Endolymphatischer Hydrops

Endolymphatischer Hydrops
Klassifikation nach ICD-10
H81.0 Menière-Syndrom oder -Schwindel
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Der Hydrops cochleae oder endolymphatische Hydrops ist eine Erkrankung des Innenohrs. Er wurde lange allein als Pathomechanismus der Morbus-Menière-Erkrankung angesehen, neuere Studien zeigen aber, dass der Hydrops cochleae auch ohne Entwicklung eines Vollbildes des Morbus Menière auftreten kann. [1][2] Die Ätiologie des endolymphatischen Hydrops ist nach wie vor unklar.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Zum ersten Mal wurde der endolymphatische Hydrops an menschlichen Felsenbeinpräparaten beim Morbus Menière 1938 von Yamakawa in Japan und wenige Monate später von Hallpike und Cairns in England beschrieben. Beide Gruppen fanden eine Wölbung der Reißner-Membran Richtung Scala vestibuli und eine Konkrementbildung in der Stria vascularis, im Aquaeductus cochleae sowie im inneren Gehörgang. Weitere bestätigende Beobachtungen wurden von Altmann und Fowler 1943, von Lindsay 1946, von Brunner 1948 und von Paparella 1984 gemacht. [1]

Beschreibung

Querschnitt durch die Hörschnecke
anatomischer Querschnitt

Die Hörschnecke (Cochlea) des Innenohrs beinhaltet drei Gänge: Vorhoftreppe (Scala vestibuli), Schneckengang (Scala media oder Ductus cochlearis) und Paukentreppe (Scala tympani). Die Vorhoftreppe und die Paukentreppe stehen über das Helicotrema (griechisch: Schneckenloch) an der „Spitze“ der Hörschnecke miteinander in Verbindung, der Schneckengang endet an der Schneckenspitze. Der Schneckengang ist von der Vorhoftreppe durch die Reißner-Membran, von der Paukentreppe durch die Basilarmembran getrennt. Im Schneckengang liegt das Corti-Organ, welches für die Umwandlung von Schallwellen in Nervenimpulse und so für das eigentliche Hörempfinden verantwortlich ist. Die Schneckengänge sind mit Flüssigkeiten unterschiedlicher Zusammensetzung gefüllt, Scala vestibuli und Scala tympani mit Perilymphe, der Ductus cochlearis mit Endolymphe.

Unter einem Hydrops cochlae (Hydrops = Wassersucht, krankhafte Flüssigkeitsansammlung) versteht man eine Vermehrung der Endolymphe im Ductus cochlearis. Es entsteht also ein Überdruck im Schneckengang. Dessen Durchmesser wird dadurch vergrößert, die Reißner-Membran wird in Richtung zur Vorhoftreppe vorgewölbt. Primäre Ursache ist eine Überproduktion von Endolymphe oder ein zu geringer Abfluss der Endolymphe. Was aber zu der Überproduktion oder zur Stauung führt, ist weitgehend unklar.

Man vermutet, dass ein zu hoher Druck auf die Reißner-Membran zum Einreißen dieser Membran führen kann und so ein Menière'scher Anfall ausgelöst wird.

Ursache

Die Ursache des endolymphatischen Hydrops ist ungeklärt. Erklärungsversuche reichen von einem überhöhten Salzgehalt in der Nahrungsaufnahme, Autoimmunreaktion, allergische Reaktionen bis zu einer Virenerkrankung. [3] Keine dieser möglichen Ursachen konnte klinisch bestätigt und somit erhärtet werden. Als psychische Ursache wird häufig auch Stress genannt.

Studien lassen vermuten, dass nicht nur nach einer Ursache gesucht werden muss, sondern mehrere Ursachen zu einem Endolymphstau führen können. Evtl. reagiert die Hörschnecke relativ empfindlich auf allerlei Belastungen, was so zu einer Störung des Zufluß-/Abflußsystems der Endolymphe führen kann und schließlich in einem endolymphatischen Hydrops resultiert. [4][2]

Symptomatik

Diese Symptome müssen nicht alle auftreten. Häufiger sind sogar einzelne Phänomengruppen, wie Schwindel ohne Hörverlust und Tinnitus oder Hörverlust und Tinnitus ohne Schwindel.

  • Den Überdruck kann der Patient als Druck wahrnehmen, der ähnlich wahrgenommen wird, wie ein Druck im Mittelohr durch Luftdruckveränderungen.
  • Durch den Überdruck ist das Corti-Organ betroffen. Der Patient nimmt dies meistens in Form eines tieffrequenten Tinnitus wahr.
  • Ebenso kann der Druck auf das Corti-Organ zu Hörverminderung führen. Der Patient hört „wie durch Watte“. Ebenso kann er generell tiefe Töne schlechter hören.
  • Manchmal führt die Erkrankung auch zu einem Schwindelgefühl, welches kurzzeitig oder länger auftreten kann. Abgegrenzt werden muss dieses Schwindelgefühl von einem langanhaltenden ausgeprägten Drehschwindel, wie er bei einem Menière'schen Anfall vorkommt.

Zu weiteren Symptomen aus der körperlichen Erkrankung gesellen sich häufig nach der Diagnose auch psychische Symptome hinzu.

  • Depressionen wegen des Hörverlustes und der daraus geminderten Lebensqualität.
  • Angstzustände vor einer Verschlimmerung der Krankheit und vor einem möglichen Beginn einer Morbus-Menière-Erkrankung.

Diagnose

Diese Verfahren helfen einen Hydrops choleae zu vermuten:

  • Stimmgabeltests: Erfolgte Weber-Versuch und Rinne-Versuch lassen evtl. auf eine Innenohrproblematik schliessen.
  • Mit einem Tonschwellenaudiogramm durch einen Hörtest über Luft- und Knochenleitung kann festgestellt werden, ob vor allem die Hörfähigkeit im tiefen Frequenzbereich abgenommen hat.
  • Auskunft des Patienten: Beschreibt er eine Hörstörung, die vor allem tiefe Frequenzen betrifft und ein „Hören durch Watte“ sowie niederfrequentes Brummen und Druck im Ohr, muss neben anderen Ursachen wie Hörsturz oder Schallleitungsstörung auch ein Hydrops cochleae in Betracht gezogen werden.

Behandlung

Meistens wird der Hydrops mit Betahistin behandelt. Betahistin greift unter anderem an den Histamin-H1-Rezeptoren des Innenohrs an und wirkt dort gefäßerweiternd, was zu einer Abnahme des Übderdruckes im Schneckengang führt. Zudem wird die Erregung von Nervenzellen der Gleichgewichtskerne gehemmt, was zusammen mit der verbesserten Durchblutung einen positiven Effekt auf die Vertigo-Symptome hat. [5] Verabreicht werden sollten 48 mg pro Tag. Es gibt manchmal Probleme mit der Rückbildung des Hydrops, wenn eine zu geringe Dosis verschrieben wurde. Auch bei leichten Symptomen ist eine Dosis von 48 mg angebracht, damit die Anregung der Blutgefässe durch das Betahistin sich voll auswirken kann.

Nachwirkungen

Auch ein zurückgegangener Hydrops, kann eine bleibende Schädigung des Innenohrs verursachen. Dabei muss zwischen objektivierbaren und subjektiven Problematiken unterschieden werden.

Da das Corti-Organ während des Hydrops belastet wird, kann auch nach Rückgang eines Hydrops ein Tinnitus bleiben. Dazu kann eine erhöhte Lärmempfindlichkeit kommen. Laute Schallwellen werden als störend oder fast schmerzhaft empfunden. Ebenso können Hörempfindungsstörungen wie Nachhall verbleiben. Es kann auch das subjektive Empfinden da sein, die Klangfarbe des Gehörten wirke wie „neu abgemischt“. Diese Phänomene sind teilweise physikalisch erklärbar, wie eine bleibende oder temporäre Beeinträchtigung des Corti-Organs, aber auch durch psychologische Vorgänge, wie eine erhöhte geistige Aufmerksamkeit auf das erkrankte Ohr.

All diese Nachwirkungen können mit der Zeit abnehmen. Erstens, weil sich die Hörschnecke erholt und zweitens, weil sich das Gehirn an die neue Hörempfindung gewöhnt.

Abgrenzung zu Morbus Menière

Obwohl bei der Klassifikation nach ICD-10 Morbus Menière gleich eingeordnet wird wie der endolymphatische Hydrops, muss aber vermutlich in Zukunft unterschieden werden. Das ergibt sich dann aus Schlussfolgerungen der aktuellen Ursachenforschung. Neuere Studien zeigen, dass ein Hydrops vermutlich nicht nur aus einer einzelnen Ursache hervorgeht, sondern vielmehr Schwankungen der Endolymphmenge auch beim gesunden Menschen vorkommen können. Deshalb kann das Ohr auf allerlei Belastungen mit Endolymphstau reagieren. [4] Wahrscheinlich reagiert das evolutionär früher entwickelte Hörorgan auch empfindlicher als das ältere Gleichgewichtsorgan, welches Endolymphschwankungen besser ausgleichen kann. [2] Für Morbus Menière ist aber evtl. eine spezifische Ursache anzunehmen, die zu einem chronischen, bzw. rezidivierenden Hydrops führt.

Die schwerste Form eines Hydrops cochleae ist ein chronischer Hydrops bzw. ein rezidivierender Hydrops inkl. Anfällen mit Symptomen der Menière'sche Trias. Vom Auftauchen der ersten Symptome bis zur Entwicklung einer vollen Morbus-Menière-Erkrankung geht durchschnittlich ein Jahr.[2] Die Praxiserfahrung von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten und eine Studie aus Japan zeigt, dass nur ungefähr zehn Prozent eines diagnostizierten Hydrops cochleae eine chronische Menière-Erkrankung ausbildet.[1][2] Ca. 70% der Patienten, die nicht an Morbus Menière erkranken, entwickeln wieder ein normales Hörvermögen. Nur ca. 30% behalten ein schwankendes Hörvermögen, welches auch bei Nachuntersuchungen über zehn Jahren bestätigt werden konnte.[2] Aus diesen statistischen Erwägungen kann natürlich noch nicht vollends ein eigenes Krankheitsbild geschlossen werden.

Einzelnachweise

  1. a b c Olaf Michel (1998), Morbus Menière und verwandte Gleichgewichtsstörungen, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, S. 34ff, ISBN 3-13-104091-2
  2. a b c d e f Helmut Schaaf (2007), Morbus Menière, Springer, Heidelberg, S. 58ff, ISBN 3-540-36960-0
  3. Gesundheitsprechstunde
  4. a b Zenner HP, Hören. Physiologie, Biochemie, Zell- und Neurobiologie. Thieme, Stuttgart 1994, S. 168
  5. Betahistin In: HagerRom 2006, Springer Medizin Verlag
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