Archäoinformatik

Archäoinformatik

Die Archäoinformatik ist eine spezialisierte Disziplin, die komplexe Forschungsprobleme der Archäologie mittels moderner Informationstechnologie verstehen und lösen will. Archäoinformatik bildet die Schnittstelle zwischen Archäologie und Informatik in gleicher Weise, wie bspw. die Geoinformatik, Bioinformatik, Wirtschaftsinformatik, Medieninformatik und Umweltinformatik für ihre Disziplinen. Wie bei der Informatik selbst kann sinnvoll zwischen zwei Komponenten unterschieden werden:

Die theoretische Archäoinformatik ist Grundlagenforschung. Sie befasst sich mit Struktur, Repräsentation und Analyse archäologischer Daten, Beschreibung und Interpretation von Mustern und Prozessen sowie Entwicklung und Prüfung von mathematisch-statistischen Verfahren zur Wissensgewinnung in der Archäologie. Dies geschieht auf den Maßstäben der individuellen Fundstelle (engl. intrasite analysis) und der archäologischen Fundlandschaft bzw. Siedlungskammer.

Die angewandte oder praktische Archäoinformatik stellt den realen Bezug zum Fundmaterial her. Sie befasst sich mit der Entwicklung neuer und Nutzung etablierter Software in der archäologischen Forschung und Lehre sowie der öffentlichen Arbeit, Denkmalpflege und in den Museen (z. B. Datenbanken, Geoinformationssysteme (GIS), Virtuelle Realität). Der Begriff Archäoinformatik wurde in dieser Bedeutung erstmals von M. Schlapke (2000) in einer deutschsprachigen Publikation verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Charakter

Fachhistorisch gesehen ist v. a. die theoretische Archäoinformatik eine Konsequenz der „Quantifizierung“ der Archäologie, die von Protagonisten wie Binford und Clarke Ende der 1960er Jahre („New Archaeology“ oder „Processual Archaeology“) gefordert und entwickelt wurde (s. hierzu die Online-Sonderausgabe der Antiquity in den Weblinks am Ende dieses Artikels).

Seit Mitte der 1990er Jahre befindet sich die quantitative Methodik in der Archäologie v. a. durch die Entwicklung der Geoinformationssysteme (GIS) und deren allgemeiner Verfügbarkeit (z. B. das Open Source GIS GRASS) in einer Phase großer Dynamik, die neue Methoden und Werkzeuge hervorbringt. Man kann seit diesem Zeitpunkt mit gutem Recht von Archäoinformatik sprechen.

Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass sich die Anwendung von Informationstechnologie bspw. zur Dokumentation und Auswertung einer archäologischen Ausgrabung praktisch seit dem Auftauchen der ersten bezahlbaren Computersysteme konsequent und ununterbrochen entwickelt hat. Als vorläufiges Resultat besteht derzeit ein spürbares Ungleichgewicht zwischen dem Entwicklungstempo der angewandten Archäoinformatik (z. B. Datenbanken, Virtuelle Realität, Grabungsdokumentation, räumliche Analysen mit GIS) und der Absicherung ihrer wissenschaftlichen Grundlagen durch die theoretische Archäoinformatik.

Der Prozess der Wissensgewinnung in der Archäoinformatik entspricht weit stärker mathematischen und naturwissenschaftlichen Konventionen als den Vorstellungen der Geisteswissenschaften. Dies bringt die Archäoinformatik in eine umstrittene Position innerhalb der Archäologie, einer Wissenschaft, die sich selbst gewohnheitsmäßig als geisteswissenschaftlich betrachtet, obwohl gerade ihre mathematisch-naturwissenschaftlichen Methoden einschneidende Erkenntnisse erbringen.

Die erste Juniorprofessur für Archäoinformatik wurde am Institut für Klassische Archäologie an der FU Berlin besetzt.

(Radiokarbondatierung, Dendrochronologie, Geoarchäologie, Archäometrie, Archäobotanik und Archäozoologie, Statistik etc.).

Ausbildung und Forschung

Die Vorreiterrolle der britischen Archäologie bei der Etablierung von quantitativer Methodik und Informatik in der archäologischen Ausbildung, Feldforschung und Bodendenkmalpflege spiegelt sich im Lehrangebot der Universitäten wider.

Das Institute of Archaeology am University College London bietet beispielsweise einen spezialisierten Studiengang „GIS and Spatial Analysis in Archaeology“ an. Ein Studiengang „Archaeological Information Systems“ kann am Department of Archaeology der Universität York belegt werden; eine ähnliche Ausrichtung hat „Landscape Archaeology and Geomatics“ am Institute of Archaeology and Antiquity der University of Birmingham. An einer Reihe britischer Institute gibt es relevante Forschergruppen und Einrichtungen, so z. B. London, Southampton und Birmingham.

Ein eigener Studiengang für Archäoinformatik existiert noch an keiner deutschen Universität. Am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel können Studenten allerdings seit dem Wintersemester 2005/2006 regelmäßig stattfindende Lehrveranstaltungen zum Thema Archäoinformatik besuchen. In diesem Lehrangebot hat die Archäoinformatik, neben dem neuen Bereich Environmental Archaeology und der Professur für Archäozoologie und Isotopen, eine feste und vernetzende Position innerhalb der „klassischen“ Themenkreisen. Im Rahmen einer Lehrkooperation werden seit dem Wintersemester 2008/2009 Module zu Interdisziplinären Anwendungen raumbezogener Mess- und Informationstechnik von der FH Mainz im Master-Studiengang Archäologie an der Universität Mainz angeboten. Das Lehrangebot deckt dabei weite Bereich der Archäoinformatik ab und kann von Studierenden sowohl der Archäologie als auch der Geoinformatik und Vermessung besucht werden.

Seit dem Wintersemester 2010/11 gibt es nun an der HTW Berlin den Master-Studiengang "Geo-und Feldarchäologie".

Die bedeutendste Plattform für den wissenschaftlichen Austausch ist die Tagung CAA (Computer Applications and quantitative methods in Archaeology) der gleichnamigen internationalen Vereinigung, die sich alljährlich bemüht, Informatiker, Mathematiker, Natur- und Geisteswissenschaftler für das Thema „Computeranwendungen“ zusammenzubringen. Mittlerweile besteht auch eine deutsche CAA, die jährlich auf den Tagungen der deutschen Altertumsverbände und etwa alle zwei Jahre auf den Tagungen der Gesellschaft für Klassifikation eigene Vortragssektionen anbietet.[1][2] Im deutschsprachigen Raum ist v. a. auch der „Workshop Archäologie und Computer“, der jährlich von der Stadtarchäologie Wien organisiert wird, erwähnenswert.

Beruf

Berufliche Möglichkeiten für Archäologen mit informatischen Kenntnissen finden sich außerhalb der Universitäten in den IT-Abteilungen von Museen, archäologischen Landesämtern (Bodendenkmalpflege), Forschungseinrichtungen und auch bei Grabungsfirmen, deren Dokumentations- und Publikationssysteme während und nach der eigentlichen Grabung betreut werden müssen. Ein erwähnenswerter britischer Dienstleister für den archäologischen IT-Bedarf ist der Archaeological Data Service. Mittlerweile existieren auch in Deutschland Softwarehersteller, die für den archäologischen Bedarf produzieren (s. Weblinks).

Literatur

  • M. Schlapke, Die „Archäoinformatik“ am Thüringischen Landesamt für Archäologische Denkmalpflege, Ausgrabungen und Funde im Freistaat Thüringen, 5, 2000, S. 1–5.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. AG CAA
  2. www.gfkl.de - Gesellschaft für Klassifikation

Weblinks

Archäoinformatik als Studienrichtung

Forschergruppen

Wichtige Tagungen

Archäologische Dienstleister

Archäologische Forschungsprojekte


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