- Germanische Gottheit
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Eine Germanische Gottheit kann anhand der nordischen (an.), angelsächsischen (ae.) und althochdeutschen (ahd.) Überlieferung erschlossen werden und führt in eine Zeit, als noch keine Berichte über die Germanen geschrieben wurden. Dass diese bereits in der vorrömischen Eisenzeit an anthropomorphe Gottheiten glaubten, beweisen einfache menschenähnliche Astgabelidole aus den vorchristlichen Jahrhunderten, die in Dänemark und im nördlichen Deutschland gefunden wurden. Bemerkenswerterweise trugen diese germanischen Götter Namen, die eine klare einfache Bedeutung hatten, wie Donner oder Überfluss. Zu welchem Zeitpunkt diese germanischen Götternamen aufkamen, kann nur spekuliert werden, es muss aber in einer Periode geschehen sein, als sich die verschiedenen Dialekte noch sehr nahe standen.
Über das Wesen der damaligen Götter kann nicht viel gesagt werden. So ist anhand der vergleichenden indogermanischen Religionswissenschaft zwar plausibel, dass Wodan-Odin immer einäugig gedacht wurde, aber wann diese Idee aufkam, die auch bei Balten (Velinas), Kelten (Lug, schließt beim Zaubern ein Auge) und ansatzweise bei den Römern (Horatius Cocles) bekannt ist, kann nicht eruiert werden.
Sehr spärlich sind die Zeugnisse von den Sachsen (as.) und Goten (got.).
Inhaltsverzeichnis
Germanische Gottheiten
*Wôðanaz „Herr der (heiligen) Inspiration“: Hauptgott Odin bzw. Wotan (an. Óðinn; ae. Wóden; as. Woden; ahd. Wuotan). Zur ie. Wurzel *H2weH2- „inspirieren“; vgl. gall.-lat. vates „Seher“, air. fáith „Dichter“ und heth. ḫuwaši „Orakelvogel“. Nach *Wôðanaz wurde der Mittwoch (engl. Wednesday, niederländisch Woensdag) benannt. Der Gott darf wohl bereits als einäugig gedacht werden.
*Þunraz „Donner“: Donnergott Thor bzw. Donar (an. Þórr; ae. Þunor; as. Thunaer; ahd. Donar). Zu ie. (s)tenH2- „donnern“; vgl. lat. tonare. Nach *Þunraz ist der Donnerstag benannt. Dem Donnergott kann eine primitive Waffe zugeschrieben werden (Keule, Axt, Hammer) und alt ist der Mythos, dass er gegen ein Wassermonster ankämpfte. Zumindest bei den Nordgermanen hat dieser Mythos aber eine starke Änderung erfahren, indem der Kampf ins Endzeitalter verlegt wurde.
*Teiwaz „Gott“: Rechts- & Kriegsgott Tyr bzw. Ziu (an. Týr; ae. Tiig; ahd. nur als Runenname überliefert: ᛠ ziu). Zu ie. *deiwós „Gott“; vgl. lat. deus. Nach *Teiwaz ist der Dienstag (alem. Zyschtig, engl. Tuesday) benannt. *Teiwaz dürfte vorerst Gott der Rechtsordnung gewesen sein und erst mit der Militarisierung der Thingversammlung zu einem Kriegsgott geworden sein. Dieser Prozess kann sehr alt, aber auch erst durch die aggressive Politik der Römer verursacht sein.
*Frîjô „Ehefrau“: Muttergöttin Frigg bzw. Frija (an. Frigg; ahd. Friia). Zu ie. *priHéH2 „Geliebte, Ehefrau“; vgl. Sanskrit priyā „Geliebte, Ehefrau“. Nach *Frîjô wurde der Freitag benannt. Gattin des Hauptgottes und Göttermutter. Nicht zu verwechseln mit der Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin.
*Fullô „Überfluss“: Fruchtbarkeitsgöttin (an. Fulla; ahd. Uolla, zudem der männliche Phol). Zu ie. plH1nós „voll“; vgl. lat. plenus. Bei den Germanen finden sich mehrere Götterpaare gleichen Namens (Phol & Uolla; Fjörgynn & Fjörgyn; Njördr & Nerthus) die sämtliche der Sphäre der Fruchtbarkeit angehören. Dieser Zug findet sich nur noch bei den Römern mit Liber und Libera.
*Gautaz: Stammvater diverser Königsfamilien (an. Gautr; ae. Géat; as. Hathagat „Vater der Väter“; ahd. Gausus, Vorfahre der Langobardenkönige Audoin und Alboin; got. Gapt, Urahne von Ermanarich und Theoderich).
*Ermunaz/*Erminaz „Großer, Universaler“: (an. Jörmunr; as. Hirmin). Wohl eine Form von *Wôðanaz oder *Teiwaz.
*Wurðiz: Personifikation des Schicksals Urd (an. Úrðr; ae. Wyrd; as. wurd). Vielleicht noch keine menschlich gedachte Gottheit.
*ansewez: Götterfamilie der Asen (got. anseis; an. æsir; ae. ésa). Zu ie. H2ens-; vgl. ai. ásura „Halbgott, Dämon“. Die andere Familie der Wanen findet sich nur in Skandinavien. Überholt gilt die These, dass die Asen = kriegerische Indoeuropäer und die Wanen = Altes friedliches Matriarchat darstellten.
Mit Bestimmtheit verehrten die Germanen eine Sonnengöttin (germ. *Sawelô; an. Sól; ahd. Sunna), einen Mondgott (germ. *Mênan; an. Máni) und die Erdmutter (germ. *Erþô; an. Jörð; ae. Erce eorþan módor).
Als halbgöttliche Wesen zu betrachten sind:
*Auzawandilaz: ein Sternenheld, wohl der Morgenstern (an. Aurvandill; ae. Éarendel). Zu ie. *H2eus- „leuchten“; vgl. agriech. Heosphoros und lett. Auseklis, beide Götter des Morgensternes. Im mittelalterlichen deutschen Heldenbuch gilt Orendel als erster der Helden, was ebenfalls ein Hinweis auf den Morgenstern (als erster Vorkämpfer des Tages) sein könnte.
*Wêlanduz: der elbenhafte Wieland der Schmied (an. Volundr; ae. Wéland; ahd. Uuielant).
Andere Wesen sind: Riesen (*þurisaz; aisl. þurs; ae. þyrs; ahd. duris), Zwerge (*dwergaz; aisl. dvergr, ae. dweorg, ahd. twerc), Elfen (*albaz; aisl. álfr, ae. ylfe, ahd. alb), Wassergeister (*nikwuz, an. nykr, ahd. nichus) und Pfahlgötzen.
Germanische Kosmologie und Eschatologie
*Meðjanagarðaz „Mittelhof“: Midgard, die Erde als Wohnort der Menschen (got. midjungards; an. Miðgarðr; ae. middangeard; as. middilgard; ahd. mittigart).
*erþo anþi uppahemenaz „Erde und Himmel“ (got. airþa jah himins; an. jörð oc upphiminn; ae. eorðe 7 upheofon; as. ertha endi uphimil; ahd. ero 7 ufhimil). Dies ist eine feste stabende germanische Formel und steht im Gegensatz zum biblischen „Himmel und Erde“ mit umgekehrter Reihenfolge.
*hemenabergaz „Himmelberg“: Asgard, Wohnsitz von Göttern (aisl. Himinbjörg; ahd. himilinberg). Den Germanen scheint der Glaube vorgelegen zu haben, dass auf gewissen Bergen Götter oder göttliche Wesen lebten.
*haljô „Hölle“: Utgard, unterirdische Totenwelt (got. halja; an. Hel; ae. hell; as. hellia; ahd. hellea). Die Hölle war für die Germanen mehr eine düstere, kühle Aufenthaltsstätte der Toten als ein Ort der Strafe. Daneben gibt es die Vorstellung, dass die Totenwelt eine grüne Wiese war (germ. *wangaz; got. waggs „Paradies“, ae. neorxnawong).
*muþspell- ?: Weltuntergang (aisl. Muspell; as. mutspelli; ahd. muspilli). Die Etymologie des Wortes ist unbekannt.
Nordische Gottheiten
Edda: Aurvandill, Balder, Bragi, Fjölnir, Fjörgyn, Forseti, Freya, Freyr, Frigg, Fulla, Gautr, Gefjon, Gerda, Gna, Heimdall, Hel, Hermodr, Hödur, Hoenir, Idun, Jörd, Lofn, Loki, Magni und Modi, Mani, Mimir, Nanna, Njörd, Nott, Odin, Rán, Rindr, Sif, Sigyn, Skadi, Sol, Surt, Tyr, Thor, Uller, Urd, Wali, Vé, Vidar, Vili, Yngvi, Ägir, u.v.a.m.
Varietäten des Saxo Grammaticus (Dänemark): Balderus, Bous, Frigga, Frø, Gevarus, Høtherus, Horvendillus, Mimingus satyrus, Mithothyn, Nanna, Ollerus, Othinus, Rinda, Thoro, Utgarthilocus. Saxo beschreibt diese wie sterbliche Helden.
Angelsächsische Gottheiten und mythische Helden
Ærta, Éarendel, Éastre, Erce, Folde, Géat, Hengist und Horsa, Hréðe, Ing, Mæðhilde, Seaxnéat, Tíg, Þunor, Wéland, Wóden, Wyrd. (Nicht bezeugt, aber häufig in der Literatur erwähnt, sind *Fríg, *Fréa, Grím.)
Kontinentalgermanische Gottheiten und mythische Helden
Sachsen und Friesen: Fositae, Fricco, Hathagât, Hirmin, Iring, Saxnôte, Thunaer, Wôden, Wurth.
Franken, Thüringer, Alamannen, Langobarden („Hochdeutsche Stämme“): *Ensî, Balder, Donar, Fol, Folla, Frîja, Gaut, Sinhtgunt, Sunna, Wieland, Wuotan, Zîu.
Gotische Gottheiten
Anses, Gapt, Dounabis (die Donau).
Literatur
- Bernhard Maier: Die Religion der Germanen. Götter, Mythen, Weltbild. Beck, München 2003, ISBN 3-406-50280-6.
- Georges Dumézil: Gods of the Ancient Northmen. In: Ucla Center for the Study of Comparative Folklore and Mythology. Publications. Band 3, University of California Press, Berkely 1977, ISBN 0520020448 (englisch).
- Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2 Bände. 3., unveränderte Auflage. de Gruyter, Berlin 1970 (ohne ISBN).
- Åke V. Ström, Haralds Biezais: Germanische und Baltische Religion. Kohlhammer, Stuttgart 1975, ISBN 3-17-001157-X.
- Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen. WBG, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-16910-7.
- Rudolf Simek: Götter und Kulte der Germanen. Beck, München 2004, ISBN 3-406-50835-9.
- Wolfgang Meid: Aspekte der germanischen und keltischen Religion im Zeugnis der Sprache. In: Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft (IBS). Nr. 52, Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck / IBS-Vertrieb, Innsbruck 1991, ISBN 3-85124-621-7.
- Wolfgang Golther: Handbuch der Germanischen Mythologie. Marix Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3-937715-38-X.
Siehe auch
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