Miriam Gillis-Carlebach

Miriam Gillis-Carlebach

Miriam Gillis-Carlebach (* 1. Februar 1922 in Hamburg) ist eine israelische Professorin für Pädagogik, Soziologie und jüdische Geschichte deutscher Herkunft. Sie lebt in Ramat Gan (Israel).

Sie ist die Enkelin von Esther Carlebach (1853–1920) und dem Lübecker Rabbiner Salomon Carlebach (1845–1919), die durch ihre zwölf Kinder und deren Nachkommen Stammeltern einer der angesehensten Rabbinerfamilien in Deutschland wurden.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Miriam Gillis-Carlebach ist die Tochter des Oberrabbiners Joseph Carlebach (1883–1942) aus Hamburg. Dieser wurde mit seiner Frau Charlotte, geborene Preuss (* 1900) und den vier jüngsten der neun Kinder ins Konzentrationslager Jungfernhof bei Riga verschleppt. Die Eltern und ihre Töchter Ruth (* 1926*), Noemi (* 1927) und Sara (* 1928) wurden am 26. März 1942 im Wald von Biķernieki erschossen. Miriam Gillis-Carlebachs jüngerer Bruder Salomon (Shlomo Peter) Carlebach (* 17. August 1925), der mit den Eltern und Schwestern verschleppt worden war, überlebte, weil er einem Arbeitskommando zugeteilt worden war. Er wurde später Rabbiner in New York.

Miriam Gillis-Carlebach hatte insgesamt acht Geschwister, Eva Sulamit (1919–1966), verheiratet mit dem Rabbiner Joseph Heinemann, Esther (* 1920), verheiratet mit Shimon Hackenbroch, Julius Carlebach (1922–2001), Rabbiner und Hochschullehrer in Großbritannien und Heidelberg, sowie Judith (1924–1970), verheiratet mit Geoffrey Heymann.

Miriam, die drittälteste Tochter, besuchte zunächst die jüdische Gemeindeschule in Altona, anschließend die Real-Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde und ab 1938 die Talmud-Tora-Oberrealschule. Im Oktober 1938 emigrierte sie ein Jahr vor dem Abitur als 16-Jährige mit einem Touristenvisum nach Palästina. Über die Zeit vor ihrer Auswanderung sagte sie in einem Interview: Die letzten Tage in Hamburg waren sehr schwer für mich, weil ich schon sehr mit der Auswanderung beschäftigt war. Ich wusste ja, dass ich wegmusste. Es wurde so eine Art Drohung ausgesprochen, dass ich in ein Schulungslager kommen würde, wenn ich nicht innerhalb von vierzehn Tagen wegginge. (..) Einer der letzten Beamten, der mir meinen Pass mit einem roten J stempelte, fragte mich: „Glauben Sie, dass es in Palästina weniger nach Pulver riecht als in Deutschland?“ [1]

In Haifa besuchte sie eine Landwirtschaftsschule und lebte anschließend bis 1943 im Kibbuz Alumin. 1944 heiratete sie Moshe Gillis, einen Lehrer und Leiter eines Jugenddorfes. Das Paar hat vier Kinder, die Söhne Michal Chawa, Awraham Rafael, Joseph Zwi, und die Tochter Ilana Sara.

Einige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs erfuhr sie vom gewaltsamen Tod ihrer Eltern und ihrer drei jüngsten Schwestern, der bereits drei Jahre zurücklag. Darüber sagte sie: (..) ich fand die Nachricht so unfassbar, dass ich sie nicht begreifen konnte. Obwohl wir schon wussten, dass viel passiert war, war es doch eine schreckliche, unvorbereitete Nachricht. [2]

Erst 1968 machte sie im Alter von 46 Jahren das Abitur und studierte Pädagogik. Ab 1973 unterrichtete sie an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan. 1984 wurde sie promoviert. 1988 übernahm sie die Leitung des Haddad-Legasthenie-Instituts und war ab 1992 Leiterin des Joseph-Carlebach-Instituts an der Bar-Ilan-Universität.

45 Jahre nach ihrer Emigration kehrte sie zum ersten Mal wieder nach Deutschland zurück, das sie seither immer wieder besuchte. Als erstes kam die Sprache zurück, und dann habe ich versucht, Leute kennenzulernen, um zu erfahren, ob es unter ihnen welche gibt, die nicht nur bedauern, sondern auch verstehen. Es sind nicht viele, aber doch einige. [3]. 2004 beklagte sie, dass immer weniger deutsche Studenten an die Universität nach Ramat Gan kämen. Über Juden forschen will jeder, mit ihnen forschen und ihnen in die Augen sehen kaum noch jemand , sagte sie und merkte zum Ausbleiben Deutscher an: Vielleicht hat Mami ihnen gesagt, dass das zu gefährlich ist.[4]

Miriam Gillis-Carlebach veröffentlichte neben vielen Arbeiten über Pädagogik und Sonderpädagogik sowie Judaistik ein Buch über ihre Mutter Charlotte, Jedes Kind ist mein einziges – Lotte Carlebach-Preuss, Antlitz einer Mutter und Rabbiner-Frau (Hamburg 1993) und gab die Ausgewählten Schriften ihres Vaters Joseph Carlebach in zwei Bänden heraus (Hildesheim 1982).

Ehrungen

Literatur

  • Sabine Niemann (Redaktion): Die Carlebachs, eine Rabbinerfamilie aus Deutschland , Ephraim-Carlebach-Stiftung (Hrsg). Dölling und Galitz. Hamburg 1995, ISBN 3-926174-99-4

Einzelnachweise

  1. Sabine Niemann (Redaktion): Die Carlebachs, eine Rabbinerfamilie aus Deutschland, Seite 98
  2. Sabine Niemann (Redaktion): Die Carlebachs, eine Rabbinerfamilie aus Deutschland, Seite 107
  3. Sabine Niemann (Redaktion): Die Carlebachs, eine Rabbinerfamilie aus Deutschland, Seite 110
  4. Wo Araber und Juden den Dialog lernen könnenIn: Der Spiegel vom 20. Januar 2004
  5. Ehrensenatorinnen und Ehrensenatoren der Universität Hamburg

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Carlebach — ist der Familienname folgender Personen: Elisheva Carlebach, amerikanische Professorin für Geschichte Emil Carlebach (1914–2001), Journalist, Widerstandskämpfer, Politiker und Landtagsabgeordneter Ephraim Carlebach (1879–1936), Rabbiner in… …   Deutsch Wikipedia

  • Gillis — bezeichnet die Gemeinde Saint Gilles/Sint Gillis in Belgien. Gillis ist der Familienname folgender Personen: Alan Gillis (* 1936), irischer Politiker Brad Gillis (* 1957), US amerikanischer Gitarrist Clarence Gillis (1895–1960), kanadischer… …   Deutsch Wikipedia

  • Joseph Carlebach — Joseph Zwi Carlebach (* 30. Januar 1883 in Lübeck; † 26. März 1942 bei Riga) war ein deutscher Rabbiner, Naturwissenschaftler und Schriftsteller. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Joseph Carlebach — Dr. Joseph Hirsch (Tzvi) Carlebach (Karlebach) (January 30, 1883, Lübeck March 26, 1942, was an Orthodox rabbi and Jewish German scholar and natural scientist ( Naturwissenschaftler ).Carlebach opened a Hebrew high school in Kaunas (Kovno),… …   Wikipedia

  • Julius Carlebach — (* 28. Dezember 1922 in Hamburg; † 16. April 2001 in Brighton, Großbritannien) war ein deutsch britischer Rabbiner und Hochschullehrer. Er ist der Enkel des ehemaligen Lübecker Rabbiners Salomon Carlebach (1845–1919) und seiner Frau Esther… …   Deutsch Wikipedia

  • Shlomo Carlebach (rabbi) — Shlomo Carlebach (Salomon Peter Carlebach) (b. August 17, 1925 in Hamburg, Germany), (not to be confused with his cousin, the well know Jewish musician) is a Haredi rabbi and scholar who was chosen to be the mashgiach ruchani ( spiritual advisor… …   Wikipedia

  • Salomon Carlebach — (* 28. Dezember 1845 in Heidelsheim, heute Stadtteil von Bruchsal; † 12. März 1919 in Lübeck) war ein orthodoxer deutscher Rabbiner, Lehrer, Autor und national konservativer Politiker. Er war 49 Jahre lang als Gemeinderabbiner in de …   Deutsch Wikipedia

  • Esther Carlebach — (* 12. Juni 1853 in Lübeck; † 14. Februar 1920 ebenda; gebürtig Esther Adler) war eine deutsche Rabbiner Ehefrau und Mutter von zwölf Kindern. Sie ist die Stammmutter des Geschlechts Carlebach, das bedeutende Rabbiner, Wissenschaftler und… …   Deutsch Wikipedia

  • Konzentrationslager Jungfernhof — Das Konzentrationslager Jungfernhof war ein behelfsmäßiges Konzentrationslager im Dorf Jumpravmuiza, etwa drei bis vier Kilometer von Riga entfernt nahe der Bahnstation Skirotava. Das Lager bestand von Dezember 1941 bis März 1942 und diente zur… …   Deutsch Wikipedia

  • KZ Jungfernhof — Das Konzentrationslager Jungfernhof war ein temporäres, behelfsmäßiges Konzentrationslager im Dorf Jumpravmuiza, etwa drei bis vier Kilometer von Riga entfernt, nahe der Bahnstation Skirotava. Das Lager bestand vom 3. Dezember 1941 bis März 1942… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”