Haidingerbüschel

Haidingerbüschel
Darstellung des Haidinger-Büschels (Skizze nach M. Minnaert)

Das 1844 von seinem Entdecker Wilhelm Ritter von Haidinger erstmals beschriebene Naturphänomen des Haidinger-Büschels wird als Beleg dafür angesehen, dass der Mensch auch ohne technische Hilfsmittel, also mit dem bloßen Auge, in der Lage ist, die Polarisationseigenschaft von sichtbarem Licht wahrzunehmen. Dabei ist es dem geübten Beobachter möglich, sowohl zwischen linear und zirkular polarisiertem Licht zu unterscheiden, als auch die Polarisationsrichtung zu identifizieren und verschiedene Grade der Polarisation abzuschätzen.

Das Haidinger Büschel entsteht als entoptisches Phänomen im menschlichen Auge selbst und kann deshalb auch nicht fotografiert werden. Die Beschreibungen der Wahrnehmungen verschiedener Beobachter variieren etwas und einige Menschen können es auch überhaupt nicht sehen.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung des Phänomens

Ein Beobachter schaut für einige Sekunden ruhig verharrend in eine Richtung, aus der linear polarisiertes Licht auf das Auge trifft. Wenn er dann – weiterhin in die Richtung schauend – seinen Kopf zur Seite neigt, erscheint plötzlich das so genannte „Haidinger-Büschel“, um nach einigen Sekunden (wie ein Nachbild) wieder zu verblassen. Neigt man dann den Kopf abwechselnd nach links und rechts, lässt sich das Phänomen erneut hervorrufen.

Das Haidinger-Büschel erscheint immer genau in Blickrichtung, d. h. wenn man einen anderen Punkt anvisiert, erscheint das Büschel auch dort. Diese Eigenschaft des Phänomens kommt in der Augenheilkunde bei Fixationsprüfungen zur Anwendung.

Beobachter beschreiben das Haidinger-Büschel als längliche, gelbliche Form, die in der Mitte eingeschnürt ist und von einer entsprechenden bläulich-violetten Form in der Mitte senkrecht geschnitten wird (ähnlich einem vierblättrigen Kleeblatt). Die Erscheinung ist eher unauffällig, weshalb für die Beobachtung ein einfarbiger Hintergrund, ohne ablenkende Muster empfohlen wird. Die beiden wahrnehmbaren Farben (bläulich-violett und gelb) sind Komplementärfarben.

Das Haidinger-Büschel umfasst einen Sehwinkel von etwa 4°, das heißt, der zu erwartende Durchmesser entspricht in etwa der Breite von zwei aneinander gelegten Fingern, die im Abstand des ausgestreckten Arms betrachtet werden. Um es wahrnehmen zu können, muss der Polarisationsgrad des einfallenden Lichtes mindestens 60 % betragen, außerdem tritt der Effekt nur im grünen und blauen Teil des Spektrums des sichtbaren Lichtes auf. Die Orientierung des blauen Doppelbüschels entspricht der Polarisationsrichtung des auf das Auge treffenden linear polarisierten Lichtes.

Beobachtungsmöglichkeiten

Folgende Methoden bedienen sich teilweise technischer Hilfsmittel, die jedoch nur dazu dienen, dem Auge linear polarisiertes Licht zu präsentieren. Wenn man anfangs mehrmals am Tag einige Minuten übt, so ist bereits nach ein bis zwei Tagen die dann schon vertraute Figur des Haidinger-Büschels ohne viel Mühe erkennbar.

Flüssigkristallbildschirme

LC-Displays strahlen linear polarisiertes Licht aus, was in einem gut abgedunkelten Raum eine unkomplizierte Beobachtung der Erscheinung ermöglicht. Fixiert man mit dem Auge einen Punkt auf einer weiß dargestellten Fläche auf dem Bildschirm (z. B. ein leeres Browser-Fenster), ist das Haidinger-Büschel meist (nach kurzer Gewöhnung an die Zartheit der Erscheinung) zu erkennen. Es ist dabei empfehlenswert, mit einem Abstand von etwa 50 cm zu beginnen, da das Büschel dann auf Grund seiner Größe leichter zu finden ist. Der Kopf wird seitlich geneigt (auf die Schulter gelegt), um einige Sekunden verharrend, die weiße Fläche zu betrachten. Das Büschel erscheint erst dann, wenn man nun den Kopf auf die andere Seite legt und dabei weiterhin den Bildschirm betrachtet. Zu beobachten ist die Diagonalstellung des Büschels und die Größenänderung, wenn man den Abstand des Auges vom Monitor variiert.

Polarisationsfilter

Das Phänomen erscheint beim Blick durch einen Linear-Polarisationsfilter auf eine helle, weiße Fläche (z. B. beleuchtetes Blatt Papier, weiße Wolke). Dreht man den Filter, verändert man die Polarisationsrichtung des auf das Auge treffenden Lichtes kontinuierlich und so rotiert das sonst nur kurz erscheinende Büschel gleichsinnig mit und ist durch diese Bewegung leichter und dauerhaft wahrzunehmen.

Beobachtung des Haidinger-Büschels am Himmel bei Sonnenuntergang
Blick in den Himmel

Der Himmel ist der beste Ort, um das Haidinger-Büschel ohne Hilfsmittel in der Natur zu beobachten. Beim Blick mit bloßem Auge in den unbewölkten Himmel senkrecht zur Sonne ist die farbige Erscheinung des Haidingerschen Büschels ebenfalls vom geübten Beobachter klar zu identifizieren. Empfehlenswert ist die Beobachtung während des Sonnenuntergangs im Himmelsbereich senkrecht über dem Beobachter und auch hier ist das flüchtige Phänomen durch Bewegung des Kopfes erneut reproduzierbar. Das gelbe Doppel-Büschel ist in diesem Himmelsbereich immer fest in Richtung Sonne orientiert, wenn man es als Bogen eines Großkreises verlängert.

Haidinger-Büschel bei der Betrachtung des Spiegelbilds des Himmels an einer Glasplatte (Skizze nach M. Minnaert)
Im Spiegelbild des Himmels

Betrachtet man das Spiegelbild des gleichmäßig blauen Himmels auf einer Glasplatte unter dem Polarisationswinkel (Brewster-Winkel), so ist die bemerkenswerte Figur ebenfalls zu sehen. Das gelbe Büschel liegt deutlich in der Einfallsebene des Lichtes, das am Glas gespiegelt wird.

Literatur

  • W. Ritter v. Haidinger: Über das direkte Erkennen des polarisierten Lichts. Poggendorfs Annalen, Bd. 63, 1844, S. 29-39.
  • M.G.J. Minnaert: Licht und Farbe in der Natur. Birkhäuser Verlag AG, 1992.
  • A. Pröbstl: Das Haidinger-Büschel als Urphänomen der Polarisationserscheinungen. In: Elemente der Naturwissenschaft, 69 (2), 1998, S. 1-26.
  • H. Kaufmann, W. de Decke: Strabismus, Thieme, 2004. (zur Anwendung des Haidinger-Büschel in der Augenheilkunde)


Weblinks


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