Orgelbau Goll

Orgelbau Goll

Friedrich Goll (* 28. Oktober 1839 in Bissingen an der Teck; † 1911 in Luzern) war einer der bedeutendsten Orgelbauer der zweiten Hälfte des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts in der Schweiz.

Inhaltsverzeichnis

Biografie und Firmengeschichte

Lehr- und Wanderjahre

Friedrich Goll lernte das Orgelbauerhandwerk 1853 bis 1858 bei seinem Bruder Christoph Ludwig Goll in Kirchheim unter Teck. Danach arbeitete er kurze Zeit bei Jakob Forell (1821-1893) in Freiburg i. Br. und wechselte dann zu Friedrich Haas, dessen Geschäft 1838 gegründet worden war und der sich ab 1859 in Luzern niedergelassen hatte. Durch Haas und Forell war Goll Enkelschüler von Eberhard Friedrich Walcker. 1866 schickte ihn Haas für zwei Jahre zu Joseph Merklin nach Paris und 1868 für einige Monate nach London.

Eigene Firma

1868 übergab Haas sein Geschäft dem erst 29-jährigen Friedrich Goll. Den Durchbruch schaffte dieser 1877 mit seinem Opus 12, der ersten grossen Orgel der Stiftskirche Engelberg (III/50, mechanische Kegelladen, Barkermaschine, 1926 durch seine Söhne auf IV/135 erweitert). In den folgenden Jahrzehnten dominierte Friedrich Goll zusammen mit seinen Konkurrenten Johann Nepomuk Kuhn (1827-1888) und Carl Theodor Kuhn (1865-1925) den Schweizer Orgelbau. 1905 wurde Friedrichs Sohn Karl (1876-1967) als Teilhaber in das Unternehmen aufgenommen, das von da an als "Goll & Cie." firmierte. Industrielle Fertigungsmethoden und ein beschleunigter Produktionsrhythmus ermöglichten ein stetiges Wachstum, so dass der Betrieb bei Friedrich Golls Tod 1911 rund 70 Angestellte beschäftigte. Allein zwischen 1902 und 1911 wurden etwa 130 Neubauten erstellt, also mehr als ein Instrument pro Monat.

Weitere Entwicklung des Unternehmens

Die Söhne Karl und Paul (1880-1955) führten die Firma erfolgreich weiter. Zu Beginn der 1920er Jahre wurden die Werkstätten nach Horw bei Luzern verlegt. 1928 kam es zum Konkurs, zum Ausscheiden von Karl Goll und zur Gründung einer Aktiengesellschaft durch Paul Goll (Verwaltungsratspräsident, Direktor) und den Deutschen Wilhelm Lackner (Direktor). Beim Tod von Paul Goll 1955 übernahm dessen Sohn Friedrich die Leitung. Mit Friedrichs Unfalltod 1971 endete die Familientradition. 1972 wurde das Unternehmen in Luzern durch Beat Grenacher und Jakob Schmidt († 1998) als Orgelbau Goll neu gegründet und zu raschem Erfolg geführt; es existiert bis heute. Zu den größten neueren Instrumenten gehören die Orgeln der Französischen Kirche in Bern (1991, IV/61), von St. Martin in Memmingen (1998, IV/62), im Kultur- und Kongresszentrum KKL in Luzern (2000, IV/66) und in der Marktkirche Hannover (2009, IV/64).

Werke

Bauweise

Die Orgeln Friedrich Golls standen ganz in der Nachfolge seines Lehrmeisters Haas und damit in der süddeutsch-romantischen Tradition. Goll baute zunächst ausschliesslich Kegelladen mit mechanischer Spiel- und Registertraktur, z. T. mit Barkermaschinen. Die Spieltische waren stets freistehend "zum Vorwärtsspielen" eingerichtet und aufwendig gearbeitet. Die Dispositionen basierten auf klanglich reich differenzierten Grundstimmen.

Friedrich Goll war bekannt als hervorragender Intonateur. Schon bei der Geschäftsübergabe stellte ihm Friedrich Haas ein entsprechendes Zeugnis aus: Er habe sich "als ein Meister in der Intonation bewährt [...] und zwar nicht in gewöhnlicher Weise; er versteht das edle Kirchliche zu würdigen und hat sich in Frankreich die Intonation der feinen französischen Zungenstimmen angeeignet"[1]. Ab 1894 ging die Firma zu röhrenpneumatisch gesteuerten Kegelladen und ab 1902 zu pneumatischen Taschenladen über.

Friedrich Goll war von Anfang an schweizweit tätig und belieferte sämtliche Landesteile. Exporte ins Ausland ergaben sich hingegen mehr zufällig. Dazu gehörten einige wenige Aufträge aus dem angrenzenden Frankreich sowie für verschiedene anglikanische Kirchen. Eine markante Ausnahme stellt die Orgel zu St. Aposteln in Köln dar (1892), mit III/62 eines der grössten Werke (nicht erhalten).

Bis in seine letzten Lebensjahre hielt Friedrich Goll an einer eher konservativen, an Walcker und Haas geschulten stilistischen Konzeption fest. Erst seine Söhne nahmen vermehrt französisch-symphonische Stilelemente sowie die Forderungen der Elsässischen Orgelreform auf und begannen auch mit technischen Neuerungen (freie Kombinationen, Transmissionen, Oktavkoppeln usw.) zu experimentieren.

Generell hervorzuheben ist die durchweg sehr hohe Qualität sowohl der verwendeten Materialien wie der Ausführung der Orgeln Friedrich Golls, die Pfeifenwerk, Spielanlagen und Trakturen in gleichem Mass auszeichnet. Selbst kleine und kleinste Werke wurden mit höchstem Grad an Perfektion gefertigt. Nicht umsonst rühmte Emile Rupp die Firma Goll als "für den schweizerischen Orgelbau so bedeutungsvoll wie Walcker und Steinmeyer für Süddeutschland"[2].

Erhaltener Bestand

Nur 10 bis 15 Prozent der ursprünglich fast 600 zwischen 1868 und 1928 entstandenen Goll-Orgeln sind noch erhalten. Von diesen rund 75 Instrumenten wiederum ist mehr als die Hälfte unter Verlust des originalen Charakters umgebaut worden. Leider befinden sich unter den unversehrt erhaltenen erwartungsgemäss vor allem kleinere und mittlere Werke, während fast alle grossen (darunter mehrere mit vier Manualen) verändert oder zerstört wurden.

Hier eine Auswahl von einigen noch existierenden Instrumenten Friedrich Golls, die sich (wieder) in originalem oder weitgehend originalem Zustand befinden bzw. für das Gollsche Schaffen besonders repräsentativ sind.

Mechanische Kegelladen
  • 1885, op. 45: Bern, St. Peter und Paul, II/28
  • 1887, op. 54: Heiligkreuz/LU, II/11
  • 1887, op. 56: Courroux/JU, II/22
  • 1888, op. 66: Pleigne/JU, I/8
  • 1889, op. 73: Saint-Saphorin/VD, II/10
  • 1889, op. 77: Meggen/LU, St. Magdalena, II/20
  • 1890, op. 84: St. Pelagiberg/TG, II/11
  • 1890, op. 85: Menziken/AG, ref. Kirche, II/27
  • 1891, op. 96: Hundsbach (Elsass, Frankreich), II/22
  • 1893, op. 111: Attinghausen/UR, II/10
  • 1893, op. 117: Aesch/LU, II/13
  • 1894, op. 127: Winikon/LU, II/12
  • 1894, op. 131: Trogen/AR, II/24
Pneumatische Kegelladen
  • 1896, op. 152: Vaulruz/FR, II/16
  • 1897, op. 161: St. Gallen, Linsebühlkirche, III/35
  • 1897, op. 172: Travers/NE, II/14
  • 1898, op. 179: Flühli/LU, II/14
  • 1898, op. 181: Vevey/VD, Sainte-Claire, II/18
  • 1902, op. 220: Verscio/TI, II/12
Pneumatische Taschenladen
  • 1902, op. 219: St. Katharinental/TG, Betsaal, I/8
  • 1903, op. 244: Luzern, Englische Kirche, III/22 (veränderte Aufstellung; unspielbar)
  • 1904, op. 252: Le Crêt/FR, II/15
  • 1905, op. 274: Rathausen/LU, II/13 (fast unspielbar)
  • 1906, op. 282: Göschenen/UR, II/17
  • 1906, op. 287: Brüssel-Ixelles (Belgien), Saint-Sacrement, IV/32+4 (unspielbar)
  • 1907, op. 307: Saint-Martin/FR, II/18
  • 1908, op. 324: Corsier/VD (jetzt in Echallens/VD), II/17
  • 1908, op. 328: Cannes (Frankreich), St. Georges, II/12
  • 1910, op. 352: Zürich, St.-Anna-Kapelle, II/25+5
  • 1911, op. 361: Flawil/SG, ref. Kirche, III/36
  • 1912, op. 400: Schwyz, Kollegiumskirche, III/34
  • 1913, op. 404: Beckenried/NW, II/29
  • 1916, op. 462: Château d'Oex/VD, anglikanische Kirche, II/10
  • 1918, op. 478: Niederrickenbach/NW, Wallfahrtskapelle, II/15
  • 1922, op. 532: Kriegstetten/SO, II/29
  • 1922, op. 535: Metzerlen/SO, II/18
  • 1923, op. 547: Barberêche/FR, II/13 (enthält op. 230)
  • 1924, op. 557: Meggen/LU, St. Charles Hall, II/14
  • 1925, op. 567: Courtemaîche/JU, II/12
  • 1926, op. 579: Walchwil/ZG, II/33
  • 1926, op. 580: Engelberg/OW, IV/135 (heute 137; enthält op. 12)

Literatur

  • Comment, François: "Friedrich Goll (1839-1911): un parcours initiatique en terre fribourgeoise", in: L'Orgue, revue indépendante, Nr. 1/2000, S. 4-16.
  • Comment, François: "Die Orgel in der kath. Pfarrkirche Göschenen UR", in: Bulletin der St. Galler Orgelfreunde, Nr. 3/2002, S. 48-54. [1]
  • Comment, François: "«... das edle Kirchliche zu würdigen ...»: Friedrich, Karl und Paul Goll - eine Schweizer Orgelbauerdynastie 1868-1928", in: Orgel International (heute Organ), Nr. 4/2002, S. 220-231.
  • Comment, François: "Eine Entdeckung mitten in Zürich: die Goll-Orgel von 1910 in der St.-Anna-Kapelle", in: Ars Organi, Nr. 2/2004, S. 113-116.
  • Comment, François: "Un orgue romantique «symphonisé»: l'orgue Goll (1897/1914/1926) du temple de Travers NE", in: L'Orgue, revue indépendante, Nr. 2/2005, S. 20-29.
  • Comment, François: "La restauration de l'orgue Friedrich Goll de Saint-Saphorin", in: La Tribune de l'Orgue, Revue Suisse Romande, Nr. 4/2005, S. 19-23.
  • Comment, François: "Die Goll-Orgel von 1912 in der Kollegiumskirche Schwyz", in: Musik und Liturgie, Nr. 4/2006, S. 16-23.
  • Comment, François: "L'orgue Goll de Barberêche (1901/1923): du recyclage avant la lettre", in: La Tribune de l'Orgue, Revue Suisse Romande, Nr. 4/2008, S. 31-39.
  • Fischer, Hermann/Wohnhaas, Theodor: Artikel "Goll", in: Lexikon süddeutscher Orgelbauer, Wilhelmshaven 1994, S. 118f.
  • Fischer, Hermann/Fischer, Urs: Artikel "Goll", in: MGG2, Personenteil, Bd. 7, Kassel/Stuttgart 2002, Sp. 1273.
  • Hegner, P. Norbert OSB: "Die grosse Orgel in der Klosterkirche Engelberg", Engelberg 1976.
  • Hörler, Bernhard: "Die Friedrich-Goll-Orgel von 1894 in der evang. Kirche Trogen AR", in: Bulletin der St. Galler Orgelfreunde, Nr. 1/2002, S. 3-13.[2]
  • Hörler, Bernhard: "Die restaurierte Goll-Orgel in der katholischen Wallfahrtskirche St. Peter und Paul und St. Burkhard in Beinwil (Freiamt, Aargau)", in: Ars Organi, Nr. 2/2002, S. 95-99.
  • Hörler, Bernhard: "Die Goll-Orgel von 1907 der ehemaligen evangelischen Kapelle in Horgen/ZH", in: Musik und Gottesdienst, Nr. 82/2008, S. 110-118.
  • Lüthi, Franz: "Die Goll-Orgel von 1911 in der evang. Kirche Feld, Flawil", in: Bulletin der St. Galler Orgelfreunde, Nr. 1/2001, S. 12-19. [3]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Werbebroschüre "Orgelbau-Geschäft von Fried. Goll", Luzern o. J. [1884], S. 1
  2. Rupp, Emile: "Die Entwicklungsgeschichte der Orgelbaukunst", Einsiedeln 1929, S. 398

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