David Pinsent

David Pinsent

David Hume Pinsent (* 1891; † 8. Mai 1918)[1] war ein Freund und Mitarbeiter des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Wittgenstein beschrieb ihn als seinen ersten und einzigen Freund.[2]

Als ältestes von drei Kindern des Rechtsanwalts Hume Chancellor Pinsent und seiner Frau Ellen Frances, geb. Parker erhielt er, wie seine zwei Brüder, eine Ausbildung an der Edinburgh Academy und an der Amersham Hall in Reading, einer angesehene - allerdings nonkonformistische - Hochschule, die auf den Zugang zur Universität vorbereitete. Pinsets Ugroßvater mütterlicherseits ein Neffe des Philosophen David Hume. Zu den Pinsents Vorfahren mütterlicherseits gehörte eine der Lancashire-Hexen aus den Wälern von Bowland, der Großvater mütterlicherseits war evangelischer Geistlicher in Claxby, Lincolnshire mit dreizehn Kindern. Die Eltern lernten sich im Men's and Women's Club des für seine unorthodoxen Ansichten berühmten Karl Pearson in Claxby kennen und heirateten 1888. Der Vater war neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt Ratsmitglied sowie Schatzmeister der Universität Birmingham. Die Mutter Pinsents veröffentlichte in ihren frühen Ehejahren vier Romane. Sie engagierte sich gegen Mißstände in der Erziehung geistig Behinderter und war im Sekretariat der Gesellschaft zur Verhütung von Kindesmißhandlungen (Society for the Prevention of Cruelty to Children) tätig. Im Auftrag der Royal Commission on the Care and Control of the Feeble-Minded besuchte sie die USA um Nevenheilanstalten und Wohnsiedlungen für geistig Behinderte zu besichtigen. Die Neuformulierung des Mental Deficiency Act 1913 war Ergebnis ihrer Arbeit, 1911 war Ellen Pinsent in den Stadtrat von Birmingham gewählt worden.

David Pinsent erhielt eine vielfältige Ausbildung, neben Tennis-, Schi- und Segelunterricht bereicherten Klavierstunden sowie zahlreichen Ausflügen und Reisen nach Frankreich, Deutschland und die in die Schweiz die Kenntnisse des Teenagers. Pinsent studierte mit einem Stipendium mit ausgezeichnetem Erfolg (Abschluss Senior Wrangler) Mathematik an der Universität Cambridge, wo sein Freund, der Physiker und spätere Nobelpreisträger George Paget Thomson ihn als „den glänzendsten Kopf meines Studienjahrgangs“ bezeichnete[3]:

David war nicht nur der brillanteste junge Mann meines Studienjahrgangs, sondern auch einer der brillantesten Köpfe,
die ich je kennengelernt habe. Eher seltsam in seiner Erscheinung, von zierlichem Wuchs und mit seinem sehr großen Kopf,
versprühte er einen bemerkenswerten Charme und freundete sich raschmit jedermann an, nicht nur mit Intellektuellen.
Er war mein engster Freund im Trinity, und wir unternahmen so manchen gemeinsamen Spaziergang. Im Grund seines Wesens
war er reiner Mathematiker mit einem Hang zur Philosophie, und zudem war er mit Wittgenstein befreundet. Während der großen
Ferien unternahmen sie einmal eine gemeinsame Reise nach Island und ein anderes Mal eine Reise nach Norwegen. Er hat mir die Augen
geöffnet, was die Möglichkeiten der Philosophie betrifft, von der ich bis dahin nur naivste Vorstellungen hatte. Er war all
dem abgeneigt, was er Klempnerei nannte, worunter er jede Art von praktisch-manueller Tätigkeit verstand, die ihn nicht
interessierte. Da er aber allem Neuen gegenüber aufgeschlossen war, sollte auch das Reich der Klempnerei bald seine
Schrecken einbüßen[4]

Während des Studiums war er Mitglied des University Musical Club und der Union Society, der Gesellschaft für Eugenik und kurze Zeit auch der Fabian Society und entwickelte einen Faible für Philosophie - so u.a. bei Besuchen der wöchentlichen squashes von Beertrand Russell und Treffen der Cambridge Heretics Society sowie der von ihm mitgegründeten Vereinigung der Sophists. Im Unterschied zu Wittgenstein, der widerstrebens Apostel der Apostel-Gesellschaft (Coversazione Society) geworden war, gelang es Pinsent nicht, so genannter Embryo oder Kandidat dieser Gesellschaft zu werden.

Pinsent blieb während seines Studium musikalisch interessiert und besuchte regelmäßig Konzerte in London, mit einer besonderen Leidenschaft für Beethoven. Der Bruder Pinsents, Richardd Pinsent, starb 1915 in einem Schützengraben in Frankreich, ein Vetter wurde wenige Wochen später in einem Fliegerkampf über der Front abgeschossen. Ein Jahr hat David Pinsent auch Rechtswissenschaften im Birmingham studiert, nach dem Studium arbeitete er zuerst bei seinem Onkel, dem Richter am Obersten Gerichtshof um Rechtsexamina abzulegen. Später arbeitete er im Ministerium für Nachschub und Rüstung, das die Produktion von Maschinengewehren für die Front steigern sollte. Vergeblich versuchte Pinsent nach dem Tod des Bruders und Cousin erneut, wieder erfolglos, als Freiwilliger zum Militärdienst zugelassen zu werden. Daraufhin versuchte er sich als Maschinenwart in einer Birminghamer Munitionsfabrik, von wo er 1916 in die Royal Air Forces Factory nach Farnborough verlegt wurde, um unter schwierigen Bedingungen Gabelkardangelenke herzustellen. Nachdem ihn sein Freund George Thomson überzeugt hatte, als Mathematiker an dessen aerodynamischen Forschungen teilzunehmen, hatte er eine dankbarere Aufgabe gefunden. In der Zeit seines ersten Fluges verlobte er sich mit der Tochter eines Fregattenkapitäns aus Oxford, eine Beziehung, die jedoch nur kurze Zeit dauerte. Sein kleiner Wuchs erwies sich als Vorteil in den kleinen Flugzeugen, mit denen aerodynamische Experimente - u.a. zur Verbesserung de Kompaß - unternommen wurden. Zum Bekanntenkreis in dieser Zeit gehörten auch die späteren Nobelpreisträger Francis William Aston, Geoffrey Ingram Taylor, F. A. Lindemann und E. D. Adrian. Am 8. Mai 1918 stürzte David Pinsent in Farnborough (Hampshire) tödlich ab[1].

In Cambridge hatte sich Pinsent Wittgenstein (2 Jahre älter)[1] als Versuchsperson für dessen psychologische Experimente zum Rhythmus von Sprache und Musik zur Verfügung gestellt. Die Zusammenarbeit führte zu gemeinsamen Ferien in Island und Norwegen und zu einer intensiven homoerotischen Beziehung.[5]

Wittgenstein widmete sein Erstlingswerk Tractatus Logico-Philosophicus seinem Gedenken.[6]

Pinsents Tagebuch[4] (1912-1914) erwähnt die Reisen und die gemeinsame Zeit mit Wittgenstein.

Einzelnachweise

  1. a b c Loners: The Life Path of Unusual Children ("Einzelgänger: Der Lebensweg von ungewöhnlichen Kinder"), Sula Wolff, 1995, Seite 161 aus 192, Google Books Weblink: Books-Google-161.
  2. Laurence Goldstein: Clear and Queer Thinking, S. p. 179, Rowman & Littlefield 1999, ISBN 0847695468
  3. Max Kölbel: Wittgenstein's Lasting Significance, S. p. 150, Routledge 2004, ISBN 0415305179
  4. a b David Hume Pinsent: Reise mit Wittgenstein in den Norden. Tagebuchauszüge, Briefe., folio-Verlag, Wien, Bozen, deutschsprachig 1994, zitiert im Vorwort von Anne Pinsent Keynes mit der Genehmigung von Sir John Thomson, GCMG
  5. Axel Schock und Karen-Susan Fessel: OUT! - 800 berühmte Lesben, Schwule und Bisexuelle, Querverlag, Berlin 2004, ISBN 3-89656-111-1
  6. Peter Louis Galison, Roland, Alex: Atmospheric Flight in the Twentieth Century, S. p. 360, Springer 2000, ISBN 0792360370

Literatur

  • Justus Noll: Ludwig Wittgenstein und David Pinsent. Die andere Liebe der Philosophen. Rowohlt, Berlin 1998. ISBN 3871343234.

Weblinks


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