Multimodales Interview

Multimodales Interview

Das Multimodale Interview (MMI) wurde 1992 von Heinz Schuler konzipiert als Reaktion auf die in der Interviewforschung festgestellten Defizite konventioneller Auswahlgespräche. In den letzten Jahren wurde das MMI in verschiedenen Branchen, Tätigkeitsbereichen und auf beinahe allen Positionsniveaus eingesetzt. Dabei wird es zum Einen zur Auswahl von Mitarbeitern und zum Anderen als Grundlage der Personalentwicklung herangezogen.

Das Multimodale Interview besteht aus einer unveränderlichen Abfolge von acht Gesprächskomponenten. Fünf dieser Komponenten dienen der diagnostischen Urteilsbildung, das heißt, dass die Antworten und das Verhalten des Interviewten bewertet werden. Die übrigen drei Komponenten dienen vor allem dazu, dem Interaktionsprozess einen natürlichen Gesprächsverlauf zu geben und den Kandidaten zu informieren (Ablauf, Tätigkeitsanforderungen, Feedback).

Inhaltsverzeichnis

Einsatzgebiete

Das MMI zeichnet sich durch seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sowohl in der Mitarbeiterauswahl als auch in der Personalentwicklung aus. Je nach Kosten-Nutzen-Abwägung ist es für die Auswahl und Förderung von Auszubildenden oder Trainees genauso geeignet wie für gewerbliche/ technische Mitarbeiter, Management- oder Führungskräfte.

Durchführung eines MMI

Vorbereitung

Im Vorfeld der eigentlichen Interviews müssen anhand einer Anforderungsanalyse erfolgskritische Ereignisse identifiziert, relevante Dimensionen zur Beurteilung der Bewerber erstellt sowie situative Fragen gesammelt und verhaltensverankerte Einstufungsskalen konstruiert werden.

Gesprächskomponenten des MMI

  1. Gesprächsbeginn (informelle Unterhaltung, angenehme und offene Atmosphäre schaffen, Klärung des Ablaufs; keine Beurteilung)
  2. Selbstvorstellung des Bewerbers (kleiner Vortrag zu pers. und berufl. Hintergrund, aktuelle Situation, Erwartungen für die Zukunft; Beurteilung nach anforderungsbezogenen Urteilsdimensionen)
  3. Berufsorientierung & Organisationswahl (standardisierte Fragen zu Berufswahl, Berufsinteressen, Organisationswahl, Bewerbung und gegebenenfalls Fachwissen; Beurteilung nach verhaltensverankerten Einstufungsskalen)
  4. Freier Gesprächsteil (anknüpfende an die beiden vorhergegangenen Themenbereiche offene Fragen; summarische Bewertung)
  5. Biographiebezogene Daten (abgeleitete aus der Anforderungsanalyse oder aus validierte biographischen Fragebögen, immer bezogen auf die zu besetzende Stelle; Beurteilung nach verhaltensverankerten Einstufungsskalen)
  6. Realistische Tätigkeitsinformationen (ausgewogene, bedarfsgerechte Informationen für den Bewerber über die Tätigkeit, den Arbeitsplatz und das Unternehmen; keine Bewertung)
  7. Situative Fragen (Beurteilung nach verhaltensverankerten Einstufungsskalen)
  8. Gesprächsabschluss (Fragen des Bewerbers, weiteres Vorgehen, gegebenenfalls Treffen von Vereinbarungen)

Auswertung

Damit der Interviewer sich während des Gesprächs kein verfrühtes Globalurteil bildet, wird bei den meisten Gesprächsteilen jede Antwort direkt bewertet. Die Auswertung der Antworten ergibt hinterher sowohl Werte bezogen auf die einzelnen Anforderungsdimensionen als auch einen globalen Gesamtwert.

Der Gesamtwert kann mit Werten verschiedener Bezugsgruppen verglichen und so leichter eingeordnet werden (Normierung), er ist in der Regel die Grundlage einer Auswahlentscheidung. Die dimensionsbezogenen Werte dienen im Gegensatz dazu meistens als Grundlage von Personalentwicklungsmaßnahmen.

Bewertung des MMI

Verfahrensgüte

Durch den strukturierten Aufbau und die standardisierten Fragen mit Bewertungshinweisen zu den Bewerberantworten wird eine hohe Objektivität gewährleistet und ermöglicht so gute Reliabilitätswerte. Darüber hinaus entspricht das MMI dank seiner relativ kurzen Dauer (~45 Minuten; für Personalentwicklungszwecke ca. 60–90 Minuten) den Ökonomie- und Effizienzanforderungen der betrieblichen Praxis.

Der multimodale Ansatz (Kombination konstrukt-, simulationsorientierte und biographischer Verfahren sowie verschiedener Grade der Strukturierung) und die segmentierten Bewertungsschritte ermöglicht darüber hinaus eine differenzierte und umfassende Beurteilung von Bewerbern. Schuler nennt sein Instrument "einen Mikrokosmos multimethodaler Eignungsdiagnostik" (Schuler, 2001, S.204). Basiert das MMI auf einer sorgfältigen Vorarbeit (Anforderungsanalyse) kann es auch hohen Anforderungen an die Inhaltsvalidität genügen.

Statistische Aussagen zur Validität des MMI

Durch die Multimodalität sowie die anforderungsanalytische Fundierung und die klare Struktur erreicht das Multimodale Interview eine außergewöhnlich hohe prognostische Validität.

Akzeptanz

Trotz der umfassenden Strukturierung und vieler standardisierter Elemente wird das MMI von Bewerbern positiver aufgenommen als andere strukturierte Verfahren. Durch den natürlichen Ablauf und die Möglichkeit, selbst steuernd auf das Gespräch einzuwirken (Situationskontrolle) erleben sie das MMI als angenehme Gesprächsform mit informativem Charakter und als Hilfestellung zur persönlichen Entscheidungsfindung.

Auch das explizite Bemühen um Fairness zwischen Interviewer und Bewerber sollte betont werden: "In der Gesprächskomponente 'realistische Tätigkeitsinformation' wird der Einsicht Rechnung getragen, daß eine Darstellung von Tätigkeit und Organisation, die auch negative Seiten nicht verschweigt, der Selbstselektion dienlich ist und späteren Enttäuschungen sowie unerwünschter Fluktuation vorbeugt (Wanous, 1992); überdies ist sie ein Gebot der Fairneß gegenüber Bewerbern, von denen ihrerseits veridikale Information erwartet wird." (Schuler, 2001, S.204f)

Siehe auch

Literatur

  • Hufnagel, H. (2001). Vom Assessment-Center zum Multimodalen Auswahlverfahren. 1. Auflage. Würzburg: Lexika. ISBN 3896942786
  • Jung, H. (2001). Personalwirtschaft. 4. Auflage. Wien: Oldenbourg. ISBN 3486580485
  • Schuler, H. (2002). Das Einstellungsinterview. Göttingen: Hogrefe. ISBN 3801708837
  • Schuler, H. & Frintrup, A. (2006). Wie das Einstellungsinterview zur überlegenen Auswahlmethode wird. In: Personalführung 5/2006, S. 62-70.
  • Schuler H. & Stehle W. (1990). Biografische Fragebogen als Methode der Personalauswahl. 2 Auflage. Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie. ISBN 3878440049
  • Schuler, H. & Marcus, B. (2001). Biografieorientierte Verfahren der Personalauswahl. In: H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie (S. 176-208). 1. Auflage. Göttingen: Hogrefe. ISBN 3801709442
  • Weinert, A.B. (2001). Organisationspsychologie. 4. Auflage. Weinheim: Beltz PVU. ISBN 3621273999
  • Weinert, A.B. (2004). Organisations- und Personalpsychologie. 5. Auflage. Weinheim: Beltz PVU. ISBN 3621274901

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