Sprachereignis

Sprachereignis

Sprachereignis ist ein von dem Theologen Ernst Fuchs geprägter Begriff. Ihm gemäß ist ein Sprachereignis ein Ereignis, das den Charakter eines Aufschließens hat und so die Existenz des Menschen bewegt. Der Begriff nimmt seinen Ausgang in der sprachphilosophischen Überlegung, dass Sprache nicht nur die Funktion des Bezeichnens, sondern auch der Anrede hat.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Paulus

Nach den Paulusbriefen bewirkt und schafft das verkündigte Wort Gottes Glauben. Der Glaube ist also Geschöpf des Wortes („creatura verbi“). So heißt es denn im Brief des Paulus an die Römer (Röm 10,17 EU):

„So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“

So erwächst für Paulus der Glaube aus dem Hören der apostolischen Glaubensbotschaft. Dabei ist dieser „fides ex auditu“ ein Geschenk Gottes.[1]

Luther

Auch Martin Luther stellt fest, dass eine Predigt im Menschen wirkt statt nur etwas Ausdruck zu verleihen. So heißt es zum Beispiel in einer Tischrede:

„Höre, lieber Bruder, Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde redet mit dir durch seine Prediger.[2]

oder an anderer Stelle:

„Aber es [das vorgetragene Wort] bewirkt dennoch alles, was es sagt. Denn durch dieses Werkzeug handelt Gott mit uns und tut alle Dinge und bietet uns alle seine Schätze dar.[3]

Ja, er geht sogar so weit, Paulus „fides ex auditu“[4] (Glaube aus dem Hören) aufzunehmen und den Hörenden zur „responsio ex auditu“ (Antwort aus dem Glauben) durch die Wirkmächtigkeit des Wortes aufzufordern[5]. Nach Luther bewirkt das Hören des Wortes eingegossenen Glauben („fides infusa“). Dieser Glaube zieht der wiederum die Rechtfertigung des Gottlosen nach sich.

Fuchs wird später seine eigene Lehre in Anlehnung an dieses Verständnis ausbilden.

Ernst Fuchs

Fuchs Reden vom Sprachereignis steht in paulinisch-lutherischer Tradition[6]. Für Fuchs gehören Wort und Glaube wesentlich zusammen: Der Glaube habe aus seiner Beziehung zum Wort sein Wesen. Glaube sei ein Hören auf das ihm begegnende Wort, womit er konkret das Evangelium meint. Daher sieht Fuchs das Sprachereignis als Entfaltung des Glaubens an: Es bewirke beim Hörer einen Situationswechsel vom „Nichtsein“ zum Sein in der Existenz Gottes. Dieses Sprachverständnis stellt also eine grundlegende Kategorie seiner Hermeneutik dar.

Fuchs ist sehr daran gelegen, die Passivität des Menschen hervorzuheben. Dazu verwendet er den Begriff der Stille. Nicht der Mensch bewege sich in ihr, sondern werde durch das Sprachereignis bewegt. Sprache lebe von der Stille. Im Sprachereignis führe die Sprache selbst zu jener Stille, von der sie lebe.[7]

Außerdem sieht Fuchs seine Ausführungen von anredender und bezeichnender Sprache parallel zu der Unterscheidung von Sein und Seiendem (siehe auch Heidegger). Während bloß bezeichnende Sprache nur ein Ausdruck des Seienden biete, rechtfertige ein Sprachereignis das Sein und ließe es anwesend sein.[8]

Fuchs wendet seine Lehre vom Sprachereignis auf verschiedene theologische Bereiche an, nämlich auf: Verkündigung Jesu, Theologie des Paulus und das Ostergeschehen.[9]

Gerhard Ebeling

Gerhard Ebeling benutzt weiterhin den Begriff des Sprachereignisses als Abgrenzung zur dogmatischen Doktrin. Während diese sich lediglich anbiete, dass man „darin gastweise als Fremdling Unterschlupf findet“, meine Sprachereignis die "Gewährung eines Lebensraumes"[10]. Ebeling verwendet manchmal auch den Ausdruck "Wortgeschehen". Dieser ist identisch mit "Sprachgeschehen".

Ebeling versteht die Sakramente als "Wortgeschehen".

Eberhard Jüngel

Eberhard Jüngel, theologisch durch Fuchs geprägt, erwies sich als Befürworter der Kategorie vom Sprachereignis. Er übernahm sie in seinem Buch "Paulus und Jesus"[11] als Abgrenzung zu Rudolf Bultmann.

Kritik

Als Gegner der Kategorie "Sprachereignis" erwies sich Rudolf Bultmann. Dessen Sprachverständnis geht traditionell von der Bezeichnungsfunktion von Sprache aus, d.h. sie dient als Ausdrucksmittel. Von daher legt er Fuchs nahe, eher von Sprech- als von Sprachereignis zu reden.[12] Über diesen Streit wird jedoch nur aus der Perspektive von Fuchs zwecks der Verteidigung seiner eigenen Lehre berichtet. Bultmanns Position muss daher rekonstruiert werden.

Karl Barth konnte der Kategorie des Sprachereignisses keinen exegetischen oder dogmatischen Erkenntnisgewinn zugestehen, wies ihr aber ein Platz in der praktischen Theologie zu – am „Schnittpunkt“ vom Wort Gottes und der Gemeinde. [13]

Weiterhin übte Hans-Dieter Bastian Kritik an dem Begriff, er sei eine "weder linguistisch noch semantisch zu klärende Vokabel" und Fuchs ließe sich zu nicht überprüfbaren Sätzen verleiten.[14]

Einzelnachweise

  1. Peter Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments Bd. 1: Grundlegung. von Jesus zu Paulus, Göttingen 1992
  2. WA TR 4, Nr. 4812, 531
  3. WA TR 4, 696
  4. vgl. auch Ernst Bizer, Fides ex auditu, 1961
  5. Albrecht Beutel, In dem Anfang war das Wort (1991), 239
  6. Eberhard Jüngel, Unterwegs zur Sache (2000), 24
  7. Ernst Fuchs, Marburger Hermeneutik (1968), 242
  8. Ernst Fuchs, Gesammelte Aufsätze II (1960), 425
  9. Ernst Fuchs, Gesammelte Aufsätze I (1959), 281
  10. Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken (2006, 5. Auflage), 19
  11. Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus (2004, 7. Auflage)
  12. Ernst Fuchs, Gesammelte Aufsätze II (1960), 424f.
  13. Karl Barth, Einführung in die evangelische Theologie (1961), 141f.
  14. Hans-Dieter Bastian, Theologie der Frage. Ideen zur Grundlegung einer theologischen Didaktik und zur Kommunikation der Kirche in der Gegenwart (1969), 256f.

Literatur

  • Oliver Pilnei, Wie entsteht christlicher Glaube? (2007)

Weblink


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