- Kenotiker
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Kenosis (griechisch: „Leerwerden“, „Entäußerung“) ist das Substantiv zu dem von Paulus im Brief an die Philipper gebrauchten Verb ekenosen, „er entäußerte sich“ (Phil. 2, 7). Über Jesus ausgesagt, bedeutet der Begriff den Verzicht auf göttliche Attribute bei der Menschwerdung. Darüber hinaus kann er das „Leerwerden“ des einzelnen Gläubigen für den Empfang der göttlichen Gnade bezeichnen.
Inhaltsverzeichnis
Bedeutung
Paulus zitiert in Phi 2,5-11 LUT möglicherweise einen ihm schon vorliegenden Hymnus (hier nach der revidierten Luther-Übersetzung, Fassung von 1964):
- (5) Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war: (6) welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, nahm er's nicht als einen Raub, Gott gleich zu sein, (7) sondern entäußerte sich selbst (heauton ekenosen) und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein andrer Mensch (…)
Die Frage, wie das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur Jesu zueinander zu denken sei, wurde vor allem in der protestantischen Theologie des 16. und dann wieder des 19. Jahrhunderts diskutiert und unterschiedlich beantwortet.
- Martin Chemnitz (1522–1586) vertrat die Auffassung, dass Jesus bei der Menschwerdung ganz auf seine göttlichen Eigenschaften verzichtet habe.
- Johannes Brenz (1499–1570) zufolge besaß er sie, machte aber keinen Gebrauch davon.
Im 19. Jahrhundert bildete sich eine eigene Schule von Kenotikern:
- Gottfried Thomasius (1802–1875) unterschied die „weltbezogenen“ Wesenszüge Gottes, nämlich Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, von den „immanenten“ Wesenszügen Macht, Wahrheit, Heiligkeit, Liebe; letztere habe auch Jesus nicht veräußern können.
- Wolfgang Gess (oder Geß) (1819–1891)[1] vertrat darüber hinaus, dass Jesus auch diese immanenten Eigenschaften nicht besessen, ja nicht einmal das Bewusstsein gehabt habe, von jeher Gott zu sein. „Man muß bei Geß fragen, ob von einer Gegenwart Gottes in dem Menschen Jesus überhaupt noch etwas bleibt.“ (P. Althaus)
Während solche Unterscheidungen heute ihr theologisches Gewicht verloren haben, wird den Kenotikern zugute gehalten, dass sie die Menschlichkeit Jesu betont haben, nachdem davor lange seine göttliche Majestät im Vordergrund stand.
Siehe auch
Quellennachweise
- ↑ Friedrich Wilhelm Bautz: Gess, Wolfgang. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 235–236.
Literatur
- Paul Althaus: Kenosis, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), Tübingen 1959 (3. Auflage), Band 3, Sp. 1243 ff.
- Onno Zijlstra (Hrsg.): Letting go. Rethinking Kenosis, Bern 2002, ISBN 3-906769-24-0
Weblink
- A.J. Maas: „Kenosis“, in: The Catholic Encyclopedia, Bd. 8, New York 1910
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