Virtualisierung (Krieg)

Virtualisierung (Krieg)

Virtualisierung im Bereich Krieg bezeichnet eine besondere Form der modernen Austragung von Kriegen, bei der der Mensch zunehmend aus der physischen Kriegsführung zurück tritt und diese ferngesteuerten Maschinen überlässt, aber auch eine besondere Form der Vermittlung von Kriegen, bei der der durch Medien vermittelte Krieg den Zuschauer zunehmend nur medial teilnehmen lässt. Virtuell geführte Kriege werden auch virtuell vermittelt und rezipiert. Beispiele für solche Auseinandersetzungen sind der zweite Golf-Krieg (1991) und der Kosovo-Krieg (1999).

Inhaltsverzeichnis

Elemente der Virtualisierung

Kriegsaustragung

Krieg wird heutzutage immer noch physisch geführt, doch im Kosovo-Krieg von 1999 wird der Krieg beispielhaft nur mit Flugzeugen und Drohnen ausgetragen, ohne einen Kampf Mann-gegen-Mann auf dem Boden. Doch selbst Bodentruppen sind immer mehr auf technische Mittel angewiesen und werden heutzutage mit Hilfe von Satelliten koordiniert.[1] Kriege wie der Golfkrieg 1991, der als erster „total elektronischer Krieg“ [2] bezeichnet werden kann und vor allem der Kosovo- Krieg 1999 können zunächst einmal als High-Tech Kriege bezeichnet werden, da sie sich vor allem durch einen erhöhten Gebrauch technologischer Mittel wie Satelliten und Computern auszeichnen. So wird diese Art von Krieg auch zunehmend von „Technikern, Informatikspezialisten und PR- Agenturen“ [3] angeführt. Der hohe Stand der Technik, der hier zum Einsatz kommt, geht mit einer virtuellen Austragungsweise von Kriegen einher.

In virtualisierten Kriegen spielt Technologie eine wichtige Rolle. Unverzichtbar für einen Krieg sind heutzutage etwa Satelliten. Sie ermöglichen einen virtuellen Überblick über den gesamten Kriegsraum, man kann so die Schritte des Gegners beobachten und möglichen Attacken zuvor kommen.[4] Auch bereits im ersten Golfkrieg und später im Kosovo-Krieg spielte dieses Raumkonzept eine wichtige Rolle. Krieg ist hierbei kaum noch mehr als eine Frage der Kalkulation der technologisch überlegeneren Partei und eine zum Teil im Voraus planbare Abfolge von Geschehnissen. Aktionen des technologisch unterlegenen Gegners können früh bemerkt werden. Ziele werden nur auf dem Bildschirm erfasst und deren Abschuss am Bildschirm von einer oftmals weit entfernten Kommandozentrale oder dem Flugzeugcockpit aus beschlossen und ausgeführt.[5] Durch Satelliten ist es darüber hinaus theoretisch möglich, Bilder und Videos des Krieges in hoher Auflösung in Echtzeitübertragung im Fernsehen zu zeigen, was aber weder im ersten Golfkrieg noch im Kosovokrieg geschah. Satelliten ermöglichen die Navigation aller bemannten und unbemannten Boden- und Lufteinheiten. Es ist möglich, Ziele präzise zu lokalisieren und die eigenen Einheiten durch den schnellen Datenfluss zu koordinieren. Wichtiger Bestandteil eines solchen virtuellen Krieges sind auch unbemannte, ferngesteuerte Waffenträgersysteme, sogenannte "Cruise Missiles". Diese wurden zum erstmals im ersten Golfkrieg erprobt. Sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit vernichtend und gelten außerdem als sehr präzise. Ihr Abschuss wird von einem meist vom Kriegsgeschehen weit entfernten Kommandozentrum beschlossen. Immer stärker verändern sich in virtuellen Kriegen außerdem die Kriegsziele. Es geht nicht mehr nur darum, den Gegner im direkten Krieg mit Waffen zu "vernichten", sondern es werden zunehmend Kommunikationszentren zerstört, von welchen aus die gegnerische Seite den Krieg steuert. Solche Nervenzentren können natürlich durch direkte Bombenangriffe, aber auch durch elektronische Funkstörung, Computerviren, Desinformation und Propaganda angegriffen werden.

Besonders der Kosovo-Krieg kann als virtuell bezeichnet werden, da die NATO dort erstmals einen Krieg führte, der sogar komplett ohne Bodentruppen und nur mit der Luftwaffe ausgetragen wurde. Den Krieg führten maximal 1500 Beteiligte der NATO- Luftwaffe und eine kleine Elite der serbischen Luftverteidigung, die sich wohl aus nicht mehr als tausend Personen zusammensetzte. So begegneten sich die Truppen nicht physisch auf dem Boden, sondern nur virtuell auf dem Bildschirm. Es schien erstmals möglich, den Gegner zu besiegen, ohne ihm Mann-gegen-Mann auf dem Boden zu begegnen. Darüber hinaus gab es auf Seiten der NATO-Staaten keine Toten. Auch Aufgrund dieser Tatsache kann man so von Virtualisierung sprechen, da ein Krieg, bei dem es keine Toten gibt, eigentlich nur in einem Computerspiel oder einem Film, also virtuell, existiert.[6]

Kriegsvermittlung

Bei der Vermittlung von Kriegen fragt man danach, wie der Krieg der Öffentlichkeit präsentiert wird, was ihr über den Krieg erzählt wird, oder was nicht. Seit der Erfindung der Fototechnik interessiert auch, mit welcher Art Bilder dies geschieht. Bei der Vermittlung eines Krieges spielen Medien die Hauptrolle. Medien sind „kollektive Aufmerksamkeitsorgane“[7], die neue, besondere Ereignisse entdecken sollen, allerdings werden von ihnen auch Wahrheiten geschaffen, um eine „Montage der Attraktionen“[8] zu erzeugen.

Die Wahrheitskonstruktion ist keine Erfindung der letzten Jahre, betrachtet man die Entwicklung der Kriegsberichterstattung. Es werden nicht nur falsche Informationen konstruiert, es werden auch Informationen zurück gehalten. Mit der Entwicklung neuer Medien, von der Zeitschrift zur Fotografie, dann zum Filmen der Bilder und schließlich zur Übertragung der Bilder im Fernsehen und dann auch im Internet entwickelte sich während Kriegsaustragungen immer mehr ein regelrechter „Krieg der Bilder“.[9] Kriege werden immer stärker nicht mehr nur physisch am Kriegsschauplatz, sondern auch vor allem über Medien geführt. Dies ergibt sich mit der zunehmenden Abhängigkeit der Bevölkerung und auch dem Militär von Technologien wie dem Computer. Einem Bilderkrieg liegt zu Grunde, dass über Bilder und darin enthaltene – ob nun wahre oder erfundene – Informationen die Meinung der Zuschauer über den physisch geführten Krieg sehr stark beeinflusst werden kann. Der erste Golfkrieg 1991 wird bereits als Medienkrieg bezeichnet. Doch obwohl dies möglich gewesen wäre, gab es bei diesem Krieg keine Echtzeitübertragung von Bildern zu sehen, sondern nur vor der Ausstrahlung kontrollierte und zensierte Bilder, nur wenige Journalisten durften ins Kriegsgebiet vorrücken, diese wurden stark überwacht. Ähnlich verhielt es sich auch im Kosovo-Krieg im Jahre 1999. Hier wurde bereits vor dem eigentlichen Krieg von der kosovo-albanischen UÇK durch Bilder eine virtuelle Realität für die Medien geschaffen, besonders wichtig hierfür waren Fernsehen und erstmals auch das Internet.[10] Der Krieg wurde somit vor allem durch schreckenerregende Bilder, die die unter den Serben leidende Bevölkerung und regelrechte Massaker der Serben an den Kosovo-Albanern zeigten, ausgelöst. Die Massaker galten als Legitimation des Krieges, da sie den Beweis einer angeblichen humanitären Katastrophe darstellen sollten. Die schrecklichen Bilder weckten in der westlichen Bevölkerung den Wunsch, den Kosovo-Albanern zu helfen – was auch erreicht werden sollte. So schien der im Namen der Menschenrechte geführte Eingriff gegen das drohende Genozid notwendig – die Bevölkerung war für den Krieg gegen die Serben gewonnen, die NATO griff ein. Auch während des Krieges sollten die westlichen Zuschauer für den Eingriff gewonnen werden, von der Darstellung des Krieges in den Medien hing die Stellung des Publikums ihm gegenüber ab.10 Öffentlich gezeigt werden auch von anderen Kriegen heutzutage, soweit dies möglich ist, nur die Bilder, die auch wirklich zu sehen sein sollen, die Stärke der eigenen Kriegspartei soll vor Aller Augen demonstriert werden. Bilder von zivilen Opfern gilt es zu vermeiden, wie es auch im Kosovo geschehen sollte, man zeigte stattdessen Bilder einer angeblichen, durch die Serben und Präsident Milošević ausgelösten humanitären Katastrophe.[11] Die Bevölkerung soll dem Krieg gegenüber positiv gestimmt werden. Das eigentliche Kriegsgeschehen rückt in den Hintergrund.[12]

Während des Golfkriegs von 1991 und des Kosovo-Krieges von 1999 konnte das daheim gebliebene Publikum durch neue Technologien wie in keinem früheren Krieg weltweit durch Fernsehen und Presse – aber auch erstmals durch das Internet – an den Ereignissen teilnehmen. Es war sogar erstmals möglich, dem Krieg aus der Perspektive ferngesteuerter Drohnen oder des angreifenden Piloten zuzusehen. Die Zuschauer, aber auch die Befehlshaber und die Piloten, die am Krieg teilnahmen, befanden sich so jeweils vor einem Bildschirm und sahen in etwa das gleiche Bild eines mit Hilfe von Maschinen visualisierten Raumes. Ziele wurden nur auf dem Bildschirm ausgewählt und dort wurde auch ihr Abschuss innerhalb sehr kurzer Zeit beschlossen. Diese Betrachtungsweise ließ die Opfer des Krieges auf den Bildern verschwinden. Man bekam das Bild einer sauberen „chirurgischen Operation“ geliefert. Die Videos der auf Drohnen montierten Kameras oder der Kameras aus Flugzeugcockpits, die während des Kosovo-Krieges erstmals aus dem Internet heruntergeladen werden konnten, die auch zum Teil immer noch heruntergeladen werden können und somit immer irgendwie präsent waren und auch bleiben, zeigten nur einen scheinbaren Echtzeitkrieg, sie waren nicht live, obwohl sie live schienen.[13] Die Bilder wirkten sehr sauber, Tote waren nicht zu sehen.

Der Zuschauer scheint „in den Bildraum einzutauchen“[14] und an einer Art „virtuellen Realität“, oder einer „zweiten Realität“15 teilnehmen zu können. Der Zuschauer zu Hause kann sehen, was eine Drohne bis zu ihrem Einschlag „sieht“, oder was der Pilot in seinem Cockpit erlebt und ist somit zwar nicht physisch mit seinen eigenen Augen, aber durch Kameraaugen anwesend, er ist telepräsent. Der Krieg scheint somit ein Stück weit vom sicheren zu Hause aus erlebbar.

Literatur

  • Claßen, Elvi, Medienrealität im Kosovo-Krieg (1999). URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/6/6508/1.html (Stand: 13. März 2010, 20:55 Uhr).
  • Ignatieff, Michael, Virtueller Krieg. Hamburg, 2001.
  • Klein, Lars/Steinsieck, Andreas, Geschichte der Kriegsberichterstattung im 20. Jahrhundert. Strukturen und Erfahrungszusammenhänge aus der akteurszentrierten Perspektive (2006), URL: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/pdf-docs/berichtdaniel.pdf (Stand: 2. März 2010, 21:15 Uhr).
  • Paul, Gerhard, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn, 2004.
  • Rötzer, Florian, Wartainment. Der Krieg als Medienspektakel, in: Kunstforum International, Bd. 165, 2003, S. 39-63.
  • Virilio, Paul, Desert Screen. War At The Speed of Light, London, 2002.

Einzelnachweise

  1. Virilio, 2002, S. 81.
  2. Ders., S. 33, 35.
  3. Paul, 2004, S. 422.
  4. Virilio, 2002, S. 29.
  5. Ignatieff, 2001, S. 8, Rötzer, 2003, S. 40.
  6. Virilio, 2002, S. 81-84, Ignatieff, 2001, S. 8-9, Paul, 2004, S. 408-409, Virilio, 2002, S. 66.
  7. Rötzer, 2003, S. 45.
  8. Rötzer, 2003, S. 45.
  9. Virilio, 2002, S.vii.
  10. Paul, 2004, S. 410.
  11. Paul, 2004, S. 417.
  12. Klein, Steinsieck, 2006, S. 46.
  13. Paul, 2004, S. 408-415.
  14. Grau, 2001, S. 14

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