Dualseele

Dualseele

Der Ausdruck Dualseele wird hin und wieder in der Religionswissenschaft verwendet, um duale Aspekte einer und derselben Seele, eines Gottes o. Ä. zu bezeichnen.

Darüber hinaus wird der Ausdruck, oft in Anknüpfung an mythische Texte unterschiedlichster Kulturen, v. a. im Bereich der Esoterikliteratur verwendet. Hier bezeichnet er die Vorstellung, dass jede Seele ein ursprüngliches Gegenstück besitzt, mit dem diese ewig verbunden sei. Diese zwei Seelen seien praktisch zwei Hälften derselben Person. Dieses Konzept wird in der esoterischen Ratgeberliteratur u. a. dazu verwendet, einen „passenden“ Partner zu beschreiben und zu dessen Auffindung anzuleiten. In beider Vereinigung bestehe dann der „Sinn des Lebens“.[1]

In mehreren kulturgeschichtlichen Überlieferungen finden sich Erzählungen von der Trennung eines ursprünglich mann-weiblichen Wesens in zwei Geschlechter und deren spätere Verbindung.

Inhaltsverzeichnis

Griechische Mythologie

Eine Überwindung der Geschlechterteilung wird in verschiedenen Kulturkreisen in der Form eines mann-weiblichen Menschen dargestellt: In der griechischen Mythologie ist dies Hermaphroditos, der durch das gemeinsame Bad mit der Nymphe Salmakis zum Zwitter gewordene Sohn des Hermes und der Aphrodite.

Der platonische Androgynie-Mythos

In Platons Symposion berichtet Aristophanes über einen ursprünglich zweigeschlechtigen Menschen: “Dieses mann-weibliche Geschlecht hatte einst Gestalt und Namen des männlichen und weiblichen Geschlechtes zu einem einzigen vereinigt. … Die ganze Gestalt jedes Menschen war damals rund, der Rücken und die Seiten bildeten eine Kugel. Der Mensch hatte also vier Hände und vier Füße, zwei Gesichter drehten sich am Halse, und zwischen beiden Gesichtern stak ein Kopf, aber der Kopf hatte vier Ohren. Der Mensch besaß die Schamteile doppelt, und denkt euch das Weitere selbst aus: auch alles Übrige war demgemäß doppelt!“ Doch weil die Menschen sich an den Göttern versündigt hatten, wurden sie zur Strafe entzwei geschnitten und in alle Winde verstreut. Seither ist jeder Mensch wie ein geteilter Würfel und sucht im Leben dessen andere Hälfte.

Altes Testament

Die Genesis erzählt: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.

Im zweiten Kapitel der Genesis (ab 2,18) folgt der Bericht über die Trennung der Geschlechter, wonach die Frau aus einer Rippe des Mannes geformt wurde. Das hebräische Wort zela kann sowohl mit Rippe als auch mit Seite übersetzt werden.

So wird in dem Bericht über die Erschaffung der Frau ausdrücklich das Fehlen eines passenden Gegenübers für den Menschen erwähnt. 1. Mose 2, 18: Dann sprach Gott, der Herr: »Es ist nicht gut für den Menschen allein zu sein. Ich will ihm ein Wesen schaffen, das zu ihm passt.« (Neues-Leben-Übersetzung)

Gnostische Seelenmythen

Der gnostische Text „Exegese über die Seele“ schildert einen Mythos von Fall und Rettung der Seele. In der Kurzzusammenfassung von Lüdemann/Janßen: „Die Seele verläßt ihren wahren Bräutigam und gibt sich der irdischen Unzucht mit Ehebrechern … Sie erkennt jedoch ihr Fehlverhalten und will zu ihrem wahren Bräutigam zurückkehren … Nachdem die Seele sich von ihren früheren Sünden gereinigt hat … vereinigt sie sich wieder mit ihrem wahren Bräutigam und empfängt Kinder von ihm“[2]

Auch das Apokryphon des Johannes (NHC II,1) verbindet die Erlösung der Seele mit einem Ursprungsmythos, mit der Erschaffung der Seele aus Adams Rippe und einer späteren Vereinigung von Mann und Frau: „Und ich sagte zu dem Erlöser: „Was ist das Vergessen?“ Und er sagte:,,Es ist nicht, wie Moses schrieb und du gehört hast. Denn er sagte in seinem ersten Buch: ‚Er brachte ihn in den Schlaf.‘ Vielmehr (war es nur) in seinen Wahrnehmungen, (daß er schlief). Denn er sagte durch den Propheten: ‚Ich werde ihre Herzen schwer machen, damit sie nicht aufmerksam sind und nicht sehen.‘ Darauf versteckte sich die Epinoia des Lichtes in ihm (sc. Adam). Und der Erste Archon wollte sie aus seiner Rippe hervorbringen. Aber die Epinoia des Lichtes kann nicht ergriffen werden. Als die Finsternis sie verfolgte, fing sie sie nicht. Und er brachte einen Teil seiner Kraft aus ihm heraus. Und er machte ein weiteres Gebilde in der Gestalt einer Frau nach dem Bild der Epinoia, die sich ihm geoffenbart hatte. Und er brachte den Teil, den er von der Kraft des Menschen genommen hatte, in das Gebilde der Weiblichkeit, und nicht, wie Mose gesagt hat ‚seine Rippe‘. Und Adam sah die Frau neben sich. Und in diesem Augenblick trat nun die Licht-Epinoia in Erscheinung, und sie deckte den Schleier, der über seinem Verstand lag, auf. Und er wurde nüchtern von der Trunkenheit der Finsternis. Und er erkannte sein Abbild, und er sagte: ‚Dies nun ist ein Knochen von meinem Knochen, und Fleisch von meinem Fleisch.‘ Deswegen wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen, und er wird sich seiner Frau anhängen, und sie werden beide ein Fleisch werden. Denn seine Paargenossin wird ihm gesandt werden, und er wird seinen Vater und seine Mutter verlassen.“[3]

Sohar

Die Verschmelzung des Hermaphroditos (Gemälde von Jan Gossaert, genannt Mabuse, um 1516)

Der Sohar schmückt die alttestamentliche Erzählung aus: Rabbi Chija sagte: Und wenn es vorher heißt: „Und er nahm eine von seinen Rippen“, so ist dies im gleichen Sinne gemeint wie in den Worten: „Eine ist sie, meine Taube, meine Reine, eine ihrer Mutter (Hohelied 6,9). „Rippe“ bedeutet auch „Seite“ wie in den Worten „An der Seite des Stiftszeltes“ (2. Moses 26,20).[4]

Hierzu weiter: Es begann Rabbi Acha mit dem Schriftsatz: „Und es sprach JHWH Elohim: Nicht gut ist, dass der Mensch allein sei“ (1. Moses 2,18). Es wurde gelehrt, dass aus dem Grunde vom zweiten Tage nicht gesagt wird, „dass es gut ist“, weil der Mensch vereinsamen sollte. War er denn aber einsam, wo doch gesagt wird: „Männlich und Weiblich erschuf er sie“? Auch haben wir gelernt, dass der Mensch zweigesichtig erschaffen ward, und du sagst: „Nicht gut, dass der Mensch allein sei“? Vielmehr er bemühte sich nicht um seinen weiblichen Teil und hatte keine Stütze an ihm, da dieser nur seine Seite bildete und sie rückwärts wie eins waren – so war denn doch der Mensch allein. „Ich will ihm einen Gehilfen erschaffen ihm gegenüber“ (1. Moses 2,18). Das heißt: seinem Antlitz gegenüber, dass eines am anderen hafte, Angesicht an Angesicht. Was tat der Allheilige? Er sägte an ihm und nahm das Weibliche von ihm. Wie es heißt: „Und er nahm eine seiner Rippen“ (1. Moses 2,21)…[5]

Nach dem Sohar ist nur der Mensch in seinem Vollbestand, der männlich und weiblich zugleich ist, eigentlich Mensch zu nennen.[6] Wenn sich das Weibliche und das Männliche verbinden, erscheinen sie als ein Körper wahrhaftig. Daraus folgt, dass das Männliche allein nur als ein halber Körper erscheint … und ebenso das Weibliche; erst wenn sie sich verbinden, werden sie zur Einheit.[7]

Koran

Der Koran geht ebenfalls auf den Aspekt der Geschlechterteilung ein: “Er schuf euch aus einem einzigen Wesen, dann machte Er aus diesem seine Gattin,…“ (Sure 39,6)[8]

Indische Mythologie

In Indien kennt man Ardhanarishvara als der Mann, der zur Hälfte Frau ist. Über die Entstehung bzw. genaue Bedeutung des Ardhanarishvara gibt es verschiedene Versionen. Eine besagt, dass der Hindu-Gott Shiva seine ewige Gefährtin Parvati so fest an sich gedrückt hat, dass beide zu einem Wesen verschmolzen sind. Einer anderen Überlieferung zufolge war es die ursprüngliche Männlich-Weibliche Gestalt der Gottheit, bevor diese sich in die zwei Geschlechter teilte.

Hinduismus

Von einer Geschlechtertrennung aus einem einzigen Wesen berichtet auch die hinduistische Brihadaranyaka-Upanishad, dass der Mensch anfangs ganz allein war und sich Gesellschaft wünschte: Es war so groß wie Mann und Frau bei der Umarmung. Es ließ sich in zwei Teile zerfallen. So entstanden Gatte und Gattin. „Darum sind wir beide hier nur wie ein Halbstück“, sprach Yajnavalkya.[9]

Vorneuzeitliche Dichtung

Eine arabische Geschichte beschreibt ein Band, das zwischen Qais Ibn-Darih und seiner weiblichen Hälfte Lubna besteht: „Mein Geist war eins mit ihrem Geist, bevor uns der Herr berief Und als ich noch im Mutterleib und in der Wiege schlief. Des Geistes Einheit wuchs mit uns, hat täglich sich gemehrt, Und auch im Tode wird der Bund des Geistes nicht zerstört. Nein, was auch je geschehen mag, er trotzt des Schicksals Macht. Er lebt mit uns noch in der Gruft und in des Grabes Nacht.“[10]

Von dem japanischen Patriarchen Tatsuya sind die folgenden Worte aus dem 6. Jahrhundert überliefert: „Es gibt eine Liebe, die über jede Liebe erhaben ist; die Leben überdauert. Zwei Seelen, aus einer entstanden. Vereinigt wie zwei Flammen. Identisch - und doch getrennt. Manchmal zusammen, durch Gefühl und Verlangen verschweißt. Manchmal getrennt, um zu lernen und zu wachsen. Aber einander immer wieder findend. In anderen Zeiten, anderen Orten. Wieder und wieder.“[11]

Neuzeitliche Literatur

Hölderlins Hyperion hadert mit dem Schicksal, nicht eine Seele zu sein mit seiner liebenswürdigen Hälfte und in Emily Brontës Sturmhöhe kommt Catherine Earnshaw über ihre Beziehung zu Heathcliff zu dem Ergebnis: “Aus welchem Stoff auch immer unsere Seelen gemacht sind, die seine und die meine sind gleich.“

In seinem Briefroman Julie oder Die neue Heloise schreibt Rousseau (erster Teil, Brief 26): “Des Himmels ewiger Beschluss bestimmte uns füreinander. – Komm, o meine Seele, komm in deines Freundes Arme, die zwei Hälften unseres Wesens zu vereinen!“

An die Intensität einer Liebe zwischen Dualseelen erinnert unter anderem auch der 1891 erschienene Roman Peter Ibbetson aus der Feder von George du Maurier. Er erzählt die tragische Geschichte einer Liebe zwischen zwei Menschen (Peter und Mary), die sich im wahren Leben nicht mehr treffen können, aber nachts in ihren gemeinsamen Träumen begegnen, die zur eigentlichen Essenz ihres Lebens werden. Schließlich kommt das Unvermeidliche: Mary stirbt. Doch für ein letztes Mal gelingt ihr die Rückkehr in einen gemeinsamen Traum, in dem sie Peter wissen lässt, dass beide für immer untrennbar sind: „Eine Liebe wie die meine ist stärker als selbst der Tod. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass wir beide unzertrennlich sind für alle Zeiten, du und ich, … ein einziges Salzkörnchen, ein einziger Wassertropfen. … Doch erst wenn du dich zu mir gesellst, werden wir vollkommen sein und können im Weltraum aufgehen und an allem, was noch kommt, als Eines teilhaben.“

Parapsychologie und Esoterik

Der US-amerikanische Parapsychologe Edgar Cayce (1877–1945), der von Anhängern als Medium angesehen wird, äußerte sich wie folgt: “Als am Anfang die Seelen geschaffen wurden, waren sie weder männlich noch weiblich, sondern beides, ein vollständiges Ganzes.“[12] Und weiter: “Dank ihrer androgynen Gottesnatur verfügten die ersten Seelen über die Fähigkeit, durch einen Willensakt ein Gefährtenselbst zu erzeugen, indem sie es von sich abspalteten.“[13]

Einzelnachweise

  1. Beispiele für diese Verwendung finden sich in Büchern von Thomas Ulrich und Petra Raab.
  2. Bibel der Häretiker, Einleitung zu „Die Exegese der Seele“
  3. Übersetzung von Lüdemann/Janßen in „Die Bibel der Häretiker“
  4. Ernst Müller (Hrsg.): Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala. Diederichs, München 1993, S. 125. An anderer Stelle findet sich eine weitere diesbezügliche Erläuterung zur Interpretation des Verses 6,9 aus dem Hohelied: Lies nicht: „meine Reine“, sondern „mein Zwilling“. (S. 140)
  5. Ernst Müller (Hrsg.): Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala. Diederichs, München 1993, S. 145f
  6. Ernst Müller (Hrsg.): Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala. Diederichs, München 1993, S. 98
  7. Ernst Müller (Hrsg.): Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala. Diederichs, München 1993, S. 140
  8. chj.de
  9. Upanishaden – Die Geheimlehre der Inder. Diederichs, München 1990, S. 53
  10. Thomas Ulrich: Dualseelen und Seelenpartner. Grafing, 1997, S. 88
  11. Zitat aus dem Spielfilm Fatal Past (USA 1993)
  12. W. Howard Church: Die 17 Leben des Edgar Cayce. Genf 1988, S. 25f
  13. W. Howard Church: Die 17 Leben des Edgar Cayce. Genf 1988, S. 34

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