- Europakritik
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Der Begriff Europaskepsis oder Europakritik bezeichnet die Ablehnung gegenüber dem Prozess der europäischen Integration, gegenüber den Zielen der Europäischen Union oder gegenüber deren politischem System und seinen supranationalen Institutionen. Der Begriff selbst ist umstritten, da er als wertend angesehen wird; Europaskeptiker verwenden daher selbst häufig andere Bezeichnungen, etwa Europarealismus. Außerdem ist seine genaue Bedeutung häufig unscharf, da er sowohl eine allgemeine Ablehnung der europäischen Einigung als auch die Ablehnung lediglich der bestehenden europäischen Institutionen und den Einsatz für mehr Subsidiarität oder Intergouvernementalismus bezeichnen kann. Im Allgemeinen wird mit Europaskepsis jedoch der Wunsch verbunden, nationalstaatliche Souveränität zu bewahren oder wiederherzustellen. Davon zu unterscheiden ist der europäische Föderalismus, der ebenfalls das bestehende System der EU kritisiert, dieses jedoch durch einen vollständigen europäischen Bundesstaat ersetzen will.
Der kürzere Begriff Euroskepsis drückt die Skepsis bezüglich der Währung Euro aus.
Inhaltsverzeichnis
Europaskeptische Parteien im Europäischen Parlament
Europaskeptische Positionen werden von einigen europäischen Parteien vertreten, die seit 1994 eine eigene Fraktion im Europäischen Parlament bilden. Seit 2004 trägt diese den Namen Unabhängigkeit und Demokratie (kurz Ind/Dem), mit 22 Mitgliedern ist sie die kleinste Fraktion im EP. Ihre Mitgliedsorganisationen sind die EUDemokraten, deren stärkste Einzelpartei die schwedische Junilistan ist, sowie Libertas, eine von dem irischen Aktivisten Declan Ganley gegründete Partei, die insbesondere durch ihre Nein-Kampagne vor dem irischen Referendum über den Vertrag von Lissabon auffiel. Ebenfalls Mitglied der Ind/Dem-Fraktion ist die britische UKIP, die keinem europäischen Parteibündnis angehört und mit 10 Abgeordneten in der Legislaturperiode 2004-2009 die stärkste europaskeptische Einzelpartei im Europäischen Parlament ist. Die Haltung der Ind/Dem-Fraktion zur europäischen Integration ist nicht eindeutig; die meisten ihrer Mitglieder lehnen jedoch die Mitgliedschaft ihrer jeweiligen Nationalstaaten in der Europäischen Union ab oder fordern deren Umwandlung in einen rein intergouvernementalen Staatenbund.
Neben der Ind/Dem-Fraktion gibt es im Europaparlament außerdem die Fraktion Union für ein Europa der Nationen (UEN, 43 Abgeordnete), die von nationalkonservativen Parteien gebildet wird und deren stärkste Einzelparteien die italienische AN (9 Abgeordnete) und die polnische PiS (7 Abgeordnete) sind. Auch die UEN-Parteien sind europaskeptisch, lehnen jedoch nicht die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ab, sondern setzen sich lediglich für eine Stärkung der nationalen Souveränitätsrechte ein. Deutschsprachige Parteien sind derzeit in keiner der europaskeptischen Fraktionen vertreten. Jedoch hat das österreichische BZÖ angekündigt, im Falle eines Einzugs in das Europaparlament bei der Europawahl 2009 der UEN-Fraktion beizutreten.
Auch in der Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL, 41 Abgeordnete) sind europaskeptische Positionen verbreitet. Allerdings besitzen ihre Mitglieder gegenüber den Institutionen der EU keine einheitliche Haltung. Während die nationalen Mitgliedsparteien der Europäischen Linken aus den südlichen und nördlichen Ländern traditionell europaskeptisch sind, vertraten die mitteleuropäischen Parteien bisher eher europafreundliche Positionen.
Außerdem vertreten zahlreiche der 31 fraktionslosen Abgeordneten im Europaparlament mehr oder weniger deutlich europaskeptische Positionen, darunter auch der Abgeordnete der österreichischen FPÖ. Dies liegt unter anderem daran, dass die ehemalige Fraktion Identität, Tradition, Souveränität, in der sich die rechtspopulistischen und rechtsextremen Europaabgeordneten zusammengeschlossen hatten, 2007 auflöste, sodass ihre ehemaligen Mitglieder nun fraktionslos sind.
Geschichte und Argumentationslinien
Die Kritik an den supranationalen Institutionen war bereits früh ein Bestandteil der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses. So fürchtete etwa die deutsche SPD in den fünfziger Jahren, die europäische Integration könnte ein Hindernis für die deutsche Wiedervereinigung werden; allerdings übernahm sie später eine integrationsfreundliche Europapolitik. Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle vertrat in den sechziger Jahren eine strikt intergouvernementalistische Europapolitik, die auf die Schwächung der supranationale Kommission und eine Umwandlung der Europäischen Gemeinschaften in einen Staatenbund abzielte. Am deutlichsten war die Ablehnung einer supranationalen Integration jedoch in Großbritannien, das fürchtete, auf diese Weise seine politische Großmachtstellung zu verlieren. Darum schloss sich das Vereinigte Königreich zunächst auch den Europäischen Gemeinschaften nicht an und gründete stattdessen die rein intergouvernementale EFTA; erst nach deren Scheitern bemühte sich Großbritannien um einen EG-Beitritt, der 1973 erfolgte, und auch danach vertrat es bei weiteren Integrationsschritten meist defensive Positionen. Dennoch wurde die grundsätzliche Notwendigkeit einer europäischen Integration in allen westeuropäischen Ländern nur von einer sehr kleinen, meist stark rechtskonservativ orientierten Minderheit in Frage gestellt. Auf Seiten der politischen Linken wurde die Integration von den an der Sowjetunion orientierten Parteien abgelehnt, von den größeren eurokommunistischen Parteien jedoch im Wesentlichen befürwortet. Erst seit dem Ende des Kalten Krieges gewannen auch in den postkommunistischen Parteien europaskeptische Ansichten an Gewicht.
In der Öffentlichkeit spielte Europaskepsis während der Anfangsphase der europäischen Integration nur eine geringe Rolle. Der Einigungsprozess wurde von den Medien meist wohlwollend, aber nicht mit allzu viel Aufmerksamkeit verfolgt. Man spricht daher von einem permissive consensus (etwa: zulassender Konsens), mit dem die Bevölkerung die von ihren Regierungen verfolgte Integration hinnahm. Erst seit den 1980er Jahren intensivierte sich die öffentliche Debatte über die EU, wodurch auch europaskeptische Positionen stärker Gehör fanden. Insbesondere schlug sich dies in den Referenden nieder, mit denen in mehreren Mitgliedstaaten verschiedene EU-Vertragsreformen abgelehnt wurden, nämlich 1992 der Vertrag von Maastricht in Dänemark, 2000 der Vertrag von Nizza in Irland, 2005 der EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden und 2008 der Vertrag von Lissabon wiederum in Irland. Allerdings flossen bei diesen Referenden neben der Europaskepsis auch andere, oft innenpolitische motivierte Haltungen ein.
Außer in Großbritannien sind europaskeptische Positionen heute in Skandinavien und in den mittel- und osteuropäischen Ländern recht verbreitet, die nach dem Ende des Kalten Krieges der Europäischen Union beitraten. Die Gründe für die Ablehnung einer supranationalen Integration sind dabei vielfältig. Ein oft vertretenes Argument ist die Sorge um die nationale Unabhängigkeit: So wird in Großbritannien häufig die Zerstörung der britischen Lebensart befürchtet; besonders in Mittelosteuropa wird nach dem Zusammenbruch des Sowjetunion die nationale Souveränität und Würde betont. Umgekehrt fürchten Europaskeptiker in Westeuropa durch die rasche EU-Erweiterung eine zu große Heterogenität im Wertesystem der EU und begründen damit ihre Ablehnung einer intensiveren Integration.
Daneben werden teilweise ökonomische Argumente angeführt, etwa die Behauptung, dass die Brüsseler Bürokratie die wirtschaftliche Dynamik bremse und daher besser durch eine reine Freihandelszone zu ersetzen sei. Insbesondere in Osteuropa wurde außerdem im Zuge der ökonomischen Integration ein Ausverkauf nationaler Vermögensgüter an die wirtschaftlich stärkeren westeuropäischen Unternehmen befürchtet. In den westeuropäischen Ländern steht dem die Furcht vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und insbesondere in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten vor dem Abbau sozialer Standards entgegen.
Außerdem wird häufig mit dem wahrgenommenen Demokratiedefizit der Europäischen Union argumentiert. Dabei vertreten Europaskeptiker oft die Ansicht, dass das Subsidiaritätsprinzip, wonach Entscheidungen stets vom kleinstmöglichen Gemeinwesen getroffen werden sollten, durch die EU verletzt werde, da viele politische Entscheidungen sinnvoller auf nationaler Ebene getroffen werden könnten.
Literatur
- Martin Brusis: "Zwischen europäischer und nationaler Identität. Zum Diskurs über die Osterweiterung der EU". In: Europäische Öffentlichkeit, Bürgergesellschaft, Demokratie. Hg. Ansgar Klein [u.a.] Opladen: Leske und Budrich, 2003. (S.255-272)
Weblinks
- Großbritanniens schwieriges Verhältnis zu Europa (PDF-Datei)
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