- Notitia Dignitatum
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Die Notitia Dignitatum ist ein römisches Staatshandbuch, das in seiner heutigen Textgestalt vermutlich zwischen 425 und 433 n. Chr. entstanden ist. Allerdings ist anzunehmen, dass die Aufzeichnungen im Kern auf das Jahr 395 zurückgehen bzw. auf ältere Quellen zurückgreifen.
Inhaltsverzeichnis
Bezeichnung
Der Name leitet sich aus dem Textanfang des Dokumentes ab:
Notitia dignitatum continet omnium tam civilium quam militarium dignitatum utriusque imperii occidentis orientisque
„Aufzeichnung der Würdenträger, enthält alle Würdenträger, sowohl die zivilen als auch die militärischen, des westlichen und des östlichen Reiches“).
Inhalt und Aufbau
Der Text gibt einen Überblick über die administrative Gliederung des spätantiken Römischen Reiches, die militärischen und zivilen Dienststellen sowie die Verteilung der militärischen Einheiten in der West- und Osthälfte des Reiches.
Die Notitia ist reich bebildert und zeigt unter anderem die Schildmuster der einzelnen militärischen Einheiten sowie stilisierte Ansichten der Städte. Die vier bekannten und erhaltenen mittelalterlichen Abschriften geben auch die reichhaltigen farbigen Abbildungen wieder, die wahrscheinlich weitgehend denen des Originals entsprechen, aber aufgrund von Missverständnissen auch einige Fehler und Anachronismen enthalten. Ein großes Problem ist auch das fast völlige Fehlen von Mengenangaben, sodass eine genaue Schätzung über die tatsächliche Größe der Armee unmöglich ist und daher nur für das späte 4. Jahrhundert halbwegs zutreffende Angaben gemacht werden können. Als Quelle für die Spätantike ist der Text dennoch von großem Wert, auch wenn viele Details umstritten sind – unter anderem hat man den Umstand, dass auch Britannien noch aufgelistet wird, als Hinweis darauf verstehen wollen, dass die Römer die Insel auch nach dem Abzug ihrer Truppen im Jahr 410 noch als Teil des Imperiums betrachtet hätten. Ob man diesem Standpunkt zustimmt, hängt nicht zuletzt davon ab, für wie gründlich man die letzte Überarbeitung um 420 hält.
„Ein prunkvolles Theater, angefüllt mit Spielern jeden Typs und Talents“ – so beschrieb Edward Gibbon im 18. Jahrhundert die spätrömische Bürokratie und bezog sich dabei insbesondere auf die Illustrationen der Notitia Dignitatum. Ihre westlichen Abschnitte fanden unter der kaiserlichen Verwaltung offenbar noch bis etwa 425 Verwendung. Das hier vorgestellte Beispiel für die Illustrationen stammt aus einem Manuskript der Bodleian Library in Oxford, das 1436 nach einem heute verlorenen karolingischen Manuskript des 9. Jahrhunderts kopiert wurde, das seinerseits wohl auf das Original aus dem 5. Jahrhundert zurückging.
Definition der Abbildungen
Die verschiedenen Illustratoren des Manuskripts haben ganz offensichtlich redlich versucht, die spätrömischen Insignien wirklich exakt wiederzugeben, wie ein Vergleich mit antiken Abbildungen zeigt, doch nahmen sie sich bei der Darstellung dekorativer Details wie etwa der Kleidung einige Freiheiten; zudem verstanden sie einige der spätrömischen Abkürzungen nicht mehr. Die Insignien der hohen Beamten werden als ein Ensemble von Kodizillen dargestellt – goldverbrämte Ernennungsurkunden in Elfenbeinrahmen mit dem kaiserlichen Porträt – oder als ein Buch mit heraldischer Bemalung auf dem Buchdeckel und als Schriftrollen. Die Kodizille und manchmal auch die Bücher sind auf einem Tisch mit gemustertem Überwurf angeordnet. In manchen Fällen steht eine geschnitzte Elfenbeinsäule auf einem Dreifuß. Dieser stellte das zeremonielle Schreibzeug dar, das die gerichtliche Zuständigkeit symbolisierte. Hinzu kommen etwa 3.600 Textzeilen über Ämter und Truppen.
Die Notitia enthält auch die ältesten bekannten Abbildungen des Zeichens, das heute als Yin und Yang (oder Taijitu) bekannt ist.[1][2][3] Die weströmischen Infanterieeinheiten armigeri defensores seniores ("Schildträger") und Mauri Osismiaci führten ein Wappen im Schild, das der dynamischen, rechtsläufigen Variante der fernöstlichen Tradition entspricht.[1] Ein weiteres Infanterieregiment, die Thebaei, besaß ein Schildmuster, das der statischen Variante des ostasiatischen Taiji vergleichbar ist.[1] Die römischen Yin-und-Yang-gleichen Symbole gehen den späteren, taoistischen Versionen um beinahe sieben Jahrhunderte voraus.[1]
Zusammensetzung
Das Werk setzt sich aus der notitiae dignitatum tam civilium quam militarium in partibus orientis bzw. occidentis, also zwei Verzeichnissen aller zivilen und militärischen Würden des west- bzw. oströmischen Reichsteils, zusammen. Diese beiden Teildokumente können als eine Art administratives Nachschlagewerk in modernem Sinne angesehen werden, das dem Leser einen Einblick in die Organisation und Hierarchie der zivilen und militärischen Dienststellen gewährt. In den einzelnen Kapiteln werden die Titel des Beamten, sein Zuständigkeitsbereich, sein Büropersonal sowie bei den Militärs auch die Einheiten und Standorte genannt. Die Aufzählung erfolgt gemäß dem Rang des jeweiligen Amtes innerhalb der Hofgesellschaft und nach einem geografischen Prinzip.
Entstehung und Zweckbestimmung
Noch immer sehr umstritten sind Entstehungsdatum und Zweck der Notitia dignitatum. Man ist sich nur darin weitgehend einig, dass ihr Ost-Teil in der existierenden Fassung wohl um die Jahre 399/401 n. Chr. entstand. Die östliche Notitia hat dann wahrscheinlich als Modell für die westliche gedient. Während der Ost-Teil seitdem unverändert blieb, ist der West-Teil bis in die 20er-Jahre des 5. Jahrhunderts n. Chr. offenbar mehrmals mehr oder weniger gründlich überarbeitet worden.
Nach dem Tod des weströmischen Kaisers Honorius im August des Jahres 423 n. Chr. wurde im Herbst mit Hilfe des Generals Flavius Aëtius für einige Monate ein gewisser Johannes neuer Kaiser des Westens. Johannes hatte, als einziger der Imperatoren vor und nach ihm, zuvor das Amt des primicerius notariorum innegehabt, also ausgerechnet jenes, das u. a. für die Truppenlisten und die Ernennungsschreiben zuständig war. Zu diesem Beamten auf dem Kaiserthron würde die Notitia Dignitatum gut passen. So bleibt die Vermutung, dass sie in ihrer (für den Westen) letztmalig aktualisierten Fassung als Geschenk für Johannes anlässlich seiner Thronbesteigung am 20. November 423 n. Chr. dienen sollte, doch ist diese vor allem von Ralf Scharf vertretene These in der Forschung keineswegs unumstritten und letztlich auch kaum zu beweisen.
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e Giovanni Monastra: The "Yin-Yang" among the Insignia of the Roman Empire?, Sophia, Bd. 6, Nr. 2 (2000)
- ↑ Late Roman Shield Patterns. Notitia Dignitatum: Magister Peditum
- ↑ Helmut Nickel: The Dragon and the Pearl, Metropolitan Museum Journal, Bd. 26 (1991), S. 146, Fn. 5
Literatur
Ausgabe
- Otto Seeck: Notitia dignitatum. Accedunt notitia urbis Constantinopolitanae et laterculi provinciarum. Berlin 1876 (unveränderter Nachdruck Frankfurt am Main 1962).
- Concepción Neira Faleira: La Notitia dignitatum. Nueva edición crítica y comentario histórico, Madrid 2005. ISBN 84-00-08415-2
Sekundärliteratur
- Dietrich Hoffmann: Das spätrömische Bewegungsheer und die Notitia Dignitatum. 2 Bände, Rheinland-Verlag, Düsseldorf 1969/70 (Epigraphische Studien, Bd. 7,1–2).
- Michael Kulikowski: The Notitia Dignitatum as a historical source, in: Historia 49, 2000, S. 358-377.
- Ralf Scharf: Der Dux Mogontiacensis und die Notitia Dignitatum. Eine Studie zur spätantiken Grenzverteidigung. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-018835-X (Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 48).
- Matthias Springer: Notitia dignitatum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 21, S. 430–432.
Weblinks
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