- Hinduistische Ethik
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Dharma ist ein zentraler Begriff sowohl des Hinduismus, als auch des Buddhismus, der aber religionsabhängig unterschiedliche Bedeutungen hat.
Dharma (Sanskrit, m., धर्म, dharma; Pali: Dhamma) bezeichnet Sitte, Recht und Gesetz, ethische und religiöse Verpflichtungen, auch Ausdruck für Moral, im englischen oft einengend mit Religion übersetzt. Es handelt sich um einen der zentralen Begriffe des Hinduismus, abgeleitet von der Wurzel 'Dhr' (halten). Dharma, die hinduistische Ethik, bestimmt das Leben eines Hindu in vielfältiger Art und Weise. Persönliche Gewohnheiten, soziale und familiäre Bindungen, Fasten und Feste, religiöse Rituale, Gerechtigkeit und Moral, oft sogar die Regeln der persönlichen Hygiene und Essenszubereitung werden durch den Dharma bestimmt. Die Beachtung ist für Hindus nicht nur Voraussetzung für soziales Wohlergehen, sondern auch für die persönliche Entwicklung.
Von der Erfüllung des Dharma hängt das Karma ab, die aus den Taten des Individuums entstandenen Resultate (Ursache und Wirkung). Im Gegensatz zu anderen Weltreligionen haben Hindus jedoch keinen bestimmten, allgemein gültigen Kodex, keine bestimmte Sammlung von Gesetzen, die für alle gleichermaßen verbindlich wären, wie etwa die Zehn Gebote der Juden und Christen.Inhaltsverzeichnis
Dharma im Hinduismus
Arten des Dharma
Grundsätzlich enthält der Dharmabegriff einige verschiedene Aspekte. Zwei Definitionen unterscheiden einerseits die kosmische, andererseits die menschliche Ordnung. Beide gehen ineinander über:
Sanatana-Dharma
Der ewige, unveränderliche Dharma (Sanatana-Dharma) bezeichnet die kosmische Ordnung, die das gesamte Universum erhält. Dazu gehören sowohl die Naturgesetze als auch die Weisheiten der Veden, der wichtigsten „Heiligen Schriften“ der Hindus. Nicht nur Menschen unterliegen dem Sanatana-Dharma, auch Tiere und sogar Pflanzen sowie das gesamte Universum. Nach Auffassung der Gläubigen geht Dharma aus dem Brahman hervor, dem Absoluten.
Sanatana-Dharma, „ewige Ordnung“, ist auch die Eigenbezeichnung der Hindus für ihre Religion.Dharma als Ordnung der Gesellschaft
Auf menschlicher Ebene ist Dharma die Ordnung der Gesellschaft, die wiederum verschiedene Aspekte beinhaltet. Prinzipiell kennt die hinduistische Tradition dreierlei Verpflichtungen:
- gegenüber Göttern, von denen die Menschen alles bekommen - wird erfüllt z.B. durch Gebete und Verehrung
- gegenüber den Rishis (den Weisen und den Gurus) - wird erfüllt z.B. durch Studium der Schriften
- gegenüber den Vorfahren, von denen die Menschen ihre Körper haben - wird erfüllt z.B. durch das Aufziehen von Nachkommen
Die sozialen Pflichten und Verantwortungen des Varnashrama-Dharma hängen vom Alter, Lebensstadium, Geschlecht, von der Kaste und dem sozialen Status ab. Es gibt unterschiedliche Ordnungen und Gesetze für Personen in einer bestimmten Lebensstufe (Ashrama), sowie verschiedene Vorschriften für die einzelnen Mitglieder der vier Stände der Gesellschaft, die Varnas.
Das in den Schriften beschriebene Ideal der vier Lebensstadien (Ashrama) ist mit bestimmten sozialen Pflichten verbunden. Es teilt das Leben eines jeden Menschen in vier Phasen ein:- Brahmacarin (Schüler)
- Grihastha (Haushalter)
- Vanaprastha (in die Waldeinsamkeit Gehender)
- Samnyasin (die Welt Aufgebender)
Die Pflicht des Schülers ist, zu lernen und soziale Dienste zu leisten. Als „Haushalter“ soll man heiraten, Kinder haben, die Familie versorgen, den Bedürftigen geben, den sozialen und politischen Bedürfnissen der Gemeinschaft dienen. In die „Waldeinsamkeit“ soll man erst gehen, wenn die familiären Pflichten erfüllt sind. Dann kann man sich von materiellen Dingen lösen und seine eigene Philosophie finden. Die allerletzte Lebensphase ist der Zeitpunkt, die Welt aufzugeben und sein Ziel in der Erlösung zu finden.
Die ersten beiden Stufen, Brahmacarin und Grihastha sind in den Hindu-Alltag integriert, selten jedoch geht jemand wirklich in die „Waldeinsamkeit“ oder zieht sich von der Welt völlig zurück. Weit verbreitet ist aber auch in der modernen Welt die Sitte, dass die Älteren alle Aufgaben abgeben und sich innerhalb des Hauses zurückziehen, um sich religiösen Aktivitäten zu widmen.Der Kastendharma beinhaltet unterschiedliche Gesetze für jede Gruppe der Gesellschaft: Hier weisen die hinduistische Tradition sowie die alten Gesetzgeber jedem innerhalb der Gesellschaft eine bestimmte Aufgabe sowie spezifische moralische Anforderungen zu. Früher musste beispielsweise jeder den Beruf und die Pflichten seiner Familie, seiner Kaste übernehmen. Diese Tradition ist noch immer lebendig, jedoch längst nicht mehr unumstößlich. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, kann heute jeder jeden Beruf ergreifen.
Allgemeine Dharmas
Viele Regeln sind auf jeweils eine bestimmte Gruppe von Menschen zugeschnitten, dagegen gelten folgende Sadharana Dharmas als allgemeine Verhaltensregeln für jeden. Sie kommen in den verschiedenen Schriften an vielen Stellen als besonders wichtige Tugenden regelmäßig vor. Besonders häufig scheinen auf:
Wahrhaftigkeit (satyam), Enthaltung von Gewalt (ahimsa), Zornlosigkeit (akrodha), Freigebigkeit (danam), Enthaltung von Diebstahl (asteyam), rituelle, geistige u. körperliche Reinheit (saucam), Zügelung der Sinne (indriya-nigraha), Nachsichtigkeit und Verzeihung (ksama), Selbstkontrolle (dama), Urteilskraft (dhi), Mildtätigkeit (dana), Mitleid (daya), Gastfreundschaft (atithi). Die Auswahl enthält keine Rangordnung. Ähnliche Regeln sind im Yoga in den Yamas und Niyamas formuliert.Die Bhagavadgita geht an mehreren Stellen auf wichtige Tugenden ein:
Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrhaftigkeit, Zornlosigkeit, Entsagung, Frieden, Nicht-Verleumdung, Mitleid mit den Lebewesen, Begierdelosigkeit, Milde, Bescheidenheit, Lichtvolle Stärke, Vergebung, Beständigkeit, Reinheit, Fehlen von Feindseligkeit, Nicht-Hochmut - dies sind die Gaben des Menschen von göttlicher Natur. (Kap. 16.2.-3).Auch die Sorge um den Mitmenschen ist ein besonders wichtiges Kriterium des Hindu-Dharma: So postuliert etwas das Mahabharata: Mitgefühl und Güte ist der höchste Dharma der Guten(Kap. 13.5.-23).
Jeder Hindu kann die "sechs Feinde" aufzählen:. "kama" (weltliche Begierden) krodha (Zorn), lobha (Gier,Geiz), moha (Verblendung, geistige Dunkelheit), mada (Hochmut) sowie matsarya (Eifersucht und Neid). Deutlich erinnern diese Übel an die „sieben Todsünden“ der Katholiken und an die Drei Geistesgifte der Buddhisten.
Vier legitime Ziele
Dharma ist eines von vier legitimen Zielen im menschlichen Leben, wobei die beiden letzten Ziele als die höchsten gelten:
- Kama: weltlicher Genuss, Lust, Sexualität
- Artha: Wohlstand und Erfolg
- Dharma: Kosmisches und soziales Gesetz, Tugend, Moral
- Moksha: Erlösung
Hindus lehnen weltliches Streben, Lust und Streben nach Wohlstand nicht als unmoralisch ab, jedoch haben die beiden letzteren Ziele einen höheren Stellenwert. Für das tägliche Leben ist die Erfüllung des Dharma das wichtigste Leitziel.
Quellen des Hindu-Dharma
Wichtige Quellen zum Erlernen des Dharmas sind die eigene Tradition, die Vorfahren sowie die Anleitungen eines Gurus, immer jedoch im Einklang mit den Veden. Unverzichtbare Anleitungen findet man auch in den Puranas, den alten Büchern über die Götter, in den Epen Ramayana sowie Mahabharata, die in hinduistischen Ländern einen hohen Stellenwert haben. Sie geben jedem in der Gesellschaft einen Leitfaden - ohne jedoch für alle verbindliche Gesetze vorzuschreiben. Durch diese freie Entscheidung kann auch der Widerspruch zwischen dem Anspruch der überlieferten Tradition und den Erfordernissen des modernen Lebens gelöst werden.
Alte Rechtsbücher sind die Dharmashastras von verschiedenen Gesetzgebern, wovon Manu (zwischen 200 v.Chr. und 200 n.Chr.) der bekannteste ist. Dort sind genaue Regeln für alle Lebensabschnitte, alle Kasten sowie für Männer und Frauen festgehalten. Obwohl Manu noch heute große Verehrung zukommt, erheben Hindus keinen Anspruch auf Erfüllung seiner alten Gesetze. Zwar suchen viele Hindus heute noch Richtlinien darin und zitieren ihn, keiner jedoch würde heutzutage diese Schriften noch als allgemeingültige Anweisung verstehen. Frauenrechtlerinnen und Kastengegnern sind seine Vorschriften oft ein Dorn im Auge.
Dharmashastras, die Epen, Puranas und Gesetzbücher, gehören nicht zu den Shrutis und sind darum nicht von unumstößlicher Autorität. Ausdrücklich gehen Hindus davon aus, dass der Dharma zwar ewig sei, inhaltlich jedoch veränderbar und nicht zu allen Zeiten gleich. War etwa bei den Helden des Mahabharata noch die Vielehe üblich, würde das heute gegen die sozialen Sitten der Hindus verstoßen; wurde früher Dieben noch die Hand abgehackt, ist eine solch radikale Strafmaßnahme heute undenkbar.
Dharma im Buddhismus
Dem Begriff Dharma (Sanskrit) bzw. Dhamma (Pali) kommt im Buddhismus eine ganze Reihe von verschiedenen, kontextabhängigen Bedeutungen zu. In einer der möglichen Lesarten bezeichnet er die Lehre Buddhas. Der Dharma als das vom Buddha erkannte und verkündete Daseinsgesetz beinhaltet die Lehre von den Vier Edlen Wahrheiten und bildet in der Zufluchtsformel „Ich nehme Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha“ eines der Drei Juwelen, die auch als die Drei Zufluchtsobjekte bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund gilt der Dharma als ein Meditationsobjekt der Zehn Betrachtungen (anussati). Im Mahayana und Vajrayana verweist der Begriff neben der Lehre Buddhas zudem auf die Lehren der großen Bodhisattvas und aller Meister, die in der Nachfolge Buddhas Erleuchtung erlangt haben. Darüber hinaus ist der Terminus als Sammelbezeichnung für die Gesamtheit aller Phänomene gebräuchlich.
Philosophische Bedeutung
In seiner philosophischen Bedeutung, die insbesondere im Zuge der Abhidharma-Scholastik herausgearbeitet wurde, bezieht sich der Begriff dharma - hier klein geschrieben und meist im Plural verwendet - auf die grundlegenden, nicht weiter reduzierbaren Elemente, aus denen sich die menschliche Erfahrungswelt mit ihren mentalen und materiell-physischen Gegebenheiten zusammensetzt. Diese Bausteine der Realität, für die sich in der buddhistischen Terminologie im deutschsprachigen Raum der von Helmuth von Glasenapp vorgeschlagene Fachausdruck Daseinsfaktoren weitgehend durchgesetzt hat, sind aufgrund ihrer unmittelbaren Einbindung in die buddhistische Heilslehre jedoch nicht mit Atomen im Sinne Demokrits vergleichbar, da sie grundsätzlich keine Substanz aufweisen. Ihre Darlegung soll weniger eine ontologische Welterklärung liefern, als vielmehr den Praktizierenden vor dem Hintergrund der Anatta-Lehre darüber aufklären, wie die Annahme eines beständigen Erfahrungsträgers - eines Selbst - zustandekommt und ihm einen praktisch nachvollziehbaren Leitfaden zur Seite stellen, um diese Annahme als eine auf Anhaftung beruhende Interpretation des bedingten Zusammenspiels der Daseinsfaktoren zu durchschauen, und sie auf dem Wege der meditativen Analyse schließlich leichter aufgeben zu können.
Bedingte/Unbedingte Daseinsfaktoren
Es wird bei dieser Klassifizierung eine grundlegende Unterscheidung zwischen bedingten und unbedingten Daseinsfaktoren vorgenommen. Die bedingten Daseinsfaktoren tragen die drei Daseinsmerkmale - sie treten in ständig wechselnden Kombinationen zusammen und werden als fluktuierende Potentialitäten verstanden, als punktuelle Kraft- oder Energiekonzentrationen, welche im Bedingungszusammenhang des Entstehens in Abhängigkeit (pratityasamutpada) sowie dem Gesetz des Karma folgend aufeinander einwirken und dadurch beim Menschen den Eindruck einer der Welt gegenüberstehenden, beständigen Person (pudgal) erwecken, dabei aber ebenso veränderlich sind wie das vielschichtige Spektrum an beobachtbaren Phänomenen, Zuständen und Ereignissen, das ihr Zusammenspiel in gegenseitiger Abhängigkeit hervorbringt. Auf die unbedingten dharmas, zu denen je nach Auslegung der einzelnen Schule das Nirvana und/oder der Sunyata gezählt wird, treffen die Aspekte der Leidhaftigkeit und Vergänglichkeit hingegen nicht zu. Sie nehmen hier insofern eine Sonderrolle ein, als sie dem dynamischen Prozess von Entstehen und Vergehen nicht unterworfen sind. Auch die Buddhanatur gilt als unvergänglich bzw. ewig. Die Buddhanatur wird in manchen buddhistischen Lehrsystemen als die Natur des Geistes oder als klares Licht ursprünglichen Gewahrseins bezeichnet. Im Nirvana-Sutra wird die Buddha-Natur (Buddha-dhatu) vom Buddha selber als „das wahre Selbst“ Buddhas erklärt und als "beständig, fest und ewig" (nitya, dhruva, sasvata) beschrieben. Sie wird auch mit dem Dharmakaya gleichgesetzt.
Entwicklung der Dharma-Lehre
Die Dharma-Lehre in ihrer Form als komplex gegliedertes System konkretisierte sich erstmals im Korb der Abhandlungen des Pali-Kanon, der an den von Buddha Shakyamuni überlieferten Lehrreden anknüpft und diese durch eine nach bestimmten Themengebieten geordnete Zusammenfassung näher erläutert. Diese von Buddhas Schülern vorgenommene ausführliche Klassifizierung der dharmas sollte dazu dienen, eine analytische Grundlage für die Meditationspraxis zu schaffen und war somit als didaktisches Hilfsmittel gedacht. Auf diese Weise wird die Dharma-Lehre auch heute nach wie vor im Theravada gelehrt und praktiziert. Sie ist damit eine konsequente Fortführung der bereits über die zahlreichen Lehrreden Buddhas hinweg angesprochenen Kategorien nama (Bewusstsein und Geistesfaktoren) und rupa (Körperlichkeit), die in fünf Aneignungsgruppen (Skandhas) untergliedert und schließlich in viele weitere Kategorien aufgefächert werden. Dazu gehören:
- die sechs Elemente (dhatus) - Erde, Feuer, Wasser, Luft, Raum und Bewusstsein
- die zwölf Sinnesfelder (ayatanas) - die sechs Sinnesorgane: Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist, und die sechs Sinnesobjekte: Sehobjekt, Klang, Geruch, Geschmack, Berührung, Denken, sowie
- die achtzehn Elemente (dhatus), welche die zwölf Sinnesfelder zuzüglich der ihnen entsprechenden Bewusstseinsarten umfassen
Es gibt im Buddhismus keine einheitliche Gesamtzahl aller dharmas, sie variiert jeweils von Schule zu Schule und reicht dabei verschiedenen Auflistungen von 75 (im Sarvastivada) über 82 (Theravada) und 84 (Sautrantika), bis hin zu 100 (im Yogacara). Die einzelnen Faktoren wurden dabei zusätzlich mit den ihnen entsprechenden Kennzeichen heilsam, unheilsam und neutral versehen.
Die Dharmatheorie wurde später von den scholastisch ausgerichteten Hinayana-Schulen weiter ausgearbeitet und auch von den nachfolgenden Strömungen des Mahayana übernommen, wobei hinsichtlich Natur und Status der dharmas stark voneinander abweichende Auffassungen vertreten wurden. Während die zum Hinayana zählenden Schulen des Sautrantika und des Sarvastivada einen Disput darüber führten, ob die dharmas nur in der Gegenwart oder in allen drei Zeitabschnitten wirksam seien, bzw. ob sie letztendliche Wirklichkeiten (paramattha) oder bloße Momente (kshanika) darstellten, wurden in den Schulen des Mahayana ausnahmslos alle dharmas für leer (sunya) von einer Eigennatur (svabhava) erklärt und die strikte dichotome Trennung zwischen Bedingtem und Unbedingtem auf diese Weise relativiert. Die radikale Ausweitung der Leerheit (sunyata) auf alle Daseinsfaktoren (dharmasunyata), welche sich ansatzweise bereits im Mahasanghika abzeichnete, geht neben dem zunehmenden Einfluss der Prajnaparamita-Literatur auf die Auseinandersetzungen zurück, die Nagarjuna, dessen Wirken die Grundlage für die dem Mahayana zugehörige Schule des Mittleren Weges (Madhyamaka) bildete, insbesondere mit Vertretern des Sautrantika und des Sarvastivada führte.
Zwei Wahrheiten
Im Zuge der Klassifizierung der Daseinsfaktoren nach Buddhas Tod wurde außerdem die für den Buddhismus charakteristische Lehre von den Zwei Wahrheiten entwickelt, in der zwischen der Ebene der relativen, verhüllten Wirklichkeit (samutti sacca) und der Ebene der höchsten Wirklichkeit (paramattha sacca) unterschieden wird. Den Daseinsfaktoren kommt in dieser erstmaligen Formulierung der "Zwei Wahrheiten" höchste Wirklichkeit zu, sie werden daher auch "paramattha dhammas" genannt. Die alltägliche Vorstellung von ich, mein sowie von konkreten, substanzhaften, voneinander unabhängigen Dingen und Personen wird hingegen der Ebene der verhüllten Wirklichkeit zugeordnet. Nagarjuna griff diese Methodik auf, veränderte dabei jedoch, nun unter Verwendung der Sanskrit-Begriffe samvritti satya und paramartha satya, die Einteilung der Wahrheitsgrade grundlegend. Die zuvor noch im abhidharmischen Sinne als höchste Wirklichkeit beschriebenen Daseinsfaktoren verlegte er - wie alles sprachlich Ausdrückbare - auf die Ebene der samvritti satya.
Mit der Abwandlung der Verfahrensweise in bezug auf die Zwei Wahrheiten verfolgte Nagarjuna vor dem Hintergrund der zu seiner Zeit geführten Diskussionen über den Realitätsstatus der dharmas das Ziel, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sich letztendliche Wahrheit nur in der Leerheit zeigt, jedoch nicht verbal beschrieben werden kann, da jede Aussageweise eine bedingte Wahrheit zum Ausdruck bringt, die als solche keine absolute Gültigkeit besitzt. Der Praktizierende könne daher durch eine Aussageweise, wenn sie das Kriterium eines geschickten Mittels (upaya) erfüllt, lediglich auf den Mittleren Weg hingeführt werden, um dann schließlich selbst, als Folge einer durch Praxis zur Reife gelangten tiefgehenden Einsicht, jedwedes Anhaften an Konzepten im Bereich der gedanklichen Entfaltung (prapanca) aufzugeben und inneren Frieden zu erfahren. In der Schule des Yogacara wurde diese Tendenz beibehalten, von der ausschließlich verneinenden Aussageweise, wie sie Nagarjuna einsetzte, wurde hingegen abgewichen, um die Anwendung des vom Madhyamaka in seiner Deutung weiter ausgebauten Leerheitsbegriffes mittels positiver Formulierung auf die im Yogacara behandelte Bewusstseinsanalyse zu ermöglichen.
- gegenüber Göttern, von denen die Menschen alles bekommen - wird erfüllt z.B. durch Gebete und Verehrung
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