Judenbad Friedberg

Judenbad Friedberg

Die Mikwe in Friedberg (Hessen) ist die größte vollständig erhaltene mittelalterliche Mikwe in Deutschland. Dieses jüdische Ritualbad ist in Friedberg und Umgebung als Judenbad bekannt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

  • Seit 1241 ist eine jüdische Gemeinde in Friedberg urkundlich nachgewiesen.[1]
  • 1260 beginnt der Bau der Mikwe, wahrscheinlich durch dieselbe Bauhütte, die die Stadtkirche errichtete. Als Geldgeber für das Bauprojekt gilt Isaac Coblenz wegen einer hebräischen Inschrift mit seinem Namen im Sockel der Mikwe.
  • 1350 wird die Mikwe erstmalig durch Ulrich III. von Hanau urkundlich erwähnt.[2]
  • Im 19. Jahrhundert wird die Mikwe jahrzehntelang nicht mehr als Ritualbad benutzt und zweckentfremdet; ab 1875 wird sie wieder gepflegt, genauer erforscht und für Besucher geöffnet.
  • In der nationalsozialistischen Zeit gibt es wiederholte Versuche, die Mikwe zu zerstören. Am 10. November 1938 scheiterte dies am Widerstand eines Geschichtslehrers des Friedberger Aufbaugymnasiums und seiner Schüler, die dem anrückenden SA-Trupp überzeugend die historische Bedeutung des Bades vorhielten.[3] Später setzten sich führende NS-Politiker für den Erhalt der Mikwe ein, da sie von christlichen deutschen Handwerkern gebaut worden war.[4]
  • 1939 erfolgt die Zwangsabtretung der Mikwe an die Stadt Friedberg.[5]
  • Heute ist die Mikwe im Besitz der Stadt Friedberg und für Besichtigungen geöffnet.
Querschnitt
Innenansicht der Mikwe
Blick auf das Becken
Säulenkapitell und Lichtöffnung

Standort

Die Friedberger Mikwe befindet sich in der Friedberger Altstadt (Judengasse) im ehemaligen Judenviertel. Nur wenige Häuser entfernt stand bis zu ihrer Zerstörung im Jahr 1938 die Synagoge. Der Zugang erfolgt über den Innenhof eines Wohngebäudes von 1903. Von diesem Hof blickt man durch eine Glaskuppel hinunter in den Schacht der Mikwe.

Bedeutung und Funktion

Das Friedberger Judenbad ist nicht nur die größte unter den erhaltenen mittelalterlichen Mikwen in Deutschland, es darf auch aufgrund seiner architektonischen Gestalt einen herausragenden Rang beanspruchen.

Da fließendes Wasser im jüdischen Ghetto der Friedberger Altstadt nicht verfügbar war, musste der Grundwasserspiegel erreicht werden, um zu dem für die Ritualbäder notwendigen natürlichen Wasser zu gelangen. Dafür wurde ein Schacht 25 Meter vertikal in den Untergrund getrieben und in quadratischem Querschnitt von ca. 5,50 m x 5,50 m aufgemauert.

Das sich stetig selbst erneuernde Wasser steht bis zu 5 m tief. Die Wassertemperatur beträgt 7° - 10°.

Architektur

Der Schacht ist nach oben geschlossen durch ein Tonnengewölbe, in dem eine kreisrunde Öffnung mit achteckigem Aufbau als Lichtquelle ausgespart wurde. Den einzigen Zugang, erreichbar vom Hof abwärts über eine kurze Treppe, bildet ein Portal mit seitlich reichem Profil und einer Kombination aus Schulterbogen und gotischem dreiblättrigem Blendbogen oben. Von dort ist der Tiefenraum begehbar über eine der äußeren Schachtwand nach innen vorgesetzte konstruktiv und ästhetisch höchst bemerkenswerte steinerne Treppenkonstruktion. Sie besteht aus sieben Abschnitten, die, unterbrochen von Absätzen in den Ecken, über insgesamt mehr als siebzig Stufen bis zum sichtbaren felsigen Grund unter dem Wasserspiegel führen. Diese Treppenläufe werden von weiten Halbbögen überspannt, die zugleich das über ihnen als innere Schachtwand aufgeführte Mauerwerk tragen. Dessen Last ist durch spitzbogige Nischen gemindert, die zugleich ästhetisch wirksam die Wandflächen gliedern und die vertikale Ausrichtung des Baus unterstreichen. Die Halbbögen werden zum Rauminneren hin an ihren Fußpunkten von Säulen getragen, die auf den freien Ecken der Treppenabsätze stehen. Zur äußeren Schachtwand hin lasten die Bögen auf Konsolen und Eckdiensten.

Die Kapitelle der Säulen zeigen unterschiedlich differenziertes Blattwerk, das auf die Kapitelle des Ciborienaltars der Friedberger Stadtkirche verweist. Gleichartige Steinmetzzeichen wie in dem um 1260 begonnenen Chor der Stadtkirche und die Verwendung des gleichen Bellmuther Sandsteins sind ein Indiz dafür, dass an beiden Bauten dieselben Handwerker tätig waren. Eine Inschrift in einer Wandnische der Mikwe zeigt die Jahreszahl 1260, durch die der stilistische und materielle Zusammenhang zum gotischen Sakralbau der Stadt eine Bestätigung findet.


Literatur

Monica Kingreen: Das Judenbad und die Judengasse in Friedberg. Friedberg 2008

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hans-Helmut Hoos: Kehillah Kedoscha - Spurensuche - Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Friedberg und der Friedberger Juden von den Anfängen bis 1942. Limburg 2002, ISBN 3-927006-36-X, S. 24
  2. Monica Kingreen: Das Judenbad und die Judengasse in Friedberg. Friedberg 2008, S. 16
  3. Monica Kingreen: Das Judenbad und die Judengasse in Friedberg. Friedberg 2008, S. 43
  4. Monica Kingreen: Das Judenbad und die Judengasse in Friedberg. Friedberg 2008, S. 50-52
  5. Monica Kingreen: Das Judenbad und die Judengasse in Friedberg. Friedberg 2008, S. 45

50.339338.755137Koordinaten: 50° 20′ 22″ N, 8° 45′ 18″ O


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