Mercedes W100

Mercedes W100
Mercedes-Benz
W100
Hersteller: Daimler-Benz
Produktionszeitraum: 1964–1981
Klasse: Pkw
Karosserieversionen: Limousine, Pullman-Limousine, sechstürige Limousine und Landaulet
Motoren: V8-Ottomotor M100, 6,3 l, 184 kW
(250 PS)
Länge: 5.540/6.240 mm
Breite: 1.950 mm
Höhe: 1.485 mm
Radstand: 3.200/3.900 mm
Leergewicht: 2.500–3.350 kg
Vorgängermodell: Mercedes-Benz 300er-Reihe
Nachfolgemodell: Mercedes-Benz S 600 L Pullman

Die Baureihe W100, bekannt als Mercedes 600, war in den 1960er und 1970er Jahren das Staats- und Repräsentationsfahrzeug von Daimler-Benz.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte, Technik und Bedeutung

Entwicklungsgeschichte

Die Ursprünge des 600ers liegen in der Mitte der 50er Jahre. Fritz Nallinger, führender Entwickler bei Daimler-Benz, betrieb die Entwicklung eines „Groß-, Reise- und Repräsentationswagens“ auf dem Stand des technisch machbaren. So erhielt der Wagen unter anderem Luftfederung, Automatikgetriebe, Servolenkung und -bremsen. Die Entwickler zogen auch ein Modell mit verlängertem Radstand in Betracht. Bald zeigte sich, dass ein wirtschaftlicher Erfolg mit diesem Auto kaum möglich sein würde, da der Anteil der Entwicklungskosten bei den zu erwartenden geringen Stückzahlen für ein Exemplar bei 37.000 Mark läge – das fertige Automobil kostet 1964 ab 56.500 Mark. Der Mercedes 600 war dann auch über seine gesamte Bauzeit stets ein Zuschussgeschäft, das Daimler-Benz vor allem aus Imagegründen betrieb.

1960 war die Formfindung abgeschlossen. Mit zwölf unterschiedlichen Prototypen wurden Probefahrten unternommen, wonach die exakten Spezifikationen des Wagens festgelegt wurden.

Vorstellung in der Öffentlichkeit

Die Baureihe debütierte im September 1963 auf der IAA in Frankfurt. Knapp zwei Wochen vorher war der 600 zehn Fachjournalisten aus aller Welt vorgestellt worden. Der „Große Mercedes“ wurde sehr positiv in der Öffentlichkeit aufgenommen. Den ersten ausgelieferten Wagen erhielt der Erstbesteller, ein Architekt aus Amerika.

Karosserievarianten

Mercedes-Benz 600 Pullman

Die viertürige Limousine ist knapp zwei Meter breit und 5,54 Meter lang, die Pullman-Limousine und die sechstürigen Versionen sind 6,24 m lang, heute noch eindrucksvolle Erscheinungen und für viele Inbegriff der repräsentativen Staatskarosse.

Die dritte Variante ist ein offenes Pullman-Landaulet. Insgesamt wurden 49 Landaulets als Linkslenker und 10 als Rechtslenker ausgeliefert. Die Entwicklung eines Cabriolets und eines Roadsters wurde erwogen, die Pläne jedoch verworfen. Zwei Prototypen einer Coupé-Version wurden gefertigt. Eines wurde Fritz Nallinger zur Verfügung gestellt, das „Nallinger-Coupé“, das andere wurde nur für firmeninterne Versuche verwendet. Das 600er-Coupé galt als nicht sehr wohlproportioniert.

Die lange Version wurde auch mit sechs Türen und einer mittleren Klappsitzreihe angeboten, sie war für Kunden bestimmt, die mit Personal oder Leibwächtern reisen.

Von den 2677 Wagen wurden 429 als Pullman-Variante oder als Sechstürer und 59 als Landaulets hergestellt, sie zeichnen sich durch ein festes Dach vorne über dem Chauffeur und ein Cabriolet-Faltverdeck hinten über den Passagieren aus. Es gab zwei Landaulet-Versionen, eine mit langem und eine mit kurzem hinteren Verdeck. Beim Pullman sind im Fond zwei vis-a-vis angeordnete Sitzreihen vorhanden.

Motor

Der M100-Motor des W100

Mercedes-Benz setzte bei dieser Luxuslimousine nicht nur in Größe und Gewicht (zwischen 2,5 und 3,3 Tonnen je nach Ausführung) Maßstäbe. Der V8-Einspritzmotor M100 mit 6,3 Litern Hubraum war eine Neuentwicklung an der Spitze des damals technisch Machbaren. Die Spitzengeschwindigkeit des kürzeren Viertürers beträgt 205 km/h, die Beschleunigung auf 100 km/h dauert 10 Sekunden. Der Mercedes 600 war damals eines der schnellsten Serienfahrzeuge der Welt und wurde auch als „Größter Sportwagen aller Zeiten“ betitelt. Der Motor des 600er (Typ M100) fand einige Jahre später auch Verwendung im Spitzenmodell der „großen“ (Normal-) Baureihe W109, im Modell 300 SEL 6,3. Der Motortyp wurde, im Hubraum erweitert - wiederum den nun vergrößerten Rolls-Royce-Motor überbietend - und mit einer Bosch K-Jetronic-Benzineinspritzung versehen, auch in den 450 SEL 6,9 eingebaut. Beide Limousinen waren in ihren Fahrleistungen zur Zeit ihres jeweiligen Erscheinens wegen dieses starken Motors nur hochklassigen Rennwagen unterlegen.

Technische Raffinessen

Die Ausstattung der Limousine bietet alles, was in der damaligen Zeit technisch möglich war, und ist selbst nach Jahrzehnten der Weiterentwicklung bei heutigen Fahrzeugen nicht selbstverständlich. Beispielhaft sind zu nennen: Luftfederung, ein umfassendes hydraulisches Servosystem (so genannte „Komforthydraulik“), eine elektrisch regulierbare Heizungs- und Lüftungsanlage, Klimaanlage, hydraulisch verstellbare Sitze vorn, hydraulisch verstellbare Sitzbank hinten, hydraulische Fensterheber und Autotelefon. Bemerkenswert war die im Vergleich mit üblichen Elektromotoren nahezu geräuschlose Hydraulik, die bei ausgeschaltetem Motor aber schnell an Kraft verlor. Bei der Entwicklung des Autos wurden 15 Patente angemeldet.

Prominente Besitzer

Zum Kundenkreis gehörten berühmte Personen, wie zum Beispiel Elizabeth Taylor, die Berliner Schlagersängerin Manuela (sie besaß einen knallroten Wagen und fuhr damit auf die Bühne ihrer Shows im Dunes Hotel in Las Vegas), John Lennon (der den Wagen später an seinen Kollegen George Harrison verkaufte), Aristoteles Onassis, Herbert von Karajan, Schah Mohammad Reza Pahlavi, Mao Zedong, Coco Chanel, Rudolf Schock, Ivan Rebroff, Udo Jürgens, Max Grundig, Johannes von Thurn und Taxis, Papst Paul VI., Kaiser Hirohito oder Elvis Presley. Viele Staaten hatten einen 600er im Fuhrpark, unter anderem Ägypten, Algerien, Ghana, Jordanien, Kambodscha, Kuba, Österreich und die Türkei. Auch Leonid Breschnew fuhr während seiner Amtszeit einen Mercedes 600. Anfang 2008 wurde dieses Exemplar vom Bundesland Brandenburg, das ihn durch eine Privatpfändung erhielt, für 103.600,- EUR an einen anonymen Käufer versteigert.

Neben vielen anderen Filmauftritten ist der 600er in einer Szene des 1969 in die Kinos gekommenen James Bond „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ zu sehen, als die Gehilfin des Schurken Ernst Stavro Blofeld (Telly Savalas) aus dem Fond eines 600er die frisch mit James Bond (George Lazenby) verheiratete Teresa (Diana Rigg) erschießt.

Sonderanfertigungen

Landaulet für den Papst

Eine der bekanntesten Sonderanfertigungen ist das für den damaligen Papst Paul VI. gebaute Landaulet. Dieses hat vier Türen, einen einzelnen Sessel hinten, ein um 70 mm erhöhtes Dach sowie einen höheren Boden im Fond. Nach 20 Jahren Dienst im Vatikan kehrte dieses Einzelstück 1985 nach Deutschland zurück und ist im Mercedes-Benz-Museum ausgestellt. Für den Grafen von Berckheim wurde ein SWB-Landaulet („Short wheel base“, Fahrzeug mit verkürztem Radstand) hergestellt. Das Werk hatte auch erwogen, einen Krankenwagen auf Basis des 600 zu fertigen, dies wurde jedoch nie realisiert.

Innenausstattung

Blick ins Interieur

Beim 600 wurde innen Wert auf Schlichtheit gelegt. Man konnte aus mehreren Holzarten, wie zum Beispiel Walnuss-Wurzelholz oder schlichtem Furnier wählen. Jedes Auto wurde speziell für den Besteller gefertigt weshalb es wohl keine zwei gleichen Exemplare gibt.

Modellpflege

Die Modellpflege beim 600er fiel über den gesamten Produktionszeitraum sehr zurückhaltend aus, was sichtbare Aspekte betrifft. Technisch wurde der 600er immer wieder modernisiert; von deutlich sichtbarer Verjüngung des Modells sah Mercedes-Benz wohl vor allem deswegen ab, um bei der sehr langen Modellaufzeit Besitzern der frühen Jahrgänge weder Image- noch Wertverlust zuzumuten. Die Gestaltung des Innenraums, insbesondere vorne, entsprach in etwa derjenigen der 1965er S-Klasse W108/109. Als diese 1972 von der Nachfolgebaureihe W116 abgelöst wurde, wirkte das 600er-Interieur im Vergleich altbacken, wurde aber beibehalten - wohl zurecht vermutete Mercedes-Benz hinter 600er-Käufern die konservativste aller Käufergruppen.

Es wurden nur geringe sichtbare Änderungen vorgenommen, zum Beispiel entfiel ab 1971 die Zuziehhilfe der Türen. Ab 1965 mussten die vorher rot gefärbten Blinkergläser wegen der neuen StVZO geändert werden - die Blinkerpartien waren nun orange, eine Änderung, die auch bei anderen Fahrzeugen von Daimler-Benz vorgenommen werden musste. Es gab gab noch weitere kleine Änderungen, wie die Vergrößerung des Griffstücks der Zigarettenanzünder, oder den Ersat der „Schlummerrolle“ genannten Kopfstützen der ersten Baujahre durch die Kopfstützen der Modellreihe W108/109. In den ersten Produktionsjahren waren Kopfstützen hinten serienmäßig; vorn waren sie aufpreispflichtig. Die Außenspiegel wurden ebenfalls durch die Spiegel des W 108 ersetzt, die Radzierkappen erhielten statt acht nun zwölf Belüftungsschlitze.

Weiterführung der Serie

Es wurde erwogen, eine Art Nachfolger für den 600 zu entwickeln. Der so genannte W100 F, angelehnt an die Baureihe W116, stellte einen Kompromiss zwischen Tradition und modernem Design dar, wurde jedoch nicht weiterverfolgt.

Bedeutung

Die Fertigung des 600er soll über alle Jahre hinweg wegen der Kunden-Sonderwünsche und der durchgängigen Handarbeit trotz hoher Preise für Mercedes stets ein Verlustgeschäft gewesen sein, das aus Prestige-Gründen betrieben wurde. Außerdem spielte die Konkurrenz zu Rolls-Royce und Bentley eine nicht unerhebliche Rolle; so vergrößerte Rolls-Royce den eigenen Motor von 6,2 auf 6,75 Liter Hubraum, um den 600er mit seinen 6,3 Litern zu überbieten - was dann wiederum zur Vergrößerung des M100-Motors von 6,3 Litern, wie im 600er und 300 SEL 6,3 eingebaut, auf 6,9 Liter Hubraum führte, wie er im 450 SEL 6,9 zum Einsatz kam.

Ein 600er in USA-Ausführung mit Sealed-Beam-Scheinwerfern

Der 600 erreichte nicht einmal zehn Prozent der angestrebten Jahresproduktion von 30.000. Damit blieb er ein ähnlich selten gebauter Wagen wie die Rolls-Royce und Bentley - damals noch zwei Marken eines wirtschaftlich eigenständigen Herstellers -, von denen ebenfalls jährlich um 3.000 Wagen abgesetzt werden konnten.

Zum wirtschaftlichen Ergebnis von Daimler-Benz hat der 600er keinen unmittelbaren positiven Beitrag geleistet. Andererseits prägten gerade die in der (damals noch beinahe konkurrenzlosen) Nachrichtensendung Tagesschau der ARD immer wieder zu sehenden Bilder von Staatsgästen der Bundesregierung, die im hinten offenen 600er Landaulet gefahren wurden, die Meinung von Generationen darüber, wie eine Staatslimousine auszusehen habe. Für die Reputation von Mercedes-Benz war der 600er wesentlich.

Die Bekanntheit des 600er als Staatslimousine wurde 1976 bei einem polizeilichen Einsatz, der unter dem Namen Operation Entebbe bekannt wurde, ausgenutzt. Ein Flugzeug der französischen Fluggesellschaft Air France war auf dem Weg nach Tel Aviv entführt worden und auf dem Flughafen Entebbe in Uganda gelandet. Um den Kidnappern vorzuspielen, der ugandische Diktator Idi Amin sei anwesend, flogen die Israelis einen weißen 600er aus Deutschland ein; in Uganda war bekannt, dass Idi Amin einen solchen Wagen fuhr. Die Kidnapper fielen auf dieses Täuschungsmanöver herein: Während der 600er auf einer Seite des Flugzeugs herum fuhr, näherten sich von der anderen Seite israelische Spezialkräfte - nach deren Vorbild die ein Jahr später in Mogadischu eingesetzte GSG9 gebildet worden war - und stürmten die Maschine. Der weiße 600er kam unbeschadet zu Mercedes-Benz zurück.

Preise

Im August 1964 betrug der Listenpreis für einen 600er Mercedes 56.500 Mark. Gegen Ende seiner Bauzeit betrugen die Preise laut Preisliste vom 1. Februar 1979:

  • 600 Limousine, fünf/sechs Sitze, vier Türen: 144.032 DM
  • 600 lang Pullman, sieben/acht Sitze; vier Türen: 165.424  DM
  • 600 lang, sieben/acht Sitze, sechs Türen: 175.392 DM
  • Zum Vergleich: Das teuerste Modell der S-Klasse 450 SEL 6,9 kostete 78.960 DM

In den 1970er und 1980er Jahren wurden die 600er als Gebrauchtwagen unbeliebt, die Preise gebrauchter Exemplare sanken zum Teil in den vierstelligen DM-Bereich. Einem wirtschaftlichen Totalschaden konnte es gleichkommen, wenn die den ganzen Wagen durchziehenden Hydraulikschläuche ersetzt werden mussten.

Äußerst aufwändig sind Reparaturen an der Zentralhydraulik und an der mechanischen Einspritzanlage des Motors. Kaum noch jemand kennt sich mit diesen ungewöhnlichen Techniken aus. Schwierig ist mittlerweile die Beschaffung bestimmter Ersatzteile wie der mechanischen Einspritzpumpe.

Inzwischen sind die Preise extrem gestiegen. Heutzutage werden gut erhaltene 600er zu Preisen über 60.000 Euro gehandelt.

Im Januar 2008 wurde ein 1966 gebauter Wagen aus einer Steuerpfändung vom Finanzamt Potsdam für 103.600 € versteigert. Das Auto war früher im Fuhrpark von Leonid Breschnew eingesetzt.

Technische Daten

Motor Mercedes-Benz M100
Länge 5.450 mm (6.240 mm)
Breite 1.950 mm
Höhe 1.485 mm (1.500 mm)
Radstand 3.200 mm (3.900 mm)
Radaufhängung vorn Doppel-Querlenker
Radaufhängung hinten Eingelenk-Pendelachse mit Niveauregulierung
Bremsen Scheiben vorn/hinten
Felgen/Reifen 6,5J x 15 H/9.00 H 15 Supersport 6 PR
Karosserieformen: Limousine kurz und lang (Pullman bzw. Sechstürer),
Landaulet
Leergewicht o. Fahrer 2.440 kg (2.630 kg)
Gesamtgewicht 2.990 kg (3.280 kg)
Tankinhalt 112 l, davon 19 l Reserve
Höchstgeschwindigkeit 205 (200) km/h
Kraftstoffverbrauch 26,8 l/100 km

Die Angaben in Klammern beziehen sich auf den sieben- bzw. achtsitzigen 600er Pullman bzw. Sechstürer.

Literatur

  • Heribert Hofner: Mercedes-Benz 600, Delius Klasing, ISBN 3-7688-1199-9

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