Alle Kreter lügen

Alle Kreter lügen

Das Paradoxon des Epimenides aus Kreta lautet: „Alle Kreter sind Lügner.“ Es gilt als eine der ersten Formulierungen des Lügner-Paradoxons, obwohl die ursprüngliche Form des Textes kein echtes Paradoxon darstellt.

Inhaltsverzeichnis

Historischer Hintergrund

Die Grundlage für das scheinbare Paradoxon steht im Neuen Testament, Titus 1,12:

Es hat einer von ihnen gesagt, ihr eigener Prophet: "Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche". Dies Zeugnis ist wahr. (ob der letzte Satz hier nicht mehr zum Zitat selbst gehört, ist umstritten. Die Paradoxie würde dadurch jedenfalls noch deutlicher. Die Anführungszeichen jedenfalls stehen nicht in Originalpapyri, sondern wurden erst viel später, in der Renaissance, in griechische Text-Ausgaben eingefügt).

Hier wird das Zitat, welches von Clemens von Alexandria (150-215 n.Chr) dem Kreter Epimenides (6./7.Jh. v.Chr.) zugeschrieben wurde, erstmals in den Zusammenhang gestellt, dass das Zitat selbst von einem Kreter stammt. Dieser scheinbare Widerspruch wird von Paulus dadurch verstärkt, dass er dieses Zeugnis als wahr bezeichnet, was aufgrund der Betrachtungen zur 2. Lesart von "Lügner" (s.u.) nicht sein könnte, falls sich der Satz auch auf den kretischen Autor selbst bezieht.

Das Zitat stammt aus dem Gedicht Cretica.

Sie haben dir ein Grab eingerichtet, oh Heiliger und Hoher.
Die Kreter sind immer Lügner, wilde Tiere, faule Bäuche.
Aber du bist nicht tot, du lebst und bleibst für immer
Denn in dir leben und laufen und sind wir.

Da sich der Autor klar gegen die allgemeine Haltung der Kreter stellt, nimmt er sich auch aus der Kritik aus, was dadurch deutlich wird, dass er die erste Zeile mit "Sie haben" statt mit "Wir haben" beginnt. Das Paradoxon wurde deshalb für die mathematisch-philosophische Betrachtung in "Alle Kreter sind Lügner" umformuliert.

Im Alten Testament findet sich eine noch verallgemeinerte Form (Psalm 116,11) "Ich sprach in meiner Bestürzung: Alle Menschen sind Lügner!"

Epimenides' Aussage als Antinomie

Paradoxie ist ein vieldeutiger Begriff. Eine echte Antinomie (Selbstwiderspruch) ist Epimenides' Aussage jedoch nicht. In diesem Zusammenhang muss man zunächst den in der natürlichen Sprache ungenauen Begriff des Lügners präzisieren:

  • 1. Lesart von "Lügner": Wenn man unter "Lügner" jemanden versteht, der manchmal lügt (gewöhnlicher Sprachgebrauch), ergibt sich kein Widerspruch, gleichgültig ob man die Aussage des Epimenides als falsch oder wahr bewertet.
    • Nimmt man an, dass die Aussage wahr ist, so lügen alle Kreter manchmal. Dies gilt auch für Epimenides, in diesem speziellen Fall hat er dann jedoch die Wahrheit gesagt.
    • Geht man dagegen davon aus, dass die Aussage falsch ist, gibt es Kreter, die niemals die Unwahrheit sagen. Es ist dann allerdings klar, dass Epimenides keiner dieser Kreter ist, denn er hat unter dieser Annahme mit seiner Aussage gelogen.
  • 2. Lesart von "Lügner": Wenn andererseits ein Lügner jemand ist, der immer lügt (d.h. jede seiner Aussagen ist falsch), ergibt sich auch keine Antinomie, sondern die Aussage ist falsch:
    • Wird die Aussage als wahr angenommen, so gilt, dass alle Kreter immer lügen. Daraus folgt, dass auch die Aussage des Kreters Epimenides eine Lüge ist. Andererseits war angenommen worden, dass seine Aussage wahr ist. Damit ergibt sich ein Widerspruch, die Annahme kann also nicht wahr sein. Die Aussage des Epimenides muss falsch sein.
    • Wird die Aussage als falsch angenommen, folgt kein Widerspruch. Es gilt dann einfach, dass nicht alle Kreter lügen, d.h. dass es mindestens einen Kreter gibt, der nicht immer lügt. Epimenides selbst könnte zu den "Lügnern" gehören, nämlich zu denen, die immer lügen, er könnte aber auch dieser eine sein, den es mindestens gibt, der nicht immer lügt. Auf jeden Fall hätte er in diesem Falle gelogen.

So gesehen handelt es sich beim Paradox des Epimenides eigentlich um keines, sondern um einen - in der ersten Lesart von "Lügner" - vermutlich wahren, - in der zweiten Lesart von "Lügner" - beweisbar falschen Satz. Angesichts dessen kann auch der oben zitierte zweite Satz aus dem Paulus-Brief: "Dieses Zeugnis ist wahr" auf seinen Wahrheitswert hin überprüft werden: Nach der ersten Bedeutungsvariante von "Lügner" ist Epimenides' Aussage wie gesagt wahr, Paulus' Aussage damit ebenfalls. Nach der zweiten Bedeutung von "Lügner" lügt Epimenides, Paulus sagt damit an dieser Stelle ebenfalls die Unwahrheit.

Das "Paradox des Epimenides" lässt sich jedoch zu einer echten Antinomie verschärfen. Eine solche ergibt sich bei dem Satz:

'Diese Aussage ist gelogen.',

wobei sich "diese" auf die Aussage des Satzes bezieht, in dem das Wort steht. Das ist das Paradox des Eubulides, zu einer Erläuterung siehe auch Lügner-Paradox.

Verwandte Paradoxa in der Mathematik

Unbestimmte Paradoxa der Art "Diese Aussage ist falsch" tauchten um 1900 auch in der modernen Mathematik auf. Zum einen finden sich solche Aussagen in der so genannten Naiven Mengenlehre, in der alle begrifflich bestimmbaren Mengen ausnahmslos als Mengen zugelassen werden. Hierbei führt die "Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten" zu einer echten Antinomie, der Russellschen Antinomie. Die Antinomie wird in axiomatischen Mengenlehren überwunden, wo es bestimmte Einschränkung in Bezug auf die Bildung von Mengen gibt. Ein damit sehr eng verwandtes Problem taucht auch im Zusammenhang mit dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz auf. Hier wird eine Aussage gebildet, die - intuitiv gesprochen - von sich selbst aussagt, dass sie nicht beweisbar ist. Dies ist allerdings keine Antinomie, ein Widerspruch würde jedoch dann drohen, wenn die Aussage selbst oder auch wenn ihr Gegenteil beweisbar wäre.

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