Judenbad

Judenbad
Becken einer mittelalterlichen Mikwe von 1128 in Speyer
Modell der historischen Mikwe von Speyer
Moderne Mikwe
Thea Altaras bei der Freilegung der Mikwe in Rotenburg an der Fulda im Juni 2003

Mikwe (hebr. Mikwaeh, מקװה, Mehrzahl Mikwaot מקװאות, von קוה, zusammenfließen) bezeichnet sowohl das Gebäude für das rituelle Tauchbad in einer jüdischen Gemeinde als auch dieses Tauchbad selbst.

Das Wasser einer Mikwe muss reinstes lebendiges Wasser[1] sein. Daher wurden vielerorts so genannte Grundwassermikwaot gebaut, die meist unter der Erde auf der Höhe des lokalen Grundwasserspiegels eingerichtet wurden.

Während in historischen Mikwen das Wasser meist kalt war ist es in modernen Mikwen in aller Regel geheizt.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Fast jede jüdische Gemeinde ist oder war im Besitz eines solchen rituellen Tauchbades. In Deutschland lassen sich heute noch an über 400 Orten – z. B. in Köln, Speyer, Worms, Friedberg, Petershagen, Busenberg, Sondershausen – Mikwaot nachweisen. In der Mikwe in Rotenburg an der Fulda fand man neben einem neuzeitlichen Badebassin (1835/1925) ein Grundwassertauchbad aus dem 17. Jahrhundert und einen separaten Schacht zum Kaschern von Küchengeräten[2].

Sinn und Gebrauch

Der Zweck der Mikwe ist nicht das Erlangen hygienischer, sondern allein das ritueller Reinheit. Als rituell unrein gilt nach jüdischer Tradition zum Beispiel Blut oder das Berühren von Toten. Ist keine Mikwe vorhanden, kann nach talmudischer Tradition die Pflicht zum Untertauchen auch im Meer, in einem See, einem Fluss oder tieferem Bach erfüllt werden.

Der Besuch der Mikwe ist nach orthodoxer Tradition vorgeschrieben, wenn eine verheiratete Frau ihre Menstruation oder eine Entbindung hinter sich gebracht hat. Den ersten Besuch in der Mikwe absolviert die Frau als Braut, meistens am Vorabend des Hochzeitstages. Dieses Ereignis feiert sie mit Freundinnen und weiblichen Mitgliedern der Familie. Die Braut wird beim Eintauchen mit Bonbons beworfen und besungen. Auch in nichtreligiösen Familien, in denen die Frauen nicht jeden Monat die Mikwe besuchen, ist es durchaus üblich, dieses Brautritual abzuhalten. Das Gebot „Nidda we’ Twila“ (Trennungszeit und Untertauchen in der Mikwe) gilt, sobald eine jüdische Frau Verkehr mit einem Mann hat bzw. haben will – unabhängig vom Status der Beziehung oder von der Zugehörigkeit zu bestimmten Strömungen des Judentums. Hierzu findet sich im Talmud eine längere Debatte. Die Mikwe wird in traditionellen Kreisen auch von Männern vor Beginn des Schabbats oder von Feiertagen zum Untertauchen benutzt. Das Ritual des Untertauchens wird zunehmend auch von nicht-orthodoxen jüdischen Kreisen entdeckt und ausgestaltet, z. B. in Berlin.

Ein Sofer (Schreiber religiöser Schriften) ist verpflichtet, sich durch Untertauchen in der Mikwe in einen Zustand vollständiger ritueller Reinheit zu versetzen, bevor er in einer Torarolle den Gottesnamen schreibt. Bereits in der Zeit der Rabbinen wurden die Gesetze über die Reinheit verändert, so dass nur noch Frauen diese aufsuchen mussten, nicht aber Männer. Die Vorschriften in der Tora sind jedoch so, dass auch Männer die Mikwe aufsuchen müssten.

Ein weiterer Anlass, in der Mikwe unterzutauchen, ist die Konversion zum Judentum, was sowohl für Männer als auch Frauen Bedingung für eine gültige Konversion ist. Hiervon leitet sich auch die christliche Taufe ab.

Um eine erfolgreiche rituelle Reinigung durchführen zu können, darf nichts Fremdes am Körper vorhanden sein. Den vollständigen Kontakt des reinen Wassers mit dem Körper darf nichts verhindern, so ist z. B. Schmuck, Lippenstift, Nagellack und jegliche Art von Bekleidung vor dem Baden abzulegen. Es muss auch darauf geachtet werden, dass der gesamte Körper mitsamt den Haaren untergetaucht wird. Den Vorgang des vollständigen Untertauchens bezeichnet man mit Twila.

Sicht des Reformjudentums

Vom Reformjudentum, teilweise auch vom liberalen Judentum, wird der Begriff der rituellen Reinheit vielfach abgelehnt. Deshalb ist die Mikwe hier eher unüblich.

Literatur

  • Sylvia Seifert: Einblicke in das jüdische Leben. In: Regensburger Frauenspuren. Eine historische Entdeckungsreise, hrsg. v. Kätzel/Schrott, Pustet 1995
  • Peter Guttkuhn: Zores um eine Mikwe. Wie die jüdische Gemeinde Lübeck 1852 einen Rechtsstreit um den Betrieb ihres Ritualbades gewann. In: Allgemeine jüdische Wochenzeitung. Jg. 51, Nr. 18. Bonn 5. September 1996
  • Thea Altaras: Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen - Was geschah seit 1945?. Eine Dokumentation und Analyse aus allen 264 hessischen Orten, deren Synagogenbauten die Pogromnacht 1938 und den zweiten Weltkrieg überstanden: 276 architektonische Beschreibungen und Bauhistorien. Aus d. Nachlass hrsg. v. Gabriele Klempert u. Hans-Curt Köster. Die Blauen Bücher. Königstein i. Ts. 2007 (S. 31-59 Grundsätzliches zu Mikwa'ot). ISBN 978-3-7845-7794-4
  • Heinrich Nuhn: Die Rotenburger Mikwe. Kulturdenkmal und Zeugnis der Vielfalt jüdischen Lebens. Mit einem Nachwort von Avital ben-Chorin, Jerusalem (geb. Erika Fackenheim, Eisenach), und Erläuterungen von Martin Schaub zu seiner Mose-Skulptur. Verlag AG-Spurensuche, Rotenburg an der Fulda 2006. ISBN 3-933734-11-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. nach Rabbiner Walter Rothschild, Berlin
  2. Heinrich Nuhn, a. a. O.

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