Expressionistischer Film

Expressionistischer Film

Der expressionistische Film entstand im Wesentlichen in Deutschland, speziell in dessen „Filmhauptstadt“ Berlin, in der Stummfilmzeit der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Oft spricht man deshalb auch vom Deutschen Expressionismus. Doch auch in den Jahren zuvor tauchten bereits erste expressionistische Elemente in österreichischen Produktionen auf − den sogenannten „vorexpressionistischen“ Filmen, die sich aus den vielseits beliebten Literaturverfilmungen entwickelten.

Inhaltsverzeichnis

Stilmittel

Charakteristisch sind die stark von der expressionistischen Malerei beeinflussten grotesk verzerrten Kulissen und die kontrastreiche Beleuchtung, die durch gemalte Schatten noch unterstützt wurde. Durch eine surrealistische und symbolistische mise-en-scène werden starke Stimmungen und tiefere Bedeutungsebenen erzeugt.

Daneben ist es aber vor allem die betont übertrieben gestische Spielweise der Darsteller, die das Expressionistische dieser Filmströmung kennzeichnet. Sie ist dem künstlerischen Vorläufer, dem Bühnenexpressionismus entlehnt.

Geschichte und Entwicklung

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die deutschsprachige Filmindustrie einen starken Aufschwung, ohne aber über Budgets zu verfügen, die mit denen Hollywoods vergleichbar gewesen wären. So war der deutschsprachige Film schon aus ökonomischen Gründen gezwungen, den Mangel an Technik und Ausstattung mit anderen Mitteln zu kompensieren. Da in Deutschland und Österreich zeitgleich in allen Kunststilen ein großer Experimentierwille herrschte, führte dies auch im Film zu radikalen Neuschöpfungen, die stark von expressionistischen Kunstformen beeinflusst waren.

Erste „vorexpressionistische“ Produktionen waren unter anderem die Fritz-Freisler-Inszenierungen Das Nachtlager von Mischli-Mischloch (1918), Der Mandarin (1918) und Das andere Ich (1918). Zu den Hauptdarstellern dieser Produktionen zählten Harry Walden, Karl Götz und Fritz Kortner, der in den 1920er Jahren als bester expressionistisch darstellender Schauspieler galt.

Als vermutlich erster Film, der expressionistische Stilmittel einsetzte, sei Jakob und Luise Flecks Die Schlange der Leidenschaft aus dem Jahre 1918 genannt.[1] Die dramaturgische Konstruktion des Fieber-Alptraumes, durch den die Hauptperson geläutert wird, spricht für diese Annahme.[2] Auch Paul Czinner inszenierte in Wien 1919 ein dem „Vorexpressionismus“ zuzurechnendes Werk: Inferno.

Während der Stummfilmzeit waren die UFA-Studios in Potsdam-Babelsberg in Berlin die größte Filmproduktionsstätte im deutschsprachigen Raum, weshalb zahlreiche österreichische Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler zeitweise oder dauerhaft in Berlin ansässig waren, und somit den deutschen Film mitbeeinflussten. Bekanntestes Beispiel ist der Regisseur Fritz Lang, aber auch die Drehbuchautoren Hans Janowitz und Carl Mayer, die das Drehbuch zur ersten berühmten expressionistischen Produktion Das Cabinet des Dr. Caligari aus dem Jahr 1919 schrieben.

Die Blütezeit des expressionistischen Films waren die Jahre 1920 bis 1925, als die bedeutendsten expressionistischen Filme erschienen. Zu diesen zählen Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam (1920), Fritz Langs „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) und Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (1922). Bedeutende expressionistische Werke kamen auch aus Österreich, wo das Stummfilmerbe erst spät als bedeutend erkannt, gesichert und mit der Erforschung begonnen wurde, weshalb viele Bereiche erst unzureichend in der Filmliteratur wiedergegeben werden konnten. Gesicherte Belege für die Integration expressionistischer Stilelemente in österreichischen Filmen sind Robert Wienes Orlacs Hände (1924) und Hans Karl Breslauers Die Stadt ohne Juden (1924).[3]

Wichtige Filme

Nachleben

Die kurze Epoche des expressionistischen Films war bereits Mitte der 1920er Jahre wieder vorüber. Als nach der Machtergreifung der Nazis 1933 viele der früheren Protagonisten Deutschland in Richtung Hollywood verließen, waren nur noch dort Nachwirkungen zu spüren. Besonders zwei Genres wurden davon beeinflusst und können als „Erben“ des Filmexpressionismus gelten: Der Horrorfilm und der Film noir.

Heute scheint das Werk von David Lynch vom expressionistischen (Fritz Lang: M – Eine Stadt sucht einen Mörder) als auch vom surrealistischen Film (Luis Buñuel, Salvador Dalí: Ein andalusischer Hund) inspiriert zu sein. Werner Herzog drehte 1979 als Hommage ein Nosferatu-Remake mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. Tim Burton baut oftmals skurrile Kulissen in seine Filme ein. Sehr beeinflusst der expressionistischen Kulissen sind zum Beispiel die Kulissen in der Geisterwelt bei Beetlejuice, oder „Halloweentown“ in Nightmare Before Christmas und die Kulissen im Film Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche.

Lemony Snicket – Rätselhafte Ereignisse, die Verfilmung von Lemony Snickets Eine Reihe betrüblicher Ereignisse, ist ebenfalls stark am expressionistischen Stil angelehnt.

Heutige Filme mit expressionistischem Einfluss

Einzelnachweise

  1. Zur Diskussion um die Vorläufer des expressionistischen Films siehe: Jürgen Beidokrat, Die künstlerische Subjektivität im expressionistischen Film, in: Institut für Filmwissenschaft (Hg.), Beiträge zur deutschen Filmgeschichte, Berlin 1965, S. 71-87.
  2. Thomas Ballhausen und Günter Krenn, Die unheimliche Leinwand, in: Medienimpulse, Heft Nr. 57, September 2006, S. 38 (PDF).
  3. Ebd., S. 35.

Literatur

  • Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film. Berlin 1926
  • Leonardo Quaresima: Der Expressionismus als Filmgattung. in: Uli Jung, Walter Schatzberg (Hg.): Filmkultur zur Zeit der Weimarer Republik. München, London, New York, Paris 1992, S. 174–195 ISBN 3-598-11042-1


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