- Flottenbefehl vom 24. Oktober 1918
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Mit dem Flottenbefehl vom 24. Oktober 1918 beabsichtigte die deutsche Marineführung kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges eine Entscheidungsschlacht mit der britischen Grand Fleet im Ärmelkanal. Nach dem Befehl, das Auslaufen der Hochseeflotte vorzubereiten, brachen zunächst vereinzelte Meutereien, später dann ein weitreichender Matrosenaufstand aus. Der Aufstand war Ausgangspunkt der Novemberrevolution, die zur Ausrufung der Republik führte. Schon nach den ersten Meutereien wurden die Schlachtpläne fallengelassen.
Ausgangspunkt des Befehls war der Notenwechsel der neuen deutschen Regierung unter Max von Baden mit Präsident Woodrow Wilson mit der Bitte um Vermittlung eines Waffenstillstands. Die Einstellung des U-Boot-Krieges am 20. Oktober war eine der Bedingungen Wilsons, um die Vermittlung mit Frankreich zu beginnen. Durch die Einstellung des gegen Handelsschiffe gerichteten U-Boot-Krieges wurden jedoch sowohl die U-Boote als auch die großen Schiffe, die bisher Eskortaufgaben übernommen hatten, frei für neue Unternehmungen.
Die U-Boote wurden dann vor den britischen Stützpunkten stationiert und bis zum 24. Oktober wurde ein Plan ausgearbeitet, eine Entscheidungsschlacht gegen die Royal Navy im Ärmelkanal zu suchen. Da die Grand Fleet ihre Stützpunkte in Schottland hatte, hätte sie einen zweitägigen Anmarschweg, der durch die U-Boote, Luftschiffe und Minensperren gefährdet wäre. Die Hochseeflotte sollte in einer schnellen nächtlichen Aktion unbemerkt gegen die flandrische Küste und die Themsemündung vorstoßen. Dort sollte dann eine Entscheidung gegen die vorher geschwächte Grand Fleet herbeigeführt werden.
Inhaltsverzeichnis
Einordnung in die politisch-militärische Situation Ende Oktober
Die sich rapide verschlechternde Situation an der Westfront sowie die Kapitulation Bulgariens führte am 29. September 1918 zu einem Nervenzusammenbruch Erich Ludendorffs. Er forderte sofortige Waffenstillstandsverhandlungen und fürchtete einen kompletten Zusammenbruch der Front innerhalb von Tagen. Durch die Regierungsumbildung am 29. September wurde die Regierungsgewalt vom Militär auf eine parlamentarische Regierung unter Max von Baden übertragen, die bei Wilson um Vermittlung eines Waffenstillstands auf Basis der 14 Punkte ersuchte. Aufgrund der 14 Punkte und der nachfolgenden Reden Wilsons erschien ein Friede auf Basis eines Rückzugs aus den besetzten Gebieten, sowie der Bestandswahrung des Friedens von Brest-Litowsk und vielleicht auch Elsass-Lothringens möglich. Während der folgenden drei Notenwechsel rückten die Alliierten in Belgien und Frankreich mit einer massiven Offensive rasch vor, zu einem Zusammenbruch der Front kam es aber nicht, obwohl die Anzahl der einsatzbereiten Divisionen rasch abnahm. Die Versenkung eines weiteren Passagierschiffes durch die deutschen U-Boote führten zur Forderung Wilsons, den U-Boot-Krieg umgehend einzustellen. Darüber hinaus stellte Wilson unter dem Druck des Kongresses und Frankreichs bis zur dritten Note am 21. Oktober folgende Forderungen:
- vollständige Entmachtung des Kaisers
- durch Abgabe von Kriegsgerät Verunmöglichung der Wiederaufnahme des Kriegs, auch
- Internierung der Hochseeflotte in England
- Übergabe Elass-Lothringens, des linken Rheinufers sowie dreier Brückenköpfe bei Köln, Koblenz und Mainz
- Aufhebung des Friedens von Brest-Litowsk.
Die Annahme dieser Bedingungen kam einer Kapitulation und einem Ende des Kaiserreiches gleich.
Im Gegensatz zu den Truppen an der Westfront war die Hochseeflotte scheinbar intakt und auch während der Verhandlungen ging der Krieg in ungeminderter Härte weiter. Nach den Waffenstillstandsbedingungen war die Flotte durch die drohende Internierung in England sowieso verloren. Die Flottenführung sah deshalb die geplante Entscheidungsschlacht als eine Chance, durch einen Sieg die Verhandlungsposition zu verbessern oder den Krieg über die Winterpause zu retten um im nächsten Jahr unter besseren Bedingungen verhandeln zu können. Der Alleingang der Marineführung wurde dadurch legitimiert, dass die Marineleitung noch aus der Zeit vor der Verfassungsreform Operationsfreiheit hatte. Auch nach der Parlamentarisierung war der Kaiser noch Oberbefehlshaber der Marine, und diese Befehlsgewalt war noch nicht aufgehoben. Der Befehl als solches wurde als „streng geheim“ eingestuft. Dadurch war er nur den Führungsoffizieren zugänglich und wurde auch gegenüber der parlamentarischen Regierung geheim gehalten.
Der Befehl wurde von den beiden Lagern – Matrosen (die sich als Verteidiger der Regierung sahen) und militärische Führung – konträr aufgefasst, weswegen die Meuterei die Keimzelle der Dolchstoßlegende bildete, da die Matrosen die ersten waren, die die Befehle verweigerten.
Zielsetzung des Militärs
Die Flottenführung sah militärische Erfolgsaussichten, da die Hochseeflotte als Angreifer die Initiative hätte und unweit der eigenen Stützpunkte operieren könnte. Die Briten hätten immer erst klären müssen, ob die gesichteten Schiffe freundlich oder feindlich wären. Ferner war die deutsche Flotte zu diesem Zeitpunkt durch verschiedene Schiffsneu- und -umbauten stärker als bei der Skagerrakschlacht von 1916. Die Britische Flotte war außerdem auf solch eine Aktion keinesfalls vorbereitet. In der Summe hätte dies der deutschen Flotte nach der Meinung der Militärs einen Vorteil verschafft, der die zahlenmäßige Unterlegenheit ausgeglichen hätte. Außerdem war Großbritannien auf seine Flotte unbedingt angewiesen, um die Seeblockade aufrechtzuerhalten und die eigenen Seewege zu schützen. Im Gegensatz dazu war Deutschland blockiert, und die Blockade wurde auch später mit dem Waffenstillstand nicht aufgehoben. Eine empfindliche britische Niederlage mit der Durchbrechung der Blockade, so die Kalkulation der Seekriegsleitung, hätte dem Reich wieder eine bessere Verhandlungsposition verschafft. Das damit verbundene hohe Risiko wurde in Kauf genommen, da für die Flottenführung auch eine ehrenvolle Niederlage besser als ein weiteres untätiges Verbleiben im Hafen und die kampflose Übergabe der Flotte angesehen wurde:
„Wenn auch nicht zu erwarten ist, dass hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so ist es doch aus moralischen Gesichtspunkten Ehren- und Existenzfrage der Marine, im letzten Kampf ihr Äußerstes getan zu haben.“
– Eintragung im Kriegstagebuch vom 25. Oktober 1918
Zielsetzung der Matrosen
Die kriegsmüden Matrosen beurteilten die bevorstehende Schlacht sowohl als sinnloses Opfer ihres eigenen Lebens als auch in der politischen Tragweite auf das Waffenstillstandsgesuch und damit das baldige Kriegsende. Die Grand Fleet war hoch überlegen und für die Rettung einer militärischen Ehre, die nur dem Offizierskorps zugänglich war, wollten die Matrosen nicht sterben. Andererseits sahen sie sich auch als Verteidiger der parlamentarischen Regierung und wollten verhindern, dass die Militärführung die Erfolgsaussichten des von der Regierung vorgebrachten Waffenstillstandsgesuchs durch übereiltes Handeln gefährdet. Die Hoffnung auf einen Sieg war nach dem Scheitern der Offensiven vom Frühjahr 1918 dahin und der moralische Zusammenbruch der Landstreitkräfte hatte auch auf die Matrosen übergegriffen. Spätestens nach dem offiziellen Eingeständnis der Niederlage durch die Aufnahme von Verhandlungen wollten die Matrosen den greifbar nahen Frieden um jeden Preis, auch wenn dies das Ende des Kaiserreichs, die Besetzung des Rheinufers durch Frankreich und die Aufgabe Elsass-Lothringens und der Gewinne in Osteuropa bedeutete. Diese revolutionäre Zielsetzung äußerte sich im weiteren Verlauf der Novemberrevolution in einer Kooperation mit der bisherigen zivilen Administration und einer Beseitigung der Militärkommandanturen.
Literatur
- Sebastian Haffner: Die Deutsche Revolution 1918/19. Rowohlt Verlag, Reinbek 1979, ISBN 3-499-61622-X.
- Friedrich Ruge: Scapa Flow 1919, Gerhard Stalling Verlag, 1969
- David Stephenson: Der erste Weltkrieg 1914 - 1918, Artemis & Winkler 2006, ISBN 3-538-072140
Kategorien:- Kaiserliche Marine
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