- Geschichte der Pädiatrie
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Die Geschichte der Kinder- und Jugendheilkunde befasst sich mit der historischen Entwicklung des wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und medizinischen Umgangs mit Kindererkrankungen sowie der historischen Aufarbeitung des Wissens über die normale Entwicklung des Kindes.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Schon aus der Steinzeit sind typische Erkrankungen des Kindesalters wie die Rachitis oder der „Wasserkopf“ (Hydrocephalus) überliefert. Letzterer wurde schon mit einer Eröffnung der Schädeldecke (Trepanation) behandelt, wobei unklar ist, wie hoch der Anteil des Aberglaubens bei diesen Eingriffen war. Etwa in dieser Zeit begannen Menschen, Haustiere zu halten und ermöglichten auf diese Weise die Säuglingsernährung mit Tiermilch.
Altertum
Aus den meisten Hochkulturen des Altertums sind nur wenige Mitteilungen über kinderheilkundliche Maßnahmen erhalten. Zumeist handelt es sich um Zeugnisse des Einflusses der Magie und des Dämonenglaubens auf die Medizin der damaligen Zeit. Aus dem alten Ägypten ist das Interesse an der Säuglingspflege durch viele Skulpturen belegt. Im Papyrus Ebers sind auch einige Heilmittel gegen verschiedene Störungen beschrieben. In brahmanischen Schriften aus dem Indien etwa ab 500 v. Chr. werden Maßnahmen zur Pflege des Neugeborenen schon sehr detailliert beschrieben. Ein Arzt untersuchte die Neugeborenen hinsichtlich ihrer Lebensfähigkeit. Dies ist vermutlich der erste geschichtliche Hinweis auf eine perinatologische Untersuchung. Unter den Kinderkrankheiten wurden unter anderen Schwindel, Migräne, Epilepsie, Wundstarrkrampf, Pocken, Cholera, Malaria, verschiedene Hautkrankheiten und Darmparasiten schon in den medizinischen Schriften erwähnt. Selbst verschiedene chirurgische Eingriffe bei Kindern werden dem legendären Arzt Jiwaka, der als der erste „Kinderarzt“ gelten kann, schon zugeschrieben. Aus dem antiken Griechenland sind von Hippokrates fast 200 kinderheilkundliche Bemerkungen überliefert. Es finden sich schon sehr exakte Beschreibungen über Fieberkrämpfe, Epilepsie (Über die heilige Krankheit) oder Mumps einschließlich einer Beschreibung der Hodenentzündung als Komplikation bei Erwachsenen. Aristoteles machte die Beobachtung, dass „die meisten Säuglinge vor ihrem siebten Lebenstag sterben“. Soranus von Ephesus (98–117) hat zwar sein Hauptwerk über Gynäkologie verfasst. Dieses enthält jedoch 23 Kapitel über Hygiene der Neugeborenen, Säuglingsernährung, Abstillen, einige Säuglingskrankheiten und andere pädiatrische Themen. Somit kann man ihn als Vater der Kinderheilkunde ansehen.
Mittelalter
Vor allem der persische Arzt Rhazes (865–923) widmete in seinen medizinischen Abhandlungen mehrere Kapitel der Kinderheilkunde. Mit der Übersetzung in die lateinische Sprache erreichten seine Erkenntnisse auch den Westen Europas. Als Hauptthemen sind hierin Erkrankungen der Kopfhaut, Wasserkopf, Niesen, Schlafstörungen, Epilepsie, Ohrenschmerzen, Schielen, Zahnschmerzen, Mundfäule, Erbrechen, Husten, Durchfall, Verstopfung, Wurmerkrankungen, Brüche, Blasensteine und Lähmungen behandelt. Auch finden sich differenzierte Beschreibungen von Masern und Pocken. Avicenna (980–1037), ein weiterer bedeutender Arzt des Mittelalters, schrieb wiederum über Neugeborenenpflege, Säuglingsernährung und verschiedene Erkrankungen im Kleinkindesalter, so beispielsweise Schnupfen, Harnzwang, Analprolaps und Intertrigo. Mit dem zunehmenden christlichen Einfluss in Byzanz und Europa entstanden auch Anstrengungen, der Aussetzung von Kindern entgegenzuwirken. Nachdem Findelkinder zunächst in die Kirche gebracht wurden, entstand vermutlich 787 in Mailand die erste Einrichtung für Findelkinder, in der Schwangere, die ihre Kinder aussetzen wollten, schon vor der Niederkunft unterkamen. Die Kinder wurden dort dann bis zum Alter von sieben Jahren aufgezogen.
Renaissance
Die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg markiert neben dem Untergang des Oströmischen Reiches den Beginn der Renaissance. Gleichzeitig ermöglichte er das Erscheinen zahlreicher medizinischer Bücher, darunter auch erstmals solcher, die ganz oder zu wesentlichen Teilen der Kinderheilkunde gewidmet waren. 1473 erschien die erste umgangssprachliche Abhandlung über Kinderheilkunde: Ein Regiment der Jungen Kinder von Bartholomeus Metlinger. Hierin wird die Kinderheilkunde in die beiden Zeitabschnitte des frühesten Alters bis zum Erlernen des Gehens und Sprechens sowie die Kindheit bis zum siebten Jahr eingeteilt. Spätere Werke sind zwar teilweise schon umfangreicher, aber nur wenige zitieren neben den Quellen der klassischen Gelehrten (Galen, Avicenna, Rhazes) auch unbekanntere Autoren aus dem Mittelalter. Im 16. Jahrhundert veröffentlichte der italienische Professor Hieronymus Mercurialis mit De Morbis Puerorum Tractatus das vermutlich bekannteste und eigenständigste pädiatrische Lehrbuch der Epoche, in dem sich unter anderem auch interessante Kenntnisse über Sprachstörungen finden. Später erschien vom gleichen Autor auch noch ein kleinerer Band über die Hygiene und Erziehung von Säuglingen. Der Deutsche Hieronymus Reusner beschrieb 1582 erstmals Fälle von Rachitis. In der ersten französischen Abhandlung über Kinderheilkunde von Simon de Vallambert (Poitiers, 1565) ist mit dem Kapitel Über Purpurfieber möglicherweise die erste Beschreibung des Scharlach enthalten.
Übergang von der Renaissance zu Moderne: das 17. und 18. Jahrhundert
Das 17. Jahrhundert läutet mit der Entdeckung des Blutkreislaufs und der Erfindung des Mikroskops das Zeitalter von Physiologie und Embryologie ein. Die Betrachtungen der Ärzte gingen nun über eine reine Symptombeschreibung hinaus. Mehr und mehr wurden eigenständige Krankheitsbilder voneinander abgegrenzt. Dies gilt insbesondere für die heute noch Kinderkrankheiten genannten ansteckenden Erkrankungen. Für die Diphtherie wurde nicht nur die einheitliche Entstehung der verschiedenen Symptome erkannt und beschrieben sondern mit dem Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) auch eine Behandlungsmöglichkeit entwickelt. Scharlach, Röteln und Windpocken wurden erstmals als Krankheitseinheiten von anderen Krankheitsbildern abgegrenzt. Unter den nichtinfektiösen Erkrankungen, die für das Kindesalter typisch waren, wurden unter anderem die Rachitis und die Pylorusstenose beim Säugling klinisch erkannt. Mit der Entwicklung der Pockenimpfung – zunächst noch von Arm zu Arm – durch Edward Jenner im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde schließlich auch der Grundstein für eine vorbeugende Medizin gelegt, von der insbesondere Kinder profitieren sollten. Trotz all dieser Errungenschaften lag die Sterblichkeit bei Kindern unter zwei Jahren mit etwa 40 % unverändert sehr hoch.
Die Moderne: das 19. und 20. Jahrhundert
Nachdem in den vorausgegangenen Epochen Kinder gemeinsam mit Erwachsenen in den gleichen Räumen untergebracht wurden, erkannte man im ausgehenden 18. und mit Beginn des 19. Jahrhunderts, dass Kinder nicht einfach kleine Erwachsene sind und eigene Krankheiten haben bzw. auf Krankheiten anders reagieren. Zunehmend wurden Stationen für Kinder eingerichtet, Kinderhospize und –spitäler öffneten ihre Pforten. Dies war augenscheinlich ein Fortschritt, jedoch ergaben sich aus der ungehinderten Ausbreitung von Infektionen in den dreißig bis vierzig Betten fassenden Gemeinschaftssälen und der Trennung der Kinder von der gewohnten Umgebung neue Missstände. Die Einbindung hygienischer Überlegungen in den klinischen Alltag war noch um die Jahrhundertwende nicht überall eine Selbstverständlichkeit.
Aus der inneren Medizin heraus entwickelte sich, zunächst unter starken Widerständen von Seiten der etablierten Medizin, die Pädiatrie als eigenes Fach. 1895 wurde schließlich in der Person von Otto Heubner, des Leiters der Kinderklinik der Charité, der erste ordentliche Professor für Kinderheilkunde berufen. Damit war das Fach in Deutschland auch akademisch etabliert.Heubners Nachfolger Adalbert Czerny gründete die dortige internationale Pädiatrieschule.
Erst die Entdeckung der antibiotischen Therapie und die Entwicklung von weiteren Impfungen führte zu einem erheblichen Aufschwung. Die Einführung pasteurisierter Milch und Fortschritte in der Diätetik drängten Ernährungsstörungen in den Hintergrund. Verbesserte Überwachung der Schwangeren und Gebärenden sowie die verstärkte Sorge um die Neugeborenen konnte die Kindersterblichkeit zumindest in den entwickelten Ländern weiter erheblich senken.
Literatur
- Samuel Kotek: Geschichte der Kinderheilkunde von ihren Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In: Illustrierte Geschichte der Medizin, 1986; 4899-4954.
- N. Neimann und M. Pierson: Geschichte der Kinderheilkunde im 19. und 20. Jahrhundert. In: Illustrierte Geschichte der Medizin. 1986; 4955-4991.
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