Erich Neuss

Erich Neuss

Erich Neuß (* 11. Januar 1899 in Frankfurt am Main; † 28. Dezember 1982 in Halle (Saale)) war ein deutscher Archivar und Historiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Neuß, in Frankfurt am Main geboren, lebte ab 1901 in Halle. Während seiner Jugend war er Mitglied der Wandervogelbewegung. Nach seinem Abitur wurde Neuß am 2. Juni 1917 zum Kriegsdienst einberufen. Er kämpfte in Galizien und anschließend im Rahmen der deutschen Frühjahrsoffensive 1918 in Frankreich. Dort war er anschließend in alliierter Kriegsgefangenschaft, wo er als Dolmetscher im Gefangenenlager eingesetzt wurde. Im Februar 1920 wurde Neuß entlassen.

Erich Neuß immatrikulierte sich im September desselben Jahres an der Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg in Nationalökonomie, Rechtswissenschaften und Geschichte. 1924 schloss er sein Studium ab und wurde er mit der Arbeit Die Entwickelung des halleschen Wirtschaftslebens vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Weltkrieg promoviert. Anschließend war Neuß bei der Industrie- und Handelskammer Halle beschäftigt, wo er sich dem Aufbau und der Leitung der Außenhandelsabteilung widmete. Die Industrie- und Handelskammer war 1926 auch Herausgeber eines Werkes Neuß’ zu Ludwig Wucherer.

1928 übernahm Erich Neuß die neugeschaffene Position des städtischen Archiv- und Bibliotheksdirektors. Als Leiter des Stadtarchivs Halle und der Ratsbücherei entwickelte Neuß in den nachfolgenden Jahren eine rege Publikationstätigkeit. 1928 heirate er Ella Buse, mit der er vier Kinder hatte.

Die Karriere Neuß’ endete 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Neuß hatte 1931 im Auftrag des Magistrats eine Denkschrift zum 25jährigen Amtsjubiläum des hallischen Oberbürgermeisters Robert Rive verfasst (Die Hallische Stadtverwaltung 1906–1931), in der die Haus- und Grundbesitzerfraktion im halleschen Stadtparlament im Zusammenhang mit Grundstücksspekulationen und Mietwucher kritisiert worden war. Nachdem die Haus- und Grundbesitzerfraktion eine Listenvereinigung mit der NSDAP zum Erlangen der absoluten Mehrheit bei den Kommunalwahlen im März 1933 ermöglicht hatte, verlangte man u. a. eine Suspendierung Neuß’, der daraufhin gemäß Paragraph 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums beurlaubt wurde. Ein Antrag auf Entlassung wurde vom Reichsministerium des Innern aber abgelehnt. Als wissenschaftliche Hilfskraft war Erich Neuß, mittlerweile Parteimitglied, ab 1936 (1937?) im Amt für Wirtschaft, Verkehr und Statistik tätig, später als Preiskommissar für Mieten und Grundstückspreise. Während seiner Beurlaubung veröffentlichte Neuß mehrere Werke, darunter 1935 auch den ersten Band (Im Seegau) seiner Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld.

Nachdem Erich Neuß 1939 einen Lehrgang für Reserveoffiziere absolvierte hatte, wurde er 1940 in die Wehrmacht eingezogen. Zunächst in Belgien stationiert, kam er im Mai 1941 als Leutnant nach Polen und nahm als Stabsoffizier des Feldersatzbataillons der 24. Infanteriedivision am Krieg gegen die Sowjetunion teil. Am 2. März 1942 wurde Neuß auf der Krim durch Granatsplitter verwundet, eine Rückkehr als Oberleutnant zu seiner mittlerweile bei Leningrad stehenden Einheit erfolgte erst im Juni 1943. Ab Anfang 1944 fand er einige Monate als Nationalsozialistischer Führungsoffizier (NSFO) Verwendung, ein Vorgang, den Neuß als Treppenwitz[1] bezeichnet. Im November 1944 erfolgte eine letzte Beförderung zum Hauptmann. Zu Kriegsende befand sich der verletzte Offizier in Kurland. Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, verließ Neuß an Bord des letzten auslaufenden Lazarettschiffes Windau und kehrte nach Deutschland zurück.

Ab August 1945 war Erich Neuß wieder als Direktor des Stadtarchivs in Halle tätig, darüber hinaus oblag ihm die Leitung des Händelhauses, der Hallmarktbibliothek und des Museums der Moritzburg. Gemeinsam mit Adolf Heilmann gehörte er zu den Initiatoren der Bauhütte Roter Turm, die sich die „Vorbereitung des Wiederaufbaus der hallischen Kulturstätten“, vor allem aber der Rekonstruktion des Roten Turms, zu Eigen gemacht hatte.

1952 schied Neuß auf eigenen Wunsch aus seinem Dienst bei der Stadt aus, um sich seinen privaten Forschungen, Veröffentlichungen und der Vorlesungstätigkeit an der Fachschule für Archivwesen Potsdam zu widmen. 1958 habilitierte sich der Historiker auf Aufforderung Leo Sterns mit der Schrift Entstehung und Entwicklung der Klasse der besitzlosen Lohnarbeiter in Halle bis zum Zusammenbruch der preussischen Monarchie 1800. Ab 1959 war er Dozent für Landesgeschichte an der hallischen Universität, zum Professor mit Lehrauftrag wurde er 1963 berufen. 1964 wurde Neuß emeritiert.

Bis zu seinem Lebensende war Erich Neuß forschend und schreibend tätig, die Ergebnisse seiner Felduntersuchungen zu den Wüstungen im Umland Halles wurden 1969 bzw. 1971 in seiner Wüstungskunde des Saalkreises, der Stadt Halle und der Mansfelder Kreise veröffentlicht, die Arbeiten an einem Werk zur Siedlungskunde schlossen sich an. Erich Neuß verstarb am 28. Dezember 1982.

Wirken

Widmung in Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld – Im Seegau (1935). Text: „Liebe deine Heimat mehr als dich selbst. Erich Neuß. 4./9. 35.“

Die Beschäftigung Neuß’ mit der Stadtgeschichte Halles stand oft in unmittelbarer Nähe zur Auseinandersetzung mit deren Wirtschafts- und Sozialgeschichte, insbesondere der Entwicklung des Bürgertums. Breiterem Leserpublikum wurde Neuß durch die mittlerweile neuaufgelegte Reihe Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld bekannt, einer Beschreibung regionaler Geschichte und Landschaft. Während die beiden ersten Bände in den 1930er Jahren in Buchform veröffentlicht werden konnten, beschränkte sich die Veröffentlichung des dritten Bandes vorerst auf einen Abdruck in der Eislebener Liberal-demokratischen Zeitung. Eine Veröffentlichung als Buch erfolgte erst 2001. Zwei weitere Bände kamen nicht mehr zur Ausführung.

Neben zahlreichen Monographien, darunter auch Lehrbücher für Betriebsarchivare, verfasste Neuß hunderte Aufsätze, Zeitungsartikel und andere Schriften.

Werke (Auswahl)

  • Erich Neuß: Die Entwickelung des halleschen Wirtschaftslebens vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Weltkrieg. Meyer, Halberstadt 1924. (Dissertation)
  • Erich Neuß: Das Hallische Stadtarchiv. seine Geschichte und seine Bestände. Gebauer-Schwetschke, Halle 1930.
  • Erich Neuß: Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld – Im Seegau. Gebauer-Schwetschke, Halle 1935. (Bd. 1, Neuausgabe 1999: ISBN 3-930195-27-5)
  • Erich Neuß: Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld – Saalisches Mansfeld. Gebauer-Schwetschke, Halle 1938. (Bd. 2, Neuausgabe 1999: ISBN 3-930195-28-3)
  • Erich Neuß: Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld – Im Herzen der Grafschaft. fliegenkopf verlag, Halle 2001: ISBN 3-930195-34-8 (Bd. 3, Erstveröffentlichung als Buch, zuvor Abdruck in der Liberal-demokratischen Zeitung (Eisleben) von 1952 bis 1955)
  • Erich Neuß, Werner Piechocki: Halle an der Saale. Sachsenverlag, Dresden 1955.
  • Erich Neuß: Entstehung und Entwicklung der Klasse der besitzlosen Lohnarbeiter in Halle bis zum Zusammenbruch der preussischen Monarchie 1800. Akademie-Verlag, Berlin 1958. (Habilitationsschrift)
  • Erich Neuß: Wüstungskunde des Saalkreises, der Stadt Halle und der Mansfelder Kreise. Böhlau, Weimar 1969, 1971.
  • Erich Neuß (Bearb.) und Dietrich Zühlke: Mansfelder Land. Akademie-Verlag, Berlin 1982.
  • Erich Neuß: Besiedlungsgeschichte des Saalkreises und des Mansfelder Landes: Von der Völkerwanderungszeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 10). Verlag H. Böhlaus Nachfolger, 1995, ISBN 3-7400-0921-7
  • Erich Neuß: Das Giebichensteiner Dichterparadies, fliegenkopf verlag Halle 2007, ISBN 978-3-930195-91-6

Belege und weiterführende Informationen

Literatur

  • Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V., Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Gedenkschrift zum 100. Geburtstag von Erich Neuß. 1999. ISBN 3-86010-559-0 (enthält u. a. eine Auswahlbiographie)
  • Werner Freitag: Erich Neuß (1899–1982). Stadtgeschichte als Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In: W. Freitag; H. Lück (Hrsg.): Historische Forschung in Sachsen-Anhalt : ein Kolloquium anläßlich des 65. Geburtstages von Walter Zöllner. Hirzel, Stuttgart/Leipzig 1999, ISBN 3-7776-0994-3
  • Werner Neuß: „Aber auf den Frieden freue ich mich doch!“ Kriegsbriefe der Ella Neuß an ihren Mann Erich (Halle/Saale 1940 bis 1945). Halle 2004, ISBN 3-9810184-0-0

Einzelnachweise

  1. Dr. Werner Neuß: Briefe von Hauptmann Erich Neuß – 24. Inf.-Div.

Weblinks


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