Die Evolution der Kooperation

Die Evolution der Kooperation

Die Evolution der Kooperation (englisch The Evolution of Cooperation) ist der Titel eines 1984 im englischen Original und 1987 in der deutschen Übersetzung erschienen Buches des Politikwissenschaftlers Robert Axelrod, das auf mehreren Fachzeitschriftenartikeln[1] des Autors basiert. Die Arbeit modelliert aus spieltheoretischer Sicht wie Kooperation unter egoistischen Individuen selbst dann zustande kommen kann, wenn sie nicht durch eine äußere Instanz, durch Moral oder durch Gesetze erzwungen wird.

Inhalt

Axelrod geht von einem iterativen Gefangenendilemma aus. In diesem einfachen Zwei-Personen-Spiel haben beide Spieler den Anreiz, sich unkooperativ zu verhalten, wenn sie rational und egoistisch handeln - wenn keine weiteren Aspekte wie Moral oder gegenseitiges Vertrauen hinzu kommen, und wenn sie sich nur einmal und dann niemals wieder in dieser Situation begegnen. Das Dilemma des Gefangenendilemmas besteht darin, dass zwar Defektion für jeden Spieler aus seiner Sicht richtig (rational) wäre, es sich jedoch um ein Nichtnullsummen-Spiel handelt, bei dem nicht nur einer gewinnen kann, sondern beide den Gesamt-Gewinn durch Kooperation maximieren können.

Axelrod untersuchte, was sich ergibt, wenn sich diese Situation über viele Male wiederholt; wenn sich die beiden Spieler immer wieder begegnen, ohne zu wissen, wann sie zum letzten Mal zusammentreffen werden (iteriertes Gefangenendilemma). Von vornherein gibt es keine beste Strategie, da die Strategie immer von der Strategie des Gegners abhängt. In zwei Programmierwettbewerben ließ er verschiedene, zum Teil sehr ausgeklügelte Strategien zusammentreffen. Die Programme stammen von vielen Personen aus unterschiedlichen Fachbereichen, darunter Mathematiker, Informatiker, Sozialwissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler und Psychologen. Es zeigte sich, dass sich in einem iterierten Gefangenendilema kooperative Strategien durchsetzen.

Es stellte sich heraus, dass eine sehr einfache Strategie beide Male am erfolgreichsten war: Tit for Tat, auf Deutsch Wie Du mir, so ich Dir, gewann beide Wettbewerbe und bekam insgesamt, summiert über alle Spiele eines Turniers, die meisten Punkte. Tit for Tat setzte sich gegen komplexe, teilweise stochastische Verfahren, darunter Strategien, die trickreich versuchten, die anderen zu übertölpeln, durch. Tit for Tat besteht darin, beim ersten Zusammentreffen mit einem anderen Spieler zu kooperieren und in allen weiteren Runden dann stets dessen Verhalten aus der Runde davor nachzuahmen.

Axelrods Experiment liegen idealisierende Annahmen zu Grunde:

  • Alle Spieler sind mit den gleichen Ressourcen ausgestattet. Abgesehen von der Möglichkeit, in den einzelnen Spielrunden zu kooperieren oder zu verweigern, haben sie keine Möglichkeit, anderen Mitspieler Belohnungen zukommen zu lassen oder Repressalien auszuüben.
  • Abgesehen von der bisherigen Geschichte ihrer Interaktion in den voran gegangenen Spielrunden wissen die Spieler nichts voneinander.

Diese Annahmen mögen weltfremd erscheinen. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von realen Situationen, in denen sich dieses Mehrrunden-Gefangenendilemma wieder findet. Im Kern tritt es immer dann auf, wenn eine Gruppe von Personen die Wahl hat, eine gemeinsame Ressource zum maximalen Eigennutz auszubeuten - oder sich zwecks Maximierung des gemeinsamen, nachhaltigen Nutzens zurück zu halten. Axelrods Arbeit wurde deshalb zur Grundlage einer großen Anzahl weiterer Forschungsarbeiten in den Sozial-, Politik- und Rechtswissenschaften.

Die Analyse der beiden Wettbewerbe ergab folgende Bedingungen für eine erfolgreiche Strategie:

  1. Die Strategie muss freundlich sein, d.h. niemals als erste nicht kooperieren (defektieren)! Alle Strategien die niemals als erste defektierten (nicht kooperierten) befanden sich auf den vorderen Plätzen.
  2. Die Strategie muss schlagkräftig sein und nicht nachtragend, d.h. eine Defektion des Gegners mit einer eigenen Defektion zurückzahlen können und dann wieder kooperieren. Dies ist wichtig um nicht ausgenutzt zu werden. Die Strategie muss aus den Handlungen des Gegners lernen und sich dessen Züge merken können. Um nicht in einem unendlichen Echo der gegenseitigen Defektion zu enden, sollte der Rückschlag deutlich, aber deeskalierend sein.
  3. Die Strategie darf nicht neidisch sein! Wenn die Strategie niemals zuerst defektiert kann sie immer nur genauso gut wie der Gegner werden und niemals besser. Indem sie gegnerische Defektionen beantwortet, hinkt sie sogar immer einen Schritt hinterher und hat am Schluss ein paar Punkte weniger. Beim Versuch diesen Rückstand aufzuholen wird der Weg der besten Strategie verlassen, man schneidet insgesamt schlechter ab!
    Das heißt konkret, dass "Tit for Tat" den Wettbewerb nicht gewinnt, weil es eine hohe Zahl von Einzelsiegen erringt, sondern weil "Tit for Tat" zwar im Gegenteil im direkten Duell recht einfach zu besiegen ist und somit eher wenige Duelle gewinnt, dafür diese Niederlagen aber mit hohen Punktzahlen einhergehen.
  4. Sei nicht zu raffiniert, d.h. die Strategie muss für den Gegner durchschaubar sein, damit er sich auf sie einstellen kann und nicht glaubt es sei eine zufällige Strategie (Random hat nicht besonders gut abgeschnitten).
  5. Jede Strategie funktioniert nur, wenn die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Spiels und damit von zukünftigem Gewinn ausreichend hoch ist. Ist diese Wahrscheinlichkeit zu klein, ist es immer besser zu defektieren und den jetzigen Gewinn zu sichern. Wer Kooperation mit seinem Gegner möchte, muss also für eine ausreichend häufige und ausreichend sichere Wiederkehr des Spiels sorgen.

Von allen zum Wettbewerb eingesandten Strategien erfüllte Tit for Tat diese Bedingungen am besten. Ein Nachteil ergibt sich aus den nicht deeskalierden ausgeführten Rückschlägen von Tit for Tat, wodurch diese Strategie nicht fehlerrobust ist. Interpretiert ein Spieler das kooperative Verhalten seines Mitspielers fälschlich als Defektion, dann dauert die gegenseitige Defektion an, obwohl beide Parteien im Grunde auf Kooperation ausgerichtet sind. In der Politik können solche Missverständnisse beispielsweise zum Wettrüsten wider Willen, zu wechselseitigen Handelsembargos oder anderen krisenhaften Entwicklungen führen. Aber nicht nur Missverständnisse, sondern auch das übertriebene Ausspielen von Tit for Tat kann dazu führen, dass auf Defektion immer wieder Defektion folgt, was zu einer kaum Gewinn bringenden Kette führen würde.

Abhilfe kann dadurch geschehen, dass nach zufälliger, d.h. für den Gegner nicht abschätzbarer Anzahl Wiederholungen spontan einseitig Kooperation gespielt wird, um den Kreislauf der Konfrontation zu durchbrechen, was Tit for Tat allerdings nicht vorsieht.

Werk

Originalausgabe:

  • The Evolution of Cooperation. Basic Books, New York 1984; rev. ed. 2006, ISBN 0-465-00564-0

Übersetzung:

In einem Nachfolgeband fasst Axelrod mehrere seiner nach 1984 erschienene Fachaufsätze zu dem Thema zusammen und kommentiert sie.

  • The Complexity of Cooperation: Agent-Based Models of Competition and Collaboration, Princeton University Press, Princeton, New Jersey; 1997, ISBN 0691015686

Einzelnachweise

  1. Das Buch baut auf den folgenden Artikeln auf:
    • Robert Axelrod: Effective Choice in the Prisoner's Dilemma. In: Journal of Conflict Resolution. 24, Nr. 1, 1980, S. 3-25, doi:10.1177/002200278002400101.
    • Robert Axelrod: More Effective Choice in the Prisoner's Dilemma. In: Journal of Conflict Resolution. 24, Nr. 3, 1980, S. 379-403, doi:10.1177/002200278002400301.
    • Robert Axelrod: The Emergence of Cooperation among Egoists. In: The American Political Science Review. 75, Nr. 2, Juni 1981, S. 306-318.
    • Robert Axelrod und William D. Hamilton: The evolution of cooperation. In: Science. 211, Nr. 4489, 27. März 1981, S. 1390-1396, doi:10.1126/science.7466396 (PDF).

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Die Abschaffung der Arten — ist ein von Dietmar Dath verfasster Roman, der Elemente von Science Fiction sowie Fantasy enthält. Er wurde während der Frankfurter Buchmesse 2008 als eines von sechs Büchern in die Shortlist zum Deutschen Buchpreis aufgenommen.… …   Deutsch Wikipedia

  • Kooperation — (lat. cooperatio „Zusammenwirkung“, „Mitwirkung“) ist das Zusammenwirken von Handlungen zweier oder mehrerer Lebewesen, Personen oder Systeme. Sind zur Kooperation bei allen Beteiligten Arbeitsanstrengungen vonnöten, so spricht man von… …   Deutsch Wikipedia

  • Evolution des Menschen — Als Hominisation wird der stammesgeschichtliche Prozess der Menschwerdung bezeichnet, in dessen Verlauf sich die für die Gattung Homo charakteristischen körperlichen, kognitiven und kulturellen Eigenschaften herausgebildet haben. Hierzu gehören… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Krieg mit den Molchen — (Originaltitel: Válka s mloky, 1936) ist der wohl bekannteste Roman des tschechischen Schriftstellers Karel Čapek. Inhalt Zufällig findet die Besatzung eines Kolonialschiffs vor Sumatra eine Gattung bislang unbekannter Molche, die im seichten… …   Deutsch Wikipedia

  • Neurobiologie der Bindung — Die Neurobiologie der Bindung beschreibt komplexe neurobiologische Abläufe, die während des Bindungsverhaltens wirksam werden. Das Bindungsverhalten hat sich im Zuge der Evolution geformt und dient der Arterhaltung. Es motiviert dazu, soziale… …   Deutsch Wikipedia

  • Mensch: Auf der Suche nach den Ursprüngen des typisch Menschlichen —   Auf die Frage, was eigentlich im Verhalten uns Menschen von Tieren unterscheidet, hat es in der Geschichte der Philosophie und Anthropologie die vielfältigsten Antworten gegeben. Ursprünglich und lange Zeit glaubte man beispielsweise, dass… …   Universal-Lexikon

  • Selektion (Evolution) — Selektion (lat. selectio „Auswahl/Auslese“) ist ein grundlegender Begriff der Evolutionstheorie. Sie besteht als natürliche Selektion in der Reduzierung des Fortpflanzungserfolgs bestimmter Individuen einer Population mit der Folge, dass andere… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziokulturelle Evolution — ist ein Oberbegriff für Theorien der kulturellen und sozialen Evolution, die beschreiben, wie sich Kulturen und Gesellschaften im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt haben. Die Theorien bieten zwar Entwicklungsmodelle zum Verständnis der… …   Deutsch Wikipedia

  • Menschliche Evolution — Als Hominisation wird der stammesgeschichtliche Prozess der Menschwerdung bezeichnet, in dessen Verlauf sich die für die Gattung Homo charakteristischen körperlichen, kognitiven und kulturellen Eigenschaften herausgebildet haben. Hierzu gehören… …   Deutsch Wikipedia

  • Homo habilis und Homo rudolfensis: Die ersten Menschen —   Die Australopithecinen lebten fast zwei Millionen Jahre lang als die einzigen Hominiden im östlichen und im südlichen Afrika. Sie entwickelten dabei eine der wesentlichen menschlichen Eigenschaften: den gewohnheitsmäßig aufrechten Gang. Vor… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”