Jukagirische Sprache

Jukagirische Sprache
Jukagirisch

Gesprochen in

Russland
Sprecher 120
Linguistische
Klassifikation

Isolierte Sprache

  • '
Sprachcodes
ISO 639-3:

ykg

Verbreitung der jukagirischen Sprachen im 17. Jahrhundert (rot strichliert) und im 20. Jahrhundert (rot)

Die jukagirischen Sprachen wurden im Nordosten Sibiriens, vor allem in Jakutien gesprochen. Nach neueren Untersuchungen ist nur noch eine dieser Sprachen in Gebrauch, das eigentliche Jukagirische oder Odulische. Diese Sprache wird noch von etwa 120 Jukagiren gesprochen.

Die jukagirischen Sprachen werden mit anderen sibirischen Sprachen zu der Gruppe der paläosibirischen Sprachen zusammengefasst. Die paläosibirischen Sprachen bilden jedoch keine genetische Einheit, sondern eine Gruppe altsibirischer Restsprachen, die schon vor dem Eindringen uralischer, turkischer und tungusischer Ethnien dort gesprochen wurden. Eine verwandtschaftliche Beziehung zu den uralischen Sprachen ist nicht ausgeschlossen (siehe unten).

Inhaltsverzeichnis

Die jukagirische Gruppe: Odulisch, Omok und Tschuwanisch

Heute (2009) existiert von der Gruppe der jukagirischen Sprachen nur noch das eigentliche Jukagirische (oder Odulische) mit maximal 120 Sprechern in zwei stark divergierenden Dialekten in Jakutien und im Magadan-Gebiet: dem nördlichen Tundra-Dialekt (maximal 90 Sprecher, Srednekansk-Distrikt) und dem südlichen Kolyma-Dialekt (max. 30 Sprecher, Nishnikolymsk-Distrikt). Die ethnische Gruppe der Odulen – so ihre Selbstbezeichnung – umfasst noch etwa 1.000 Personen, die Sprache wird nur noch von der älteren Bevölkerung im privaten Umfeld gesprochen, jüngere haben allenfalls noch ein reduziertes passives Sprachverständnis. Es gibt dennoch Bemühungen, die Sprache zu erhalten. So wurde in den 1980er Jahren auf Basis des kyrillischen Alphabets eine Schrift für die jukagirische Sprache geschaffen. In einigen Grundschulen wird Jukagirisch als Unterrichtsfach angeboten.

Die jukagirischen Sprachen Omok und Tschuwanisch wurden süd- und südwestlich der heutigen Sprachgebiete gesprochen und starben bereits im 19. Jahrhundert aus. Noch zu Beginn des 17. Jahrhundert dehnten sich jukagirische Stämme vom Unterlauf der Lena im Westen bis zum Oberlauf des Anadyr im Osten, vom Nordmeer bis zu den Werchojansker Bergen im Süden über ein riesiges Gebiet Nordost-Sibiriens aus. Diese Stämme wurden vom 17. bis zum 19. Jahrhundert durch Epidemien, kriegerische Auseinandersetzungen und die russische Kolonisierung stark dezimiert, teilweise assimilierten sie sich auch den Tschuktschen, Jakuten, Ewenen und Russen, wobei sie ihre jukagirischen Sprachen aufgaben.

Bemerkungen zur Sprachcharakteristik

Erste systematische Studien des Jukagirischen begannen mit W. Jochelson, der in die Kolyma-Region verbannt worden war, in den Jahren 1894 bis 1896. Wichtige Beiträge lieferte auch der Jukagire N. Spiridinow in den 1930er Jahren. Die beiden Dialekte des Jukagirischen (Nord- oder Tundradialekt, Süd- oder Kolymadialekt) unterscheiden sich so stark, dass manche Forscher von zwei Sprachen ausgehen. Über die mögliche genetische Verwandtschaft des Jukagirischen mit den uralischen Sprachen siehe unten. Zumindest typologisch ist das Jukagirische ohne Zweifel den uralischen Sprachen sehr ähnlich. Dazu gehört auch die Existenz einer separaten Negativ-Konjugation, zum Beispiel:

  • tet mer-ai-mek – „du hast geschossen“
  • tet el-ai-yek – „du hast nicht geschossen“

Eine Besonderheit ist die morphologische Fokussierung von Satzteilen, zum Beispiel

  • met-ek uul – „ich ging“
  • met mer-uul-jeŋ – „ich ging

Im Gegensatz zu den anderen paläosibirischen Sprachen besitzt das Jukagirische kaum Konsonantencluster. Erwähnenswert ist die Ideenschrift der Jukagiren (Kerbungen in Birkenrinde, vgl. Jensen 1969), durch die Routenkarten dargestellt oder Liebesbriefe übermittelt werden konnten.

Die uralisch-jukagirische Hypothese

Eine ernst zu nehmende Hypothese ist die der Verwandtschaft des Jukagirischen mit dem Uralischen. Nach Merritt Ruhlen (1991) beweisen die Arbeiten von B. Collinder (1965) und R.T. Harms (1977) „jenseits jeden vernünftigen Zweifels“ die Verwandtschaft des Jukagirischen mit den uralischen Sprachen. Collinder (1965) stellt fest: „Die Gemeinsamkeiten des Jukagirischen und Uralischen sind so zahlreich und charakteristisch, dass sie Überreste einer ursprünglichen Einheit sein müssen. Das Kasussystem des Jukagirischen ist fast identisch mit dem des Nord-Samojedischen. Der Imperativ wird mit denselben Suffixen gebildet wie im Süd-Samojedischen und den konservativsten finno-ugrischen Sprachen […] Jukagirisch hat ein halbes Hundert gemeinsamer Wörter mit dem Uralischen, und zwar ohne die Lehnwörter. […] Man sollte bemerken, dass alle finno-ugrischen Sprachen in der Kasus-Flexion mehr vom Samojedischen abweichen als das Jukagirische.“ Es wäre danach durchaus möglich, von einer uralisch-jukagirischen Sprachfamilie zu sprechen.

Allerdings wird von Seiten der Uralistik diese mögliche Verwandtschaft recht kritisch gesehen, so auch wieder A. Marcantonio (2002), die eher von Entlehnungen seitens des Jukagirischen aus den samojedischen Sprachen ausgeht. Neutraler ist D. Abondolo (1998): „Der einzige echte und glaubwürdige Kandidat für einen produktiven Vergleich mit dem Uralischen ist das Jukagirische. […] Zwei herausragende Analysen (die diese Verwandtschaft untersuchen) sind die Arbeiten von Harms (1977) und Nikolaeva (1988) über historische Phonologie und Morphologie. So zwingend diese Arbeiten in manchen Details erscheinen, gibt es doch bedeutende Punkte, in denen sie sich widersprechen, zum Beispiel bei der Rolle und Entwicklung des Genitivs; vielleicht wird weitere Forschung diese Widersprüche aufklären können.“

In den Makrofamilien Eurasiatisch und Nostratisch wird das Jukagirische wie selbstverständlich mit dem Uralischen zusammengefasst, entweder als dritter Zweig neben dem Finno-Ugrischen und Samojedischen (so die Nostratiker, z.B. Aharon Dolgopolsky) oder als ein Zweig des Uralisch-Jukagirischen, der dem uralischen Zweig gleichrangig gegenüber steht (so die Eurasiatiker, z.B. Joseph Greenberg).

Jukagirisch im Rahmen der nostratischen Hypothese
  • Uralisch
    • Finno-Ugrisch
    • Samojedisch
    • Jukagirisch
Jukagirisch im Rahmen der eurasiatischen Hypothese
  • Uralisch-Jukagirisch
    • Uralisch
      • Finno-Ugrisch
      • Samojedisch
    • Jukagirisch

Literatur

Allgemein

  • Merritt Ruhlen: A Guide to the World’s Languages. London 1991. (insbesondere S. 64–71)

Jukagirisch

  • Johannes Angere: Jukagirisch-deutsches Wörterbuch. Stockholm, Wiesbaden 1957.
  • Irina Nikolaeva: Chresthomatia Yukagirica. Budapest 2000.

Jukagirisch und Uralisch

  • Robert T. Harms: The Uralo-Yukaghir Focus System. In: Paul J. Hopper (Hrsg.): Studies in Descriptive and Historical Linguistics. Amsterdam 1977.
  • Irina Nikolaeva: Проблема урало-юкагирских генетицеских связей. Moskau 1988.
  • Björn Collinder: An Introduction to the Uralic Languages. Berkeley, Calif. 1965.
  • Angela Marcantino: The Uralic Language Family. Oxford, New York 2002.
  • Daniel Abondolo: The Uralic Languages. Routledge, London, New York 1998.

Jukagirisch in Makrofamilien

  • Joseph H. Greenberg: Indo-European and its Closest Relatives. The Eurasiatic Language Family, Band 1: Grammatik; Stanford University Press 2000.
  • Aharon Dolgopolsky: The Nostratic Macrofamily and Linguistic Palaeontology. Oxford 1998.

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