Konjunkturprogramm

Konjunkturprogramm

Unter Konjunkturpolitik versteht man wirtschaftspolitische Maßnahmen, die darauf zielen, Konjunkturschwankungen in Grenzen zu halten und ein möglichst gleichmäßiges Wirtschaftswachstum zu erreichen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Grundsätzliche Ausrichtungen

Nachfrageorientierte Positionen

Bei der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik (basierend auf Keynesianismus und antizyklischer Finanzpolitik nach Keynes) kommt dem Staat die Aufgabe zu, in konjunkturellen Rezessionen die Wirtschaft durch "Konjunkturimpulse" anzukurbeln, ggf. auch durch staatliche Schuldenaufnahme (Deficit Spending). Hierzu können Steuern gesenkt und/oder zeitlich begrenzte Investitionsanreize für Unternehmen gesetzt oder die staatlichen Investitionen in Infrastrukturprojekte getätigt werden. Nicht alle Arten von Ausgaben sind rasch oder in gleicher Höhe nachfragewirksam. So werden bei einer Senkung der Einkommenssteuer oder der Unternehmenssteuern nicht sofort diese betreffenden Geldbeträge in derselben Höhe für wachstumsfördernden Konsum oder Investitionen ausgegeben, sondern werden angespart oder zur Schuldentilgung eingesetzt.[2] Schneller und zu einem größeren Teil nachfragewirksam (Multiplikatorwirkung) werden Erhöhungen des verfügbaren Einkommens der einkommensschwachen Privathaushalte sowie schnell umsetzbare Infrastrukturinvestitionen. Ergänzt wird eine nachfrageorientierten Konjunkturpolitik durch eine antizyklische Geldpolitik. In einer Krise soll eine Niedrigzinspolitik (Politik des billigen Geldes) Investitionen und die Finanzierung staatlicher Budgetdefizite erleichtern.[3]

Dem Einwand einer drohenden Staatsverschuldung wird entgegengetreten, indem darauf hingewiesen wird, dass die durch die Schuldenaufnahme finanzierten Investitionen in die Infrastruktur ebenfalls von Bedeutung sind als Basis für den wachsenden Wohlstand einer Volkswirtschaft. Wenn man die Schuldenaufnahme auf die Größe des Bruttosozialprodukts bezieht, so wird durch die staatlichen Maßnahmen ebenfalls die Größe des Nenners dieser Bruchzahl verändert.[4] "Kreditfinanzierung heißt nicht, dass sich der Saldo aus Staatsausgaben und -einnahmen in gleicher Höhe verschlechtert."[5]

Angebotsorientierte Positionen

Hauptartikel: Angebotspolitik

Die monetaristisch-neoklassisch orientierte angebotspolitische Konzeption von Konjunkturpolitik geht von der Stabilität des privaten Sektors aus. Abgesehen von exogenen Schocks beruhen Konjunkturschwankungen demnach im wesentlichen auf Unvollkommenheiten des Marktes. Zur Vermeidung von Konjunkturschwankungen gelte es also, die Marktunvollkommenheiten zu beseitigen [6]. Aktive Konjunkturpolitik (Diskretionäre Geldpolitik und Fiskalpolitik) werden grundsätzlich für schädlich gehalten. Der Monetarismus fordert eine regelgebundene Geldpolitik, durch Anpassung der Geldmenge am Produktionspotenzial sollen gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte vermieden werden. [7].

Teilbereiche

Wichtige Beiträge zur Konjunkturpolitik können die Fiskalpolitik, die Geldpolitik, die Außenwirtschaftspolitik und die Lohnpolitik leisten.

Maßnahmen

Drei Fragen müssen an ein Konjunkturprogramm gerichtet werden:[8]

1. Ist das Konjunkturprogramm notwendig?

2. Ist das Konjunkturprogramm richtig zusammengesetzt?

3. Hat das Konjunkturprogramm die richtige Größe?

Mehrere einzelne konjunkturpolitische Maßnahmen können zu einem Konjunkturprogramm zusammengefasst werden.

Konjunkturpolitische Maßnahmen können zum Beispiel sein:[9]

Begriffe

Konjunktureller Impuls

Der Begriff "Konjunkturimpuls", auch "fiskalischer Impuls" genannt, bezieht sich auf die erhöhten Staatsausgaben, die gezielt zur Bekämpfung des konjunkturellen Abschwungs beschlossen werden.[10] Im Hintergrund steht die Überlegung, dass die staatlichen Ausgaben den Nachfrage-Ausfall am Markte kurzfristig ersetzen sollen. Die Produktionslücke (die Differenz zwischen dem Sozialprodukt, das mit dem vorhandenen Potenzial produziert werden könnte, und dem, was tatsächlich aufgrund der zurückbleibenden Nachfrage produziert wird) soll möglichst geschlossen werden.

Die Wirtschaftshistorikerin und Regierungsberaterin Christina D. Romer zieht aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 und einer Evaluation der damaligen Wirtschaftspolitik des New Deal folgende konjunkturpolitische Lehren: Der Stimulus muss gesamtwirtschaftlich ins Gewicht fallen und darf nicht vorschnell ausgesetzt werden. Die Bundesstaaten und die Kommunen dürfen nicht rigider Budgetregeln wegen zu prozyklischem Ausgabekürzungen gezwungen werden. Die Geldpolitik kann auch bei einem extrem niedrigen Zinsniveau unterstützend wirken, indem sie der Bildung deflationärer Erwartungen entgegenwirkt.[11]

Konjunkturelles Defizit

Hierdurch wird der Teil des Gesamtdefizites von öffentlichen Haushalten beschrieben, der eindeutig konjunkturell entstanden ist. Zum einen durch konjunkturbedingte Steuerausfälle, da die Menschen aus Unsicherheit vor einer etwaigen schlechten wirtschaftlichen Zukunft weniger konsumieren. Aber auch durch Mehrausgaben von staatlichen Einrichtungen, wie die Agentur für Arbeit in Form von Arbeitslosengeld 1 bzw. Arbeitslosengeld 2, da man erwarten kann, dass in der Abschwung- bzw. Rezessionsphase die Arbeitslosenzahl steigen wird.

Konjunkturgerechter Haushalt

Hierdurch wird auf den konjunkturellen Impuls von öffentlichen Haushalten abgezielt. Die aufgrund des konjunkturneutralen Haushaltes ermittelten tatsächlichen expansiven oder kontraktiven Impulse werden mit denjenigen verglichen, die notwendig gewesen wären, wenn bei einer gegebenen Abweichung vom Gleichgewichtspfad der Haushaltspolitik ein Nachfragedefizit oder ein Nachfrageüberschuss ausgeglichen werden sollte. Es werden hier die quantitativen Effekte der jeweiligen Haushaltspläne aufgezeigt.

Konjunkturneutraler Haushalt

Es handelt sich um ein Budgetkonzept des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Erstmals hat der Sachverständigenrat 1967/68 den konjunkturneutralen Haushalt in seinen Jahresgutachten entwickelt und angewandt. Das Haushaltsvolumen ist in diesem Konzept konjunkturneutral, wenn es unmittelbar keine Abweichung der Auslastung des Produktionspotenzials von dem bewirkt, was mittelfristig als normal angesehen wird. Die Regeln des konjunkturneutralen Haushaltes sind:

  • Konjunkturneutral sind die öffentlichen Ausgaben, wenn sie auf ein Basisjahr bezogen proportional zum Produktionspotenzial zu- oder abnehmen.
  • Basisjahr ist der Zeitraum, in dem die öffentlichen Ausgaben eine allokative und distributive Zielinhalt gemäß Quote aufweisen.
  • Steuereinnahmen, die den gleichen prozentualen Zuwachs wie das Volkseinkommen haben.
  • Wenn die öffentliche Verschuldung den gleichen Zuwachs aufweist wie den des Produktionspotenzials.

Konjunkturrisiken

Jede Rezession ist mit einem Rückgang der Nachfrage verbunden, was die Anbieter zu Preissenkungen veranlasst. Bei einem flexiblen Arbeitsmarkt gehen damit auch Senkungen des Reallohns einher. Es besteht daher die große Gefahr, dass die stagnierende Volkswirtschaft in eine Deflations-Spirale gerät.[12] Paradebeispiel für dieses wirtschaftspolitische Dilemma einer stagnierenden Volkswirtschaft ist die japanische Krise Anfang der 1990er Jahre.

Durchführung

Die Durchführung von Konjunkturpolitik ist in Deutschland im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz geregelt.

Beschäftigungspolitik als nationale Wirtschaftspolitik war von Keynes in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise 1929 entwickelt worden. Unter heutigen Umständen müssen solche Konzepte neu auf die Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft ausgerichtet werden.[13]

Beispiele

Im Zuge der Finanzkrise ab 2007 und der daraus resultierenden Probleme beschlossene Konjunkturprogramme:

Bewertung

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat am 22. Januar 2009 ein Papier mit dem Thema „Konjunkturprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Einordnung und Bewertung der Globalsteuerung von 1967-1982“ vorgelegt. Ein Kernsatz dieses Gutachtens lautet: „In der nachträglichen Bewertung der Globalsteuerung von 1967 bis 1982 wird deutlich, dass dieses Politikkonzept und damit die in diesem Rahmen verabschiedeten Konjunkturprogramme insgesamt als gescheitert gelten können.[14].

Ein wesentlicher Kritikpunkt an der antizyklischen Konjunkturpolitik ist der sogenannte Crowding-out-Effekt: Demzufolge wird eine expansive Neuverschuldung des Staates die Kreditmärkte austrocknen, wodurch zu wenige Kredite für die Privatwirtschaft und privaten Konsum zur Verfügung stehen, die gerade in einer Rezession wichtig wären. Außerdem wird eingewandt, haben nur selten Industriestaaten die Keynessche Forderung eingehalten, in der Krise aufgenommene Schulden während einer wirtschaftlich guten Phase wieder zu tilgen; deshalb sei antizyklische Konjunkturpolitik in der Vergangenheit einer der wichtigsten Gründe für die immer weiter angestiegene Verschuldung der Industrienationen.

Einige häufig genannte Kritikpunkte an der keynesianischen Konjunkturpolitik sind [15]:

  • Zunehmende strukturelle Staatsverschuldung
  • Vernachlässigung der Angebotsseite führe zu Verlangsamung der Wachstumsdynamik durch private Investitionstätigkeit.
  • In der Realität fallen die multiplikativen Wirkungen von staatlichen Beschäftigungsprogrammen wesentlich geringer aus als im Modell unterstellt. Vielfach treten nur kurzfristige "Strohfeuereffekte" auf, während langfristig sogar negative Effekte auf Produktions- und Beschäftigungsentwicklung zu verzeichnen sind
  • Tendenz zur Inflation durch eine immer wieder von neuem expansive Geldpolitik, die auf Dauer die Geldmenge zu stark ausweitet
  • Die positiven Wirkungen von "Reinigungskrisen" werden außer Kraft gesetzt - mit auf Dauer negativen Wirkungen für Wachstum und Beschäftigung.
  • Kurzfristige Orientierung. Die Summe kurzfristig "richtiger" Maßnahmen könne sich in der mittleren und langen Frist zu Problemen führen.
  • Antizyklische Konjunkturpolitik kann mit langen time-lags verbunden sein,. Besonders lang und unberechenbar sind die time-lags einer expansiven Geldpolitik.
  • Ein Versagen der antizyklischen Politik könne zu zunehmendem Staatsinterventionismus führen, der die marktwirtschaftliche Ordnung untergrabe.

Ein Arbeitspapier von Daniel Leigh and Sven Jari Stehn kommt zum Ergebnis, dass die Geldpolitik in der Regel im Sinne einer erfolgreichen Konjunkturpolitik antizyklisch eingesetzt werden konnte, während das Bild für die Fiskalpolitik gemischt ausfällt. Angelsächsische Länder hätten auch mit Fiskalpolitik konjunkturpolitische Erfolge erzielt, während dies bei kontinentaleuropäischen Ländern so nicht zu beobachten war.[16]

Literatur

  • Werner Glastetter: Konjunkturpolitik: Ziele, Instrumente, Alternative Strategien. ISBN 3766330489
  • Jürgen Pätzold: Stabilisierungspolitik : Grundlagen der nachfrage- und angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. 2008. ISBN 978-3-8006-3492-7
  • Ulrich Teichmann: Grundriß der Konjunkturpolitik: Wachstum in Stabilität als Ziel. ISBN 3800621916
  • Gunther Tichy: Konjunkturpolitik: Quantitative Stabilisierungspolitik bei Unsicherheit. Springer 1999. ISBN 3540659102
  • Helmut Wagner: Stabilitätspolitik : theoretische Grundlagen und institutionelle Alternativen. 2004. ISBN 3-486-20031-3
  • Maximilian Walter: Stabilisierungspolitik. 2004. ISBN 3-89673-199-8

Weblink

Einzelnachweise

  1. Ulrich van Suntum: Die unsichtbare Hand. ISBN 978-3-540-25235-1 S.122
  2. Lawrence Mishel: Tax cut approach has already been tried and failed as stimulus
  3. http://www.juergen-paetzold.de/stabpol/1_stab_Sysopse.htm
  4. Nancy Foolbre: The Granddaddy State The New York Times 2. April 2009
  5. Mehr Keynes wagen
  6. Wolfgang Cezanne: Allgemeine Volkswirtschaftslehre. Oldenbourg 2005. ISBN 978-3-486-57770-9 S.490-494
  7. Ulrich van Suntum: Die unsichtbare Hand, S.124
  8. Richard Posner:The Obama "Stimulus" (Deficit Spending) Plan
  9. Siehe Achim Truger und Dieter Vesper, „Öffentliche Haushalte 2008/2009: Spielräume für ein Konjunkturprogramm unzureichend genutzt“, IMK-Report Nr. 33, November 2008, Tabelle 6, S. 9 Pdf-Datei
  10. Elmendorf, D.W./Furman, J. (2008): If, when, how: A primer on fiscal stimulus, The Brookings Institution, Washington, D.C.
  11. Christina D. Romer: Lessons from the Great Depression for Economic Recovery in 2009 Vortrag Brookings Institution, Washington, D.C., 9. März 2009
  12. Deflation am Horizont Böckler Impuls 03/2009
  13. Peter Kalmbach, Michael Schumann: Finanzkrise als Schocktherapie. WSI-Mitteilungen 11+12/2008
  14. [1] Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste. „Konjunkturprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Einordnung und Bewertung der Globalsteuerung 1967 bis 1982“. Von Dr. Claus-Martin Gaul. Deutscher Bundestag 2008
  15. Jürgen Pätzold: Stabilisierungspolitik, zitiert nach http://www.juergen-paetzold.de/stabpol/BG+Infl/Stabpol%20Strategien.html
  16. IMF Working Paper WP/09/50 „Fiscal and Monetary Policy During Downturns: Evidence from the G7“ von Daniel Leigh und Sven Jari Stehn

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