- Schwalbennestorgel
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Als Schwalbennestorgel bezeichnet man eine Orgel, die nicht auf einer Empore steht, sondern an oder vor einer Kircheninnenwand in großer Höhe aufgehängt ist.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Bezeichnung Schwalbennestorgel geht auf Michael Praetorius zurück, der in seiner Syntagma musicum (Bd. 2, 1619) über die Bauweise der „allerersten Orgelwercken“ sagte, dass sie „in die höhe bey die Chor als Schwalbennester gesetzt“ wurden.[1] Mit Aufkommen der Gotik hielt die Orgel in vielen Kirchen Einzug. Die ältesten Kirchenorgeln waren vielfach Schwalbennestorgeln,[2] was sich praktischen Gründen verdankte: In der christlichen Liturgie erfüllte die Orgel fortan eine wichtige Funktion und wurde deshalb im Mittelschiff in Nähe zum Chor platziert. Ab dem 15. Jahrhundert wiesen größere Schwalbennestorgeln neben dem Hauptwerk bereits ein Rückpositiv und ein freistehendes Pedal auf.[3] Häufig wurden die Instrumente der Gotik und Renaidssance mit reich bemalten Flügeltüren versehen, wie aus zeitgenössischen bildlichen Darstellungen hervorgeht.[4] Diese Klapptüren wurden aus künstlerischen und klanglichen, aber auch aus praktischen Gründen angebracht, um die Orgel vor Vogelkot und sonstigen Verschmutzungen zu schützen. In der Advents- und Passionszeit konnten die Flügeltüren geschlossen werden, entsprechend der Praxis, die Flügeltüren eines Altarretabels zu schließen. Auch die Rückseiten der Türen waren bemalt. Unten wird die Schwalbennestorgel in der Regel mit einem geschnitzten Unterbau abgeschlossen, der in einer Spitze endet. Im Übrigen ist die Form der Schwalbennestorgel wenig einheitlich.[5] Als ab dem 17. Jahrhundert die Orgel zur Begleitung des Gemeindegesangs eingesetzt wurde, wurde die Westempore zum bevorzugten Standort, sodass die Schwalbennestorgeln an Bedeutung verloren. Erst im 20. Jahrhundert wurden wieder vermehrt Schwalbennestorgeln gebaut, entweder als Großorgel oder als stilistische Ergänzung zur Hauptorgel. Ausschlaggebend für den Bau einer Schwalbennestorgel und deren genaue Platzierung ist meist die akustisch günstige Lage zur Begleitung des Gemeindegesangs.
Spieltisch
Bei einer mechanischen Spieltraktur kann der Spieltisch vorder-, hinter- oder seitenspielig angebracht sein. Bei modernen Schwalbennestorgel befindet er sich oft weitab von der Orgel, sodass die Orgel von dort oder von der Hauptorgel aus elektrisch angespielt werden kann. Einzigartig ist die Doppelorgel in Bedheim. Hier wird die Schwalbennestorgel vom zweiten Manual der Hauptorgel angespielt, wobei eine Mechanik mittels Holzleisten (sog. Abstrakten) über dem Orgelboden eine Entfernung von 20 m überbrückt. Bei größeren Orgeln kann der Spieltisch sich aber auch im Orgelgehäuse befinden; der Organist gelangt dann über verborgene Treppen und Zugänge dorthin, neuerdings auch (so im Regensburger Dom) durch einen Aufzug, der ebenfalls vor den Blicken der Gottesdienstbesucher verborgen werden kann.
Schwalbennestorgeln
Die folgende sortierbare Liste ist eine Auswahl und konzentriert sich auf Schwalbennestorgeln in Deutschland.
In der sechsten Spalte bezeichnet die römische Zahl die Anzahl der Manuale, ein großes „P“ ein selbstständiges Pedal, ein kleines „p“ ein nur angehängtes Pedal und die arabische Zahl in der vorletzten Spalte die Anzahl der klingenden Register.
Ort Kirche Bild Orgelbauer Jahr Manuale Register Anmerkungen Bamberg Bamberger Dom Franz Rieger, Orgelbau Goll 1974 IV/P 77 Mit Spanischen Trompeten Bedheim Barockkirche Nikolaus Seeber 1721 I 7 Über eine mechanische Konstruktion von 20 m langen Holzabstrakten mit der Hauptorgel verbunden und vom unteren Manual aus bespielbar Berlin Sankt-Hedwigs-Kathedrale Johannes Klais 1975–77 III/P 67 Bremen Bremer Dom Gebr. Van Vulpen 1965–66 III/P 36 Sog. „Bachorgel“ Dortmund Marienkirche Gustav Steinmann 1967 III/P 34 Im Stil des Neobarock; seitenspielig Frankfurt am Main Alte Nicolaikirche Gebr. Oberlinger Orgelbau 1992 II/P 23 Mechanische Spiel- und Registertraktur; Orgelgehäuse mit sehr geringer Tiefe Frankfurt am Main Kaiserdom St. Bartholomäus Johannes Klais 1994 II/P 28 Ebenfalls von Hauptorgel aus elektrisch anspielbar Freiburg im Breisgau Freiburger Münster Marcussen & Søn 1965 II/P 21 Ebenfalls von Hauptorgel aus elektrisch anspielbar Groningen Der Aa-Kerk Raphael Rodensteen um 1550/1635 II/P Nur Gehäuse erhalten → Orgeln der Der Aa-Kerk (Groningen) Herford Herforder Münster Paul Ott 1953 II/P 21 Hinter hist. Prospekt einer Orgel von Johann Andreas Zuberbier (1756), die ursprünglich für Friedewald (I/p/9) gebaut war Bad Hersfeld Stadtkirche Bruno Döring 1974 III/P 57 Mit Echowerk ohne eigenes Manual Innsbruck Hofkirche Jörg Ebert 1561 II/p 15 Nahezu vollständige erhalten → Orgel der Hofkirche (Innsbruck) Köln Kölner Dom Johannes Klais 1998 IV/P 53 Kann auch von der Hauptorgel aus elektrisch angespielt werden. Lemgo St. Marien 160x160px Gebr. Slegel, Fritz Scherer, Rowan West 1587, 1612–13, 2009–10 III/P 27 Gehäuse von Slegel; einige Reste von Scherer erhalten; Rekonstruktion durch West (II/P/20) → Orgel von St. Marien (Lemgo) Lübeck Jakobikirche Friedrich Stellwagen 1636–1637 III/P 31 Weitgehend erhalten → Orgeln der Jakobikirche (Lübeck) Mülheim-Saarn Klosterkirche Friedrich Fleiter 1991 III/P 25 Mit Koppelmanual; Hauptwerk und Pedal auch von der Emporenorgel elektrisch anspielbar Nürnberg St. Lorenz Johannes Klais 2005 III/P 32 Regensburg Minoritenkirche (Historisches Museum) Bernhardt Edskes 1988–89 II/P 11 Rekonstruktion der Schwalbennestorgel (15./16. Jahrhundert) nach einem Dispositionsentwurf von Caspar Sturm (1583) Regensburg Regensburger Dom Franz Rieger 2009 IV/P 80 Größte Schwalbennestorgel der Welt Salzburg Salzburger Dom Johann Pirchner 1991 je II/P je 14 Zwei Vierungsorgeln Trier Trierer Dom Johannes Klais 1974 IV/P 67 1996 Chororgel von Klais ebenfalls als Schwalbennestorgel gebaut (II/P/25) Ulm Ulmer Münster Franz Rieger 1960 II/P 20 Mit dem Register Alphorn Worms Wormser Dom Johannes Klais 1985 III/P 34 Würzburg Würzburger Dom Johannes Klais 1969 II/P 20 Zweite Schwalbennest-Chororgel soll 2011 von Klais fertiggestellt werden → Orgeln des Würzburger Domes Für den Mainzer Dom ist als mittelfristiges Projekt der Einbau einer Schwalbennestorgel geplant.[6]
Literatur
- Friedrich Jakob u.a.: Die Valeria-Orgel. vdf-Hochschulverlag, Zürich 1991, ISBN 3-7281-1666-1 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
- Michael Praetorius: Syntagma musicum. Band II. De Organographia. Bärenreiter, Kassel [et. al.] 1985, ISBN 3-7618-0183-1 (Faksimile von Wolfenbüttel 1619).
- Maarten Albert Vente: Die Brabanter Orgel. Zur Geschichte der Orgelkunst in Belgien und Holland im Zeitalter der Gotik und der Renaissance. H. J. Paris, Amsterdam 1963.
Einzelnachweise
- ↑ Praetorius: Syntagma musicum, S. 94.
- ↑ Klosterkirche Muri: wahrscheinlich 12. Jahrhundert (gesehen 1. Dezember 2009).
- ↑ Vente: Brabanter Orgel, S. 12.
- ↑ Jakob: Valeria-Orgel, S. 127–141.
- ↑ Jakob: Valeria-Orgel, S. 143–162.
- ↑ Orgelmagazin (gesehen 1. Dezember 2009).
Kategorie:- Bauform (Orgel)
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