- Ethnopsychoanalyse
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Ethnopsychoanalyse ist eine Wissenschaft, die Psychoanalyse und Ethnologie berücksichtigt und ergänzt. Durch die Auseinandersetzung des Ethnopsychoanalytikers mit zwei komplementären Disziplinen kann er sich in der Ausübung beider verbessern und tiefere Einblicke in verhaltenswissenschaftlich bedeutende Erscheinungen gewinnen.
Ethnopsychoanalyse geht zurück auf Sigmund Freuds Totem und Tabu. Paul Parin, dessen Frau Goldy Parin-Matthèy und Fritz Morgenthaler entwickelten sie weiter auf Basis psychoanalytischer Studien in Afrika bei den Stämmen der Dogon und der Agni. Georges Devereux empfahl in seinem Werk Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften (Original 1967) eine komplementaristische Herangehensweise an verhaltenswissenschaftliche Themen. Johannes Reichmayr hat zwischen 1995 bzw. 2003 zwei Überblickswerke zur Ethnopsychoanalyse publiziert. In Deutschland wurde die Ethnopsychoanalyse vor allem von Maya Nadig, einer Schülerin von Paul Parin, weitergeführt. Sie entwickelte die ethnopsychoanalytische Deutungswerkstatt als Methode zur Auswertung in der Feldforschung gewonnener Daten. Die wichtigste Datenquelle des Materials aus der Feldforschung ist das eigene Erleben des Forschers, der den Forschungsprozess in teilnehmender Beobachtung betrachtet. Das Erleben des Forschers wird in Form von Tagebucheinträgen und Aufzeichnungen von Gesprächen mit der psychoanalytischen Tiefenhermeneutik aufgrund der Analyse von Übertragung und Gegenübertragung analysiert und erst in einem zweiten Schritt mit den kulturellen und ökonomischen Lebensbedingungen der erforschten Personen in Bezug gebracht wird. Dadurch sind psychoanalytische Rückschlüsse auf das subjektive Erleben dieser Gegebenheiten und die Auswirkungen auf die Individuen möglich. Große Bedeutung bekommt die ethnopsychoanalytische Forschung derzeit durch viele Migrantenschicksale in psychotherapeutischen Behandlungen, die ohne Betrachtung und Erforschung des kulturellen Hintergrundes bisher nur schwer möglich waren.
Siehe auch
Literatur
- Paul Parin, Fritz Morgenthaler, Goldy Parin-Matthèy, Die Weißen denken zuviel. Psychoanalytische Untersuchungen bei den Dogon in Westafrika, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 1963/2006, ISBN 3434506020
- Paul Parin, Fritz Morgenthaler, Goldy Parin-Matthèy, Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst. Psychoanalyse und Gesellschaft am Modell der Agni in Westafrika, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971; Neuauflage Psychosozial-Verlag 2006, ISBN 3-89806-462-X
- Georges Devereux, Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften, München: Hanser, 1973, als TB suhrkamp taschenbuch wissenschaft 461, ISBN 3-518-28061-9
- Mario Erdheim, Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozeß, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 7. Aufl. 2000, ISBN 3518280651
- Johannes Reichmayr, Einführung in die Ethnopsychoanalyse. Geschichte, Theorien und Methoden, Frankfurt am Main: Fischer Tb., 1995, ISBN 3596106508 - Vollst. überarb. Neuauflage: Ethnopsychoanalyse. Geschichte, Konzepte, Anwendungen. Gießen: Psychosozial-Verlag 2003, ISBN 3898061663
- Johannes Reichmayr, Ursula Wagner, Caroline Ouederrou, Binja Pletzer: Psychoanalyse und Ethnologie. Biographisches Lexikon der psychoanalytischen Ethnologie, Ethnopsychoanalyse und interkulturellen psychoanalytischen Therapie. Gießen: Psychosozial-Verlag 2003.
- Maik Sadzio: Zwischen Magie und Sinn - Umbanda: Ethnopsychoanalyse eines Hauses-der-Religionen in Porto Alegre-RS/Brasilien. In: Brasilien-Dialog, 3/4/97, Heilung und Gesundheit, Institut für Brasilienkunde, Mettingen, 1997, S. 3-44.
- L. Bryce Boyer: Kindheit und Mythos Eine ethno-psychoanalytische Studie der Apachen/mit einem Vorwort von Paul Parin, Klett-Cotta 1982, ISBN 3-608-93031-0
Weblinks
- http://www.raulparamoortega.de - Textsammlung eines Psychoanalytikers; auch Texte zur Ethnopsychoanalyse.
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