Europaskepsis

Europaskepsis

Der Begriff Europaskepsis oder Europakritik bezeichnet die Ablehnung gegenüber dem Prozess der europäischen Integration, gegenüber den Zielen der Europäischen Union oder gegenüber deren politischem System und seinen supranationalen Institutionen. Der Begriff selbst ist umstritten, da er als wertend angesehen wird; Europaskeptiker verwenden daher selbst häufig andere Bezeichnungen, etwa Europarealismus. Außerdem ist seine genaue Bedeutung häufig unscharf, da er sowohl eine allgemeine Ablehnung der europäischen Einigung als auch die Ablehnung lediglich der bestehenden europäischen Institutionen und den Einsatz für mehr Subsidiarität oder Intergouvernementalismus bezeichnen kann. Im Allgemeinen wird mit Europaskepsis jedoch der Wunsch verbunden, nationalstaatliche Souveränität zu bewahren oder wiederherzustellen. Davon zu unterscheiden ist der europäische Föderalismus, der ebenfalls das bestehende System der EU kritisiert, dieses jedoch durch einen vollständigen europäischen Bundesstaat ersetzen will.

Der kürzere Begriff Euroskepsis wird oft synonym verwendet, drückt in einigen Fällen aber auch die Skepsis bezüglich der Währung Euro aus.

Vielsprachiger Protest gegen die EU-Verfassung

Inhaltsverzeichnis

Europaskeptische Parteien im Europäischen Parlament

Europaskeptische Positionen werden von einigen europäischen Parteien vertreten, die seit 1994 eine eigene Fraktion im Europäischen Parlament bilden. Seit 2009 trägt diese den Namen Europa der Freiheit und der Demokratie (EFD), mit 30 Mitgliedern ist sie die kleinste Fraktion im EP. Ihre wichtigsten Mitgliedsparteien sind die britische UKIP mit 13 Abgeordneten in der Legislaturperiode 2004-09 sowie die italienische Lega Nord mit 6 Abgeordneten. Außerdem gehört auch der einzige Europaparlamentarier von Libertas, einer von dem irischen Aktivisten Declan Ganley gegründete Partei, die insbesondere durch ihre Nein-Kampagne vor dem irischen Referendum über den Vertrag von Lissabon auffiel, der EFD-Fraktion an. Die Haltung der EFD-Fraktion zur europäischen Integration ist nicht eindeutig; die meisten ihrer Mitglieder lehnen jedoch die Mitgliedschaft ihrer jeweiligen Nationalstaaten in der Europäischen Union ab oder fordern deren Umwandlung in einen rein intergouvernementalen Staatenbund.

Neben der EFD-Fraktion gibt es im Europaparlament außerdem die Fraktion Europäische Konservative und Reformisten (ECR, 55 Abgeordnete), die von nationalkonservativen Parteien gebildet wird und deren stärkste Einzelparteien die britische Conservative Party (25 Abgeordnete) und die polnische PiS (15 Abgeordnete) sind. Auch die ECR-Parteien sind europaskeptisch, lehnen jedoch nicht unbedingt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ab, sondern setzen sich lediglich für eine Stärkung der nationalen Souveränitätsrechte ein. Deutschsprachige Parteien sind derzeit in keiner der europaskeptischen Fraktionen vertreten. Jedoch hat die (bisher fraktionslose) österreichische FPÖ ihr Interesse an einer Mitgliedschaft in der EFD-Fraktion bekundet.[1]

Auch in der Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL, 33 Abgeordnete) sind europaskeptische Positionen verbreitet. Allerdings besitzen ihre Mitglieder gegenüber den Institutionen der EU keine einheitliche Haltung. Während die nationalen Mitgliedsparteien der Europäischen Linken aus den südlichen und nördlichen Ländern traditionell europaskeptisch sind, vertraten die mitteleuropäischen Parteien bisher eher europafreundliche Positionen.

Außerdem vertreten zahlreiche der 35 fraktionslosen Abgeordneten im Europaparlament mehr oder weniger deutlich europaskeptische Positionen. Dies liegt unter anderem daran, dass sich darunter einige rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien befinden, die jedoch die Kriterien zur Gründung einer eigenen Fraktion nicht erfüllen. Die rechtsextreme Fraktion Identität, Tradition, Souveränität, die im Jahr 2007 existierte, löste sich nach internen Streitigkeiten auf.

Geschichte und Argumentationslinien

Die Kritik an den supranationalen Institutionen war bereits früh ein Bestandteil der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses. So fürchtete etwa die deutsche SPD in den fünfziger Jahren, die europäische Integration könnte ein Hindernis für die deutsche Wiedervereinigung werden; allerdings übernahm sie später eine integrationsfreundliche Europapolitik. Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle vertrat in den sechziger Jahren eine strikt intergouvernementalistische Europapolitik, die auf die Schwächung der supranationale Kommission und eine Umwandlung der Europäischen Gemeinschaften in einen Staatenbund abzielte. Am deutlichsten war die Ablehnung einer supranationalen Integration jedoch in Großbritannien, das fürchtete, auf diese Weise seine politische Großmachtstellung zu verlieren. Darum schloss sich das Vereinigte Königreich zunächst auch den Europäischen Gemeinschaften nicht an und gründete stattdessen die rein intergouvernementale EFTA; erst nach deren Scheitern bemühte sich Großbritannien um einen EG-Beitritt, der 1973 erfolgte, und auch danach vertrat es bei weiteren Integrationsschritten meist defensive Positionen. Dennoch wurde die grundsätzliche Notwendigkeit einer europäischen Integration in allen westeuropäischen Ländern nur von einer sehr kleinen, meist stark rechtskonservativ orientierten Minderheit in Frage gestellt. Auf Seiten der politischen Linken wurde die Integration von den an der Sowjetunion orientierten Parteien abgelehnt, von den größeren eurokommunistischen Parteien jedoch im Wesentlichen befürwortet. Erst seit dem Ende des Kalten Krieges gewannen auch in den postkommunistischen Parteien europaskeptische Ansichten an Gewicht.

In der Öffentlichkeit spielte Europaskepsis während der Anfangsphase der europäischen Integration nur eine geringe Rolle. Der Einigungsprozess wurde von den Medien meist wohlwollend, aber nicht mit allzu viel Aufmerksamkeit verfolgt. Man spricht daher von einem permissive consensus (etwa: zulassender Konsens), mit dem die Bevölkerung die von ihren Regierungen verfolgte Integration hinnahm. Erst seit den 1980er Jahren intensivierte sich die öffentliche Debatte über die EU, wodurch auch europaskeptische Positionen stärker Gehör fanden. Insbesondere schlug sich dies in den Referenden nieder, mit denen in mehreren Mitgliedstaaten verschiedene EU-Vertragsreformen abgelehnt wurden, nämlich 1992 der Vertrag von Maastricht in Dänemark, 2000 der Vertrag von Nizza in Irland, 2005 der EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden und 2008 der Vertrag von Lissabon wiederum in Irland. Allerdings flossen bei diesen Referenden neben der Europaskepsis auch andere, oft innenpolitische motivierte Haltungen ein.

Außer in Großbritannien sind europaskeptische Positionen heute in Skandinavien und in den mittel- und osteuropäischen Ländern recht verbreitet, die nach dem Ende des Kalten Krieges der Europäischen Union beitraten. Die Gründe für die Ablehnung einer supranationalen Integration sind dabei vielfältig. Ein oft vertretenes Argument ist die Sorge um die nationale Unabhängigkeit: So wird in Großbritannien häufig die Zerstörung der britischen Lebensart befürchtet; besonders in Mittelosteuropa wird nach dem Zusammenbruch des Sowjetunion die nationale Souveränität und Würde betont. Umgekehrt fürchten Europaskeptiker in Westeuropa durch die rasche EU-Erweiterung eine zu große Heterogenität im Wertesystem der EU und begründen damit ihre Ablehnung einer intensiveren Integration.

Daneben werden teilweise ökonomische Argumente angeführt, etwa die Behauptung, dass die Brüsseler Bürokratie die wirtschaftliche Dynamik bremse und daher besser durch eine reine Freihandelszone zu ersetzen sei. Insbesondere in Osteuropa wurde außerdem im Zuge der ökonomischen Integration ein Ausverkauf nationaler Vermögensgüter an die wirtschaftlich stärkeren westeuropäischen Unternehmen befürchtet. In den westeuropäischen Ländern steht dem die Furcht vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und insbesondere in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten vor dem Abbau sozialer Standards entgegen.

Außerdem wird häufig mit dem wahrgenommenen Demokratiedefizit der Europäischen Union argumentiert. Dabei vertreten Europaskeptiker oft die Ansicht, dass das Subsidiaritätsprinzip, wonach Entscheidungen stets vom kleinstmöglichen Gemeinwesen getroffen werden sollten, durch die EU verletzt werde, da viele politische Entscheidungen sinnvoller auf nationaler Ebene getroffen werden könnten.

Literatur

  • Frank Decker/ Florian Hartleb: L’euroscepticisme en Allemagne. Les partis politiques et l’Union Européenne, in: Laure Neumayer/Antoine
  • Roger/Frédéric Zalewski (eds.): L’Europe contestée: ‘populisme’ et ‘euroscepticisme’ dans l’Union européenne élargie, Paris: Michel Houdiard Éditeur 2008, S. 34-54.
  • Florian Hartleb: Euroskeptizismus in West- und Osteuropa, in: Martin H.W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.): Jahrbuch für öffentliche Sicherheit 2008/2009, Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft 2009, S. 479-484

Weblinks

 Commons: Europaskepsis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Der Standard, 3. Juli 2009: EU-Rechtsaußen-Fraktion hat Vorbehalte gegen FPÖ.

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