Klinker-Expressionismus

Klinker-Expressionismus
Chilehaus, Hamburg

Backsteinexpressionismus ist die Bezeichnung für eine spezielle Variante expressionistischer Architektur unter Verwendung von Backstein (Ziegel) oder Klinkern (Klinkerexpressionismus), die in den 1920er Jahren hauptsächlich in Deutschland entstand.

Regionale Schwerpunkte waren die größeren Städte in Norddeutschland und das rheinisch-westfälische Industriegebiet, zu dieser Bewegung gehört aber auch die Amsterdamer Schule. Der Stil verbreitete sich zunehmend auch in anderen Regionen.

Inhaltsverzeichnis

Stil

Klinkerstruktur
Anzeiger-Hochhaus in Hannover

Der Backsteinexpressionismus entstand zeitlich parallel zur neu-sachlichen Architektur des Bauhauses. Während man dort für die Abschaffung jeglicher Zierformen eintrat, entwickelten die Architekten des Expressionismus jedoch eine ornamentale Formensprache mit rauen, kantigen, oft spitzen Elementen. Dies sollte die Dynamik der Zeit, aber auch ihre Heftigkeit und ihre Spannungen ausdrücken.

Wichtigstes Baumaterial waren der namensgebende Backstein (Ziegel) sowie Klinker. Große Beliebtheit, gerade für die Gestaltung von Fassaden, erreichte der hartgebrannte Klinker. Er war den schwierigen klimatischen Bedingungen von Industrieanlagen speziell im Ruhrgebiet am besten angepasst. Doch auch seine charakteristische raue Oberfläche und die reiche Farbpalette von Braun über Rot bis Violett, ließen ihn zu einem Trendmaterial dieser Zeit werden.

Hervorstechendes Merkmal des Backsteinexpressionismus ist die allein durch gezielte Setzung des Backsteins zu Mustern erreichte Lebendigkeit von Fassaden. So ließen sich große Wandflächen beleben. Teilweise wurden sogar fehlgebrannte Klinker-Steine wegen ihres individuellen Aussehens als dekorative Elemente verwendet. Man setzte die kantigen Steine in vielen Spielarten aneinander und schuf vielfältige Ornamentik bis hin zu skulpturaler Gestaltung. Horizontale Backsteinreihen aus abwechselnd vor und zurückgesetzter Mauerung, etwa am Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen (1927), sind ein weiteres häufiges Merkmal.

Ergänzt wurden die Fassadenformen durch die Verwendung von Bauplastiken in Klinker und Keramik. Ein weit verbreiteter Vertreter ist Richard Kuöhl. Auch Ernst Barlach schuf Statuen in Klinker, so beispielsweise den Beginn des Frieses Gemeinschaft der Heiligen an der Lübecker Katharinenkirche (vervollständigt von Gerhard Marcks).

Bisweilen finden sich Zitate anderer Architekturstile, die in die Formensprache des Backsteins übersetzt werden. So ist Fritz Högers Chilehaus in Hamburg vom Art Déco geprägt. Das Anzeiger-Hochhaus in Hannover zitiert die orientalische Architektur. Doch der Backsteinexpressionismus brachte auch ganz eigene, mitunter eigenwillige Formen wie etwa die Parabel-Kirchen (wie die Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen-Ückendorf) hervor.

Regionale Schwerpunkte

Hamburg und Bremen

Beispiel: Cigarettenfabrik Reemtsma in Hamburg, Architekt: Fritz Höger

Einige herausragende Beispiele des Backsteinexpressionismus befinden sich in Hamburg. Fritz Höger setzte mit dem formenreichen Chilehaus, seiner starken vertikalen Gliederung und dem fast spielerischen Umgang mit dem Material neue Maßstäbe. Weitere Beispiele sind der benachbarte Komplex des Sprinkenhofes, das Broschekhaus und die Zigarettenfabrik Reemtsma.

Zu den namhaften norddeutschen Vertretern zählt auch Fritz Schumacher mit zahlreichen öffentlichen Bauten in Hamburg, wie der Finanzdeputation am Gänsemarkt, dem Krematorium auf dem Friedhof Ohlsdorf und zahlreichen Schulen, wie dem Walddörfer-Gymnasium in Volksdorf und der Schule in der Jarrestadt.

Ein weiteres Beispiel ist die Böttcherstraße in Bremen.

Ruhrgebiet

Heilig-Kreuz-Kirche, Gelsenkirchen-Ückendorf

Im Rhein-Ruhr-Gebiet erlebte der Backsteinexpressionismus seine größte Verbreitung und wurde quasi zu einem regionalen Stil. Das Material hielt dem Industrieklima stand. Zudem ermöglichte es ausgewogene, reiche Fassadengestaltungen mit vergleichsweise geringem Aufwand herzustellen. Lediglich der hartgebrannte Klinker war teuer, so dass sich auch Gebäude mit teils verputzter, teils verklinkerter Fassade finden.

Sowohl in der Industriearchitektur (Werkshallen, Verwaltungsgebäude, Wassertürme etc.) als auch im Wohnungsbau entstanden im ganzen Ruhrgebiet zahlreiche Beispiele. Auch repräsentative Bauten wie Rathäuser, Postämter, Kirchen und Bürgerhäuser wurden in Backstein errichtet.

Ein wichtiger Bau dieser Zeit ist Alfred Fischers Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen, das als multifunktionales Gebäude geplant, dann aber als Rathaus genutzt wurde. Mit seiner vergleichsweise schlichten Backsteinfassade und abgerundeten Ecken schlägt es die Brücke zwischen Expressionismus und neuer Sachlichkeit.

Ebenfalls in Gelsenkirchen, im Stadtteil Ückendorf, befindet sich das Hauptwerk von Josef Franke, die Parabel-Kirche Heilig-Kreuz. Das Kirchengewölbe beschreibt eine hohe Parabel. Auf der Spitze des eckigen Turms steht eine aus Backstein gemauerte Christus-Figur. Heilig-Kreuz wurde am 18. August 2007 als Kirche geschlossen.

Weitere exemplarische Bauten im Ruhrgebiet sind das Polizeipräsidium, Bert-Brecht-Haus und Rathaus in Oberhausen, Alfred Fischers Verwaltungsgebäude des Regionalverbands Ruhrgebiet in Essen, das Verwaltungsgebäude der BOGESTRA und das Polizeipräsidium in Bochum, sowie die Kinderchirurgie des städtischen Krankenhauses in Dortmund.

Berlin

Hier seien die 1927 entstandene Kreuzkirche in Berlin-Schmargendorf und Fritz Högers Evangelische Kirche am Hohenzollernplatz von 1933 genannt.

Von Eugen Schmohl wurde der 1922–1925 errichtete Borsigturm in Berlin-Tegel entworfen.

Architekten (Auswahl)

Galerie

Literatur

Siehe auch


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