Hamburger Verständlichkeitskonzept

Hamburger Verständlichkeitskonzept

Das Hamburger Verständlichkeitskonzept ist eine Methode zur Bewertung der Verständlichkeit von Texten, Veröffentlichungen oder sonstigen Botschaften, um vom Empfänger richtig und schnell verstanden zu werden.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund, Kriterienentwicklung

Das Konzept wurde von den Psychologen Inghard Langer, Friedemann Schulz von Thun und Reinhard Tausch 1973 entwickelt. Ziel war die Formulierung objektiver Kriterien für die Verständlichkeit von Texten. Als Vorlage dienten ihnen Ergebnisse aus der Lesbarkeitsforschung, die bereits Merkmale für die Verständlichkeit von Texten formuliert hatte.

Verständlichkeit ist zu unterscheiden von Lesbarkeit und Leserlichkeit. Lesbarkeit betrifft nur die stilistischen Eigenschaften eines Textes, Leserlichkeit seine typographischen Eigenschaften. Die Hamburger Psychologen ließen Texte von Personen nach Qualitätsmerkmalen bewerten (zum Beispiel: flüssig, einfach, anregend, einprägsam). Anhand dieser Ergebnisse definierten sie die vier Verständlichkeitsdimensionen Einfachheit, Gliederung/Ordnung, Kürze/Prägnanz undZusätzliche Stimulanz“.

Die Psychologen überprüften die vier Dimensionen mithilfe von Testpersonen wie Schülern. Es zeigte sich, dass die Schüler Texte am besten verstanden, die hinsichtlich ihrerEinfachheitund hinsichtlich ihrerGliederungOrdnungam besten abschnitten. Mit einer letzten Versuchsreihe bezweckten sie, ihre Ergebnisse zu überprüfen. Sie optimierten zwanzig Texte so, dass diese ihren Idealwerten entsprachen. Diese Texte wurden im Vergleich zu ihren Originalen weiteren Personen vorgelegt. Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen einheitlich die optimierten Texte als besser verständlich ansahen.

Die vier Dimensionen konkretisierten die Autoren durch erläuternde Gegensatzpaare, die Testleser jeweils auf einer Skala mit 5 Stufen bewerten können. So gehören zum KriteriumEinfachheitKompliziertheitFeinwertungen wie kurze/lange Sätze, anspruchsvoller/einfacher Wortschatz, Fachwörter erklärt/nicht erklärt, konkret/abstrakt, anschaulich/nicht anschaulich usw. Diese Kriterien können Versuchspersonen im Rahmen von Tests auf Texte anwenden, sodass Behörden, Medien, Unternehmen und andere Institutionen objektivierte Maßstäbe für die Verstehbarkeit ihrer Texte gewinnen können.

Politische Perspektive

Friedemann Schulz von Thun und seine Mitstreiter sehen unverständliche Texte von Behörden, in Medien und Schulen als wirksame Zugangshürde zu demokratischen Prozessen. Mit Anspielung auf Kants Verständnis der Aufklärung formuliert von Thun:Mündig ist, wer sich informieren kann.“[1] Wichtige Texte in verständlicher Form anzubieten, sei grundlegend für eine demokratische Gesellschaft.

Hinweise für Texter und die Didaktik

Die Hamburger Psychologen entwickelten ihr Konzept vor dem Hintergrund des Kommunikationsmodells Friedemann Schulz von Thuns. Nach diesem Modell enthält jede Botschaft verschiedene inhaltliche Aspekte und Intentionen, wesentlich gekennzeichnet als Sachinformation, freiwillige und unfreiwillige Selbstdarstellung, Beziehungsaspekte und Appell. Ein wesentliches Kriterium dafür, ob Botschaften auf Leser oder Zuhörer interessant wirkten, sei der Aspekt der Selbstdarstellung. Selbst wissenschaftliche Texte oder Vorträge fänden vor allem dann Gehör, wenn der Verfasser sich als Person einbringe.

Für den Bildungsbereich schlagen die Forscher eine Abkehr vom Prinzip der Mündlichkeit vor. Verständlichkeit ließe sich effizienter bei schriftlichem Material herstellen. In Schule und Universität sei vor allem die arbeitsgleiche Gruppenarbeit mit verständlichen Texten effizient.

Kritik

Die vier Dimensionen der Verständlichkeit hängen direkt von den achtzehn ursprünglich gewählten Qualitätsmerkmalen ab. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Psychologen bei einer Auswahl von anderen Merkmalen auch auf andere Ergebnisse gekommen wären. Außerdem sprechen die Psychologen von Zielgruppen, die eventuell unterschiedliche Bedürfnisse haben.

Siehe auch

Literatur

  • Simone Andersen: Sprachliche Verständlichkeit und Wahrscheinlichkeit. Brockmeyer, Bochum 1985, ISBN 3-88339-466-1.
  • Ines Bose/ Dietz Schwiesau (Hrsg.): Nachrichten schreiben, sprechen, hören. Forschungen zur Hörverständlichkeit von Radionachrichten. Berlin 2011 (ISBN 978-3-86596-990-3)
  • Matthias Ballod: Verständliche Wissenschaft. Narr, Tübingen 2001, ISBN 3-8233-5362-4.
  • Karl-Heinz Best: Sind Wort- und Satzlänge brauchbare Kriterien der Lesbarkeit von Texten?. In: Sigurd Wichter, Albert Busch (Hrsg.): Wissenstransfer - Erfolgskontrolle und Rückmeldungen aus der Praxis. Lang, Frankfurt/M. u.a. 2006, S2131.
  • Norbert Groeben: Leserpsychologie: TextverständnisTextverständlichkeit. Aschendorff, Münster 1982, ISBN 3-402-04298-3.
  • Inghard Langer, Friedemann Schulz von Thun, Reinhard Tausch: Sich verständlich ausdrücken. E. Reinhardt, München 2002, ISBN 3-497-01606-3.
  • Jaan Mikk: Textbook: Research and Writing. Peter Lang, Frankfurt/M. 2000, ISBN 3-631-36335-4.
  • Markus Nickl: Verständlich schreiben. 1994/2007 (doctima.de).
  • Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Rowohlt, Reinbek 1981, ISBN 3-499-17489-8.
  • Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 3: Dasinnere Teamund situationsgerechte Kommunikation. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-60545-7.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Verständlichkeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Schulz von Thun, Miteinander reden, 1. Störungen und Klärungen, a.a.O., S140.

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