben dem Erfolg im Leben auch vom Umfang der Bestattungsfeier und der Exklusivität des Sarges ab.

Die Särge sind nur am Beerdigungstag sichtbar, sie kommen mit den Toten ins Grab. Die Sarggestaltung dient weniger einem dekorativen Zweck, sie ist vielmehr von Symbolen vorbestimmt. Figurensärge beziehen sich oft auf den Beruf des Verstorbenen und sollen ihm helfen, im Jenseits seiner irdischen Tätigkeit weiter nachzugehen. Ein Schwert- oder Stuhlsarg ist eine königliche oder priesterliche Insignie mit magisch-religiöser Funktion für Menschen mit einem entsprechenden Status. Tiere stellen zum Teil Klan-Totems dar, beispielsweise der Löwe, der Hahn oder die Krabbe. Solche Symbole stehen nur Oberhäuptern der Familien zu. Viele Sargmotive verweisen auf Sprichwörter, die von den Ga unterschiedlich interpretiert werden. Die figürlichen Särge werden in der Region von Greater Accra etwa seit 1950 vor allem von der ländlichen, traditionell gläubigen Bevölkerung benutzt und wurden fester Bestandteil der lokalen Beerdigungskultur.

Der Hauptzweck der abebuu adekai sind die Beerdigungen der Ga. Nur ein kleiner Teil dieser Objekte wird für „westliche“ Museen und Sammler geschaffen. In der Region von Greater Accra gibt es mehrere Ateliers, in denen figürliche Särge hergestellt werden. In ihrer künstlerischen Qualität unterscheiden sie sich stark. Der in und außerhalb Ghana wohl bekannteste Sargkünstler ist Paa Joe, der ehemalige Meisterschreiner des 1992 verstorbenen Kane Kwei. Er hat viele Jahre ein Atelier in Nungua geführt. Seit 2008 besitzt er eine neue Werkstatt in Pobiman, in der Nähe von Nswam. Neben Paa Joe haben dessen Meisterschreiner Daniel Mensah (Hello) in Teshie, Eric Kpakpo in La und Kudjo Affutu in Awutu, Central Region, eine Werkstatt eröffnet. Cedi Annang Kwei führt eine Werkstatt in Teshie.

Geschichte der Kunstform

Die figürlichen Särge wurden um 1970 von einer Gruppe Kalifornier im Atelier von Kane Kwei in Teshie entdeckt. 1972 hat man dessen Särge erstmals in Kalifornien als Kunstwerke ausgestellt. Aber erst seit der Ausstellung Magiciens de la Terre im Centre Pompidou in Paris 1989, bei der Figurensärge aus Ghana zum ersten Mal auch in Europa ausgestellt wurden, wurden Paa Joe, Kane Kwei und die ghanaische Sargkunst weltweit bekannt. 1994 erschien ein Bildband von Thierry Secretan, der wesentlich zu Kane Kweis Ruhm und zur Bekanntheit seiner Figurensärge im Westen beitrug. Kane Kwei, der sich in den ersten Interviews mit westlichen Journalisten als Erfinder der Figurensärge bezeichnet hatte, musste später jedoch zugeben, dass er diese Idee von jemandem anderem übernommen hatte. Kane Kwei zufolge war es sein Onkel Ataa Owuo (1904-1976), von dem er die Idee übernommen hatte. Dieser führte in den 1950er Jahren in Teshie eine Möbelschreinerei und soll Kane Kwei zufolge gelegentliche figürliche Särge oder Sänften hergestellt haben. Allerdings ist derzeit nichts Genaueres über Ataa Owuos Werke bekannt und es liegen keine Fotos oder andere Unterlagen zu seinen Arbeiten vor. So ist fraglich, ob dieser Möbelschreiner je figürliche Särge hergestellt hat. In Teshies Nachbarstadt La gab es einen weiteren bekannten Meister namens Ataa Oko, der schon vor 1950 figürliche Särge hergestellt hat. Kane Kwei hat Ataa Oko gekannt, dessen Namen aber in keinem Interview verraten.

Ataa Oko hatte bereits um 1945 damit angefangen, figürliche Särge herzustellen. Neben den mündlichen Überlieferungen gibt es Fotos aus den 1950er und 1960er Jahren, die dies belegen. Er wurde wegen seiner ungewöhnlichen Werke rasch in der ganzen Küstenregion berühmt. Kane Kwei und Ataa Oko lernten sich spätestens um 1970 persönlich kennen, als Kane Kwei seine zweite Frau aus Ataa Okos Haus in La heiratete und deshalb häufig in La gesehen wurde.

Ataa Oko erzählt, dass ihn eine Traumvision zu seinem ersten Figurensarg, einem Krokodil, inspiriert habe. Er hatte diesen Sarg für die Frau eines verwandten Oberhauptes hergestellt. Seine Familie freute sich allerdings gar nicht darüber. Sie hielten die Herstellung eines Krokodilsarges für gefährlich. Die Verwandten warnten ihn, er könne von einem Krokodil getötet werden, wenn er weiterhin solche Särge baue. Aber er ließ sich nicht entmutigen, ausserdem träumte er abermals. So entstanden nacheinander seine ersten Särge: ein Haus, ein Stuhl, ein Huhn, ein Fisch und ein Kanu. Ataa Oko und Kane Kwei gaben beide vor, die ersten Schreiner von figürlichen Särge gewesen zu sein. Jedoch waren bereits zwischen 1930 und 1960 bei den Ga figürliche Sänften in Mode, in denen sich die Oberhäupter bei wichtigen Anlässen herumtragen ließen. Ataa Oko hat seinen eigenen Aussagen zufolge solche Sänften gesehen, die den figürlichen Särgen offenbar sehr ähnlich waren. Es ist anzunehmen, dass diese Sänften den Künstler später zu seinen Figurensärgen angeregt haben.

Ataa Oko hatte lange Zeit keinen Kontakt zu Fremden gepflegt. Seine Werkstatt befand sich abseits der grossen Durchgangsstrassen und er stellte seine Särge nur für seine Familie und für ghanaische Kunden her. Dies ist wohl der Hauptgrund, dass er und seine Werke in westlichen Kunstkreisen bis in die 1970er Jahre unbekannt blieben. So entwickelte Ataa Oko eine ganz eigene künstlerische Formensprache in seinen Särgen, unbeeinflusst vom westlichen Kunstmarkt. Seine Särge unterscheiden sich nicht nur in ihrer Grundkonstruktion, sondern auch in den vom Künstler verwendeten Materialien von jenen Werken, die bislang in westlichen Museen und Galerien gezeigt wurden.

Biografische Daten einiger selbständiger Sargkünstler

Ataa Oko Addo

Ataa Oko Addo wurde um 1919 in der Küstenstadt La in Greater Accra (Ghana) geboren. Er arbeitet als selbstständiger Sargschreiner und Künstler in La. Mit 13 Jahren begann er als Fischer und auf Kakaoplantagen im Asante-Gebiet und kam ab 1936 zu einer Ausbildung als Schreiner bei Sowah Obu in Accra. 1939 verlor er bei einem Unfall drei Finger und beendete die Schreinerausbildung. Er bekam befristete Arbeitsverträge als Schreiner und stellte 1945–1948 die ersten figürlichen Särge her. Er gilt deshalb in Ghana als einer der Pioniere der ghanaischen Sargkunst. 1950 fand er Arbeit in Tamale und eröffnete 1951 eine eigene Schreinerwerkstatt in La. Hier bekam er 1970 Kontakt mit Kane Kwei und nahm 2006 an der Ausstellung „Six Feet Under“ im Kunstmuseum Bern teil. Eine Einzelausstellung hatte er 2010 in der Collection de l'Art Brut Lausanne. Seit 2006 stellte Ataa Oko nur noch selten einen Sarg her, sondern widmete sich dem Zeichnen. Während einer ihrer Forschungsreisen lernte Ataa Oko 2002 die Schweizer Ethnologin Regula Tschumi kennen. Er war längst im Ruhestand und stellte keine Särge mehr her. Er erzählte Regula Tschumi von seinen figürlichen Särgen, die er bereits um 1945 hergestellt hatte, worauf sie ihn bat, seine einstigen Figurensärge zu zeichnen. es begann eine intensive Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und der Ethnologin. Ataa Okos Mal- und Zeichnungstechnik entwickelte sich seit 2002 kontinuierlich weiter und seine Bildthemen veränderten sich im Kontext von Tschumis ethnologischer Forschung. So entstanden über 2500 Zeichnungen. Er zeichnet seine einstigen figürlichen Särge, seine Träume, religiöse Zeremonien und skurrile Monster.[1]

Kudjoe Affutu

Kudjo Affutu, ghanaischer Sargkünstler (2007), Foto: Regula Tschumi

Affutu (sein Vorname wird entweder Kudjoe oder Kudjo geschrieben) wurde 1985 in Awutu Bawyiase (Central Region, Ghana) geboren und begann als Siebzehnjähriger seine vierjährige Ausbildung bei Paa Joe in Nungua. Seit 2007 lebt und arbeitet er als selbständiger Sargkünstler in seiner Geburtsstadt. In Europa hat sich Kudjo Affutu seit dieser Zeit mit seinen Beteiligungen an verschiedenen Ausstellungen und künstlerischen Projekten einen Namen gemacht: im Jahr 2011 am Tinguely Museum Basel (Hummer-Sarg für die Ausstellung Fetisch Auto. Ich fahre, also bin ich), am Centre Pompidou, Paris (Pompidou-Sarg in der Ausstellung Anthologie de l’humour noir von Saâdane Afif), oder mit seinem Kühlschrank-Sarg in zwei Ausstellungen von Thomas Demand am Nouveau Musée National von Monaco 2010/11, sowie in der Matthew Marks Gallery in New York 2011.

Eric Adjetey Anang

Eric Adjetey Anang in Teshie. 2010

Eric Adjetey Anang wurde 1985 in Teshie geboren. Sohn von Cedi Anang Kwei (1965 als vierter Sohn Kane Kweis in Teshie geboren). Direkt nach dem Abschluss der Secondary School hat er das von seinem Großvaters Seth Kane Kwei gegründete Atelier von seinem Vater Cedi Anang Kwei übernommen. 2009 war Eric Adjetey Anang zur Ausstellung Operation Boulevard Amandla in Antwerpen, Belgien eingeladen. Er arbeitet auch mit der Abteilung für Anthropologie der Universität von Bologna, Dr. Roberta Bonettti, zusammen.

Sein Großvater Seth Kane Kwei wurde zwischen 1925 und 1930 in Teshie, Ghana geboren. Um 1944–1947 ist er Holzfäller im Asante-Gebiet und begann 1947 eine Schreinerausbildung bei seinem Bruder Kane Adjetey in Teshie. Er gilt als einer der Pioniere der ghanaischen Sargkunst. Ab 1951 fertigte er zusammen mit Adjetey Kane Kwei seinen ersten Figurensarg, ein Flugzeug. Er eröffnete eine Werkstatt im alten Stadtteil von Teshie. 1962 bezog er ein neues Atelier an der Hauptstraße in Teshie. 11 Jahre später fand er erste Kontakte mit westlichen Kunsthändlern aus Kalifornien, darauf folgte 1974 die Ausstellung in der Galerie „The Egg and The Ey“ von Vivian Burns in Los Angeles. 1989 beteiligte sich Kane Kwei zusammen mit Paa Joe an der Ausstellung „Magiciens de la Terre“ in Paris. Als der Künstler 1992 in Teshie starb, wurde er in einem von Paa Joe hergestellten Sarg begraben.

Paa Joe

Paa Joe (2006) Foto: Regula Tschumi

Paa Joe wurde 1947 in der Region Akwapim (Ghana) geboren und begann mit 15 Jahren seine zehnjährige Lehrzeit bei Kane Kwei in Teshie, danach war er noch zwölf Jahre Meisterschreiner bei Kane Kwei. Mit seiner Anstellung beim Kanubauer Yao Yartel wechselte er 1974 nach Elmina. 1976 machte er sich als Sargkünstler in Nunga selbständig. Er nahm 1989 an der Ausstellung „Magiciens de la Terre“ in Paris und 2005 in der „Jack Shainman Gallery“ in New York teil. 2006 nahm er an der Ausstellung „Six Feet Under“ im Kunstmuseum Bern und 2007/2008 im Deutschen Hygienemuseum Dresden teil. 2008 eröffnete Paa Joe ein Atelier in Pobiman. Im gleichen Jahr stellte er am Forum Théatre Meyrin (Schweiz) aus.

Eric Kpakpo

Eric wurde 1979 in Nungua geboren und lernte 1994 bis 2000 bei Paa Joe, wo er bis 2005 als Meister arbeitete. Seither besitzt er ein eigenes Sargatelier in La und arbeitet auch mit eshopafrica.com zusammen.

Daniel Mensah (gen. Hello)

Hello mit seinem Oldtimer-Sarg. (2006) Foto: Regula Tschumi

Er wurde 1968 in Teshie geboren und begann 1984 seine sechsjährige Lehrzeit bei Paa Joe in Nungua. Anschließend war er acht Jahre Meisterschreiner bei Paa Joe. 1998 eröffnete er sein Atelier „Hello Design Coffin Works“ in Teshie. Er wirkte an verschiedenen europäischen Filmprojekten mit, unter anderem lieferte er für Sépulture sur mesure (TV5, 2009) den Polizistensarg.

Galerie

Internationale Ausstellungen

  • 2011: Miracles of Africa. [2] im Hämeenlinna Art Museum, Hämeenlinna et Oulu Museum of Art, Oma, Finnland mit Zeichnungen von Ataa Oko.
  • 2011: Zeichnungen von Ataa Oko im Sainsbury Centre for Visual Arts, University of East Anglia, Norwich.[3]. Griff Rhys Jones. 27. September - 4. Dezember 2011.
  • 2011: Matthew Marks Gallery, New York City. Kühlschrank-Sarg von Kudjoe Affutu in der Ausstellung La carte d’aprês nature von Thomas Demand.
  • 2011: Tinguely Museum Basel. Hummer-Sarg von Kudjoe Affutu für die Ausstellung Fetisch Auto. Ich fahre, also bin ich. 8. Juni – 9. Oktober 2011.
  • 2010 Collection de l’Art Brut, Lausanne [4]. Einzelausstellung Ataa Oko et les Esprits, Zeichnungen und Särge.
  • 2010: Centre Pompidou, Paris. Pompidou-Sarg von Kudjoe Affutu in der Ausstellung Anthologie de l’humour noir von Saâdane Afif.
  • 2010: Nouveau Musée National von Monaco, Villa Paloma. Kühlschrank-Sarg von Kudjoe Affutu in der Eröffnungsausstellung La carte d’aprês nature von Thomas Demand.
  • 2006, 2007/2008: Kunstmuseum Bern und Deutsches Hygienemuseum, Dresden. Ausstellung Six Feet Under: Autopsie unseres Umgangs mit Toten. Zeichnungen und Sarg von Ataa Oko und Särge von Paa Joe.

Literatur

  • Jean-Hubert Martin, Simon Njami: Ein Gespräch über Kane Kweis Särge. In: Museum Kunstpalast (Hg.): Afrika Remix. Zeitgenössische Kunst eines Kontinents. 2004, S. 267-273
  • Ute Ritz-Müller: Per Luxuslimousine ins Jenseits. In: Museum für Völkerkunde (Hg.): Langsamer Abschied. Tod und Jenseits im Kulturvergleich. Ausstellungs-Katalog. Museum für Völkerkunde, Frankfurt am Main 2001, S. 181-198
  • Regula Tschumi: Die vergrabenen Schätze der Ga. Sarg-Kunst aus Ghana. Benteli, 2006. ISBN 978-3-7165-1413-9 (Englisch: The buried treasures of the Ga. Coffin Art in Ghana. Benteli 2008. Französisch: Les trésors enterrés des Ga. L’art des cercueils au Ghana. Bern. Benteli. 2011.)
  • Regula Tschumi: Die letzte Ehre kommt zuerst. Ghanaische Bestattungsrituale und figürliche Särge. S. 114-125. In: Kunstmuseum Bern (Hrsg.): Six Feet Under. Autopsie unseres Umgangs mit Toten. Kerber, Bielefeld & Leipzig 2006
  • Thierry Secretan: Il fait sombre, va-t'en. Hazan, Paris 1994

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.regulatschumi.ch/zeichnungen.html
  2. Finland expositions
  3. Ghanaian 'fantasy coffin'
  4. Collection de l’Art Brut, Lausanne

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