Karl von Ossietzky

Karl von Ossietzky
Carl von Ossietzky in KZ-Haft (1933)

Carl von Ossietzky (* 3. Oktober 1889 in Hamburg; † 4. Mai 1938 in Berlin) war ein deutscher Journalist, Schriftsteller und Pazifist.

Als Herausgeber der Zeitschrift Die Weltbühne wurde er im international aufsehenerregenden Weltbühne-Prozess 1931 wegen Spionage verurteilt, weil seine Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Ossietzky erhielt 1936 rückwirkend den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935, dessen persönliche Entgegennahme ihm jedoch von der nationalsozialistischen Regierung untersagt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Frühe Jahre und Ausbildung

Carl von Ossietzky wurde 1889 als einziges Kind der Eheleute Carl Ignatius von Ossietzky und Rosalie, geb. Pratzka, in Hamburg geboren. Der Vater Carl Ignatius (1848–1891) war der Sohn eines Kreisbeamten aus Oberschlesien und arbeitete nach seiner Übersiedlung nach Hamburg als Stenograf in der Anwaltskanzlei des Senators und späteren Hamburger Bürgermeisters Max Predöhl. Nebenbei betrieb er eine Speisewirtschaft. Als der Vater in Carls drittem Lebensjahr starb, übernahm dessen Schwester die Erziehung des Kindes, während sich die Mutter weiter um die Gaststätte kümmerte. Senator Predöhl unterstützte ihn weiterhin und sorgte dafür, dass er vom siebten Lebensjahr an die renommierte Rumbaumsche Schule besuchen konnte. Zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes heiratete Rosalie von Ossietzky den Bildhauer und Sozialdemokraten Gustav Walther, und beide nahmen den Jungen zu sich. Walther weckte Ossietzkys Interesse an der Politik. So besuchten sie gemeinsam Parteiveranstaltungen, auf denen der SPD-Vorsitzende August Bebel sprach, was einen nachhaltigen Eindruck bei Ossietzky hinterließ.

Ossietzky versuchte nach dem achtjährigen Besuch der privaten Realschule und dem Besuch einer privaten Abendschule (Institut Dr. Goldmann) zweimal erfolglos, die staatliche Prüfung zur Mittleren Reife zu bestehen, und wurde zu einem dritten Versuch nicht mehr zugelassen. Hierbei mag die Abneigung der Schulbehörde gegen solche "Seiteneinsteiger" eine Rolle gespielt haben, weil mit dem Bestehen dieser Prüfung das Privileg des nur einjährigen Militärdienstes verbunden war. Ossietzkys Leistungen in Mathematik bzw. im kaufmännischen Rechnen waren aber auch im Gegensatz zu anderen Fächern nur schwach. Seine Interessen waren eher auf Literatur und Geschichte gerichtet. So schwänzte er schon in jungen Jahren einmal die Schule, um ungestört literarische Klassiker wie Schiller, Goethe und Hölderlin zu lesen. Da ihm eine akademische Laufbahn verwehrt war, bewarb er sich im Alter von 17 Jahren um eine Stelle bei der Hamburger Justizverwaltung. Nur der Intervention seines Fürsprechers Predöhl war es zu verdanken, dass er überhaupt zur Einstellungsprüfung zugelassen wurde. Schließlich war Ossietzky in der Warteliste für „anzustellende Hülfsschreiber“ auf Platz eins vorgerückt und trat am 1. Oktober 1907 in den Justizdienst ein. 1910 wurde er aufgrund akzeptabler Leistungen in das Grundbuchamt versetzt.

Ossietzkys Biographen bemerken, dass er während seiner Zeit im Justizdienst eine Art Doppelleben geführt habe. Tagsüber verbrachte er die Stunden auf dem Amt, abends besuchte er so viele kulturelle und politische Veranstaltungen wie möglich. Nebenher schrieb er viele Gedichte. Zu den ersten literarischen Versuchen jener Zeit gehörte auch ein romantisches Theaterstück, das er für eine Hamburger Schauspielerin schrieb, in die er verliebt war.

1908 trat er der Demokratischen Vereinigung um Hellmut von Gerlach und Rudolf Breitscheid bei. Weltanschaulich stand Ossietzky dem Monismus des populären Zoologen und Darwinisten Ernst Haeckel nahe. Mit seinem starken Diesseits- und Fortschrittsglauben war der Monismus für einen Menschen wie Ossietzky attraktiv, der sich von Wissenschaft und Technik eine Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen erhoffte und als Atheist den Einfluss der Kirche auf Erziehung und Bildung zurückdrängen wollte.

Pazifistischer Soldat

1911 sandte Ossietzky seinen ersten Beitrag bei der Wochenzeitung Das freie Volk ein, dem Publikationsorgan der Demokratischen Vereinigung. Aus dieser Initiative entwickelte sich in den Folgejahren eine regelmäßige Mitarbeiterschaft. Ossietzky wurde erstmals Leitartikler einer Zeitschrift. Auch für die Blätter des Deutschen Monistenbundes schrieb er regelmäßig.

1914 machte er auf eine für ihn ungewohnte Weise Bekanntschaft mit der Justiz: Aufgrund des Artikels „Das Erfurter Urteil“ wurde er wegen „öffentlicher Beleidigung“ angeklagt, weil er die damalige Militärjustiz zu stark kritisiert hatte. Die 200 Mark Geldbuße, zu der er verurteilt wurde, beglich seine Ehefrau Maud, die er am 19. August 1913 geheiratet hatte. Ossietzky hatte die Tochter eines britischen Kolonialoffiziers und Urenkelin einer indischen Prinzessin im Januar 1912 in Hamburg kennen gelernt. Maud Lichfield-Woods war damals in der englischen Frauenrechtsbewegung aktiv und unterstützte nach der Hochzeit die Pläne ihres Mannes, den Justizdienst zugunsten einer journalistischen Karriere aufzugeben. Im Januar 1914 reichte Ossietzky daher seine Kündigung ein.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Carl von Ossietzky zunächst als untauglich gemustert. Die kriegsbedingten Veränderungen innerhalb der Medien machten es ihm jedoch unmöglich, seinen Lebensunterhalt weiterhin als ein bis dato pazifistischer und militärkritischer Journalist zu verdienen. Daher kehrte er im Januar 1915 wieder in den Justizdienst zurück. Im Sommer 1916 wurde er schließlich doch noch eingezogen und als Armierungssoldat an die deutsche Westfront geschickt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon wieder von seiner anfänglichen Kriegsbegeisterung gelöst und hielt pazifistische Vorträge in Hamburg, wo er in den Vorstand der dortigen Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) gewählt worden war. Ebenfalls attackierte er im Laufe des Krieges verschiedene Führer des Monistenbundes wie Ernst Haeckel und Wilhelm Ostwald, die in dem Krieg ein Instrument zur weltweiten Durchsetzung der „höheren“ deutschen Kultur sahen. In seinem 1917 verfassten Manuskript Monismus und Pazifismus wandte sich Ossietzky entschieden gegen eine derartige Auslegung des darwinistischen Entwicklungsgedankens und warf Haeckel und Ostwald „pangermanistische Phantastereien auf Kosten der humanistischen Vernunft vor“ (Suhr, S. 80f.). Nach Ende des Krieges kehrte Ossietzky nach Hamburg zurück, wo er ein weiteres Mal seinen Dienst bei der Justiz quittierte.

Journalist in Berlin

Der Aufbau einer journalistischen Existenz erwies sich jedoch als schwierig. Ossietzky nahm eine gering bezahlte Stellung als Lektor im Pfadweiser-Verlag an. Ebenfalls gab er die Nullnummer des Monistenblattes Die Laterne heraus. Da er zum ersten Vorsitzenden der Hamburger DFG-Sektion gewählt wurde, war er häufig zu Vorträgen unterwegs. Als sich ihm Mitte 1919 schließlich die Möglichkeit bot, Sekretär der DFG in Berlin zu werden, zog das Ehepaar Ossietzky in die Reichshauptstadt. Dort zählte er im Oktober 1919 auch zu den Gründungsmitgliedern des Friedensbundes der Kriegsteilnehmer (FdK), den er gemeinsam mit Kurt Tucholsky und anderen Pazifisten ins Leben rief. Da Ossietzky zu diesem Zeitpunkt bereits einen radikaleren Pazifismus als der DFG-Vorsitzende Ludwig Quidde vertrat und wenig Freude an den reinen Organisationsaufgaben fand, kündigte er im Juni 1920 seine Stelle als DFG-Sekretär und widmete sich wieder hauptberuflich dem Journalismus.

Von Januar 1920 bis März 1922 schrieb er unter dem Pseudonym Thomas Murner in den Monistischen Monatsheften die ihm eingerichtete Kolumne „Von der deutschen Republik“. Von 1920 bis 1924 arbeitete er bei der Berliner Volkszeitung, zunächst als außenpolitischer Mitarbeiter, später als Redakteur. Daneben engagierte er sich stark in der „Nie-wieder-Krieg“-Bewegung, die unter der Führung des FdK gegründet worden war. Zu jedem Jahrestag des Kriegsausbruches, dem 1. August, organisierte ein „Aktionsausschuss Nie-wieder-Krieg“ große Veranstaltungen in verschiedenen deutschen Städten, vor allem in Berlin. Für die Bewegung gab Ossietzky außerdem ein eigenes Mitteilungsorgan heraus.

Die pazifistische und journalistische Arbeit, welche Publikationen in zahlreichen Medien umfasste, reichte Ossietzky offensichtlich nicht aus, um die Ideen von Demokratie und Republik fester in der deutschen Bevölkerung zu verankern. Im März 1924 gründete er daher gemeinsam mit dem Volkszeitungs-Redakteur Karl Vetter die Republikanische Partei (RPD). Ossietzky formulierte das Parteiprogramm, das von den Idealen der Märzrevolution von 1848 und der Novemberrevolution von 1918 getragen war. Es sah eine Stärkung des Staates gegenüber der Privatwirtschaft zum Zwecke des Gemeinwohls vor und enthielt vorsichtige Forderungen nach einer Sozialisierung der Industrie. Ebenfalls trat die RPD dafür ein, volksnahe Einrichtungen der Selbstverwaltung zu bilden. Auch nationalistische Töne wie die Forderung nach einer deutschen „Einheitsrepublik“ zur Einigung aller Menschen „deutscher Zunge“ und Kultur klangen an. Mit dem vagen Konzept eines demokratischen Staatssozialismus unterschied sich die Partei sowohl von der SPD wie der KPD. Diese Position sollte Ossietzky bis zum Ende der Weimarer Republik nicht mehr aufgeben, womit er auf Distanz zu den beiden großen Parteien der Arbeiterbewegung blieb. Kritiker und selbst Freunde wie Hellmut von Gerlach warfen der Partei vor allem vor, lediglich zur Zersplitterung der demokratischen und republikanischen Kräfte beizutragen. Da die Partei in der Reichstagswahl vom Mai 1924 nur 0,17 Prozent der Stimmen und kein Mandat erhielt, wurde sie umgehend wieder aufgelöst.

Nach seinem erfolglosen Ausflug in die Parteipolitik kehrte Ossietzky nicht mehr zur Volkszeitung zurück, sondern wurde Mitarbeiter und bald darauf Redakteur von Stefan Großmanns und Leopold Schwarzschilds Zeitschrift Das Tage-Buch. Doch die Zusammenarbeit mit den renommierten Journalisten währte nicht lange, da beide nach Auffassung Ossietzkys nicht scharf genug das Militär angriffen und über wichtige Themen am liebsten selber schrieben. Daher war er schon im Februar 1925 fest entschlossen, vom Tage-Buch zur Weltbühne zu wechseln. Ein gegen ihn gestellter Strafantrag bewog ihn dazu, die Kündigung aufzuschieben. Im Winter 1925/1926 kam er vorübergehend beim Berliner Montag-Morgen unter, ehe er den entscheidenden Schritt seiner Karriere wagte.

Herausgeber der Weltbühne

Carl von Ossietzky und die Weltbühne

Auf Anregung Tucholskys hatte sich Siegfried Jacobsohn, Herausgeber der Berliner Wochenzeitschrift Die Weltbühne, von Sommer 1924 an um die Mitarbeit Ossietzkys bemüht. Es sollte noch bis zum April 1926 dauern, bis zum ersten Mal ein politischer Leitartikel von ihm in dem Blatt erschien. Nach Jacobsohns Tod wurde er von 1927 an unter Mitarbeit von Kurt Tucholsky der Herausgeber der Weltbühne. Unter Leitung Ossietzkys behielt die Weltbühne ihre Bedeutung als undogmatisches Forum der radikaldemokratischen, bürgerlichen Linken bei. Dass sich Ossietzky in dieser Funktion großes Renommee erwarb, zeigt auch die Tatsache, dass er nach dem Berliner Blutmai im Mai 1929 den Vorsitz des Ausschusses übernahm, der die Hintergründe für den gewalttätigen Polizeieinsatz klären sollte.

Umschlag der inkriminierten Weltbühne vom 12. März 1929

In den Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit geriet Ossietzky schließlich durch seine Anklage im so genannten Weltbühne-Prozess. Der Artikel, der zu der Anklage geführt hatte, war bereits im März 1929 erschienen und hatte die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufgedeckt. Ende 1931 wurden Ossietzky und der Flugzeugexperte Walter Kreiser schließlich wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Anders als Kreiser lehnte es Ossietzky jedoch strikt ab, sich dem Gefängnisaufenthalt durch Flucht ins Ausland zu entziehen. Stattdessen erklärte er, nachdem sein Gnadengesuch abgelehnt worden war und der Haftantritt kurz bevor stand:

Über eines möchte ich keinen Irrtum aufkommen lassen, und das betone ich für alle Freunde und Gegner und besonders für jene, die in den nächsten achtzehn Monaten mein juristisches und physisches Wohlbefinden zu betreuen haben: – ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin. Ich beuge mich nicht der in roten Sammet gehüllten Majestät des Reichsgerichts sondern bleibe als Insasse einer preußischen Strafanstalt eine lebendige Demonstration gegen ein höchstinstanzliches Urteil, das in der Sache politisch tendenziös erscheint und als juristische Arbeit reichlich windschief.
(„Rechenschaft“, in: Die Weltbühne, 10. Mai 1932, S. 690)

Von dem Weltbühne-Mitarbeiter Walter Mehring ist die Episode überliefert, dass der spätere Reichskanzler Kurt von Schleicher persönlich in die Redaktion der Zeitschrift gekommen sei, um Ossietzky zur Ausreise in die Schweiz zu überreden. Ossietzky kommentierte diesen Versuch mit den Worten: „Jetzt sollen die Herren, die mir die Gefängnissuppe eingebrockt haben, sie auch selber auslöffeln.“

Einen Aufschrei der Empörung in der demokratischen und sozialdemokratischen Presse rief Ossietzky hervor, als er vor der Reichspräsidentenwahl 1932 empfahl, für den kommunistischen Kandidaten Ernst Thälmann zu stimmen. Seine Empfehlung wirkt umso verwunderlicher, wenn man berücksichtigt, dass Ossietzky noch im Januar 1932 der KPD vorgeworfen hatte, mit der Aufstellung Thälmanns „in der allerunmöglichsten Weise reagiert“ und einen gemeinsamen linken Kandidaten verhindert zu haben. Aus Kreisen um die Weltbühne war zuvor der Vorschlag gekommen, Heinrich Mann als Kandidaten gegen Hitler und Hindenburg aufzustellen, doch die KPD hatte an ihrem Vorsitzenden festgehalten. Bei seiner Empfehlung vor dem ersten Wahlgang räumte Ossietzky außerdem ein, dass die Stimme für Thälmann „kein Vertrauensvotum für die Kommunistische Partei“ bedeute. In seinen Augen siegte mit Amtsinhaber Paul von Hindenburg kein Programm, sondern ein

historischer Name, der, realpolitisch betrachtet, jedoch nur ein Zéro darstellt, vor das erst eine konkrete Größe zu setzen ist. Wer diese Zahl setzen darf, der wird am Ende der wirkliche Sieger sein.
(„Gang zwei“, in: Die Weltbühne, 22. März 1932, S. 427)
Vor der Strafanstalt in Berlin-Tegel. V.l.n.r.: Kurt Großmann, Rudolf Olden, beide Deutsche Liga für Menschenrechte; Carl von Ossietzky, Apfel, Rechtsanwalt; Rosenfeld

Bei seiner Ablehnung der „politischen Null“ Hindenburg nahm Ossietzky keine Rücksicht darauf, dass dieser zum gleichen Zeitpunkt über sein Gnadengesuch im Weltbühne-Prozess zu entscheiden hatte. Da das Gesuch Ende März 1932 abgelehnt wurde, trat Ossietzky am 10. Mai 1932 seine Haftstrafe im Gefängnis Berlin-Tegel an. Zahlreiche Freunde und politische Weggefährten ließen es sich nicht nehmen, Ossietzky bis an das Tor der Haftanstalt zu begleiten.

Wegen des berühmt gewordenen Tucholsky-Satzes „Soldaten sind Mörder“ klagte man von Ossietzky ebenfalls an. Ein Gericht wertete im Juli 1932 diesen Satz jedoch nicht als Verunglimpfung der Reichswehr und sprach den bereits Inhaftierten von der neuen Anklage frei. Aufgrund einer Weihnachtsamnestie für politische Häftlinge wurde Ossietzky am 22. Dezember 1932 nach 227 Tagen Haft vorzeitig entlassen.

Folter und KZ-Haft

Als engagierter Pazifist und Demokrat wurde er am 28. Februar 1933 durch die Nationalsozialisten erneut verhaftet und im Gefängnis Berlin-Spandau interniert. Bis zuletzt hatte Ossietzky gehofft, dass sich eine Einheitsfront aus Sozialdemokraten und Kommunisten der drohenden Diktatur der Nationalsozialisten entgegenstellen könnte. Er glaubte, dass die NSDAP nach einer Regierungsübernahme an ihren inneren Widersprüchen zerbrechen würde. Auch hinderten private Gründe ihn daran, sich der zu erwartenden Verhaftung durch eine Flucht ins Ausland zu entziehen (siehe unten).

Bei den Bücherverbrennungen durch Studenten in Berlin und anderen Städten am 10. Mai wurde gegen Ossietzky und Tucholsky gehetzt: „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!“ (s. auch Bücherverbrennung 1933 in Deutschland)

Die DDR-Marke zeigt Carl von Ossietzky im KZ Sonnenburg

Von Spandau aus wurde Ossietzky am 6. April 1933 in das neu errichtete Konzentrationslager Sonnenburg bei Küstrin verschleppt. Dort wurde er ebenso wie die anderen Häftlinge schwer misshandelt. Die Zustände in dem anfänglich von der SA geführten Lager führten schließlich dazu, dass die SS unter Heinrich Himmler im Frühjahr 1934 das Lagersystem professionalisierte. Ossietzky wurde mit weiteren bekannten Häftlingen von Sonnenburg in das KZ Esterwegen im nördlichen Emsland verlegt. Dort mussten die Gefangenen unter unerträglichen Bedingungen die dortigen Moore umgraben. Ende 1934 wurde der völlig abgemagerte Ossietzky in das Krankenrevier verlegt. Dem Bericht eines Mithäftlings zufolge sollte Ossietzky im Krankenlager durch Spritzen getötet werden. Ob Ossietzky aber, wie der Häftling behauptet, tatsächlich Tuberkulose-Bazillen injiziert wurden, ist nicht zweifelsfrei erwiesen.[1] Im Herbst 1935 besuchte der Schweizer Diplomat Carl Jacob Burckhardt das KZ Esterwegen. Dabei gelang es ihm, auch Ossietzky zu treffen, den er anschließend als ein „zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen“ beschrieb. Ossietzky sagte zu Burckhardt:

Danke, sagen Sie den Freunden, ich sei am Ende, es ist bald vorüber, bald aus, das ist gut. (...) Danke, ich habe einmal Nachricht erhalten, meine Frau war einmal hier; ich wollte den Frieden.
(Carl Jacob Burckhardt: Meine Danziger Mission: 1927 bis 1939. München 1960, S. 60f.)

Aufgrund der im folgenden Absatz geschilderten öffentlichen Aufrufe wurde Ossietzky schließlich im Mai 1936 in das Berliner Staatskrankenhaus der Polizei überführt, wo eine schwere offene Lungentuberkulose im fortgeschrittenen Zustand diagnostiziert wurde.

Nobelpreiskampagne

Bereits 1934 stellten Ossietzkys Freunde Berthold Jacob in Straßburg und Kurt Grossmann in Prag im Namen der Deutschen Liga für Menschenrechte (deren Vorstand er von 1926 bis 1927 angehört hatte) den ersten offiziellen Antrag zur Ehrung Ossietzkys mit dem Friedensnobelpreis. Doch dieser Versuch war zum Scheitern verurteilt, weil die Antragsfrist für das Jahr 1934 bereits abgelaufen und die Menschenrechts-Liga nicht vorschlagsberechtigt war. Da Jacob aber die Presse über den Vorschlag informiert hatte, war von diesem Zeitpunkt an die Aufmerksamkeit auf den KZ-Häftling Ossietzky gerichtet.

Gedenktafel für Ossietzky in der Kantstr. 152, Berlin

Andere Freunde Ossietzkys, wie Hellmut von Gerlach und die früheren Mitarbeiterinnen Hilde Walter, Milly Zirker und Hedwig Hünecke versuchten den Inhaftierten auf eher verborgene Art und Weise zu unterstützen. Sie förderten 1935 die erneuerte Kampagne, indem sie bei zahlreichen ausländischen Prominenten um die Unterstützung des Vorschlags warben. Sie fürchteten, dass eine zu offensiv vorgetragene Kampagne der deutschen Exilanten dem Inhaftierten eher schaden könnte. Daher hielt sich auch Kurt Tucholsky mit öffentlichen Äußerungen in dieser Frage zurück, wiewohl er seinen Einfluss durch persönliche Briefe geltend zu machen versuchte. Trotz der Mobilisierung der internationalen Öffentlichkeit scheute sich das Nobelpreiskomitee im Jahre 1935, den Preis an Ossietzky zu verleihen. Denn die nationalsozialistische Regierung hatte starken außenpolitischen Druck auf die norwegische Regierung ausgeübt. Daraufhin wurde der Preis für 1935 an keinen anderen Kandidaten vergeben.

Die Kampagne ging im Jahre 1936 unvermindert weiter, was schließlich dazu führte, dass Ossietzky kurz vor den Olympischen Spielen 1936 schwerkrank aus dem KZ entlassen und in das Staatskrankenhaus in Berlin verlegt wurde. Am 7. November 1936 wurde er offiziell aus der Haft entlassen und bezog zunächst ein Zimmer im Krankenhaus Westend, unter ständiger Bewachung der Gestapo. Trotz dieser Zugeständnisse hatte die internationale Kampagne, die in Norwegen von dem deutschen Emigranten Willy Brandt organisiert wurde, ihr Ziel inzwischen erreicht. Am 23. November 1936 wurde Carl von Ossietzky rückwirkend der Friedensnobelpreis des Jahres 1935 zugesprochen.

Der damalige preußische Ministerpräsident Hermann Göring drängte Ossietzky persönlich dazu, den Preis nicht anzunehmen. Doch vergeblich, Ossietzkys Antwort lautete:

Nach längerer Überlegung bin ich zu dem Entschluß gekommen, den mir zugefallenen Friedensnobelpreis anzunehmen. Die mir von dem Vertreter der Geheimen Staatspolizei vorgetragene Anschauung, daß ich mich damit aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließe, vermag ich nicht zu teilen. Der Nobelpreis für den Frieden ist kein Zeichen des innern politischen Kampfes, sondern der Verständigung zwischen den Völkern.

Die Gestapo lehnte es ab, Ossietzky zur Entgegennahme des Preises nach Oslo reisen zu lassen. Der Diktator Adolf Hitler verfügte anschließend, dass in Zukunft kein Reichsdeutscher mehr einen Nobelpreis annehmen dürfe. Statt dessen wurde von 1937 an der Deutsche Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft vergeben.

Grab Carl von Ossietzkys

Wenige Tage nach der Verleihung des Nobelpreises wurde Ossietzky in das Krankenhaus Nordend (Berlin-Niederschönhausen) verlegt, da dort eine spezielle TBC-Abteilung existierte. Eine tragische Rolle spielte Maud von Ossietzky bei dem Versuch, das mit der Verleihung des Friedensnobelpreises verbundene Preisgeld sinnvoll anzulegen. Sie fiel dabei auf den Rechtsanwalt Kurt Wannow herein, der ihr versicherte, die Preissumme in Höhe von knapp 100.000 Reichsmark zu verwalten. Doch Wannow veruntreute das Geld, so dass es schließlich zum Prozess kam.

Am 4. Mai 1938 starb Ossietzky im Krankenhaus Nordend an den Folgen der Tuberkulose. Er hinterließ seine Frau Maud und seine Tochter Rosalinde, die über England nach Schweden hatte emigrieren können.

Ossietzkys Grab – ein Ehrengrab der Stadt Berlin – wie auch das seiner Frau Maud befinden sich auf dem Friedhof 4 am Herthaplatz in Berlin-Niederschönhausen.

Einzelaspekte und Rezeption

Herausragender Stilist

Ossietzky wurde von seinen Zeitgenossen als großartiger Stilist gewürdigt und verschiedentlich mit Voltaire, Maximilian Harden oder sogar Heinrich Heine verglichen. Der Schriftsteller Arnold Zweig schrieb über Ossietzkys Sprache:

Sein bestes Porträt ist sein Stil. Sein klares und geschmeidiges Deutsch, das sicher sitzende Wort, der knappe und locker schwingende Rhythmus seiner Sätze, die geheime Ironie seiner Anspielungen, oft humorig überglänzt und der unerbittlich sitzende Florettstoß seines Angriffs (...)
(In: Ursula Madrasch-Groschopp: Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift. Berlin 1983, S. 212)

Hervorzuheben ist auch, dass Ossietzky der einzige Mitarbeiter der Weltbühne war, dem Siegfried Jacobsohn erlaubte, seine Texte unbesehen an die Druckerei zu schicken. Diese Ehre wurde nicht einmal Tucholsky zuteil.

Carl von Ossietzky (bundesdeutsche Briefmarke, 1975)

Hinter dem offensiven und angriffsfreudigen Stil verbarg sich jedoch ein sehr zurückhaltender und schüchterner Mensch, wie von seinen Freunden und Mitarbeitern übereinstimmend berichtet wurde. Jacobsohn bezeichnete Ossietzky nach dem ersten Kennenlernen als einen der „größten Umstandskommissare, die mir je begegnet sind“, aber seine Sprache sei „nicht von Pappe“. Tucholsky charakterisierte ihn nach dessen Verhaftung durch die Nationalsozialisten:

Dieser ausgezeichnete Stilist, dieser in der Zivilcourage unübertroffene Mann, hat eine merkwürdig lethargische Art, die ich nicht verstanden habe, und die ihn wohl auch vielen Leuten, die ihn bewundern, entfremdet. Es ist sehr schade um ihn. Denn dieses Opfer ist völlig sinnlos.
(Brief an Walter Hasenclever vom 4. März 1933)

Von seinem Mitarbeiter Rudolf Arnheim wurde Ossietzky in seiner stillen und bescheidenen Art dagegen als der einzige wirkliche Held bezeichnet, den er je gekannt habe. Er schilderte Ossietzkys Auftreten wie folgt:

Zurückhaltend und schweigsam, die Zigarette in der leise zitternden Hand, die Augen niedergeschlagen, wirkte er wie ein feinsinniger Aristokrat, den Besuchern nicht leicht zugänglich, den Freunden und Mitarbeitern aber ein warmherziger Kamerad, ein selbstloser Helfer (...)
(In: Ursula Madrasch-Groschopp: Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift. Berlin 1983, S. 213)

Umstrittener Redakteur

Über Ossietzkys Leistungen als Redakteur schieden sich zu seinen Lebzeiten die Geister. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen Tucholsky und Ossietzky verlief nicht ohne Spannungen, da Ossietzky vom Typus her ein völlig anderer Redakteur als Tucholskys Mentor Jacobsohn war. Aus den Briefen Tucholskys an seine Frau Mary Gerold geht hervor, dass dieser in den Jahren 1927 und 1928 alles andere als zufrieden über die Arbeitsweise seines Nachfolgers „Oss“ war. Typische Briefpassagen lauteten: „Oss antwortet überhaupt nicht - geht auf nichts ein - und zwar sicherlich nicht aus Gemeinheit, sondern aus Faulheit (14. August 1927); „Oss ganz weit weg. Ich habe den lebhaften Eindruck, zu stören. Er mag mich nicht u. ich ihn nicht mehr. Behandelt mich um die entscheidende Nuance zu wenig respektvoll. Kriegt auf den Kopf“ (20. Januar 1928); „Oss ist ein aussichtsloser Fall - er weiß nicht einmal, wie langweilig er alles macht. Er ist faul und unfähig.“ (25. September 1929) Erst in den kommenden Jahren sollten sich die beiden Journalisten inhaltlich und persönlich näherkommen, so dass Tucholsky im Mai 1932 schließlich einräumte, Ossietzky habe dem Blatt einen „gewaltigen Auftrieb“ gegeben.

Nach Ansicht des Weltbühne-Mitarbeiters Kurt Hiller fehlte Ossietzky die „redaktorische Leidenschaft“ völlig, so dass sich das Blatt unter dessen Leitung gleichsam selbst redigiert habe. Hiller wird jedoch nachgesagt, dass er selbst Ambitionen auf die Herausgeberschaft der Weltbühne besessen und Ossietzky daher stets als lästigen Widersacher betrachtet habe, den er nicht auf seine eigene politische Linie bringen konnte.

Ossietzkys engere Mitarbeiter, meist junge Nachwuchsjournalisten wie Arnheim und Walther Karsch, bewunderten jedoch dessen kameradschaftliche Art. Nach Ansicht von Arnheim redigierte Ossietzky nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Respekt vor der Meinungsfreiheit wenig an den Beiträgen seiner bewährten Mitarbeiter.

Dass Ossietzky alles andere als faul gewesen sein muss, bekam auch seine Familie zu spüren. Tochter Rosalinde, die man zwischenzeitlich in ein Kinderheim in Lehnitz bei Berlin gegeben hatte, beklagte sich rückblickend: „Das Blatt nahm mir meinen Vater und machte meine Mutter krank“, womit die Alkoholsucht von Maud von Ossietzky gemeint war.

Unfreiwilliger Märtyrer?

Die Forschung konnte bislang nicht zweifelsfrei klären, ob Ossietzky nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bewusst in Deutschland blieb oder ob sie mit der Verhaftung lediglich einer geplanten oder zumindest beabsichtigten Flucht zuvorkamen. Von Ossietzky selbst sind keine eindeutigen Stellungnahmen zu dieser Frage überliefert. Seine engeren Freunde widersprechen sich zum Teil in ihren Angaben. In Gesprächen mit Journalisten wie Béla Balász und Frank Leschnitzer soll sich Ossietzky unbeugsam gegeben und mit Blick auf seine Glaubwürdigkeit eine Flucht abgelehnt haben. Sein Mitarbeiter Rudolf Arnheim erklärte dagegen, dass Ossietzky grundsätzlich zu Flucht bereit gewesen sei und nur noch das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 5. März habe abwarten wollen. Ebenfalls soll er die Sekretärin der Weltbühne nicht daran gehindert haben, eine Auslandsfahrkarte zu bestellen. Durch Warnungen befreundeter Beamter, wie Robert Kempner, war Ossietzky außerdem bekannt, dass die Nationalsozialisten Verhaftungslisten vorbereitet hatten, die seinen Namen enthielten.

Ein entscheidender Grund für Ossietzkys zögerliche Haltung war vermutlich die Alkoholkrankheit seiner Frau Maud. Da die Familie keine finanziellen Rücklagen besaß und sich Anfang 1933 sogar verschuldet hatte, um erstmals eine eigene Wohnung einrichten zu können, war sie auf die Einnahmen Ossietzkys dringend angewiesen. Vom Ausland her wäre es ihm vermutlich unmöglich gewesen, für die Versorgung seiner Familie aufzukommen. Ausschlaggebend für die Verhaftung war ebenfalls sein Verhalten am 27. Februar 1933, dem Abend des Reichstagsbrandes. An diesem Abend hielt sich Ossietzky mit einigen Freunden wie Hellmut von Gerlach, Hilde Walter und Milly Zirker in der Wohnung der Journalistin und Architektin Gusti Hecht auf. Hecht wird in verschiedenen Briefen Walters als die Freundin Ossietzkys bezeichnet, und die beiden hatten demnach, wenn man weitere Angaben hinzuzieht, ein Verhältnis miteinander. Da die Runde vom Reichstagsbrand erfahren hatte, wurde Ossietzky dringend davon abgeraten, in dieser Nacht in seine Wohnung zurückzukehren. Dieser ignorierte jedoch den Rat und blieb nicht, wie schon häufiger zuvor, in der Wohnung seiner Freundin. Statt dessen verließ er sich darauf, dass an seiner Wohnungstür keine Namen stünden und die Polizei ihn deswegen nicht finden werde. Bei dieser Entscheidung mag ebenfalls die Sorge um seine Frau Maud eine Rolle gespielt haben. Am frühen Morgen des 28. Februar wurde er verhaftet. Anderen Mitarbeitern der Weltbühne, wie Hellmut von Gerlach, gelang dagegen die Flucht ins Ausland.

Trotz dieser unklaren Umstände wurde Ossietzky von den Exilanten schon bald zum Märtyrer stilisiert, der sich freiwillig in die Hände der Nationalsozialisten begeben habe:

Georg Bernhard und Thomas Mann nannten Ossietzky den „Märtyrer der Friedensidee“, Heinrich Mann sprach wiederholt vom „Dulder“, Arnold Zweig griff das Märtyrer-Motiv in einem Beitrag für eine Werbeschrift zugunsten von Ossietzkys Nobelpreis-Kandidatur auf, und Kurt Tucholsky sprach kritisch vom „Märtyrer ohne Wirkung“.
(Christoph Schottes: Die Friedensnobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky in Schweden. Oldenburg 1997, S. 54)

In diesem Zusammenhang wurde häufig die Erklärung herangezogen, die er 1932 vor seinem Haftantritt gegeben hatte:

Der ausschließlich politische Publizist namentlich kann auf die Dauer nicht den Zusammenhang mit dem Ganzen entbehren, gegen das er kämpft, für das er kämpft, ohne in Exaltationen und Schiefheiten zu verfallen. Wenn man den verseuchten Geist eines Landes bekämpfen will, muß man dessen allgemeines Schicksal teilen.
(„Rechenschaft“, in: Die Weltbühne, 10. Mai 1932, S. 691)

Ob diese Überzeugung vom Mai 1932 auch nach dem Machtwechsel vom Januar 1933 noch Geltung hatte, wird abschließend wohl nie geklärt werden können.

Totengräber der Republik?

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Vertretern der radikalen Linken häufig der Vorwurf gemacht, mit ihren unversöhnlichen Angriffen auf Repräsentanten der Weimarer Republik zu deren Untergang beigetragen zu haben. Diese Vorwürfe galten auch Tucholsky und Ossietzky als Herausgebern der Weltbühne. So kritisierte Der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein die überzogenen Ansprüche des Blattes an die Politiker:

In ihrem gedanklichen und formalästhetischen Bereich waren die Protagonisten der „Weltbühne“ Persönlichkeiten, dies zweifellos. Aber das verführte sie zu einer überzogenen Persönlichkeitssuche im politischen Raum, wo die Tatsachen bekanntlich nicht aus ätherischem Stoff sind. Ein regierender Sozialdemokrat hatte allemal den Vorzug, als Persönlichkeit glatt durchzufallen. Er hieß dann etwa „Füllfederhalterbesitzer Hermann Müller“.
(Rudolf Augstein: „Eine Republik und ihre Zeitschrift“, in: Der Spiegel, 1978, 42, S. 239–249, hier S. 249)

Dieser Angriff zielte auf Ossietzky, der beispielsweise an dem sozialdemokratischen Finanzpolitiker Rudolf Hilferding bemängelt hatte, ihm fehle „der wehende Helmbusch“ und das, „was enthusiasmiert“. Augstein zählte daher die Weltbühne zu den Totengräbern der Weimarer Republik, allerdings mit der Einschränkung, wonach es in den seltensten Fällen die Totengräber seien, „die einen Leichnam zu Tode bringen. Vielmehr, sie tun den Leichnam, den bereits toten, unter die Erde.“

Zu einem ebenfalls heftigen Schlag gegen Ossietzky holte Anfang der 1980er Jahre der Historiker Hans-Ulrich Wehler aus. In einem Essay verglich er die Leistungen von Leopold Schwarzschilds Tage-Buch mit Ossietzkys Weltbühne und kam zu dem Schluss:

Auch radikale publizistische Kritik muß jede Demokratie vertragen können. Aber die Verantwortungsethik demokratischer Journalisten darf sie die Grenze zur prinzipiellen Staatsfeindlichkeit nicht überschreiten lassen. Auf seine Art hat Carl v. Ossietzky mit der Weltbühne jedoch dazu beigetragen, die tief angeschlagene Republik noch weiter zu schwächen, ja durch seine von links aus geübte Kritik, ohne Pardon zu geben, aktiv zu diskreditieren. Von der linken Weltbühne ging, mochte v. Ossietzky auch glauben, stets für die Republik zu kämpfen, schließlich eine tendenziell destruierende Wirkung aus (...).
(Hans-Ulrich Wehler: „Leopold Schwarzschild contra Carl v. Ossietzky. Politische Vernunft für die Verteidigung der Republik gegen ultralinke ‚Systemkritik‘ und Volksfront-Illusionen“, in: Ders.: Preußen ist wieder chic ... Politik und Polemik in zwanzig Essays. Frankfurt a.M. 1983, S. 77-83)

Dass Ossietzky gegen Ende der Weimarer Republik darauf gehofft hatte, eine Art Einheitsfront aus Sozialdemokraten und Kommunisten könne den Weg ins Dritte Reich blockieren, bezeichnete Wehler als „Gefühlsduseligkeit der Volksfrontromantik“ und erklärte diese mit einem „im strengen Freudschen Sinne gravierenden Realitätsverlust“.

Ebenfalls wird häufig angemerkt, dass Ossietzky die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus unterschätzt habe. Kurz nach dem Wahlerfolg der Nazis vom 14. September 1930 analysierte er zum Beispiel in einer kommunistischen Zeitschrift:

Die nationalsozialistische Bewegung hat eine geräuschvolle Gegenwart, aber gar keine Zukunft. Sie lebt von der Erregung plötzlich proletarisierter Schichten, welchen politischen und ökonomischen Kräften sie den Sturz aus bürgerlicher Geborgenheit in ein soziales Pariatum verdanken. Der Nationalsozialismus hat bisher nicht bewiesen, dass er die altorganisierte Arbeiterschaft und ihren jungen Nachwuchs zu erfassen vermag. […] Diese Bewegung hat keine Idee und kein Prinzip und deshalb wird sie nicht leben können.
(Carl von Ossietzky: „Nationalsozialismus oder Kommunismus, in: „Der Rote Aufbau“, hg. v. Willi Münzenberg, September 1930)

Gleichfalls scheint Ossietzky die Person Adolf Hitlers als durchsetzungsfähigen Politiker unterschätzt zu haben. In diesem Zusammenhang wird gerne ein Text vom Februar 1931 als Beleg herangezogen, in dem es heißt:

Aber dieser deutsche Duce ist eine feige, verweichlichte Pyjamaexistenz, ein schnell feist gewordener Kleinbürgerrebell, der sichs wohlsein läßt und nur sehr langsam begreift, wenn ihn das Schicksal samt seinen Lorbeeren in beizenden Essig legt. Dieser Trommler haut nur in der Etappe aufs Kalbfell.
(Carl von Ossietzky: „Brutus schläft“, in: Die Weltbühne, 3. Februar 1931, S. 157)

Hinter dieser Einschätzung stand wohl die Überzeugung, dass es Hitler nicht gelingen könne, auf legalem Wege mit seiner Partei die Macht zu übernehmen. Statt dessen hätte er nach dem Wahlerfolg vom 14. September 1930 die Gunst der Stunde nutzen und mit seinen berauschten Anhängern die Macht ergreifen müssen. Ossietzky bezweifelte, dass die nationalsozialistische Bewegung, vor allem die SA, noch weitere Jahre in der Opposition verharren könne. Dennoch warnte er eindringlich vor dem „Elefantentritt des Fascismus“, unter dem das Land seiner Auffassung nach schon 1932 zitterte. Zur Entlassung von Franz Höllering, der als Chefredakteur der B.Z. am Mittag kritisch über Hitlers Luftflotte berichtet hatte, schrieb Ossietzky:

(...) niemand, der nicht der Presse beruflich verbunden ist, kann die Tragweite des Falles Höllering beurteilen. (...) Jeder Redakteur eines noch republikanischen bürgerlichen Blattes wird sich danach fragen, ob er es noch in Zukunft wird wagen dürfen, eine Nachricht zu bringen, die Hitler unangenehm ist und vielleicht sogar ein Stirnrunzeln hoher militärischer Stellen hervorruft. (...) Das sind die unerhört weitreichenden Folgen des Falles Höllering, und deshalb ist das Verhalten des Hauses Ullstein mehr als ein Irrtum deroutierter Geschäftsleute. Es ist die skandalöseste Kapitulation vor dem Nationalsozialismus, die bisher zu verzeichnen war. Es ist ein Verbrechen an der deutschen Pressefreiheit, mitten in ihrer schwersten Krise.
„Der Fall Franz Höllering“, in: Die Weltbühne, 5. Januar 1932, S. 1ff)

Als Kurt von Schleicher am 28. Januar 1933 seinen Rücktritt als Reichskanzler erklärte, reagierte Ossietzky mit erstaunlicher Gelassenheit, forderte aber energisch die Rückkehr zu einer parlamentarisch legitimierten Regierung:

Schöner Konsum an Rettern. Wieder einer futsch. Wenn das autoritäre Regime so weiter wirtschaftet, dann wird es bald heißen: Jeder Deutsche einmal Reichskanzler! Eltern kinderreicher Familien, hier winkt noch eine Chance! (...) Wird nicht sofort und bedingungslos der Weg zur Verfassung wieder angetreten – und dazu gehört auch der Rücktritt des Reichspräsidenten –, so wird die außerparlamentarische Regierungsweise mit außerparlamentarischen Abwehrmethoden von unten beantwortet werden. Denn es gibt auch ein Notrecht des Volkes gegen abenteuerliche experimentierende Obrigkeiten.
(„Kamarilla“, in: Die Weltbühne, 31. Januar 1933, S. 153ff.)

Dieser Sarkasmus hatte seine Ursache darin, dass Ossietzky – ganz ähnlich wie auch sein Weltbühnen-Kollege Kurt Tucholsky – wenig Unterschied zwischen dem Präsidialregime und der zu erwartenden Regierungsbeteiligung der Nazis sah. Er hatte wie viele Zeitgenossen offenbar nicht vorausgesehen, wie rasch deren schrankenlose Brutalität einsetzen würde. Noch am 14. Februar 1933 konstatierte er in der Weltbühne, es sei vor allem Vizekanzler Franz von Papen, in dem man bis auf weiteres überhaupt das Haupt der Regierung erblicken muss. Allerdings hatte Ossietzky nach seiner Verurteilung im Weltbühne-Prozess bereits festgehalten:

Wenn im Dritten Reich erst einmal nach der Plattform von Boxheim regiert werden wird, dann werden Verräter wie Kreiser und ich ohne Aufhebens füsiliert. Wir sind noch nicht ins SA.-Paradies eingegangen, wir wahren noch das Dekorum des Rechtsverfahrens. (...)
Wir stehen an einem schicksalshaften Wendepunkt. In absehbarer Zeit kann der offene Fascismus ans Ruder kommen. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob er sich seinen Weg mit sozusagen legalen Mitteln freimacht oder mit solchen, wie sie der Henkersphantasie eines hessischen Gerichtsassessors entstiegen sind. Das Wahrscheinlichste dürfte ein Zusammenfassung von beiden Methoden sein: eine Regierung, die beide Augen zudrückt, während die Straße der Hooligan- und Halsabschneiderarmee der SA.-Kommandeure ausgeliefert bleibt, die jede Opposition als "Kommune" blutig unterdrücken. Noch ist die Möglichkeit der Zusammenfassung aller anti-fascistischen Kräfte vorhanden. Noch! Republikaner, Sozialisten und Kommunisten, in den großen Parteien Organisierte und Versprengte – lange werdet ihr nicht mehr die Chance haben, eure Entschlüsse in Freiheit zu fassen und nicht vor der Spitze der Bajonette!

("Der Weltbühnen-Prozeß", in: Die Weltbühne, 1. Dezember 1931, S.803–811)

Rund 15 Monate später sollte diese Prophezeiung in Erfüllung gehen und Ossietzky zu ihren ersten Opfern zählen.

Wiederaufnahmeverfahren

In den 1980er Jahren wurde von deutschen Juristen versucht, eine Wiederaufnahme des Weltbühne-Prozesses zu erreichen. Damit sollte das Urteil von 1931 revidiert werden. Rosalinde von Ossietzky-Palm, einziges Kind Carl von Ossietzkys, leitete als Antragsberechtigte am 1. März 1990 beim Berliner Kammergericht das Verfahren in die Wege. Als neue Beweismittel wurden die Gutachten zweier Sachverständiger vorgelegt, die zeigen sollten, dass die französische Armee bereits vor der Veröffentlichung des Textes über die Aktivitäten der Reichswehr informiert war. Außerdem hätten einige der beanstandeten „Geheimnisse“ nicht den Tatsachen entsprochen. Das Kammergericht erklärte eine Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig. Die neuen Gutachten seien nicht als Tatsachen oder Beweismittel ausreichend, um von Ossietzky nach damaligen Recht freizusprechen.

Der Bundesgerichtshof lehnte anschließend eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Kammergerichtes ab. Er begründete dies in einem Beschluss vom 3. Dezember 1992:

Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes schloß die Rechtswidrigkeit der geheim gehaltenen Vorgänge die Geheimniseigenschaft nicht aus. Jeder Staatsbürger schuldet nach Auffassung des Reichsgerichtes seinem Vaterland eine Treuepflicht des Inhalts, daß das Bestreben nach der Einhaltung der bestehenden Gesetze nur durch eine Inanspruchnahme der hierzu berufenen innerstaatlichen Organe und niemals durch eine Anzeige bei ausländischen Regierungen verwirklicht werden durfte.

Preise und Ehrungen

Carl-von-Ossietzky-Denkmal in der Ossietzkystraße Berlin

Quellen

  1. Hermann Vinke: Carl von Ossietzky. Hamburg 1978, S. 138f.
  2. Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg: Namensgebung der Universität Oldenburg nach Carl von Ossietzky (1889 – 1938)

Literatur

Werkausgaben

  • Carl von Ossietzky: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Werner Boldt u.a. Unter Mitwirkung von Rosalinda von Ossietzky-Palm. 8 Bände. Rowohlt Verlag, Reinbek 1994, ISBN 3-498-05019-2
  • Carl von Ossietzky: Schriften, 2 Bände. Aufbau Verlag, Berlin 1966
  • Carl von Ossietzky: Rechenschaft: Publizistik aus den Jahren 1913–1933. Hrsg. von Bruno Frei. Aufbau Verlag, Berlin 1970
  • Carl von Ossietzky: Lesebuch: der Zeit den Spiegel vorhalten. Hrsg. von der Carl-von-Ossietzky-Forschungsstelle an der Universität Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 1989, ISBN 3-498-05015-X

Briefe

  • Dietger Pforte (Hrsg.): Farbige weithin sichtbare Signalzeichen. Der Briefwechsel zwischen Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1932. Akademie der Künste, Berlin 1985, ISBN 3-88331-942-2

Biographien

  • Bruno Frei: Carl von Ossietzky: eine politische Biographie. Berlin 1978.
  • Wilhelm von Sternburg: „Es ist eine unheimliche Stimmung in Deutschland“: Carl von Ossietzky und seine Zeit. Berlin 1996, ISBN 3-351-02451-7.
  • Elke Suhr: Carl von Ossietzky. Eine Biographie. Köln 1988, ISBN 3-462-01885-X.
  • Hermann Vinke: Carl von Ossietzky. Hamburg 1978, ISBN 3-7915-5007-1.
  • Berndt W. Wessling: "Carl von Ossietzky, Märtyrer für den Frieden." München 1989, ISBN 3-926901-17-9.

Sonstige

  • Gregor Ackermann, Gunther Nickel, Renke Siems: Drei neuentdeckte Texte Carl von Ossietzkys. In: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Republik. Röhrig, St. Ingbert 2.1996, S.61-74. ISSN 0949-8125
  • Ursula Madrasch-Groschopp: Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift. Buchverlag Der Morgen, Berlin 1983, Bechtermünz Verlag im Weltbild Verlag, Augsburg 1999 (Nachdr.), ISBN 3-7610-8269-X
  • Christoph Schottes: Die Friedensnobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky in Schweden. Oldenburg 1997, ISBN 3-8142-0587-1
  • Elke Suhr: Zwei Wege, ein Ziel - Tucholsky, Ossietzky und Die Weltbühne. Weisman, München 1986, ISBN 3-88897-026-1
  • Frithjof Trapp, Knut Bergmann, Bettina Herre: Carl von Ossietzky und das politische Exil. Die Arbeit des 'Freundeskreises Carl von Ossietzky' in den Jahren 1933–1936. Hamburg 1988.
  • K. Fiedor: Carl von Ossietzky und die Friedensbewegung. Breslau 1985

Weblinks


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