Anthropomorphe Pfahlgötter

Anthropomorphe Pfahlgötter
Fotomontage des Idoltyps 2 aus dem Opfermoor von Oberdorla in eine Moorumgebung.

Anthropomorphe Pfahlgötter (anthropomorph = menschengestaltig; auch als Moorpfähle oder Pfahlgötzen, Idole bezeichnet), sind mehr oder minder grob geschnitzte Holzfiguren, die vermutlich germanische Gottheiten verkörperten. Darüber hinaus ist der Begriff ein Sammelbegriff unter dem ebenfalls schlicht ausgeformte nicht menschengestaltige Kultpfähle geführt werden. Fundorte der Pfahlidole sind neben den Mooren, beziehungsweise Opfermooren, andere Opferplätze im prähistorischen, römerzeitlichen und völkerwanderungszeitlichen germanischen Siedlungsbereich.

Im Museum für Ur- und Frühgeschichte in Weimar sind mehrere Pfahlgötter aus dem Opfermoor bei Oberdorla einem germanischen Moor- und Seeheiligtum ausgestellt.

Inhaltsverzeichnis

Kulturhistorische Hintergründe und Entwicklungen

Holzidol aus dem Moor von Broddenbjerg, bei Viborg in Dänemark.

Seit der Steinzeit wurden in Europa aufgerichtete Holzpfähle verehrt und anderseits wohl auch gefürchtet. Für die germanischen Kulturen ist der Brauch seit der Bronzezeit nachweisbar, als zeitlich frühestes ansetzbare Objekte gelten das sogenannte Götterpaar von Braak.[1] Die heutigen Fundorte dieser Formen von Kultpfählen hängen mit der sich dort bedingenden Erhaltungssituation aus der konservierend wirkenden Umgebung einzelner Moor- und Seeorte zusammen. Eine Deutung auf eine ursprüngliche Verbreitung beziehungsweise eine Beschränkung auf die Lokalitäten der Opfermoore und Seen lassen die heutigen Fundorte nicht zu. Obwohl die Germanen bis ins 1. Jahrhundert für die Opferhandlungen feuchte Orte bevorzugten, in deren Kontext eben die Pfahlgötter funktionierten, zeigt der Fund eines Idols in Bad Doberan auf trockenem Grund vermutlich das tatsächliche Spektrum einer allgemeinen Verortung an.[2] Auffällig ist die stark abstrahierende Gestaltung und Wirkung der Pfahlgötter im Gegensatz zu sonstigen kunsthandwerklich bearbeiteten Gegenständen aus dem zeitlichen Kontext.

Tacitus hingegen behauptete, dass die Germanen keine menschengestaltigen Götterbilder beziehungsweise Idole verwendeten noch ein Bedürfnis dafür hätten. In seiner Ethnographie der Germania beschreibt er jedoch abweichend, dass beim Nerthuskult durchaus ein Idol, ein Götterbild Verwendung fand.

„Ceterum nec cohibere parietibus deos neque in ullam humani oris speciem adsimulare ex magnitudine caelestium arbitrantur: lucos ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum illud, quod sola reverentia vident.“

„Außerdem meinen sie, dass es der Größe der Himmel nicht würdig sei, die Götter in Wänden einzuschließen oder auch nur im entferntesten dem menschlichen Aussehen nachzubilden: Sie weihen die Lichtungen und heiligen Haine und sie rufen mit den Namen der Götter jenes Geheimnisvolle an, das sie in großer Verzückung betrachten.“

tacitus, germania 9, 6

„est in insula Oceani castum nemus, dicatumque in eo vehiculum, veste contectum; attingere uni sacerdoti concessum. is adesse penetrali deam intellegit vectamque bubus feminis multa cum veneratione prosequitur. laeti tunc dies, festa loca, quaecumque adventu hospitioque dignatur. non bella ineunt, non arma sumunt; clausum omne ferrum; pax et quies tunc tantum nota, tunc tantum amata, donec idem sacerdos satiatam conversatione mortalium deam templo reddat. mox vehiculum et vestis et, si credere velis, numen ipsum secreto lacu abluitur.“

„Auf einer Insel des Ozeans ist ein heiliger Hain und darin ein geweihter, mit einem Tuch bedeckter Wagen. Berühren darf ihn allein der Priester. Dieser erkennt es, wenn die Göttin im Heiligtum ist und geleitet ihren mit Kühen bespannten Wagen in tiefer Ehrfurcht. Fröhlich sind dann die Tage, Feste an allen Orten, die die Göttin ihres Besuches und Aufenthaltes würdigt. Kein Krieg wird geführt, keine Waffen ergriffen, eingeschlossen ist jedes Schwert; aber Frieden und Ruhe kennt man nur, liebt man nur, bis derselbe Priester die Göttin, die des Verkehrs mit den Sterblichen satt geworden ist, ihrem Heiligtum zurückgibt. Hierauf werden Wagen und Tücher und, wenn man es glauben mag, die Gottheit selbst in einem einsamen See gewaschen. Den Dienst verrichten Sklaven, die auf der Stelle derselbe See verschlingt“

tacitus, germania kap. 40

Unter dem Gesichtspunkt des römischen Verständnisses von Götterbildern mit menschlichen Antlitz aus der mediterranen Hochkultur heraus, wurden solche germanischen Zeugnisse nicht wahrgenommen oder gar nicht als kategorisch identisch erachtet, wenn überhaupt solche von Römern gefunden, beziehungsweise dann darüber berichtet wurde.

Der germanische Begriff der Götterbezeichnung, Ase, von der gemeingermanischen Wurzel *ans, ansuz abgeleitet, hat die Bedeutung für Balken oder Pfosten. Eine namentliche Zuordenbarkeit der Pfahlgötter zu den später namentlich belegten Gottheiten ist jedoch nicht möglich, und ablehnend als rein spekulativ zu werten. Dass die Götter im Plural als Gruppe, die Asen, Ansen (gotisch), angesprochen werden als Sammlung der göttlichen Macht und Fähigkeiten zeigt vermutlich die Herkunft von den namenlosen und wohl auch unpersönlich gedachten Pfahlgöttern an.[3] Neben den anthropomorphen, menschengestaltigen Pfählen, wurden auch grobe, einfache unbearbeitete Holzpfähle errichtet und verehrt. Solche Kultpfähle wurden nach einigen archäologisch fixierten Fundsituation in Steinhaufen errichtet, wie beispielsweise das phallische Idol aus dem dänischen Moor bei Broddenbjerg.[4] Zum Vergleich hatte ein altnordischer Begriff aus der Wikingerzeit für einen Opferplatz oder Heiligtum, hǫrgr, auch die Bedeutung von einem Steinhaufen.[5]

„Váðir mínar gaf ec velli at tveim trémǫnnom; reccar þat þóttuz, er þeir rift hǫfðo, neiss er nøcqviðr halr.“

„Zwei Holzmänner auf der Heide draußen gab ich weg mein Gewand; Lebend schienen sie, als sie die Lumpen hatten; der Nackte gilt nichts.“

Havamàl, 62 (49)

Ebenfalls zeigen spätere teilweise literarische Bezüge die Verehrung von menschengestaltigen und schlichten Kultpfählen an. Im eddischen Gedicht der Havamàl werden offensichtlich gemeinte Idole als altnordisch trémǫnnom, Holzmänner bezeichnet. Klerikale Missionsschriften, deren Quellwert nur bedingt authentisch zu sehen sind, eher als christlich-apologetisch, berichten von Idolen die aus Metall, beziehungsweise Erzen und aus Stein gefertigt waren, ebenfalls von solchen Gebilden die aus Holz bestanden.[6]

In diesen Kontext stehen ebenfalls prägnante Passagen in den nordischen Sagas, in welchen bestimmte Kultpfähle, sogenannte öndvegissúlur (Hochsitzsäulen), sowie menschengestaltige Pfähle, Idole, die namentlich Gottheiten darstellten oder gestiftet waren wie besonders bei Freyr und Thor. Bei diesen Textausschnitten tritt wie bei den kontinentalen Missionsberichten deutlich die christlich geprägte Perspektive der Autoren hervor, bedingt durch die zeitlichen Differenz der Niederschrift aus dem 12. –14. Jahrhundert zur vergangenen heidnischen Epoche. Ein Bindeglied zwischen den archäologischen Funden von Idolen und Kultpfählen aus der römischen und nachrömischen Eisenzeit hin zu den literarischen Überzeichnungen aus der Wikingerzeit, beziehungsweise deren weiterentwickelten Ausformungen, mag der Fund eines Pfostenloches im Bereich des Kultbaus aus dem nordenglischen Yeavering sein. Im Bereich der kultischen Einhegung des zentralen Kultortes unweit des anglischen Königsitzes aus dem 6.– 7. Jahrhundert, wurde ein quadratisches Pfostenloch entdeckt dessen Seitenlänge 56 cm bei einer ungefähren Tiefe von 1 ,3 m beträgt, verdeutlicht das der vermutete Kultpfahl eine bedeutende Größe hatte.

Formen und materielle Substanz

Opfermoor von Oberdorla/ OT Niederdorla, mit stilisiertem Idol

Typologisch lassen sich die anthropomorphen Pfahlgötter in vier Gruppen ordnen:[7]

  • Idoltyp 1: Unterschiedlich geformter Stock oder Pfähle, als Phallus gestaltet oder die mit einem solchen ausgestattet wurden beziehungsweise ansteckbar waren (Oberdorla, Possendorf).
  • Idoltyp 2: Aus einer Astgabel mit einer Axt grob als männlich oder weiblich gestaltet mit abgesetzten gerundeten oder zugespitzten Kopf und angesetzten Armen. Mit Phallus versehene Astgabelidole finden sich mehrheitlich in Norddeutschland und Skandinavien (Braak, Broddenbjerg bei Viborg, Ejsbøl, Forlev Nymølle), weibliche Formen besonders in Oberdorla. Größen von ungefähr 1 m bis fast 3 m Länge.
  • Idoltyp 3: Aus dicken Brettern herausgearbeitet, männliche Idole sind schlicht mit rechteckigen Korpus gestaltet, der Kopf und Schultern durch Kerbschnitt grob zur Kenntlichmachung abgesetzt. Weibliche Idole deutlich detailreicher, betonte breite Hüften mit angedeuteter Vulva, stark wiedergegebene Schultern und Brüste. Bei beiden Geschlechtstypen sind die Köpfe gesichtslos gestaltet (Wittemoor, Oberdorla).
  • Idoltyp 4: Kantholzartig mit abgesetzten Kopf und hermenartig gestaltet (Oberdorla).

Vermutlich aus dem Grund der Dauerhaftigkeit im meist feuchten Umfeld der Standorte, wurden als verwendete Holzart das der Eiche als Kernholzbaum bevorzugt genutzt.

Interpretationen

Idole aus dem Wittemoor bei dem niedersächsischen Oldenburg, beiderseits eines Bohlenweges gefunden.

Zur religionsgeschichtlichen und phänomenologischen Deutung sind zwei grundsätzliche wissenschaftliche Annahmen relevant, abseits einer rein sakralen Deutung wird das Spektrum in den profanen Bereich erweitert. Beachtenswert ist, dass bisherige Deutungen in einem tradierten forschungsgeschichtlichen Kontext stehen, beziehungsweise standen.[8] Grundsätzlich ist es möglich anzunehmen, dass die Pfahlgötter als eine Vorstufe der später namentlich und vergeistigten Götter, zumindest die wichtigsten Hauptgottheiten nach ihren wesentlichen funktionellen Bedeutungen (unter anderen Tacitus Interpretatio Romana, völkerwanderungszeitliche Runeninschriften). Dem steht jedoch gegenüber, dass solche Idole zum Teil bis in die Zeit der Völkerwanderung und der spätheidnischen Wikingerzeit verehrt wurden, und nicht jeder Fruchtbarkeitskult oder Ritus einer namentlichen bestimmten Gottheit gewidmet wurde.

Zum einem wird ein Fruchtbarkeitkultus durch die Darstellung der Figuren als männlich und weiblich durch die zum Teil deutlich heraus gearbeiteten primären- wie sekundären Geschlechtsmerkmale angenommen, sowie besonders durch die Funde von Resten aus Opferhandlungen. Tonscherben und Tier-, und seltener Menschenknochen, deuten auf eine schlichte agrarische, bäuerliche Opfergemeinschaft hin.[9]

Zum anderen ist die Verehrung von diversen kultischen Pfählen nicht nur germanisches, sondern weiterreichend indogermanisches Gemeingut. Die Verehrung einer Weltachse/Weltensäule oder Weltenbaum wird hierbei als ursächliches Motiv basierend auf einem älteren Baumkult gedeutet. Der zudem in außerindogermanischen Kulturen ebenfalls ein bedeutendes kultisch-religiöses Element ist. Die Irminsul bei den Sachsen zur karolingischen Zeit, oder die Weltesche Yggdrasil aus den mittelalterlichen altisländischen Eddadichtungen als spätestes Zeugnis sind im germanischen Kontext die bekanntesten Ausformungen.[10]

Heiko Steuer merkt an, dass bei den Brettidolen des Wittemoors, und folglich anderer selben Typs, nicht grundsätzlich von einem sakralen, einem religiösen Hintergrund zur Errichtung auszugehen ist, sondern dass hierbei durchaus andere Motive, im profanen Lebensumfeld angesiedelt, ursächlich ausschlaggebend waren. Neben der Funktion als allgemeine Heilszeichen, und im Speziellen als schutzgebende, oder schadenabwehrende Zeichen (Apotropäische Handlung), besteht die einfache Funktion einer ornamentalen Ausschmückung. Zusammenfassend ist nach Bernhard Maier feststellbar, dass sich eine exakte Funktion der anthropomorphen Pfahlgötter und Idole innerhalb der germanischen Religion sich letztlich nicht exakt ermitteln lässt. Dies bedingt aus zwei wesentlichen Gründen: Dass zwar einige Exponate aus unterschiedlichen Zeiten gefunden wurden, aber doch wohl als Ausnahmefunde zu werten sind und daher über die Verbreitung nur Annahmen möglich sind. Und damit verbunden, dass die religiösen Vorstellungen in schriftlicher Form kaum vorhanden, beziehungsweise diesen echter belastbarer Quellwert inneliegt.[11]

Siehe auch

Weblinks

Literatur

Einzelnachweise

  1. Simek: (2003) S. 102f. (2006) Stichwort → Pfahlgötter.
  2. Steuer: S. 69. Müller-Wille: S.7,8, 28.
  3. Simek: (2003) S. 103
  4. Jankuhn: S.  182. Simek: (2003) S. 103
  5. Walter Baetke: Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur. WBG, Darmstadt 1976. S.300.
  6. Capelle, Maier: S. 325.
  7. Behm-Blancke: S.  381f. Simek: (2003) S. 104 diverse Abbildungen.
  8. Steuer: S. 69, 70.
  9. Jankuhn: S. 184.
  10. Simek: (2006) aoO.
  11. Capelle, Maier: S. 330.

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