- Kyūdō
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Kyūdō [kjɯːdoː] (jap. 弓道 „Weg des Bogens“) ist die seit dem 16. Jahrhundert ausgeübte Kunst des japanischen Bogenschießens.
Für den Außenstehenden besonders auffällig ist der langsame Bewegungsablauf, die bei Zeremonien traditionelle, eindrucksvolle Bekleidung sowie die erkennbare Handwerkskunst des Bambusbogens und der Bambuspfeile.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Kyūdō hat sich aus den Kriegskünsten des japanischen Adels entwickelt. Lange Zeit war die Bogenschießkunst unter dem Namen Kyūjutsu (弓術 „Bogen-Kunst“) bekannt, bis daraus, wie aus vielen Künsten, ein „-dō“ wurde (vgl. Budō, Bushidō, Jūdō, Kendō, Iaidō, Aikidō usw.).
Ab dem vierten bis neunten Jahrhundert hatten die engen Kontakte zwischen China und Japan einen großen Einfluss auf das japanische Bogenschießen, insbesondere der konfuzianische Glauben, dass durch das Bogenschießen eine Person ihren wahren Charakter offenbare. Über Hunderte von Jahren wurde das Bogenschießen vom Shintoismus und dem Zen-Buddhismus zusammen mit den praktischen Anforderungen des kriegerischen Bogenschießens beeinflusst. Der Hofadel konzentrierte sich auf das zeremonielle Bogenschießen, während die Kriegerkaste das Kyujutsu betonte, die Technik der Kampfkunst mit dem Bogen in der tatsächlichen Kriegsführung.
Im 16. Jahrhundert (Epoche des Namban-Handels) verdrängte die Einführung der Feuerwaffen auch in Japan allmählich den Bogen als Kriegswaffe, jedoch behielt er als ein Instrument für Jagd und Sport und in der Gegenwart besonders als Mittel zur persönlichen Weiterentwicklung seine Bedeutung.
Honda Toshizane (1836-1917), ein Kyudo-Dozent an der Kaiserlichen Universität Tokyo, koordinierte Elemente des kriegerischen und des höfischen Stils zu einem hybriden Stil, der letztlich als Honda Ryu (Honda-Schule) bekannt wurde. Dieser Stil fand großen Gefallen in der Öffentlichkeit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die vielen verschiedenen Schulen vereinheitlicht und zwei vorherrschende Stile entwickelt: Der Shomen-Stil, bei dem Wert auf Eleganz gelegt wird, und der Shamen-Stil, dessen Schwerpunkt in der Schießtechnik liegt. Die technischen Unterschiede lassen sich aus der früheren Verwendung erklären, d.h. ob kriegerisch zu Fuß (Bushakei), zu Pferd (Yabusame) oder zeremoniell (Reishakei) geschossen wurde.
Kyūdō wird oft mit Zen-Bogenschießen gleichgesetzt, dies ist nur teilweise richtig. Die unterschiedlichen Schulen betonen verschiedene Inhalte. Kyūdō ist Bogenschießen und damit keine reine Meditationsübung, wenngleich in manchen Kyūdō-Stilen dem meditativen Aspekt eine große Bedeutung zukommt.
Besonderheiten
Neben der besonderen Übungsmethodik unterscheidet sich der Bogen auffällig von westlichen Sportbögen. Der Yumi ist asymmetrisch geformt, der obere Wurfarm ist deutlich länger als der untere. Die Theorie, dass der untere Wurfarm verkürzt wurde, um ein Schießen vom Pferd zu erleichtern, ist nicht zutreffend. Die asymmetrische Form bestand bereits, bevor Pferde überhaupt in Japan eingeführt wurden. Es ist wohl eher anzunehmen, dass bei der Anfertigung eines Bogens aus einem dünneren Stamm das unregelmäßig dicke Holz unterhalb der Mitte gegriffen werden musste, um das „Gleichgewicht“ des Bogens – unten schwerer, oben leichter – zu erhalten. Später wurde diese Form beibehalten, obwohl sich die Composit-Bauweise (aus China übernommen) durchgesetzt hat. Ein Grund für die auffallende Länge dürfte auch in der Belastbarkeit des verwendeten Materials (Bambus) liegen. Bei der asymmetrischen Bauart ermöglicht der lange obere Schenkel den großen Auszug, der kürzere untere bewirkt eine höhere Pfeilgeschwindigkeit.
Der Bogen hat weder Zieleinrichtung noch Pfeilauflage. Der Pfeil wird an der Bogenkante rechts außen auf dem Daumen aufgelegt, also auf der dem Schützen abgewandten Seite des Bogens. Die Sehne wird mit Hilfe eines Schießhandschuhs mit einer Grube am Daumen gezogen. Neben dem eigentlichen Schießen wird eine Reihe zeremonieller Bewegungsformen in traditioneller Kleidung Hakama und Keiko-Gi, bei fortgeschrittenen Schützen auch im Kimono geübt. Einen wichtigen Teil des Trainings nimmt das Üben der Technik und der Bewegungsabläufe vor dem Makiwara ein. Dabei wird aus nur 2–3 m Entfernung auf ein Reisstrohbündel geschossen.
Schusstechnik
Der Pfeil wird bei einer Bogenstärke zwischen 7–26 kg (selten auch mehr) horizontal auf das 28 m entfernte Ziel, das Mato (Durchmesser 36 cm), abgeschossen. Diese Entfernung und die Anordnung der Zielmitte knapp 30 cm über dem Boden geht auf die mittelalterliche Schlachtordnung zurück. Die Bogenschützen knieten und versuchten, den durch die Rüstung weniger geschützten Bereich des Unterleibs des Gegners zu treffen. Die Bewegungen sind in die Hassetsu gegliedert.
Die asymmetrische Form des Bogens und das Anliegen des Pfeils an der rechten Seite würden den Pfeil beim Lösen nach rechts oben ablenken. Um dieses auszugleichen, muss der Bogen beim Abschuss innerhalb eines Sekundenbruchteils zum Ziel gedreht/geschraubt werden (Tsunomi no hataraki), bevor sich der Pfeil von der Sehne löst.
In Koordination mit der Bewegung der linken Hand muss die rechte Hand nach innen eingedreht werden (Hineri), damit der Handschuh die Sehne freigibt.
Die Art des Schießens variiert je nach Schule und Stilrichtung. Als größere Schulen neuerer Zeit haben sich Heki-Ryu, Ogasawara-Ryu sowie Honda-Ryu durchgesetzt. Während in Japan überwiegend Shomen (zentrales Anheben des Bogens) geschossen wird, findet in Deutschland bzw. Europa hauptsächlich der Shamen-Stil Anhänger, bei dem der Bogen nach links ausgestellt gehoben wird. Die Hauptströmung ist hier Heki-Ryu Insai-Ha, auf den großen Einfluss von Genshiro Inagaki zurückgehend, der Deutschland erstmals 1969 im Auftrag der „Zen Nihon Kyūdō Renmei“ besuchte. Er war bis zu seinem Tode 1995 Bundestrainer des Deutschen Kyūdō Bundes. Die auf seiner Trainerarbeit basierenden Vereine in Deutschland sind über den Deutschen Kyūdō Bund und den Europäischen Kyūdō-Verband dem Internationalen Kyūdō Verband (IKyuF) angeschlossen. Gleiches gilt für die deutschen Kyūdō-Vereine, die den Shomen-Stil pflegen.
Seit über 20 Jahren ist auch die Heki-Ryu Bishu Chikurin-Ha in Europa vertreten. Das Oberhaupt dieser Schule ist Kanjuro Shibata XX. Er war kaiserlicher Bogenbauer. 1994 wurde seinem Adoptivsohn, Kanjuro Shibata XXI., offiziell der Titel „Kaiserlicher Bogenbaumeister“ verliehen und er übernahm die Bogenbauwerkstätte seines Vaters in Kyoto. Die diesen Stil pflegenden Vereine sind nicht Mitglieder des Deutschen Kyūdō Bundes.
Geistige Aspekte
Das Buch von Eugen Herrigel Zen in der Kunst des Bogenschießens hat viel dazu beigetragen, Kyūdō als eine Zen-Kunst zu betrachten und einer religiösen Tätigkeit gleichzusetzen, was größtenteils auf Missverständnissen Herrigels beruht.
Im 17. und 18. Jahrhundert bekam die Kyūdōpraxis eine philosophische Tendenz. Sprüche wie „ein Schuss – ein Leben“ oder „Schießen soll sein wie fließendes Wasser“ wurden mit der Lehre des Kyūdō in Zusammenhang gebracht. Hier trennten sich die Auffassungen der unterschiedlichen Schulen. Teilweise wurde der Treffer als nachgeordnet betrachtet und behauptet, allein die richtige geistige Einstellung reiche beim Schießen aus.
Im Kyūdō soll im vollen Auszug und bei der Schussabgabe Munenmuso oder Mushin (übersetzbar als „leerer Geist“) erreicht werden. Dieser entspricht jedoch nicht einer allgemeinen ziellosen Gleichgültigkeit, sondern beschreibt eher den Zustand einer so hoch verdichteten Konzentration, dass für andere Gedanken kein Platz ist.
Der 1990 verstorbene Hideharu Onuma, 9. Dan/Hanshi, unterschied drei Qualitätsebenen des Treffens:
- Toteki: der Pfeil trifft das Ziel
- Kanteki: der Pfeil durchbohrt das Ziel
- Zaiteki: der Pfeil existiert im Ziel
Für die erste reicht eine gute Technik und Bewegungsform aus. In der zweiten ist eine zielgerichtete Dynamik erforderlich. Auf der dritten steht vor dem Lösen bereits fest, dass der Pfeil trifft. Dieses kann nur erreicht werden, wenn Körper, Geist und Technik zu einer Einheit verschmelzen.
Der japanische Dachverband (ANKF) benennt als höchstes Gut des Kyūdō folgende drei Komponenten:
- 真 Shin – „Wahrheit“ technisch korrektes, mit der richtigen Gesinnung erfülltes Schießen
- 善 Zen – „Güte“ schließt positive Eigenschaften wie Höflichkeit, Mitgefühl, Sittlichkeit, und Friedfertigkeit ein und könnte mit sozialer und moralischer Kompetenz gleichzusetzen sein. Zen äußert sich in angemessener Haltung und angemessenem Verhalten in allen Lebenslagen, auch bei großem Stress oder in einem Konflikt.
- 美 Bi – „Schönheit“ findet man in der besonderen Erscheinungsform und der künstlerischen Gestaltung des japanischen Bogens sowie der traditionellen Bekleidung des Schützen. Bi ist gegenwärtig in der veredelten Etikette, die die Kyūdō-Zeremonie umgibt.
Wettkampfsport in Deutschland
In Deutschland werden in Regie der Landesverbände in mehreren Bundesländern wie Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen Landesmeisterschaften veranstaltet.
Die nationalen Meisterschaften werden vom Deutschen Kyudobund (DKyuB) ausgerichtet. Ihre Durchführung wird durch die Wettkampfordnung des DKyuB geregelt. Teilnahmeberechtigt sind Kyudoka ab dem 3. Kyu, wobei die Teilnehmerkontingente für jedes Bundesland beschränkt sind.
Die Deutschen Meisterschaften werden in verschiedenen Leistungsgruppen durchgeführt. Im Jahre 2011 fanden sie in Aachen statt.
Bei den Mannschaftsmeisterschaften kann für jeden Landesverband eine Mannschaft mit drei Schützen (zzgl. ein Reserveschütze) starten. (Sieger: Bayern)
Die Schützen mit Kyu-Graduierungen ermitteln in der Kyu-Meisterschaft ihren Sieger. (Sieger: Stefan Heinrich/München)
Die Einzelmeisterschaft wird für Starter mit Graduierungen vom 1. bis 4. Dan durchgeführt. Diese Meisterschaft umfasst als Vorrunde eine Stilwertung, in der zunächst die Schießtechnik bewertet wird (Sieger Stilwertung: Michael Messler/Bad Dürkheim). Nur die bestbewertesten 16 Schützen treten in einem K.O.-System mit Trefferwertung gegeneinander an (Siegerin: Michaela Surke/Dresden).
Die Schützen mit einer Graduierung ab dem 5. Dan und höher ermitteln in der Sempai-Meisterschaft ihren Sieger (Shigeyasu Kameo/Erkrath).
Darüber hinaus wird eine Deutsche Entekimeisterschaft (60m-Distanz) im Freien veranstaltet, zuletzt 2011 in Würzburg (Sieger Boris Proppe/Berlin).[1]
An den Wettkämpfen der Bundesliga können alle im DKyuB organisierten Kyudoka ab dem 3. Kyu teilnehmen. In jährlich vier Runden zu je 12 Pfeilen pro Schütze wird eine Rangliste ermittelt. 2011 waren 100 Mannschaften mit je 4 Schützen, davon ein Reserveschütze, angemeldet. Sieger wurde die Mannschaft Ryo Un Kan 1 aus Weilheim.
Daneben werden von den im DKyuB organisierten Vereinen eigene Wettkämpfe ausgerichtet.
Teilnehmer an den Europameisterschaften werden in Deutschland aus einem vom DKyuB benannten Kader ausgewählt.
Siehe auch
Literatur
- Deutsche Fachbücher
- Feliks F. Hoff: Kyudo. Die Kunst des japanischen Bogenschießens. Weinmann, Berlin, ISBN 3-87892-036-9
- Volker Alles (Hg): Reflexbogen. Geschichte und Herstellung. Angelika Hörnig, Ludwigshafen 2009. ISBN 978-3-938921-12-8 (Kapitel Pfeil und Bogen in Japan)
- Hans Gundermann: Kyudo. Fachausdrücke Japanisch-Deutsch. 2. Auflage. Selbstverlag
- Hans Gundermann: Kyudo. Yumimokuroku. Selbstverlag, ISBN 4-907776-03-9
- Luigi Genzini: Kyudo - Der Weg des Bogens. Die Kunst des traditionellen japanischen Bogenschießens. Verlag J.R. Ruther, 2008, ISBN 978-3-929588-15-6
- Zeitschriftenartikel
- Reinhard Kollotzek: Kyudo. Traditionelles japanisches Bogenschießen. Teil 1. In: Traditionell Bogenschiessen. 2005, Nr. 35, Verlag Angelika Hörnig, S. 42-46, ISSN 1432-4954 ([1]).
- Reinhard Kollotzek: Kyudo. Traditionelles japanisches Bogenschießen. Teil 2. In: Traditionell Bogenschiessen. 2005, Nr. 36, Verlag Angelika Hörnig, S. 42-47, ISSN 1432-4954 ([2]).
- Reinhard Kollotzek: Kyudo. Traditionelles japanisches Bogenschießen. Teil 3. In: Traditionell Bogenschiessen. 2005, Nr. 37, Verlag Angelika Hörnig, S. 40-45, ISSN 1432-4954 ([3]).
- Fremdsprachige Literatur
- Hideharu Onuma: Kyudo. The Essence and Practice of Japanese Archery. Kodansha, Tokyo/New York/London, ISBN 4-7700-1734-0
- Hideharu Onuma, Dan und Jackie DeProspero: Kyudo – l'essence et la pratique du tir à l'arc japonais. Budo éditions, Noisy-sur-École, 1985, ISBN 2-908580-69-1
- Zen Belgian Kyudo Renmei – Association Helvétique de Kyudo – Fédération Française de Kyudo Traditionnel: Manuel de kyudo, principe du tir. Bruxelles, 2004, ISBN 2-9600472-0-6, uniquement disponible pour les adhérents.
- M. Martin: Kyudo: un tir, une vie. Éditions Amphora Arts Martiaux, Paris, 1997, ISBN 2-85180-330-1
- Bertrand Petit: Voie de l’arc des Samouraïs: poèmes secrets de l’école Heiki, XVIe siècle. Fata Morgana, 2001, ISBN 2-85194-545-9
- Ursula Lytton: Inside and Outside of a Kyu-Dojo - An Anthropological Approach in: Journal of the 32nd International Conference of Orientalists in Japan, The Toho Gakkai, Tokyo 1987
- Ursula Lytton: Andere Aspekte des Kyudo in: Anthropos 2/1989, St. Augustin
- Shoji Yamada, The myth of Zen in the Art of archery -> http://www.thezensite.com/ZenEssays/CriticalZen/The_Myth_of_Zen_in_the_Art_of_Archery.pdf
Weblinks
Commons: Kyūdō – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien- Deutscher Kyudo Bund
- Österreichischer Kyudo Verband
- Schweizerischer Kyudo Verband
- European Kyudo Federation
- International Kyudo Federation
- All Nippon Kyudo Federation / Zen Nihon Kyudo Renmei
- Zenko International von Kanjuro Shibata XX
Einzelnachweise
- ↑ Stefan Brendel: 5 Offene Deutsche Enteki-Meisterschaft 2011. Deutscher Kyudo Bund e.V., abgerufen am 10. Oktober 2011.
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