Ethnolekitsch

Ethnolekitsch

Ethnolekt (von griech. ethnos, "Volk", und legein, "sprechen") ist ein Sammelbegriff für sprachliche Varianten bzw. Sprechstile, die von Sprechern einer ethnischen Minderheit verwendet und als für sie typisch eingestuft werden.

Hierzu gehören beispielsweise Sprechweisen, die durch diverse Besonderheiten die nicht-deutsche Abstammung des Sprechers ausweisen.

In multilingualen Umgebungen haben sich ethnolektale Formen des Deutschen als lingua franca herausgebildet. Sprecher dieser Sprachformen bezeichnen sie als 'Ghettoslang'. Hierbei kommen einige Charakteristika durchgängig und andere nur vereinzelt vor. Durchgängig kommen vor:

  1. Wegfall von Präposition und Artikel in Lokal- und Richtungsangaben:z. B. isch geh toilette oder isch geh kino
  2. Generalisierung des Verbs 'machen'
  3. Verwendung von Formeln wie isch schwör zur Bestätigung
  4. Verwendung türkischer Formen zur Anrede, zur Beschimpfung, als Interjektionen und Diskursmarker (z. B. lan, moruk)
  5. eine spezielle Art der Vermittlung von Inhalten, die nur einen geringen Teil der mitgeteilten Informationen expliziert
  6. reichhaltige prosodisch-phonetische Merkmale

Gelegentlich kommen vor:

  1. Ausfall des Artikels in Nominal- und Präpositionalphrasen
  2. Ausfall von Pronomina und suppletiven Elementen: z. B. wann has mit einer Bedeutung, die nur aus dem Kontext geschlossen werden kann (etwa: Wann hast du sie gesehen?).
  3. unterschiedliche Genera
  4. abweichende Verbrektion, z. B. sch heirate mit ihm
  5. andere Wortstellung, z. B. hauptsache lieb isch ihn

So unterscheiden Sprecher mit polnischer Muttersprache im Deutschen gewöhnlich nicht bei der Unterscheidung von Kurz- und Langvokalen. Deutsche Kurzvokale sind meist offen, während Langvokale geschlossen ausgesprochen werden. Da das Polnische keine geschlossenen Vokale kennt, sprechen sie alle Vokale offen aus. Die so genannte muttersprachliche Interferenz führt ebenfalls bei der Verwendung der Artikel zu Fehlern, da Artikel im Polnischen fehlen.

Sprecher italienischer Muttersprache sind oft an dem den meisten konsonantisch endenden Wörtern angehängten kleinen e erkennbar, da in der phonologischen Struktur des Italienischen Vokale eine Wortgrenze bilden und italienische Wörter deshalb nur auf einen Vokal ausgehen können.

Fast alle Sprecher mit nicht-deutscher Muttersprache gebrauchen die Inversion im deutschen Satzbau unterschiedlich vom standardsprachlichen Gebrauch:
Ich fahre nach Hause - Heute fahre ich nach Hause
Ich hatte Hunger - Ich aß, weil ich Hunger hatte

Inzwischen werden die gemischtsprachlichen Fähigkeiten bilingualter Migranten hervorgehoben. Nach den Beobachtungen von Volker Hinnenkamp und Inci Dirim sind Mischvarietäten nicht Ausdruck mangelnder Kompetenz in zwei Sprachen, sondern Ausdruck eines binationalen Selbstbewusstseins. Im Laufe ihrer Schulzeit lernen viele Migrantenkinder und -jugendliche ethnolektale Formen und Standardformen situativ und kontextspezifisch einzusetzen. Es konnte bewiesen werden, dass diese Jugendlichen auf der grammatischen, lexikalischen und diskursiven Ebene über standardnahes Deutsch verfügen.

Ethnolekte können weiter unterteilt werden in:

  1. Primärer Ethnolekt: die gleichsam originale Sprechweise einer ethnischen Minderheit;
  2. Sekundärer Ethnolekt: die von den Medien aufgegriffene, oft als Stilmittel von Komikern benutzte, den primären Ethnolekt nur nachahmende und insofern gleichsam literarisierte Sprechweise
  3. Tertiärer Ethnolekt: die Sprechweise von Personen, die den ihnen medial vermittelten sekundären Ethnolekt in ihre eigene Sprechweise übernommen haben, ohne selbst Kontakt zu Sprechern des primären Ethnolekts zu haben.

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