Oberflächenenergie

Oberflächenenergie

Die Oberflächenenergie ist ein Maß für die Energie, die zum Aufbrechen der chemischen Bindungen notwendig ist, wenn eine neue Oberfläche eines Festkörpers oder einer Flüssigkeit erzeugt wird. Sie ist definiert als die Energie, die zum Erzeugen der Oberfläche je Flächeneinheit aufgewendet werden muss. Die Dimension der Oberflächenenergie in SI-Einheiten ist J/m2, das meist verwendete Formelzeichen γ (gamma).

Obwohl meist der Begriff „Oberflächenenergie“ verwendet wird, muss bei Temperaturen oberhalb des absoluten Nullpunktes eigentlich die freie Energie der Oberfläche betrachtet werden. Der Unterschied ist jedoch oft gering und kann dann vernachlässigt werden.

Die Oberflächenenergie ist immer positiv, weil Energie benötigt wird, um Bindungen aufzubrechen. Da der thermodynamisch stabile Zustand eines Systems derjenige mit der geringsten (freien) Energie ist, hat jedes System ein Bestreben, Oberflächen hoher Oberflächenenergie zu vermeiden oder zu minimieren. Daraus folgt beispielsweise, dass Materialien hoher Oberflächenenergie leicht durch Materialien geringer Oberflächenenergie bedeckt werden (Benetzung), aber nicht umgekehrt. Als grobe Regel kann gelten, dass Materialien mit starken Bindungen (diese haben meist einen hohen Schmelz- und Siedepunkt) höhere Oberflächenenergien als schwächer gebundene Materialien haben.

Berechnete Oberflächenenergien
Oberfläche γ in J/m2
Metalle [1]
Pb(111) 0,32
Al(111) 1,2
Cu(111) 2,0
Fe(110) 2,4
W(110) 4,0
Halbleiter [2]
Ge(111) 1,01
Ge(100) 1,00
Si(111) 1,36
Si(100) 1,41

Messung

Bei Flüssigkeiten ist die Oberflächenenergie gleich der Oberflächenspannung und der Messung leicht zugänglich. Hingegen kann die Oberflächenenergie von Festkörpern kaum direkt gemessen werden, weil es nicht möglich ist, eine neue Oberfläche zu schaffen, ohne dass auch Energie für andere Prozesse aufgewendet wird (z. B. Verformung des Körpers). Daher wird oft argumentiert, dass die derzeit genauesten Werte für die Oberflächenenergie diejenigen aus quantenmechanischen Rechnungen (mit Hilfe der Dichtefunktionaltheorie) sind. Aber auch diese Werte können teilweise noch Fehler von ca. 20 % haben.

Bei Festkörpern ist die Oberflächenenergie von der Orientierung der Oberfläche abhängig; bei Metallen haben diejenigen Richtungen die niedrigste Oberflächenenergie, bei denen die Atome möglichst dicht in einer Ebene liegen und daher viele Bindungen zu anderen Atomen in der Oberfläche und darunter haben, sodass nur wenige Bindungspartner fehlen. Im kubisch flächenzentrierten Gitter ist dies die Oberfläche mit den Miller-Indizes (111), bei kubisch raumzentrierten Metallen die (110)-Fläche und im hexagonalen Gitter die (0001)-Ebene. Daher treten im thermodynamischen Gleichgewicht diese Oberflächen bevorzugt auf (siehe Wulff-Konstruktion). Bei kovalent gebundenen Festkörpern wie Halbleitern treten oft sogenannte Oberflächenrekonstruktionen auf, um die Oberflächenenergie zu verringern.

Zur indirekten Messung der Oberflächenenergie von Festkörpern wird der Kontaktwinkel bestimmt, der zwischen dem Festkörper und einer oder mehreren Flüssigkeiten mit bekannter Oberflächenspannung an der Phasengrenze ausgebildet wird. Die Youngsche Gleichung beschreibt dabei die Beziehung zwischen dem Kontaktwinkel, der Oberflächenspannung der Flüssigkeit, der Grenzflächenspannung zwischen beiden Phasen und der Oberflächenenergie des Festkörpers. Verschiedene Modelle zur Berechnung der Oberflächenenergie aus Kontaktwinkeldaten unterscheiden sich in der Beschreibung der Wechselwirkungen, die für die jeweiligen Spannungskomponenten an den Phasengrenzen verantwortlich sind.

Quellen

  1. L. Vitos, A. V. Ruban, H. L. Skriver, J. Kollár: The surface energy of metals. In: Surface Science. 411, Nr. 1–2, 11. Juli 1998, S. 186–202, doi:10.1016/S0039-6028(98)00363-X.
  2. A. A. Stekolnikov, J. Furthmüller, F. Bechstedt: Absolute surface energies of group-IV semiconductors: Dependence on orientation and reconstruction. In: Physical Review B. 65, Nr. 11, 2002, S. 115318, doi:10.1103/PhysRevB.65.115318.

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