Kejne-Affäre

Kejne-Affäre

Die Kejne-Affäre war ein politischer Skandal in Schweden in den 1950er Jahren, der zum Teil der Eulenburg-Affäre ähnelte. Die Affäre, die etwa zwanzig Rechtsprozesse umfasste, war die erste und größte der Rättsröta-Debatten. Hauptthema der Affäre war die angebliche Gefahr, die von geheimen „homosexuellen Ligen“ ausgehe, welche bis in die oberste Kreise der Gesellschaft reichten und die Behörden korrumpierten. Die Affäre hatte einen großen Einfluss auf die Einstellung der schwedischen Gesellschaft zur Homosexualität, die in zunehmendem Maße verurteilt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Ablauf

Der geschiedene Pastor Karl-Erik Kejne (* 1913, † 1960), seit 1939 ordiniert, tätig im Stockholmer Zweig der Evangelischen Allianz (Stadsmissionen), war ein guter Redner und in der Hauptstadt bekannt für seine soziale Arbeit mit männlichen Obdachlosen, Sträflingen und gefährdeten Jungen. Kejne konnte zu seinen Freunden Zeitungsredakteure, den Stockholmer Kriminalpolizeichef und den Chef der nationalen Gefängnisbehörde zählen. Er kam im Herbst 1949 zu der Auffassung, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch und Verleumdung bei der Polizei auf Eis gelegt worden war, und dass die Hauptstadtpolizei überhaupt allen Sachen, die Homosexualität berührten, sehr ungenügend nachging. Er behauptete weiter, dass ein Laienprediger namens Malmberg, den Kejne des Hausfriedensbruchs verdächtigte, Polizei und staatliche Behörden erpresst habe. Malmberg soll ein „Knabenbordell“ betrieben und einflussreiche Kunden heimlich fotografiert haben. Anfänglich wurde Malmberg als Leiter einer homosexuellen Liga bezeichnet. Später wurde ein „Minister X.“ der Regierung beschuldigt.

Der Präsident des Stockholmer Verwaltungsappellationsgerichtes Nils Quensel. Seine philanthropische Hilfe führte zu dem Gerücht, er müsse ein erpresster Homosexueller sein.

Mit Freunden beriet Kejne die Frage, wie man diese Liga enthüllen könnte, und leitete im März 1950 eine Pressekampagne ein, die anfangs Knabenprostitution behandelte, sich aber nach wenigen Monaten auf die angebliche homosexuelle Liga konzentrierte. Die Affäre erweckte im ganzen Lande ein großes Interesse. In der Presse wurde behauptet, dass die Anzeigen von Kejne gegen Malmberg auch widerrechtliche Homosexualität umfasst hätten. Die städtische Anklagebehörde begann wieder zu ermitteln und konnte nach Verhören von weiteren 80 Personen den Fall zu Gericht führen.

Kurz vor den Gerichtsverhandlungen erfuhr die Polizei von einem 19-jährigen Seemann, der behauptete, er sei einige Monate vorher von Kejne in seine Wohnung eingeladen worden, wo Kejne sexuelle Annäherungen gemacht habe und der Seemann seinen Körper angeboten habe. Weil der Seemann über 18 Jahre alt war, handelte es sich nicht unbedingt um kriminelle Homosexualität.[Anm 1]

Die Polizei konfrontierte Kejne in seiner Wohnung mit dem Seemann, was von Kejne, der Gruppe um ihn und der Presse als großer Skandal gesehen wurde. Als ein paar Tage später der Name des Ministers auf anonymen Flugblättern in Stockholm genannt wurde, kurz vor der Erstenkammerwahl des Reichstags, ernannte die Regierung im September 1950 eine sogenannte Staatsbürgerkommission, die Kejne-Kommission, unter Leitung des Reichsanklägers Maths Heuman.

Der Seemann wurde wegen falscher Verdächtigung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Malmberg wurde wegen Fellatio mit einem ihm unter Bewährung überlassenen 20-jährigen Sträfling sowie Verleumdung zu vier Monaten Zuchthaus verurteilt. Der für die Konfrontation verantwortliche Amtsanwalt

Gesellschaftskritiker Jan Myrdal (Dezember 2007)

Der in den Ruhestand gegangene Stockholmer Kriminalpolizeichef Zetterquist widmete 65 Seiten seiner Memoiren der Kejne-Affäre. Diese wurden ab 1957 in drei Auflagen gedruckt, und repräsentierten bis zum Ende des Jahrhunderts die am weitesten verbreitete Kritik über die Kejne-Affäre. Zetterquist vertritt die Meinung, die Kejne-Affäre sei zwar ein Rechtsskandal gewesen, aber nicht wie in der Pressedebatte behauptet. Zetterquist gibt zu, er habe als Kejnes Freund im Herbst 1949 dazu beigetragen, dass die Polizei ein übermäßiges Interesse an der Sache zeigte. Unter dem Druck der Pressedebatte sei Kejne bei der Anklagebehörde vorteilhafter behandelt worden. Die Gleichheit vor dem Gesetz sei verletzt worden. Zetterquist kritisierte auch die Übergriffe der staatlichen Kommission gegen Quensel. Die Kommission habe eine vernichtende Menge verleumdender Gerüchte gegen einen philanthropischen Christen verbreitet.

1980 wurden die Memoiren des ziemlich unbekannten Aktivisten Eric Thorsell posthum herausgegeben. Thorsell, der zur Abstinenz- und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung hörte, hatte sich nach einem halben Jahr am Institut für Sexualwissenschaft in Berlin (1931–1932) ehrenamtlich mit sexueller Aufklärung beschäftigt. Während der Kejne-Affäre suchte Thorsell Kontakt mit Beteiligten beider Seiten, und habe das Ergebnis seiner „Privatermittlungen“ der Polizei und der Kejne-Kommission mitgeteilt. Thorsell stimmt hauptsächlich Zetterquist zu, drückt sich jedoch etwas deutlicher aus und zieht historische Parallelen. Der Leser kann den Eindruck nicht vermeiden, dass Thorsell das Appellationsgericht Svea hovrätt kritisiert, weil es bei der Strafzumessung und der Beweisbewertung von einer Pressehysterie beeindruckt gewesen sei.

Nach Thorsell sei Malmberg, vor der Pressedebatte, in der homosexuellen Szene gar nicht bekannt gewesen. Allerdings hätte es über Kejne schon seit einem Jahrzehnt Gerüchte gegeben, welche von der Szene an die Polizei weitergegeben worden seien. Malmberg könne nicht deren Quelle sein, und die Beweise schienen schwach bezüglich sowohl der Unzucht als auch der Verbreitung der Gerüchte. Vor Gericht habe das Fellatio-Opfer fünfmal seine Aussagen ändern müssen, weil die Verteidigung gezeigt habe, dass die Aussagen nicht stimmen konnten.

Mobergs Schriften wurden in Neuauflagen verbreitet. In den 1990er Jahren huldigte Jan Myrdal den Leistungen Mobergs bezüglich der Kejne-Affäre, und erst 1995 veröffentlichte die syndikalistische Zeitung Arbetaren eine Abbitte. Man habe es als eine Klassenfrage gedeutet, dazu Nazismus und Homosexualität verknüpft, und Malmberg als einen einheimischen Nationalsozialisten gekannt. Die Syndikalisten verstanden nicht, dass Kejne ebenfalls homosexuelle Neigungen hatte und dass der nationalistische Politiker Per Engdahl mit Kejne in Verbindung stand.

1997 schrieb Johan Norberg, der seit 2007 Fellow des Cato Institutes ist, eine Moberg-Biografie aus libertärer Perspektive. Moberg habe die Macht verdächtigt, besonders die des Staates. Moberg habe erfahren, dass auch eine demokratische Mehrheit ihre Macht missbrauchen kann, und gegen die Unterdrückung durch die Fäulnis des Rechtswesens gekämpft. Verbrechen seien ignoriert worden und Moberg habe öffentliche Untersuchungen verlangt.

Am Ende des Jahrzehntes erschienen einige geschichtswissenschaftliche Aufsätze, die verschiedene Aspekte der Argumentation der Kejne-Gruppe behandelten und widerlegten.

Siehe auch

Literatur

  • Göran Söderström (Hrsg.): Sympatiens hemlighetsfulla makt. Stockholmia, Stockholm 1999, ISBN 91-7031-065-3
  • Ulf Hamilton: Mentaliteter i kamp – Kejne och Apelsinsaken. In: Personhistorisk tidskrift, 1999, S. 130–152, ISSN 0031-5699.
  • Eric Thorsell: En homosexuell arbetares memoarer (hrsg. von Fredrik Silverstolpe). Barrikaden, Stockholm 1980, ISBN 91-85328-76-6
  • Maths Heuman: Rättsaffärerna Kejne och Haijby. Norstedts, Stockholm 1978, ISBN 91-1-787202-2
  • Alvar Zetterquist: Kriminalchefen berättar 1. Teil. Medéns, Stockholm 1957
  • Skandal in Stockholm. In: Die Zeit, Nr. 30, 1951
  • Einsamer Bruder. In: Der Spiegel. Nr. 20, 1952 (online).

Anmerkungen

  1. Seit der Entkriminalisierung der homosexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen im Jahre 1944 waren nur folgende Fälle widerrechtlich:
    • Handlungen mit Minderjährigen (unter 15 Jahre) – bis zu vier Jahre Zuchthaus;
    • Handlungen mit einem Opfer das noch nicht 18 Jahre alt war, falls der Täter mindestens 18 Jahre alt war – bis zu zwei Jahre Zuchthaus;
    • Handlungen mit einem Opfer das noch nicht 21 Jahre alt war, falls das Opfer abhängig vom Täter war – bis zu zwei Jahre Zuchthaus (Arbeitslose oder Obdachlose wurden manchmal als abhängig gesehen);
    • Handlungen mit einem schwer abhängigen Opfer, unabhängig von dessen Alter – bis zu zwei Jahre Gefängnis (Patienten und Sträflinge wurden mit schwer Abhängigen gleichgestellt.)

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