Lahnstadt

Lahnstadt
Wappen der Stadt Lahn
Tagesstempel Hauptpost in Wetzlar (6300 Lahn 2)

Die (Großgemeinde) Stadt Lahn war eine neu zusammengefügte Stadt in Hessen, die von 1977 bis 1979 (31 Monate lang) Bestand hatte. Wichtigste Teilgemeinden waren die Städte Gießen und Wetzlar.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Die Stadt wurde zum 1. Januar 1977 im Zuge der Gebietsreform in Hessen als kreisfreie Stadt gebildet[1]. Sie hatte ca. 156.000 Einwohner und war gleichzeitig Verwaltungssitz des damals durch Vereinigung des Dillkreises mit den Landkreisen Gießen und Wetzlar neu gegründeten Lahn-Dill-Kreises. Die Stadt umfasste die frühere kreisfreie Stadt Gießen, die Stadt Wetzlar sowie 14 weitere umliegende Gemeinden. Nach Bürgerprotesten löste man die Großgemeinde zum 31. Juli 1979 wieder auf; bleibendes Resultat war für Gießen der Verlust der einstigen Kreisfreiheit.

Gliederung

Bei der inneren Gliederung des Stadtgebietes war man von den Regelungen der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) abgewichen. Stattdessen teilte man in Anlehnung an die nordrhein-westfälische Kommunalverfassung das Gebiet in Stadtbezirke ein.

Die Stadt Lahn besaß 23 Stadtteile in sechs Stadtbezirken:

  • Stadtbezirk Gießen (73.600 Einwohner)

Widerstand und Auflösung

Hessens damaliger Ministerpräsident, der Gießener Albert Osswald (SPD), hatte die neue Großstadt zunächst noch als „Jahrhundertwerk“ bezeichnet: Sie sollte die mittelhessische Region gegenüber den beiden Zentren Frankfurt und Kassel stärken. Doch wegen des heftigen Widerstands der Bevölkerung gegen den Zusammenschluss wurde die Stadt zum 31. Juli 1979 wieder aufgelöst. Seither besteht das ehemalige Stadtgebiet aus den wieder entstandenen Städten Gießen und Wetzlar sowie den drei Gemeinden Heuchelheim, Lahnau und Wettenberg. Der Lahn-Dill-Kreis blieb erhalten (Kreisstadt wurde Wetzlar), verlor aber das Gebiet des Landkreises Gießen, der wieder errichtet wurde. Das ehemals kreisfreie Gießen wurde Kreisstadt dieses Landkreises.

Nicht nur die Abneigung der Bevölkerung vor allem im Stadtteil Wetzlar gegen die Stadt Lahn war ein Grund für die kurze Lebensdauer der künstlichen Großstadt. Im Gegensatz zu vielen anderen vereinten Städten bestand keine eindeutige zentrale Funktionsorientierung. Lahn hatte zwei Stadtkerne, die nebeneinander existierten und konkurrierten. Lahn-Gießen war Verwaltungs-, Universitäts- und Einkaufszentrum, während Lahn-Wetzlar industrielles Zentrum (im Stadtteil nördlich der Lahn), Einkaufszentrum und die Altstadt – südlich der Lahn – touristisches Ziel war. Die beiden Kerne lagen etwa 15 km auseinander, dazwischen (heutige Gemeinden Heuchelheim und Lahnau) lagen eher dünn besiedelte Bereiche mit dörflich geprägten Ortsteilen. Dies alles machte eine Vernetzung und Differenzierung der Funktionen sehr schwierig.

Seitens der Einwohner von Wetzlar bestand die Befürchtung, vom seinerzeit größeren Gießen strukturell erdrückt zu werden und zu einer „Schlafstadt“ zu verkommen. Schon die Postanschrift bestärkte dieses Gefühl: Briefe nach Gießen wurden mit „Lahn 1“ codiert, Briefe nach Wetzlar mit „Lahn 2“. In der Bevölkerung wurde befürchtet, dass die Stadtteile zwischen Gießen und Wetzlar durch eine starke Ausweitung der Bauflächen ihres Charakters beraubt worden wären und die Verkehrsbelastung zwischen beiden Städten gestiegen wäre.

Auch die Wahl des Stadtnamens „Lahn“ wurde rückblickend als wenig glücklich empfunden: Zunächst war die Kombination „Gießen-Wetzlar“ geplant gewesen, später fiel die Wahl auf „Lahn“, damit die beteiligten Dörfer ihren Namen anhängen konnten. Viele Bürger empfanden den Namen jedoch als geschichtslos. Auf vielen Autos klebte der Spruch „Wenn ich Lahn seh, krieg ich Zahnweh“. "Unter einer Lotte in Lahn kann ich mir nichts vorstellen", sagte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Bei der Deutschen Bundesbahn war es nicht möglich, eine Fahrkarte nach Stadt Lahn zu erwerben, da diese nicht im Streckennetzplan aufgeführt war.

Bereits 31 Monate nach ihrer Gründung wurde die Stadt Lahn wieder aufgelöst. Vor allem für die SPD, die die Reform maßgeblich vorangetrieben hatte, blieben die Auseinandersetzungen um die Lahnstadt nicht ohne Folgen: Bei der Kommunalwahl im März 1977 kippten die mittelhessischen Wähler zahlreiche SPD-Politiker aus ihren Rathaussesseln und brachten die Christdemokraten – erklärte Gegner der Lahnstadt – an die Macht. In der Stadt Lahn gelang der der Union bei den Kommunalwahlen in Hessen 1977 ein Erdrutschsieg. Die CDU erzielte einen Zuwachs von 30,2 % und kam insgesamt auf 50,7 %[2]. 1977 wurde Wilhelm Runtsch (CDU) zum Oberbürgermeister der Stadt Lahn gewählt.

Verlierer war am Ende vor allem die Stadt Gießen: Sie büßte ihre Kreisfreiheit ein und erhielt lediglich die ehemals selbstständige Gemeinde Lützellinden hinzu, da die Stadt bereits zu früheren Zeiten einige Eingemeindungen vornehmen konnte. Zum Ausgleich siedelte die Regierung 1981 das Regierungspräsidium Mittelhessen in Gießen an. Wetzlar dagegen ging mit der Eingemeindung von acht Umlandgemeinden, die ohnehin bereits bis auf drei (Dutenhofen, Münchholzhausen und Blasbach) fest mit der Stadt verwachsen waren, eher gestärkt aus der gescheiterten Fusion hervor.

Kraftfahrzeug-Kennzeichen seit 1990

Lahn erhielt den Buchstaben L als KFZ-Kennzeichen. Dieser Buchstabe war ursprünglich für den Fall einer Wiedervereinigung für die Stadt Leipzig reserviert worden (siehe: Ostzonenverzeichnis). Das Vorgehen wurde von manchen Kritikern als Provokation seitens der sozialliberalen Bundesregierung aufgefasst. Manche sahen darin gar eine De-facto-Anerkennung der deutschen Teilung. Nach der Auflösung Lahns behielt der neu entstandene Lahn-Dill-Kreis zunächst das „L“-Kennzeichen. Als die deutsche Wiedervereinigung 1990 aber doch Wirklichkeit wurde, wurde das Kennzeichen, wie ursprünglich geplant, an Leipzig abgegeben. Der Lahn-Dill-Kreis vergibt seit Herbst 1990 das Kennzeichen LDK.

Alte Autos aus Lahn bzw. dem Lahn-Dill-Kreis behielten das L-Kennzeichen. Man kann diese Autos dennoch von Leipziger Autos unterscheiden: Leipziger Kennzeichen (außer B, F, G, I, O, Q) haben vier Ziffern, die alten Kennzeichen des Lahn-Dill-Kreises hatten Kennzeichen aus dem Nummernbereich L-AA 100 bis L-ZZ 999, während der Nummernbereich L-A 1 bis L-Z 999 zuzüglich L-A 1000 bis L-E 9999 (ohne B) der Stadt Lahn bis zum 31. Juli 1979 vorbehalten war. Zur Vermeidung von Verwechslungen werden von der Stadt Leipzig nur Kennzeichenkombinationen von L- AA 1000 bis L-TZ 9999 und L-F 1000 bis L-T 9999 und vom Landkreis Leipzig (vom 1. August 1994 bis zum 31. Juli 2008 Landkreis Leipziger Land) nur Kennzeichenkombinationen von L-UA 1000 bis L-ZZ 9999 und L-U 1000 bis L-Z 9999 vergeben. Da die Buchstaben B, F, G, I, O, Q zur Zeit des Lahn-Dill-Kreises noch nicht ausgegeben wurden, stehen weitere Kombinationen, die diese Buchstaben enthalten, für Leipzig zur Verfügung. Zur Aufteilung von Kombinationen mit diesen Buchstaben auf die Stadt Leipzig und den Landkreis Leipzig siehe den Artikel Liste aller Kfz-Kennzeichen der Bundesrepublik Deutschland.

Einzelnachweise

  1. Gesetz zur Neugliederung des Dillkreises, der Landkreise Gießen und Wetzlar und der Stadt Gießen, vom 13. Mai 1974, GVBl. I S. 237
  2. Werner Wolf: Neubeginn und Kampf um die Mehrheit. Die CDU Hessen unter Alfred Dregger 1967-1982; in: Bernd Heidenreich und Werner Wolf: Der Weg zur stärksten Partei 1945-1995 / 50 Jahre CDU Hessen, Wiesbaden 1995, ISBN 3-8046-8827-6, Seite 59-93

Siehe auch

GlaBotKi, eine kurzlebige (1975-76) Großstadt in Nordrhein-Westfalen

50.5722222222228.58888888888897Koordinaten: 50° 34′ N, 8° 35′ O


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