- Die Stadt ohne Juden (Film)
-
Filmdaten Originaltitel: Die Stadt ohne Juden Produktionsland: Österreich Erscheinungsjahr: 1924 Länge: 80 Minuten Originalsprache: Deutsch Stab Regie: H. K. Breslauer Drehbuch: H. K. Breslauer,
Ida Jenbach nach dem Roman von Hugo BettauerProduktion: Walterskirchen und Bittner Musik: Gerhard Gruber
(Neufassung 2000)Kamera: Hugo Eywo Besetzung - Johannes Riemann: Leo Strakosch
- Eugen Neufeld: Bundeskanzler Dr. Schwerdtfeger
- Hans Moser: Rat Bernard
- Karl Thema: Rat Linder
- Anna Milety: Tochter Lotte
- Ferdinand Mayerhofer: Rat Volbert
- Mizi Griebl: Volberts Frau
- Hans Effenberger: Alois Carroni
- Gisela Werbezirk: Köchin Kathi
- Armin Berg: Kommissar Isidor
Die Stadt ohne Juden ist ein expressionistischer, österreichischer Film aus dem Jahr 1924, der auf dem gleichnamigen Roman von Hugo Bettauer basiert. Der Film zählt zu den wenigen erhaltenen und daher gut erforschten expressionistischen Filmen aus Österreich.[1] Der Film wurde am 25. Juli 1924 in Wien uraufgeführt.
Hugo Bettauer gelang mit seinem 1922 erschienen Roman eine erschreckend genaue Zukunftsvision, obwohl das Buch als Unterhaltungsroman und satirische Antwort auf den primitiven Antisemitismus der 1920er-Jahre gedacht war. Sie war zugleich Bettauers meistgelesenes Werk, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde und über eine Viertelmillion Mal verkauft wurde. Bereits kurz nach der Premiere des Films wurde Hugo Bettauer von einem NSDAP-Mitglied ermordet.
Der Film wurde im Oktober 2008 im Zuge der Erweiterung der DVD-Reihe Der österreichische Film erstmals auf einem Bildträger veröffentlicht.
Inhaltsverzeichnis
Handlung
In Österreich kommen die Christlichsozialen an die Macht und der Bundeskanzler, Dr. Schwerdtfeger, ein fanatischer Antisemit, sieht sein Volk durch die Juden beherrscht. Er bringt in der Nationalversammlung ein Gesetz durch, das alle Juden bis zum Jahresende zur Auswanderung zwingt. Das Gesetz wird von der Bevölkerung begeistert aufgenommen – die Juden verlassen das Land. Doch schon nach kurzer Zeit stellt sich Ernüchterung ein. Das Kulturleben verarmt – in den Theatern werden nur noch Werke von Ludwig Ganghofer und Ludwig Anzengruber gespielt. Viele Kaffeehäuser stehen leer oder wurden in Stehbierhallen, wo heiße Würstchen verkauft werden, umgebaut. Nach einem anfänglichen Aufschwung geht es auch mit der Wirtschaft bergab, da der Handel stark zurückgegangen ist und sich in andere Städte – im Buch sind es Prag und Budapest – verlagert hat. Inflation und Arbeitslosigkeit macht sich breit.
Die politischen Personen des Films sind so charakterisiert, dass sie mit realen Politikern dieser Zeit identifiziert werden können. So ist Bundeskanzler Schwerdtfeger Ignaz Seipel nachempfunden. Neben der politischen Handlung betont der Film auch stärker die Liebesbeziehung zwischen dem „Wiener Mädel“ Lotte, Tochter eines christlichsozialen Abgeordneten, und Leo Strakosch, der als Jude ebenso ausgewiesen wurde. Er verschaffte sich jedoch im Ausland gefälschte Papiere und reiste als französischer Maler getarnt erneut nach Österreich ein, um bei Lotte sein zu können. Er mietet sich zufällig im selben Haus ein, in dem auch der antisemitische Rat Bernard, gespielt von Hans Moser, lebt. Er bemerkt seinen Hang zum Alkoholismus und als im Parlament der Tag der Abstimmung über die Rückholung der Juden näher kommt, der nur durchgebracht werden kann, wenn einer der christlichsozialen Abgeordneten nicht mitstimmt, kommt er auf die Idee, Bernard durch Alkohol und Schlaftabletten außer Gefecht zu setzen. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wird durch die Abwesenheit Bernards, der von Schlafmitteln benommen und völlig alkoholisiert von Leo in ein Taxi gesetzt und an den Stadtrand geschickt wurde, erreicht.
Die Dramatik spitzt sich zu, als Bernard im Taxi erwacht und bemerkt, dass er im Parlament sein sollte. Noch stark benommen läuft er ins nächstgelegene Gebäude um ins Parlament anzurufen. Er ahnt bereits, dass es zu spät ist, und ist völlig außer sich und aufgebracht. Nun stellt sich heraus, dass das Gebäude, in dem er sich befindet, eine Nervenheilanstalt ist. Einige anwesende Ärzte halten den völlig verwirrt scheinenden Mann für einen Patienten, packen ihn und bringen ihn in eine Zelle. In einer expressionistischen Szenerie, bestehend aus einer asymmetrischen Zelle in klaustrophobischer Umgebung, sieht er sich plötzlich von überall aufleuchtenden Davidsternen bedroht. Diese Stelle bedeutet auch die Abkehr des Filmes von der Buchvorlage, da sich die ganze Handlung des Films nun als Traum des antisemitischen Rats Bernhard entpuppt. Diese überraschende Wende wird im Filmprogramm wie folgt beschrieben: „In diesem Moment der höchsten Not wacht Rat Bernhard aus seinem Traum auf, sieht sich im Gasthause zu so später Stunde und sagt zu dem verdutzten Volbert, ‚Gottlob, daß der dumme Traum vorbei ist – wir sind ja alle nur Menschen und wollen keinen Haß – Leben wollen wir – ruhig nebeneinander leben‘.“[2]
Hintergrund
Der Film wurde 1924, rund zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Bettauers Roman, fertiggestellt. Mehrere wesentliche Merkmale unterscheiden Hugo Bettauers Roman von der Verfilmung. Zum einen heißt die Stadt im Film „Utopia“, anstatt wie im Buch „Wien“. Zum anderen weist der Film ein versöhnliches Happy-End auf, was nicht nur das genaue Gegenteil der Aussage des Buches ist, sondern auch eine überraschende Wendung des Films darstellt. Der ganze Film stellt sich als Traum eines Antisemiten heraus, der schließlich zur Erkenntnis kommt, dass die Juden „ein notwendiges Übel“ sind.[3] Grund für diese wesentlichen Abweichungen von der Vorlage war die Minderung der politischen Brisanz des Inhalts.
Hans Moser, der einen antisemitischen Parlamentarier spielt, erhielt in diesem Film seine erst zweite Rolle. Als Hauptdarstellerin diente auch in diesem Film die Frau des Regisseurs, Anna Milety. Die bekannten jüdischen Schauspieler Gisela Werbezirk und Armin Berg waren in diesem Film nur in kleineren Rollen zu sehen. Expressionistische Kulissen und Dekor prägen einige Szenen. Für das Szenenbild war Julius von Borsody zuständig.
Die Premiere fand am 25. Juli 1924 in Wien statt, obwohl es noch technische Mängel am Film gab. Es kam zu einem Zerwürfnis zwischen Bettauer und Regisseur Breslauer, der in der Folge jeden Zusammenhang mit seinem Buch ablehnte. Die technisch minderwertigen Filmkopien wurden von den Kinobesitzern häufig eigenhändig geschnitten und gekürzt. Dennoch waren die Kinosäle häufig gefüllt – der Film blieb aber sowohl in Österreich als auch in Berlin und New York (The City without Jews), wo der Film 1926 und 1928 premierte, deutlich hinter dem Erfolg des Buches zurück. Bei den Aufführungen kam es teilweise zu Krawallen: Nationalsozialisten warfen Stinkbomben in Kinosäle. In Linz wurde die Aufführung des Films sogar verboten.[4] Eine Hetzkampagne gegen Hugo Bettauer wurde zum Teil wegen dieses Films, zum Teil wegen anderer Aktivitäten Bettauers, eingeleitet. Im Frühjahr 1925 wurde er durch ein NSDAP-Mitglied ermordet. Sein Mörder Otto Rothstock wurde als Held gefeiert und trotz Verurteilung wegen Mordes bald darauf frei gelassen.
Im Jahr 1933 sorgte der Film ein letztes Mal für Aufsehen, als er im Amsterdamer Theater Carré als Zeichen gegen Hitlerdeutschland gezeigt wurde. Diese Kopie des Filmes ist vermutlich auch jene, die 1991 im Nederlands Filmmuseum entdeckt wurde. Der bereits Zersetzungserscheinungen aufweisende Nitrofilm wurde vom Bundesarchiv Koblenz „notkopiert“ und im Auftrag des Österreichischen Filmarchivs vom Grazer Unternehmen HS-ART Digital Service mit der bei Joanneum Research entwickelten Software „DIAMANT“ rekonstruiert und an verblichenen Stellen eingefärbt.[4]
Kritik
„Die Verfilmung folgt der Buchvorlage in weiten Teilen fast wörtlich, umso utopischer wirkt ihr versöhnlicher Schluss. Am Ende erfährt der überraschte Zuschauer, dass die gesamte dramatische Handlung sich nur im Traum und demnach nicht wirklich ereignet hat. Das kompromissdiktierte Leinwand-Happy-End negiert nicht nur den Sinn von Bettauers Buch, sondern auch den sehr realen historischen Antisemitismus, der darin reflektiert wird. Stattdessen wird eine nicht unbedenkliche und keinesfalls traumhafte Realität dokumentiert. [...] Diese, von der literarischen Vorlage völlig abweichende, überraschende Wendung, die das Geschehen als Traumhandlung simplifiziert, kann nicht nur als einfaches dramaturgisches Hilfsmittel angesehen werden, sondern als Musterbeispiel von Verdrängungskunst der österreichischen Seele. Der naive und vielleicht grobe Versuch aus dem Jahre 1924 kann als Generalprobe für das gelesen werden, was nach dem Zweiten Weltkrieg im Land ohne Eigenschaften praktiziert wurde.“
– Thomas Ballhausen, Günter Krenn (2006)[1]
Einzelnachweise
- ↑ a b Thomas Ballhausen, Günter Krenn: (Alb)Traumhaft: Die Stadt ohne Juden. In: Medienimpulse, Heft Nr. 57, September 2006, S. 35 - 39 (digitalisiert, abgerufen am 19. Januar 2008)
- ↑ Kivur, Nr. 1346, o.J., o.S.
- ↑ Die Filmwelt, 1924, n. 14–15, S. 6–7
- ↑ a b Heimo Halbrainer auf www.korso.at – Informationsmagazin für die Steiermark, Juli 2001 (Seite abgerufen am 19. Januar 2008)
Literatur
- Walter Fritz und Josef Schuchnig (Hrsg.): Die Stadt ohne Juden. Materialien zum Film. Österreichisches Filmarchiv, Wien 1991, (Schriftenreihe des Österreichischen Filmarchivs; Folge 26).
- Guntram Geser und Armin Loacker (Hrsg.): Die Stadt ohne Juden. Filmarchiv Austria, Wien 2000. (Reihe Edition Film und Text. 3.) ISBN 3-901932-08-9.
Weblinks
- Die Stadt ohne Juden bei Filmportal.de
- Die Stadt ohne Juden in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Rezension von Guntram Geser und Armin Loacker (Hrsg.): Die Stadt ohne Juden. Filmarchiv Austria, Wien 2000.
- gutenberg.spiegel.de – digitalisierter Roman
Wikimedia Foundation.