Lucy

Lucy
Lucys Skelett

Lucy (auch: Dinknesh; amharisch für: Du Wunderbare) bezeichnet das 1974 im Afar-Dreieck (Äthiopien) entdeckte Teilskelett eines als weiblich interpretierten Individuums der Art Australopithecus afarensis. Das Fossil wurde benannt nach dem Beatles-Song Lucy in the Sky with Diamonds und – wie die sogenannte Erste Familie – auf ein Alter von 3,2 Millionen Jahren datiert.[1]

Der Erstbeschreibung von Australopithecus afarensis durch Donald Johanson, Yves Coppens und Tim White, der das Fossil LH 4 aus Laetoli zugrunde lag,[2] wurde Lucy als zusätzlicher Beleg (Paratypus) beigegeben.

Inhaltsverzeichnis

Fundbeschreibung

Das Fossil zählt neben Ardi, DIK 1-1, dem Kind von Taung und Little Foot zu den besterhaltenen Skeletten der frühen Hominini-Arten. Im erhaltenen Unterkiefer ist der 3. Molar (der so genannte Weisheitszahn) bereits durchgebrochen, weist aber nur geringe Abnutzungserscheinungen auf.[3] Lucy wird in der Fachliteratur daher – aufgrund der Form ihres Beckens und des Abnutzungsgrads ihrer Zähne – meist als eine bei Eintritt des Todes rund 25 Jahre alte Erwachsene beschrieben; einige Forscher deuten den Fund allerdings als männlich.[4] Aus der relativ geringen Größe des Beckenrings, durch den das Kind bei der Geburt hindurch gelangen muss, wurde geschlossen, dass die Gehirngröße der Neugeborenen ungefähr der Gehirngröße eines neugeborenen Schimpansen entsprochen haben muss. [5]

47 ihrer 207 Knochen wurden gefunden,[6] darunter ein Oberschenkelknochen mit erhaltenem Kopf und Hals, zwei Schienbein-Fragmente, Teile des Beckens und der Wirbelsäule, mehrere Rippen sowie Teile des Schädels und beider Oberarmknochen; die Knochen der Hände und der Füße fehlen nahezu vollständig. Vor allem der Bau des Beckens und des Oberschenkels zeigen eindeutige Anpassungen an den aufrechten Gang: Beim aufrechten Gang dient der Kopf des Oberschenkelknochens als Drehpunkt, über den das gesamte Gewicht des Oberkörpers auf die beiden Beine abgeleitet wird, während beim vierbeinigen Laufen ein erheblicher Teil des Gewichts auf den vorderen Gliedmaßen lastet. Dies führt bei Zweibeinern zu einer Verdickung der potentiell (bei Überlastung) bruchanfälligen Zonen im Oberschenkelhals.

Anhand der Maße von Lucys Körperbau und von fossilen Fußspuren, die bei Laetoli entdeckt und Australopithecus afarensis zugeschrieben wurden, ergab eine 2005 veröffentlichte Computersimulation, dass sich Australopithecus afarensis mit einer Geschwindigkeit von 0,6 bis 1,3 m/s vollständig aufrecht fortbewegen konnte.[7] Allerdings war Lucy mit einer Körpergröße von etwa 105 Zentimetern im Vergleich zu anderen Funden ihrer Art relativ klein.

Die wissenschaftliche Archivnummer von Lucy lautet AL 288-1 („AL“ steht für „Afar Locality“, den Fundort); Verwahrort des Fossils ist das Nationalmuseum von Äthiopien in Addis Abeba.

Fundgeschichte

Nachbildung von Lucys Skelett im Frankfurter Naturmuseum Senckenberg mit rekonstruierter bipeder Fortbewegung

Lucy wurde am 30. November 1974 in Hadar, Äthiopien von Donald Johanson entdeckt, der an diesem Tag in Begleitung des Post-Doktoranden Tom Gray am Fundort 162 unterwegs war. Am Hang einer Senke, die ein zum Awash entwässerndes Wadi freigespült hatte, wurde zunächst „das Fragment eines hominiden Arms“ und kurz darauf „die Rückseite eines kleinen Schädels“ sowie in unmittelbarer Nähe das Bruchstück eines Oberschenkelknochens aufgefunden.[8] Laut Yves Coppens[9] wurde den an diesem Tag gefundenen Knochenstücken zunächst keine besondere Aufmerksamkeit zuteil, da es zuvor bereits Dutzende ähnliche Funde in der Region gegeben hatte. Erst eine erneute, genauere Untersuchung der Fundstelle ergab, dass weitere Knochenfragmente offenbar vom selben Individuum stammten, also eine ungewöhnliche Entdeckung gemacht worden war. Als man am Abend dieses Tages die zusätzlichen Funde im Forschercamp katalogisierte, wurde wiederholt eine Beatles-Tonkassette vom Kassettenrecorder abgespielt, auf der unter anderem der bekannte Song Lucy in the Sky with Diamonds enthalten war. Zunächst spaßhaft gemeint, wurde die Bezeichnung Lucy rasch auch außerhalb des Camps zur üblichen Abkürzung für den Fund.

Von 1975 bis 1980 wurden Lucys Knochen von Johanson im Cleveland Museum, Vereinigte Staaten, eingehend analysiert. Es wurden einige Abgüsse von ihnen erstellt und anschließend wurden sie wieder den äthiopischen Behörden übergeben. Seitdem wurden die Originalknochen in Addis Abeba verwahrt.[10]

Seit August 2007 wurden die Originalknochen in den Vereinigten Staaten ausgestellt. Der neuerliche Transport ins Ausland, dessen Ertrag der Finanzierung äthiopischer Museen dienen sollte, wurde von vielen Paläoanthropologen kritisiert, da sie das Risiko einer Beschädigung oder gar des Verlusts der Knochen als unkalkulierbar einschätzten. Da die Besucherzahlen in den Vereinigten Staaten weit hinter den Erwartungen zurück blieben, wurde Lucy ab März 2009 bis auf weiteres im Houston Museum of Natural Science eingelagert.[11] Für Forschungszwecke wurde in den Vereinigten Staaten ein hochauflösender Computertomographie-Scan der Knochen angefertigt und zu einer dreidimensionalen Computersimulation verarbeitet, mit deren Hilfe der innere Aufbau des Skeletts analysiert werden kann.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Donald Johanson: Lucy und ihre Kinder. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Elsevier Verlag, München 2000, S. 21, ISBN 978-3-8274-1670-4
  2. Donald Johanson, Tim D. White, Yves Coppens: A New Species of the Genus Australopithecus (Primates: Hominidae) from the Pliocene of Eastern Africa. In: Kirtlandia, Band 28, 1978, S. 1–14
  3. Donald Johanson, Lucy und ihre Kinder, S. 30
  4. Zur Übersicht siehe: Robert G. Taguea, C. Owen Lovejoy: AL 288-1 – Lucy or Lucifer: gender confusion in the Pliocene. In: Journal of Human Evolution, Band 35, Nr. 1, 1998, S. 75–94, doi:10.1006/jhev.1998.0223
  5. Donald Johanson, Lucy und ihre Kinder, S. 78
  6. Donald Johanson, Lucy und ihre Kinder, S. 133
  7. William I. Sellers u. a.: Stride lengths, speed and energy costs in walking of Australopithecus afarensis: using evolutionary robotics to predict locomotion of early human ancestors. In: Journal of the Royal Society Interface, Band 2, Nr. 5, 2005, S. 431–441, doi:10.1098/rsif.2005.0060, Volltext
  8. Donald Johanson, Maitland Edey: Lucy. Die Anfänge der Menschheit. Piper, München 1982, ISBN 3-492-02738-5 (hier zitiert nach der Neuausgabe von 1992, S. 16).
  9. Öffentlicher Vortrag von Yves Coppens am 15. November 2006 im Naturmuseum Senckenberg, Frankfurt am Main
  10. Ann Gibbons: Lucy’s Tour Abroad Sparks Protests. In: Science. 314, Nr. 5799, 2006, S. 574, DOI:10.1126/science.314.5799.574.
  11. Lucy’s museum tour threatens to become a spell in storage. In: Nature, Band 457, Nr. 7231, 2009, S. 775, doi:10.1038/457775f

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