Systemische Supervision

Systemische Supervision

Die Systemische Supervision ist ein professionelles Verfahren der Beobachtung und Reflexion beruflicher Praxis auf der Grundlage der soziologischen Systemtheorie. Die Systemische Supervision ist auf Einzelne, Gruppen, Teams und Organisationen anwendbar.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Systemtheoretisches Denken entspricht der Supervision, denn es ist ein Denken in Zusammenhängen, das der Komplexität des Gegenstandes der Supervision gerecht wird. Auf dem Hintergrund einer ausdifferenzierten und komplexen Theorie der Organisation als Sozialsystem betrachtet systemische Supervision individuelles berufliches Handeln im Kontext eines größeren Systems. Nach den Prinzipien systemischen Denkens wird mit Komplexität nicht in linearen Kausalitätszusammenhängen umgegangen, sondern in rekursiven Prozessen von Kommunikation, Emotion und Kognition Erkenntnis auf Grundlage von Hypothesenbildung gewonnen. Hierbei stehen Nützlichkeit und Viabilität im Vordergrund.

Grundlage des Verstehens von sozialen und/oder lebendigen Systemen ist der Konstruktivismus, die Kybernetik zweiter Ordnung, die Theorie der Autopoiese, die Theorie sozialer Systeme, die Konzepte der systemischen Therapie und Konzepte der systemischen oder komplementären Organisationsberatung. Eine der Schlüsselhypothesen lautet "Wirklichkeit wird durch Beobachtung von Beobachtern geschaffen, hergestellt oder konstruiert." Systemische Supervision dient primär der Perspektiverweiterung, der Vergrößerung von (Handlungs-) Möglichkeiten und der Entwicklung von Lösungen.

Merkmale

Als handlungsleitende Grundbegriffe einer systemischen Sichtweise seien hier genannt:

  • System, Umwelt, relevante Umwelten
  • Kontextbezug, Kontextsensibilität
  • Zirkularität, Zirkuläre Verknüpfungen, Wechselwirkungszusammenhänge von System und Umwelt
  • Kommunikation, (strukturelle) Koppelung, Rückkoppelung, offene und operational geschlossene Systeme
  • Komplexität und Vernetzung („Ganzheitlichkeit“), relationales Denken
  • Konstruktivismus
  • Schaffen und Nützen von Unterscheidungen, Integration von Widersprüchen
  • Autonomie, Selbstorganisation (autopoietisch oder selbstreferenzielle Operation), Selbststeuerung, Eigenverantwortung
  • Triviale / Nichttriviale Systeme - Organisationen sind lebendige Systeme
  • Holistisches Weltbild
  • Expertise des Nicht-Wissens, Neugier, Fragen, Reflexion, Hypothesenbildung
  • Allparteilichkeit

Die systemische Supervision fokussiert u. a. Fragestellungen nach

  • der Unterscheidung „Innen - Außen“: wer gehört dazu und wer nicht, wer sind „wir“ und wer sind die „Anderen“?
  • Konstruktion von Unterschieden u. a. zwischen Beziehungen, Verhalten, Handlungen, Ideen, Zeitebenen, Aufgaben
  • Stabilität und Bewegung: was soll sich verändern, was soll bleiben, wie viel Bewegung verträgt das System, wie viel Stabilität braucht es?
  • Synchronisieren und Desynchronisieren: was kann oder muss zentralisiert/dezentralisiert werden, worin braucht es Übereinstimmung, worin Diversität?
  • Relationen und Beziehungen, „Spiel und Spieler“ bzw. „Aktionen und Akteure“: welche Aktionen (Prozesse, Abläufe, Handlungen) sind erforderlich, wer vollbringt diese (Akteure), wie geschieht dies, wie sind die Aktionen miteinander gekoppelt (z.B. Prozess-Ketten), wie sind die einzelnen Akteure miteinander gekoppelt (z.B. Kunden-Lieferanten-Beziehungen, Kooperationen, Kommunikationen), wie sind Aktionen und Akteure gekoppelt? Wie fest oder lose können / müssen diese Koppelungen sein?
  • Viabilität und Wahlmöglichkeit: was ist nützlich, brauchbar, hilfreich? (als Bewertungskriterien)
  • Lösungen, Visionen und Ressourcen: was hat bisher gut funktioniert, wie ist es gelungen dies zu erreichen, welche Ressourcen stehen zur Verfügung, was ist geschehen wenn das Ziel erreicht ist?

Methoden

Systemische Supervision bedient sich der methodischen Herangehensweise u. a. der Hypothesenbildung, der Umdeutung, des zirkulären Fragens, des Reflecting-Teams, der Exploration mittels Skulpturen, Bildern oder Metaphern. Sie nutzt bezieht Visionen, Zukunftsszenarien, Wünsche oder in der Vergangenheit gelungene Lösungen mit ein. Systemische Supervision findet statt mit Einzelpersonen, mit Gruppen und Teams. Die zeitlichen Rahmenbedingungen variieren je nach Anliegen und Ziel.

Literatur

  • Baecker, D. (Hg.), (2005): Schlüsselwerke der Systemtheorie, Wiesbaden: VS - Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Buchinger, Kurt / Ehmer, Susanne (2004): Vom Nutzen systemischen Denkens für die Supervision. In: DGSv aktuell 1/2004, Köln, S. 8-10
  • Ebbecke-Nohlen, A. (2009): Einführung in die systemische Supervision, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag
  • Ebert, W. (2001): Systemtheorien in der Supervision, Opladen: Leske + Budrich
  • Foerster, H. v./Pörksen, B. (1998): Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag
  • Königswieser , R./Hillebrand, M. (2005): Einführung in die systemische Organisationsberatung, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag
  • Luhmann, N. (2004): Einführung in die Systemtheorie, 2. Aufl., Heidelberg: Carl-Auer-System Verlag
  • Maturana, H. R./Varela, F. J. (1987): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, Bern, München, Wien: Scherz Verlag
  • Radatz, S. (2006/2009): Einführung in das systemische Coaching, Heidelberg: Carl-Auer Verlag
  • Simon, F. B. (Hg.), (1997): Lebende Systeme, Frankfurt /M.: Suhrkamp.
  • Simon, F. B. (2006): Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme
  • Simon, F. B. (2007): Einführung in die systemische Organisationstheorie, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme
  • Sparrer, I. (2001): Wunder, Lösung und System, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag
  • von Foerster, H./von Glasersfeld, E./Hejl, P. M. (Hg.), (2006): Einführung in den Konstruktivismus, 9. Aufl., Piper.
  • Willke, H. (1993): Systemtheorie, Stuttgart, Jena: Fischer Verlag

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Systemische Beratung — hat sich aus der Systemtheorie entwickelt. Sie bezeichnet beraterische Unterstützung von unterschiedlichen Systemen, basierend auf systemischer Grundlage. Theoretischer Hintergrund sind u.a. die Soziokybernetik, die Kommunikationstheorie, sowie… …   Deutsch Wikipedia

  • Systemische Sozialarbeit — ist ein auf den Systemtheorien basierter Ansatz der Sozialarbeit, der oft mit dem Namen Peter Lüssi verbunden wird. Nachdem bis zu den 1980er Jahren überwiegend der lineare Ansatz in der Sozialarbeit angewendet wurde, der in Anlehnung an die… …   Deutsch Wikipedia

  • Supervision — (zu deut. Beobachtung) ist eine Form der Beratung, die einzelne Teams, Gruppen und Organisationen bei der Reflexion und Verbesserung ihres personalen, beruflichen oder ehrenamtlichen Handelns begleitet. Fokus ist je nach Zielvereinbarung die… …   Deutsch Wikipedia

  • Systemische Gesellschaft — Die Systemische Gesellschaft (SG) Deutscher Verband für systemische Forschung, Therapie, Supervision und Beratung e.V. ist ein 1993 gegründeter berufsübergreifender Fachverband. Sitz des gemeinnützig anerkannten Vereins ist Berlin. Ursprünglich… …   Deutsch Wikipedia

  • Systemische Therapie — Als Systemische Therapie (auch: Systemische Familientherapie) wird eine psychotherapeutische Fachrichtung beschrieben, die systemische Zusammenhänge und interpersonelle Beziehungen in einer Gruppe als Grundlage für die Diagnose und Therapie von… …   Deutsch Wikipedia

  • Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie — Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) ist ein berufsübergreifender Fachverband für Systemische Therapie, Familientherapie, Beratung und Supervision. Der Verband wurde beim Amtsgericht Köln eingetragen und… …   Deutsch Wikipedia

  • Internationale Gesellschaft für systemische Therapie — Die Internationale Gesellschaft für systemische Therapie (IGST) wurde 1983 von dem Psychiater, Psychoanalytiker und Familientherapeut Fritz B. Simon gegründet. Die Gesellschaft ist eine Einrichtung der Weiterbildung, die das Ziel verfolgt,… …   Deutsch Wikipedia

  • Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie — Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) ist ein berufsübergreifender Fachverband für Systemische Therapie, Familientherapie, Beratung und Supervision. Der Verband wurde beim Amtsgericht Köln… …   Deutsch Wikipedia

  • Heinz J. Kersting — (* 31. Mai 1937 in Aachen; † 4. Dezember 2005 ebenda) war ein deutscher römisch katholischer Theologe, Sozialwissenschaftler und Hochschullehrer. Er gab der Entwicklung der Supervision als Methode der angewandten Sozialen Arbeit im… …   Deutsch Wikipedia

  • Heidi Neumann-Wirsig — (* 1950) ist eine deutsche Diplom Sozialarbeiterin, freiberufliche Supervisorin, Lehrsupervisorin und Fachbuchautorin. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Mitarbeit in Fachgesellschaften 3 Werke (in Auswahl) …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”