Hagestolz

Hagestolz
Carl Spitzweg: Der Hagestolz

Ein Hagestolz ist ein älterer Junggeselle. In der Umgangssprache wird der Begriff darüber hinaus in der Bedeutung Junggeselle aus Überzeugung oder Sonderling – ein Mann, der die Ehe verabscheut – gebraucht (siehe dazu auch Misogamist).

Inhaltsverzeichnis

Etymologie und Begriffsgeschichte

Zu dieser umgangssprachlichen, von der ursprünglichen Bedeutung abweichenden Verwendung verführt das Grundwort stolz, das jedoch nichts mit Stolz im Sinne von Hochmut zu tun hat, sondern eine sprachliche Abschleifung des mittelhochdeutschen stalt ist. Dabei handelt es sich um die mittelhochdeutsche Vergangenheitsform des Verbs stellen, stalt, gestalt (vergleiche die Begriffe Anstalt und Gestalt).

Das Bestimmungswort hag bezeichnet ursprünglich einen kleinen, durch eine Hecke umfriedeten und abgetrennten Bereich auf einem Grundstück, sekundär eine Hecke, ein Gebüsch oder auch einen Hain.

Hagestolz – sehr selten auch in der weiblichen Form Hagestolzin oder Hagestolze  – weist in seiner Bedeutung tief in das altgermanische Rechtsverständnis zurück; eine Entsprechung findet sich beispielsweise in dem altnordischen Begriff hagustalda.

Die ursprüngliche Bedeutung liegt im Dunkeln: Die moderne Forschung geht davon aus, dass es wohl nicht Hörige oder Tagelöhner, sondern die beim Erbe leer ausgegangenen jüngeren Brüder – in sehr seltenen Fällen auch die Schwestern – eines freien Hoferben waren: Nach dem sehr rigoros gehandhabten Erstgeburtsrecht in weiten Teilen des heutigen Deutschlands waren diese Personen nicht mehr als die Dienstleute ihrer Brüder.

Demnach bezeichnet hagestalt ein kleines, in einem entfernten Winkel eines Grundbesitzes erbautes und mit einer Hecke umfriedetes Anwesen, meist eine Hütte, das der Bewohner vom Hoferben zur Verfügung gestellt bekam. Dieses Gehege war so bescheiden, dass der Inhaber in der Regel keine eigene Familie gründen konnte. Noch bis in die Neuzeit hieß eine solche Junggesellen-Wohnstatt auf einem Gutsbetrieb im Paderborner Land Hagestelle.

Später übertrug sich das Wort auf den Besitzer eines solchen Anwesens und wurde seit dem Hochmittelalter für einen unverheirateten Mann allgemein, noch später speziell für einen Junggesellen jenseits der 50 benutzt.

Das Hagestolzenrecht

Seit dem Ende des Mittelalters galt in einigen Teilen Deutschlands – zum Beispiel in der Oberpfalz und im Odenwald, in Braunschweig und Hannover – das sogenannte Hagestolzenrecht: Wenn ein Eigenmann (Höriger im weitesten Sinne), später auch ein freier Mann, bis zu einem bestimmten Alter ledig blieb, fiel sein Besitz bzw. das, was er erwirtschaftet hatte, nach seinem Tod automatisch an den Leib- oder Grundherrn respektive an den Landes- oder Stadtherrn. Meistens lag die Altersgrenze bei 50, im Odenwald sogar schon bei 25 Jahren. Noch das Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1791 kannte ein Hagestolzenrecht zu Gunsten der Armenkasse. Erst im Allgemeinen Landrecht von 1794 wurde es beseitigt; regional hat es sich noch bis ins 19. Jahrhundert halten können.

Zitat

„Ein alter Hagestolz, alle Gebrechen seines Standes in sich tragend, geizig, eitel, den Jüngling spielend, verliebt, geckenhaft!“

E. T. A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder

„Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen, das hat noch keinem wohlgetan.“

Goethe: Faust I, 3092f.

„Das ist der Vorteil von uns verrufnen hagestolzen Leuten, dass wir, was andre knapp und kummervoll, mit Weib und Kindern täglich teilen müssen, mit einem Freunde, zur gelegnen Stunde, vollauf genießen.“

Heinrich von Kleist: Adam in "Der zerbrochene Krug", Zehnter Auftritt (Adam, Walter, einige Mägde).

Literatur

  • Walter Stoll: Das Hagestolzenrecht: Ein Beitr. zur Geschichte d. Testierfreiheit. Dissertation, Kiel 1970.
  • Jürgen Storost: Entschieden ist also wol noch nichts. Eine wissenschaftlich-historische Betrachtung zur Etymologie von Hagestolz. In: Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft. Nr. 5, 1995, S. 253–268.
  • Katrin Baumgarten: Hagestolz und Alte Jungfer. Entwicklung, Instrumentalisierung und Fortleben von Klischees und Stereotypen über Unverheiratetgebliebene. Dissertation Waxmann, Münster 1997, ISBN 3-89325-514-1.
  • Peter Borscheid: Von Jungfern, Hagestolzen und Singles. Die historische Entwicklung des Alleinlebens. In: Sylvia Gräbe (Hrsg.): Lebensform Einpersonenhaushalt. Herausforderungen an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Campus-Verlag, Frankfurt / New York 1994, ISBN 3-593-35203-6, S. 23–54.
  • Julius Wolff: Das Recht der Hagestolze: Eine mittelalterliche Heiratsgeschichte aus dem Neckartal. 1888.
  • Wilhelm von Brünneck: Zur Geschichte des Hagestolzwesens. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für deutsche Rechtsgeschichte, Germ. Abt.. 22, S. 1 ([1]).

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