Justinianische Pest

Justinianische Pest

Bei der so genannten Justinianischen Pest handelt es sich um eine zur Zeit des oströmischen Kaisers Justinian I. (527–565) ausgebrochene Pandemie, die 541 in Ägypten ihren Anfang nahm, 542 Konstantinopel erreichte und sich bald darauf im gesamten Mittelmeerraum verbreitete. Die Pest hat vielleicht zum Misserfolg der Restauratio imperii Justinians beigetragen und gilt als die größte antike Pestepidemie in Europa.

Inhaltsverzeichnis

Das Auftreten der Seuche vom 6. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts

Zuerst soll sie in Pelusium im Nildelta aufgetreten sein, wohin sie wohl aus Schwarzafrika oder aus Indien eingeschleppt worden war. Auf den Schifffahrtswegen gelangte diese Seuche bis nach Illyrien, Tunesien, Spanien, Italien und Gallien (Arles) und breitete sich bis zum Rhein aus. Eine andere Hypothese geht von der Übertragung der Pest durch Fliegenschwärme aus, die in Intervallen das Reich heimgesucht hätten. Ihr Auftreten sei durch klimatische Änderungen ermöglicht worden, die von einem Meteoriteneinschlag oder wahrscheinlicher dem Ausbruch des Vulkans Rabaul verursacht worden seien.[1] Diese Minderheitenmeinung hat sich allerdings in der Forschung nicht allgemein durchgesetzt.

544 ließ Justinian, der wie der Perserkönig Chosrau I. selbst erkrankt gewesen war, aber überlebt hatte, zwar das Ende der Pestepidemie verkünden, doch brach sie 557 erneut aus, kehrte im Jahre 570 nochmals wieder und trat bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts in etwa zwölfjährigem Rhythmus immer wieder in Erscheinung, bevor sie nach etwa 770 wieder für über fünf Jahrhunderte verschwand. Betroffen waren von diesen Ausbrüchen die Länder des westlichen Mittelmeerraums, das rheinische Germanien und etwa zwei Drittel von Gallien und Hispanien sowie Kleinasien, Syrien, Mesopotamien und Persien. Nicht alle Länder waren gleich stark betroffen; häufig grassierte die Pest zwei oder drei Jahre in einem bestimmten Gebiet und schwächte sich dann wieder ab.

Voraussetzung für die rasche Ausbreitung der Krankheit und die hohe Sterberate war neben dem Umstand, dass der Erreger wohl erstmals im Mittelmeerraum auftrat, auch eine allgemeine vorangehende Schwächung der Bevölkerung durch Missernten und Kriege. In der Folge der Seuchenzüge seit 541 reduzierte sich die Bevölkerung des Römischen Reiches wohl um ein Viertel (auch dies ist in der Forschung aber nicht unumstritten), mit weitreichenden Auswirkungen.

Die mit der Pest einhergehende Nahrungsmittelknappheit, das Absinken der Steuereinnahmen und die (allerdings von manchen Historikern bezweifelte) zunehmende Unfähigkeit, genügend Soldaten aufzustellen, um die langen Grenzen des römischen Reiches zu verteidigen, trugen vielleicht dazu bei, dass im Jahre 700 n. Chr. die östlichen und südlichen Küsten des Mittelmeers unter arabischer Vorherrschaft standen und das ehemalige römische Reich nun auf Konstantinopel, Kleinasien und einen Teil des Balkans begrenzt war.

Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass auch die wichtigsten Gegner der Römer – Sassaniden und Araber – von der Seuche betroffen gewesen waren, so dass die Pest nicht die alleinige Ursache dafür gewesen sein kann, dass sich das Kräfteverhältnis zu Ungunsten der Römer verschob. Zudem lässt sich schwer abschätzen, wie gravierend die langfristigen Auswirkungen der Seuche tatsächlich waren - der historische und archäologische Befund ist uneindeutig.

Vermutungen über den Krankheitserreger

Diese Seuche wird vor allem aufgrund der Darstellung der Krankheitssymptome im Werk der zeitgenössischen spätantiken Historiker Prokopios von Caesarea (Prokop, Kriege 2, 22 ff.), der die Seuche in enger Anlehnung an die Darstellung der Pest im Werk des Thukydides beschrieb, und Euagrios Scholastikos, der selbst erkrankt war, weitgehend unumstritten dem Pesterreger (Yersinia pestis) zugeordnet. Die Beulenpest war an der Epidemie wohl zumindest beteiligt (Prokopios erwähnt die charakteristischen Geschwulste), wenngleich sie vielleicht von anderen Seuchen begleitet wurde. Angesichts der Tatsache, dass selbst in Hinblick auf die spätmittelalterlichen Seuchenzüge seit 1347 kein vollständiger Konsens darüber besteht, ob es sich beim „Schwarzen Tod“ tatsächlich um die von Yersinia pestis hervorgerufene Krankheit handelte, überrascht es aber nicht, dass auch in Hinblick auf die Identifizierung der spätantiken Pandemie seit 541 gewisse Zweifel bleiben.

Neuere Untersuchungen stützen aber die These, dass es sich bei dem Erreger der Justinianischen Pest um eine Variante von Yersinia pestis handelte: Die DNA des Bakteriums wurde in einem Massengrab bei Sens gefunden, das stratigraphisch auf das 5. oder 6. Jahrhundert datiert worden ist.[2] Auch in Aschheim wurde bei zwei weiblichen Skeletten aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts die DNA von Yersinia pestis entdeckt.[3] Wahrscheinlich gehörten diese Erreger allerdings einem anderem Stamm an als jenem, der im Spätmittelalter Europa verheeren sollte: Nach Meinung des Biologen Johannes Krause von der Universität Tübingen entstand die große Pestepidemie von 1347 bis 1351 durch eine neue Mutation des Bakteriums.[4] Trifft dies zu, so war der Erreger des spätmittelalterlichen Schwarzen Todes mit dem der Justinianischen Pest zwar eng verwandt, aber nicht identisch.

Literatur

  • Pauline Allen: The Justinianic Plague. In: Byzantion. Band 49, 1979, S. 5–20.
  • Peregrine Horden: Mediterranean Plague in the Age of Justinian. In: Michael Maas (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Justinian. Cambridge 2005, ISBN 0-521-52071-1, S. 134 ff.
  • Lester Little (Hrsg.): Plague and the End of Antiquity. The Pandemic of 541–750. Cambridge 2007, ISBN 978-0-521-84639-4.
  • Mischa Meier: „Hinzu kam auch noch die Pest …“ Die sogenannte Justinianische Pest und ihre Folgen. In: Mischa Meier (Hrsg.): Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas. Klett-Cotta, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-94359-5, S. 86 ff.
  • Mischa Meier: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr. Göttingen 20042, ISBN 3-525-25246-3.
  • William Rosen: Justinian’s Flea. Plague, Empire, and the birth of Europe. Cambridge 2007, ISBN 978-1-84413-744-2 (Populärwissenschaftlich und gut lesbar, aber nicht unproblematisch, da teils sehr generalisierend und zu stark vereinfachend).
  • Dionysios Ch. Stathakopoulos: Famine and pestilence in the Late Roman and early Byzantine empire. A systematic survey of subsistence crises and epidemics. Aldershot 2004, ISBN 0-7546-3021-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ioannis Antoiou, Anastasios K. Sinakos: The Sixth-Century plague, its repeated appearance until 746 ad and the explosion of the Rabaul Volcano. In: Byzantinische Zeitschrift 98, 2005, S. 1–4.
  2. Michel Drancourt, Véronique Roux, Vu Dang u. a.: Genotyping, orientalis-like Yersinia pestis, and plague pandemics. In: Emerging Infectious Diseases 10 (2004), S. 1585–1592.
  3. I. Wiechmann, G. Grupe: Detection of Yersinia pestis DNA in two early medieval skeletal finds from Aschheim (Upper Bavaria, 6th. century A.D.); in: American journal of physical anthropology 126/1 (2005), S. 48–55.
  4. http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2011-10/verbreitung-pest-europa/seite-2

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