Josef Stiglitz

Josef Stiglitz
Joseph Stiglitz

Joseph E. Stiglitz (Joseph Eugene „Joe“ Stiglitz; * 9. Februar 1943 in Gary, Indiana) ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten erhielt er 2001 zusammen mit George A. Akerlof und Michael Spence den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Stiglitz stammt aus einer jüdischen Familie; sein Vater war Versicherungsvertreter, seine Mutter Lehrerin. Zunächst studierte er Mathematik, dann Wirtschaftswissenschaften. 1964 graduierte er am Amherst College zum B. A., dann promovierte er am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er auf Robert M. Solow und Paul A. Samuelson traf. Bei einem Forschungsaufenthalt an der University of Cambridge freundete er sich mit Joan Robinson und Nicholas Kaldor an. Ein weiterer Forschungsaufenthalt in Nairobi machte ihn mit den wirtschaftlichen Problemen in Entwicklungsländern vertraut.[1]

An der Yale University wirkte er von 1970 bis 1974 als Professor der Ökonomik, danach an der Stanford University (1974–1976, 1988–2001), der Oxford University (1976–1979) und der Princeton University (1979–1988). Derzeit ist er Professor an der Columbia University im Norden Manhattans.[2]

1993 wurde er Mitglied im Rat der Wirtschaftsberater von Bill Clinton berufen, als dessen Vorsitz er von 1995 bis 1997 fungierte. 1997 wechselte er als Chefökonom zur Weltbank.[2] Meinungsverschiedenheiten über deren Kurs führten 2000 zu seinem Rücktritt.[1]

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde er durch sein Buch Die Schatten der Globalisierung, eine scharfe Kritik an der Politik der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds und des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten.[3] Stiglitz ist auch als Kritiker der Wirtschaftspolitik und anderer Maßnahmen der US-Regierung unter George W. Bush hervorgetreten.

Stiglitz leitet das Brooks World Poverty Institute der University of Manchester,[4] ist Vorsitzender des Committee on Global Thought[5] an der School of International and Public Affairs der Columbia University und gründete die Initiative for Policy Dialogue im Juli 2000. [6]

Als ein führender Forscher in der Mikroökonomie wurde er auch bekannt als Autor des Buches Whither Socialism? (Wohin Sozialismus?), in dem er Theorien zum Fehlschlagen des Sozialismus in Osteuropa, zur Rolle der asymmetrischen Information in den Märkten sowie zu Fehlannahmen über die Bedeutung des freien Marktes in einer kapitalistischen Marktwirtschaft darlegt.

In seinem Werk Die Roaring Nineties, in welchem sich Stiglitz fast ausschließlich auf eine Bestandsaufnahme und kritische Auseinandersetzung mit der US-Wirtschaft (z.B. Enron) beschränkt, empfiehlt er staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen. Stiglitz hat sich aber auch auf die deutsche Volkswirtschaft bezogen und eine staatliche Nachfragepolitik, ein keynesianisches Konzept, nahegelegt.

2008 hat Stiglitz den Vorsitz einer Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Messung wirtschaftlicher Leistung und gesellschaftlichen Fortschritts übernommen.[7] Diese Arbeitsgruppe ist eine Initiative von Frankreichs Präsident Sarkozy. Ihr Abschlussbericht ist für April 2009 angekündigt und soll Impulse auf den Gebieten Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Umweltindikatoren sowie Messung von Lebensqualität und Nachhaltige Entwicklung geben.

Im März 2009 kritisierte Stiglitz die Regierung von Barack Obama für ihren Plan zur Behebung der Banken- und Finanzkrise. Er sei viel schlimmer als eine Verstaatlichung des Bankensystems, nämlich „Ersatzkapitalismus - die Privatisierung der Gewinne und die Verstaatlichung der Verluste“.[8]

Die Chancen der Globalisierung

In Die Chancen der Globalisierung beurteilt Stiglitz wie schon in Die Schatten der Globalisierung die augenblickliche Form der Globalisierung negativ, im Unterschied zu manchen anderen Globalisierungskritikern aber nicht die Globalisierung an sich, denn er hofft, in dem Buch gezeigt zu haben, „dass wir die Globalisierung so organisieren können, dass sie ihren Versprechen eher gerecht wird“.[9] Mit den Versprechen meint Stiglitz vor allem die Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern.

In dem Buch widmet sich Stiglitz vor allem den ökonomischen Aspekten der Globalisierung, aber im abschließenden Kapitel auch ihren zentralen politischen Aspekten und er stellt eine Liste der „wichtigsten Elemente eines Reformpakets auf“,[10] die im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Die Hauptforderung von Stiglitz ist eine Stimmrechtsänderung beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, da die Entwicklungsländer unterrepräsentiert sind und die USA beim IWF als einziges Mitglied faktisch ein Vetorecht haben. Außerdem muss die Repräsentation verändert werden, damit nicht nur die Finanz- und Handelsminister die Entscheidungen in den Gremien beeinflussen. Zudem müssen bei Verhandlungen Vertreter „der am wenigsten entwickelten Länder, der kleinen Agrarexporteure und so weiter“[11] mitbestimmen.

Eine weitere Forderung ist die Reformierung des Systems der Weltwährungsreserven, das mit seiner Fokussierung auf den US-Dollar in Form der Schatzwechsel (t-bills) zum Scheitern verurteilt sei. Zwar sei dies die Lösung für das von Stiglitz angesprochene Konsumdefizit, das aufgrund der fehlenden Investition der Devisenreserven entstünde, da die USA aufgrund der Anleihen zu erheblichen Konsum weiterhin fähig seien und somit die „globale Gesamtnachfrage“ stabil hielten, jedoch müsse der Konsum bzw. die Investitionen auf Pump und die damit einhergehende zunehmende Verschuldung letztlich dazu führen, dass der US-Dollar sein Vertrauen als Weltreservewährung auf Dauer verliere und dieser dann von einer anderen Währung, sehr wahrscheinlich dem Euro, abgelöst würde, damit dieser dieselbe Entwicklung noch einmal durchmachen müsse.

Der Antrieb dieser Problematik sei die „Unwiderstehlichkeit günstiger Kredite für Politiker“, die das Ausgeben von Schatzbriefen unumstritten darstelle, bei einem Kreditzins der letzten Jahre von 1% bei den US-Schatzwechseln. Die Lösung sei ein Umsteigen auf eine Art „Weltdollar“ als Weltreservewährung, der von einer „Institution unter der Federführung der Staatengemeinschaft“ nach sozialen Maßstäben ausgegeben werden solle. „Diese eine Initiative könnte mehr als jede andere dazu beitragen, die Globalisierung zu einer echten Erfolgsgeschichte zu machen.“[12] Einen ähnlichen Gedankengang findet man, wie Stiglitz anmerkt, auch bei John Maynard Keynes.[13]

Auch die Arbeitsweise der internationalen Institutionen muss verbessert werden. Er fordert unter anderem mehr Transparenz, da diese „Institutionen weniger transparent sind als die demokratischen Regierungen ihrer Mitgliedstaaten.“[14] Weitere Forderungen sind „verbesserte Regeln für die Lösung von Interessenkonflikten“, „breitere Mitspracherechte“, den „Ausbau der Fähigkeit von Entwicklungsländern zur echten Teilhabe an der Entscheidungsfindung“ und den „Ausbau der Rechenschaftspflicht“[15] der internationalen Institutionen. Er kritisiert hier, dass zwar evaluiert wird, dies aber von Mitarbeitern des IWF oder der Weltbank durchgeführt wird. „Diese Aufgabe sollte vielmehr den Vereinten Nationen übertragen werden.“[16] Des Weiteren fordert Stiglitz ein unabhängiges globales Gericht und eine bessere Durchsetzung internationaler Rechtsnormen.

Damit die Globalisierung einen Wohlstand für alle schafft fordert Stiglitz einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag, der unter anderem eine faire Handelsordnung beinhaltet. Die Entwicklungsländer sollen „Zugang zu Wissen“ und zu preiswerten lebensrettenden Medikamenten erhalten. Auch muss „ihr traditionelles Wissen berücksichtigt“ [17] werden. Die Industrieländer müssen auch ihre Zusage, 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts in die Entwicklungshilfe zu geben, einhalten.

Persönliches

Stiglitz ist Vater dreier Kinder. Seit 2004 ist er in dritter Ehe verheiratet mit Anya Schiffrin, die an der Columbia-Universität das Journalismus-Programm leitet.[1]

Veröffentlichungen

  • Economics of the Public Sector. W. W. Norton, New York 1986; 2. Aufl. ebd. 1988; 3. Aufl. ebd. 2000, ISBN 0393966518
    • Finanzwissenschaft. Ins Deutsche übertragen und teilweise auf Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet von Bruno Schönfelder. Oldenbourg, München/Wien 1989, ISBN 3-48621-224-9
  • Economics. W. W. Norton, New York 1993; 2. Aufl. ebd. 1997. Mit Carl E. Walsh: 3. Aufl. ebd. 2002; 4. Aufl. 2005, ISBN 0393926222
    • Volkswirtschaftslehre. Oldenbourg, München/Wien 1999, ISBN 3-48623-379-3
  • Whither Socialism? MIT Press, Cambridge 1996, ISBN 0262691825
  • mit Gerald M. Meier (Hrsg.): Frontiers of Development Economics. The Future in Perspective. Oxford University Press, 2000, ISBN 0195215923
  • mit Robert Holzmann (Hrsg.): New Ideas About Old Age Security. Toward Sustainable Pension Systems in the 21st Century. World Bank, Washington 2001, ISBN 0821348221
  • mit Raaj K. Sah: Peasants versus City-Dwellers. Taxation and the Burden of Economic Development. Oxford University Press, 2002, ISBN 0199253579
  • Globalization and Its Discontents. W. W. Norton, New York 2002, ISBN 0393051242
    • Die Schatten der Globalisierung. Siedler, Berlin 2002, ISBN 3-88680-753-3; Goldmann, München 2004, ISBN 3-44215-284-4
  • mit Bruce Greenwald: Towards a New Paradigm in Monetary Economics. Cambridge University Press, London 2003, ISBN 0521810345
  • The Roaring Nineties. A New History of the World’s Most Prosperous Decade. W. W. Norton, Washington 2003, ISBN 0393058522
  • Ist globalisierte Ethik möglich? In: Hans Ruh & Klaus M. Leisinger (Hrsg.): Ethik im Management. Ethik und Erfolg verbünden sich. Orell Füssli, Zürich 2004, ISBN 3-280-05104-5, S. 79–110
  • mit Andrew Charlton: Fair Trade for All. How Trade Can Promote Development. Oxford University Press, New York 2005, ISBN 0199290903
  • mit Carl E. Walsh: Principles of Microeconomics. 4. Auflage. W. W. Norton, New York 2005, ISBN 0393926230
  • mit Carl E. Walsh: Principles of Macroeconomics. 4. Auflage. W. W. Norton, New York 2005, ISBN 0393926249
  • mit José Antonio Ocampo, Shari Spiegel, Ricardo Ffrench-Davis & Deepak Nayyar: Stability with Growth. Macroeconomics, Liberalization and Development. Oxford University Press, 2006, ISBN 0199288143
  • Making Globalization Work. W. W. Norton, New York 2006, ISBN 0393061221
  • mit Stephany Griffith-Jones: Growth with responsibility in a globalized world. Findings of the Shadow G-8. Friedrich-Ebert-Stiftung New York, Mai 2007 (PDF;412 KB)
  • mit Linda J. Bilmes: The Three Trillion Dollar War. The True Cost of the War in Iraq. W. W. Norton, New York 2008, ISBN 0393067017
Sammelausgabe
  • Selected Works of Joseph E. Stiglitz. Oxford University Press (auf sechs Bände angelegt)
    • Volume I: Information and Economic Analysis. 2009, ISBN 0199533709

Literatur

  • Richard Arnott, Bruce Greenwald, Ravi Kanbur & Barry Nalebuff (Hrsg.): Economics for an Imperfect World. Essays in Honor of Joseph E. Stiglitz. The MIT Press, 2003, ISBN 0262012057
  • Ha-Joon Chang (Hrsg.): The Rebel Within: Joseph Stiglitz and the World Bank. Anthem Press, 2002, ISBN 1898855536
  • Marek Dabrowski, Stanislaw Gomulka & Jacek Rostowski: Whence Reform? A Critique of the Stiglitz Perspective. In: Journal of Policy Reform. Volume 4, Issue 4, 2001, S. 291–324 (PDF)

Weblinks

Interviews

Fußnoten

  1. a b c Frankfurter Allgemeine Zeitung: Joseph Stiglitz: Kassandra der Finanzkrise. 6. Oktober 2008
  2. a b Website von Joseph Stiglitz: Curriculum Vitae (PDF; 382 KB)
  3. Siehe hierzu auch Greg Palast im Observer: The Globalizer Who Came In From the Cold. 10. Oktober 2001. Zuerst ebd. erschienen am 29. April 2001 unter dem Titel The IMF’s Four Steps to Damnation; deutsche Übersetzung: Von den Anklagen des früheren Chefökonomen der Weltbank bekommt man Stielaugen
  4. Joseph Stiglitz auf der Website des Brooks World Poverty Institute
  5. Committee Members auf der Website des Committee on Global Thought
  6. Initiative for Policy Dialogue: IPD Key Individuals – Joseph Stiglitz; siehe auch: Initiative for Policy Dialogue in der englischen Wikipedia
  7. Commission on the Measurement Of Economic Performance and Social Progress: Members
  8. The New York Times: Op-Ed Contributor – Obama’s Ersatz Capitalism. 31. März 2009; Frankfurter Rundschau: Wirtschaftskrise: Obamas Ersatzkapitalismus. 7. April 2009
  9. Die Chancen der Globalisierung. S. 335
  10. Die Chancen der Globalisierung. S. 349
  11. Die Chancen der Globalisierung. S. 350
  12. Die Chancen der Globalisierung. S. 334
  13. Die Chancen der Globalisierung. S. 307–334
  14. Die Chancen der Globalisierung. S. 351
  15. Die Chancen der Globalisierung. S. 351
  16. Die Chancen der Globalisierung. S. 352
  17. Die Chancen der Globalisierung. S. 354

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