- Geschichte der Pädagogik
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Die Geschichte der Pädagogik ist eine historische Betrachtung von unterschiedlichen Erziehungsansätzen, die in ihrer jeweiligen Situation beleuchtet werden sollten.
Forschungsansätze
Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze, diese Geschichte zu vollziehen:
- Universalistischer Ansatz: Dieser versucht die verschiedenen Strömungen der Pädagogik weltweit also interkulturell nachzuzeichnen. (Dies ist allerdings ein enormes Unterfangen.)
- Partikularistischer Ansatz: Dieser versucht die Darstellung der Entwicklungen in einer begrenzten Region oder auch einer Teildisziplin (z. B. die interkulturelle Erziehung in Deutschland oder Reformpädagogik in Frankreich).
- Kritischer Ansatz: Dieser beleuchtet insbesondere die sozio-ökonomischen Bedingungen von Erziehung und ihren Reproduktionscharakter in historischer reflexiver Sicht.
- Ideengeschichtlicher Ansatz: Dieser versucht die Entwicklung der Idee bzw. des Grundgedankens von Erziehung und Bildung in der Geschichte menschlichen Denkens nach zu erzählen. Diesen Ansatz verfolgt W. Böhm in seiner Geschichte der Pädagogik. Er knüpft dabei an die Arbeit von u.a. Arthur O. Lovejoy an.
Antike
Siehe auch: Paideia
Traditionell hatte Erziehung die Aufgabe, bestimmte soziale Einstellungen an die kommenden Generationen weiterzugeben. Dabei ging es insbesondere darum, Religion und Traditionen zu vermitteln sowie die Fähigkeiten, die jemand für eine bestimmte Position in der Gesellschaft benötigte. Da nicht alle Personen einer Gesellschaft Zugang zu allem Wissen erhielten, sondern bestimmte Informationen (Lesen, Schreiben, Rhetorik...) auf die Führungselite (Könige, Priester etc.) beschränkt blieben, kann man hier von "Herrschaftswissen" sprechen. Erziehung fand weitgehend in den Familien oder auch Nachbarschaftsgemeinschaften statt. In der Antike forderten die griechischen Philosophen eine umfassende Bildung für die „freien Bürger“, und legten eine Grundlage für die öffentliche Erziehung. Griechische Lehrer beeinflussten auch die Pädagogik im antiken Rom maßgeblich.
Mit der Ausbreitung des Christentums wurde die öffentliche Erziehung vor allem an die Kirche angebunden. In den Dom- und Klosterschulen wurden neben dem antiken Fächerkanon der „sieben freien Künste“ vor allem der christliche Glaube an die Mitglieder des Klerus vermittelt. Gleichzeitig entstanden mit dem Vordringen des Islams universellere Bildungsideale, die auch Sprach- und Naturwissenschaften mit einschlossen und deren Zentrum in Europa die Universität von Córdoba war.
Mittelalter und Renaissance
Mit dem Mittelalter wurden die Bildungsaktivitäten der christlichen Kirche noch verstärkt. In der Scholastik wurde der Versuch unternommen, die Pädagogik von Aristoteles und das Christentum zu verknüpfen. Im 12. Jahrhundert kam es zu einem Aufblühen der Bildung in Europa, deren Zentrum häufig die Klöster waren; es wurden aber auch bis heute bekannte Universitäten (in Paris, Oxford und Bologna) gegründet. Diese Bildung blieb allerdings dem Adel und dem Klerus vorbehalten – die Berufsausbildung für die übrige nicht-bäuerliche Bevölkerung war derweil Aufgabe der Zünfte.
In der Renaissance veränderte sich die Situation: Nun wurde vor allem ein umfassenderes Studium der Antike angestrebt. Es war der Anfang der humanistischen Bildungsideale, die über die Vermittlung von christlicher Demut ein neues, forschendes Lernen anstrebten. Dieses wurde besonders von der Erkundung und Unterwerfung von immer größeren Teilen des Globus befördert. Neben den kirchlichen Schulen entstanden „Bürgerschulen“, in denen die Schüler aus dem Bürgertum die für den Handel notwendigen Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen erwerben konnten. Für die breiten Schichten des Volkes blieben allerdings nur sogenannte „Klipp“- oder „Winkelschulen“, die von der Obrigkeit verfolgt wurden.
Neuzeit
Mit der Reformation kam es zu einem Niedergang des katholischen Bildungswesens in den 1520er Jahren. Danach verstärkten sowohl die katholische als auch die evangelischen Kirchen ihre pädagogischen Anstrengungen; so gründete der Jesuitenorden ab 1540 in ganz Europa Schulen. Die protestantischen Schulen dienten vor allem auch der Verbreitung der dazugehörigen Ideologie, die später als protestantische Arbeitsethik bekannt wurde: Askese und Arbeit erscheinen als die Daseinsberechtigung und Voraussetzung für den Einzug ins Himmelreich; Rausch und Genuss werden dagegen abgelehnt. Dieser Ansatz wurde auch in der Sozialfürsorge angewendet. Waren Almosen bislang ein Teil christlicher Nächstenliebe, wurde nun von den Armen selbst ein Beitrag verlangt. Arbeitshäuser und andere Zwangseinrichtungen wurden zunehmend zu ihrer Bekämpfung eingerichtet.
Im Dreißigjährigen Krieg wurden große Teile Mitteleuropas entvölkert und das Bildungswesen kam weitgehend zum Erliegen. Geprägt von dem Gemetzel entstand um 1632 die erste große pädagogische Abhandlung: Jan Amos Komenský (Johannes Comenius)': Didactica Magna, in der er eine Allgemeinbildung für alle Menschen forderte. Neben der Förderung der Muttersprache sollte Pädagogik für ihn auf eine gerechte Gesellschaft hinarbeiten, in der Menschen unabhängig von Geschlecht oder Herkunft die gleichen Rechte haben. Sein Ziel war es, „allen alles zu lehren“. Die sich aus diesem Ideal ableitende Schulpflicht wurde in den kommenden hundert Jahren in den meisten deutschen Teilstaaten eingeführt, allerdings keineswegs im Sinne von Comenius: Sie diente vor allem dazu, die Bevölkerung im Sinne der absolutistischen Herrscher zu indoktrinieren. Im 18. Jahrhundert gingen die Staaten von den Leibes- und Lebensstrafen zu ökonomisch und erzieherisch begründeten Arbeitstrafen über. Es entstanden nun vermehrt Arbeits-, Zucht-, Waisen- und Spinnhäuser. Deren Insassen gehörten vor allem den marginalisierten unter- und außerständischen Bevölkerungsgruppen, der migrierenden und ortsfesten Armut an. Die dort zu leistende Manufakturarbeit, für die freiwillig kaum jemand zu gewinnen war, war verbunden mit religiöser Belehrung. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen dort waren ein Hohn auf den moralischen wie auf den aufklärerischen Anspruch. Viele der Internierten überlebten sie nicht.
Zeitalter der Aufklärung
Währenddessen entwickelten sich in anderen Teilen Europas Wissenschaft und Technik rasant und damit kamen neue aufklärerische Bildungsideen auf. John Locke formulierte den Gedanken der tabula rasa, nach dem die Menschen bei Geburt wie ein leeres Blatt seien, das erst durch die Erziehung beschrieben würde. Damit formulierte er einen Grundgedanken der bürgerlichen Pädagogik, in welcher der Erziehung alles möglich erscheint – zugleich sind diejenigen, die von der Erziehung betroffen sind, ein Nichts. Diese Ideologie findet sich auch in dem Erziehungsroman Émile oder über die Erziehung von Jean-Jacques Rousseau; in Deutschland wurde sie unter anderem vom Philanthropen Christian Gotthilf Salzmann und in der Schweiz von Johann Heinrich Pestalozzi vertreten. Kindheit wurde damit erstmals in Europa als ein eigenständiger Lebensabschnitt wahrgenommen, zuvor wurden hier Kinder als „kleine Erwachsene“ betrachtet.
Im Jahr 1779 wurde der erste deutsche Lehrstuhl für Pädagogik eingerichtet und durch Ernst Christian Trapp an der Universität Halle eingenommen. Die Pädagogik war davor ein Teilgebiet der Theologie und galt von nun an als eigenständiges Universitätsfach.
Mit der Aufklärung kamen auch Gedanken der Toleranz und Gleichberechtigung von Minderheiten auf. Besonders die jüdischen Ansätze der Haskala bereiteten ab 1760 die Emanzipation vor, in einigen „Freischulen“ wurde auch eine gemeinsame Beschulung jüdischer und christlicher Schüler praktiziert - die "Jüdische Freischule" wurde 1778 in Berlin von David Friedländer gegründet. Die kurzzeitige Gleichstellung der Juden in Deutschland in Folge der französischen Besatzung wurde allerdings mit dem Wiener Kongress 1815 rückgängig gemacht.
Bildungssysteme der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland
Mit humanistischen Idealen plante Wilhelm von Humboldt um 1810 die Neugestaltung des deutschen Bildungssystems. Dabei konnte er sich mit der Reform der Universitäten und der Schaffung von humanistischen Gymnasien durchsetzen. Allerdings war er von der Umsetzung des dreigliedrigen Schulwesen enttäuscht, da es seinen Idealen einer aufklärerischen Erziehung widersprach und in erster Linie der Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse diente: Die Gymnasien blieben den Kindern der herrschenden Klassen vorbehalten, die Realschulen vor allem den Handwerkern, die Haupt- und die Volksschule den Arbeitern, Bauern und den Armen.
Mit der Kolonisierung übertrugen europäische Staaten ihre Bildungssysteme auf andere Teile der Welt, wobei auch hier die Schulen dazu dienten, die herrschenden Verhältnisse aufrechtzuerhalten. So dienten die deutschen Missions- und Kolonialschulen vor allem der Christianisierung sowie der Abrichtung von loyalen Untertanen. Die Bildungsinhalte waren in der Regel neben religiösen Themen vor allem auf die für die Arbeit notwendigen Kenntnisse beschränkt. Eine ähnliche Bildungspolitik verfolgte auch die deutsche Verwaltung in den besetzten polnischen Gebieten bis 1918. Gegen die Versuche, diese Gebiete auch durch Sprachpolitik zu „germanisieren“, gab es teilweise heftige Widerstände.
Jugendbewegung und Reformpädagogik
Bis ins 20. Jahrhundert waren die meisten pädagogischen Ansätze auf eine gewaltsame Unterwerfung der Kinder ausgerichtet, die heutzutage als Kindesmisshandlung zu werten ist. Gegen die Entfremdung im Bildungssystem forderte die Reformpädagogik zu Ende des 19. Jahrhunderts eine „Erziehung vom Kinde“ aus. Dazu griff sie auf Bildungsideale der Aufklärung zurück, die sie mit einer romantischen Lebensreformideologie verband. Gleichzeitig entstand die Jugendbewegung: Jugend erschien erstmals als ein eigenständiger Lebensabschnitt; in Abgrenzung zur immer umfassenderen Industrialisierung versuchten Jugendliche, auf Fahrten ihre Sehnsucht nach Freiheit und Natur zu verwirklichen. Neben Ansätzen einer demokratischen Erziehung kamen auch völkische und antisemitische Strömungen auf.
In der Weimarer Republik bekamen erstmals Reformpädagogen wie Gustav Wyneken die Möglichkeit, Bildungspolitik zu gestalten. Nach der Verfassung sollten „Anlage und Neigung“ und nicht die soziale Herkunft über die Bildung entscheiden. Gleichzeitig wurden weitgehende Schritte zu einer demokratischen Erziehung gefordert. Die Schülerselbstverwaltung war z. B. an der Hamburger Versuchsschule in der Telemannstraße das oberste Ziel des Kollegiums. Die Trennung der Schüler nach ihrer Klassenzugehörigkeit wurde für die Zeit der gemeinsamen Grundschule aufgehoben, um damit die Chancen zum sozialen Aufstieg zu verbessern. In dieser Zeit wurde im Völkerbund auch erstmals über universelle Kinderrechte diskutiert.
Nationalsozialismus
Siehe Hauptartikel: Erziehung im Nationalsozialismus
Alle Versuche einer Demokratisierung wurden im nationalsozialistischen Deutschland zunichte gemacht. Die Erziehung im Nationalsozialismus war geprägt von einem Totalitätsanspruch der Führung gegenüber allen Menschen. So versuchten die Nationalsozialisten durch den Ausschluss oppositioneller Lehrer, die Vorgabe von Unterrichtsinhalten, der Bildung neuer Schultypen sowie die Erfassung der Jugend in der Hitler-Jugend und dem Bund Deutscher Mädel ihre nationalistisch-rassistische Propaganda möglichst effizient zu verbreiten. Zugleich war die Diskriminierung und Verfolgung von Juden sowie der Sinti und Roma in den Schulen besonders deutlich nachzuvollziehen.
Re-Education
Siehe auch: Reeducation
Mit der Befreiung Europas vom Faschismus tat sich für die Alliierten die Frage auf, wie sie mit der indoktrinierten deutschen Bevölkerung umgehen sollen. Neben der Aufhebung der NS-Erziehungsansätze und einer Aufklärung über die Verbrechen des Holocausts versuchten sie vor allem über die Neugestaltung des Unterrichts eine Demokratisierung einzuleiten. Während in den westlichen Zonen die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems misslang, dem die Alliierten eine Mitschuld zuwiesen, und das Schulsystem der Weimarer Republik weitgehend wiederhergestellt wird - allerdings ohne an die Traditionen der Reformpädagogik anzuknüpfen -, war die Umgestaltung im sowjetischen Sektor grundlegender: In der DDR sollte ein Modell marxistisch-leninistischer Erziehung die bisherigen Ungerechtigkeiten überwinden.
Bundesrepublik Deutschland
Siehe auch: Entwicklung der Bildungsbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland
Der Restauration der Schule folgte in der BRD eine allmähliche Annäherung an die westlichen Staaten. Unter anderem der Sputnikschock 1957 brachte hier die Notwendigkeit der Reform der Bildungssysteme auf die Tagesordnung. In der Bundesrepublik wurde dies erneut durch Georg Pichts Artikelserie „Die deutsche Bildungskatastrophe“ in der Zeitschrift"Christ und Welt vom Februar 1964 deutlich gemacht. Die Versuche, durch eine Bildungsreform Chancengleichheit herzustellen, kamen nach einigen Erfolgen in den 1970er Jahren wie der Einführung von Gesamtschulen - die von Anfang an stark bekämpft wurden - allerdings bereits in den 1970er Jahren ins Stocken. Die verstärkte Förderung von Kindern aus bislang benachteiligten Bevölkerungsteilen führte zum Bildungsparadox, denn die „Inflation der Bildungsabschlüsse“ und die steigende Arbeitslosigkeit führten dazu, dass die bis dato bestehenden Ungleichheiten weiter erhalten blieben. Zu diesem Urteil kam auch die PISA-Studie von 2000, die erneut die Forderung nach Reformen des Bildungssystems laut werden ließ.
Nach 1945 entstanden verschiedene neuartige Ideen, Theorien und Bewegungen, von denen auf jeden Fall die antiautoritäre Erziehung (1968er), die Antipädagogik (1970er) und die Demokratische Erziehung (aktuell) zu nennen sind. Vor dieser Zeit war die streng Autoritäre Erziehung im Vordergrund.
Deutsche Demokratische Republik
Siehe auch: Bildungssystem der DDR
Siehe auch
Literatur
Einführungen und Handbücher
- Historisches Wörterbuch der Pädagogik, hrsg. von Dietrich Benner und Jürgen Oelkers, Darmstadt: Wiss. Buchges., 2004
- Herwig Blankertz: Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Wetzlar: Büchse der Pandora 1982 ISBN 3-88178-055-6
- Winfried Böhm: Geschichte der Pädagogik. München 2004, ISBN 3-406-50853-7.
- Johannes Christes, Richard Klein, Christoph Lüth, Handbuch der Bildung und Erziehung in der Antike, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006
- Ludwig von Friedeburg, Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, Taschenbuchausgabe 2002, ISBN 3-518-28615-3
- K. Harney, H. H. Krüger [Hrsg.]: Einführung in die Geschichte von Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit, 2. Auflage. Leske + Budrich, Opladen 1997, ISBN 3-8252-8109-4.
- H. J. Heydorn, G. Koneffke: Studien zur Sozialgeschichte und Philosophie der Bildung, Band I, zur Pädagogik der Aufklärung. Paul List, München 1973, ISBN 3-471-61666-7.
- A. Reble: Geschichte der Pädagogik. 17. Auflage. Klett-Cotta, Stuttgart 1993, ISBN 3-608-93011-6.
Periodika
Wikisource: Zeitschriften/Pädagogik – Quellen und Volltexte- Annali di storia dell'educazione e delle istituzioni scolastiche
- Histoire de l'education
- History of education: the journal of the History of Education Society
- Jahrbuch für historische Bildungsforschung
- Paedagogica Historica
- Zeitschrift für pädagogische Historiographie
Weblinks
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